Lebensdaten
1881 – 1958
Geburtsort
Braunschweig
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Psychoanalytiker
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 129413372 | OGND | VIAF: 67545036
Namensvarianten
  • Müller, Carl
  • Müller-Braunschweig, Carl
  • Müller, Carl
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Zitierweise

Müller-Braunschweig, Carl, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd129413372.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich Müller, Bautischlereibes. in Braunschweig;
    1) 1913 ( 1925) Dr. Josine Ebsen (1884–1930), Kinderanalytikerin (s. L), 2) 1925 Ada (1897–1959), Kinderanalytikerin (s. L), T d. Walter Schott, Pfarrer in Brandenburg u. Berlin;
    1 S Hans (* 1926), Prof. f. klin. Psychosomatik in Gießen, Psychoanalytiker, 1 T Elke Bibby (* 1927), Dr., Tierärztin in Ottawa (Kanada).

  • Biographie

    Die Großzügigkeit seines Vaters ermöglichte M. ein ausgedehntes Philosophiestudium bei Jonas Cohn, Heinrich Rickert, Cay v. Brockdorff, Paul Menzer, Carl Stumpf, Georg Lasson und vor allem Alois Riehl, erweitert um Physik, Biologie, Anthropologie, Psychologie, Geschichte und Nationalökonomie. Er studierte seit dem Wintersemester 1901/02 je ein Semester in Heidelberg, Freiburg (Breisgau), Braunschweig und Halle. 1905 übersiedelte er mit Riehl nach Berlin und schloß seine Kantstudien 1909 mit der Promotion ab. Im selben Jahr lernte M. die Psychoanalyse kennen. Mit ergänzenden Studien in Medizin, vor allem Psychiatrie bei Karl Bonhoeffer (1912–14), und einer persönlichen Analyse zunächst bei Karl Abraham, dem Gründer der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung, dann bei Hanns Sachs, rundete er seine psychoanalytische Ausbildung ab. Nach dem 1. Weltkrieg wurde M. Mitglied der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung und Dozent am 1920 gegründeten Berliner Psychoanalytischen Institut (BPI). 1922-38 war er organisatorisch und leitend im Unterrichtsausschuß tätig (1922-33 als dessen Sekretär, 1933-36 als Vorsitzender, 1936-38 in dem von Mathias Heinrich Göring, einem Vetter Hermann Görings, geleiteten Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie) und maßgeblich an der Ausarbeitung der Ausbildungsrichtlinien beteiligt. 1925 wurde M. in den Zentralvorstand der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) gewählt. Das nationalsozialistische Regime bedrohte den Fortbestand der als „jüdische Wissenschaft“ geltenden Psychoanalyse. Neben dem Arzt Felix Boehm übernahm M. als stellvertretender Vorsitzender des „arisierten“ Vorstandes der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG), von der zwei Drittel der Mitglieder Juden waren, die Deutschland verlassen mußten, vor allem die ideologische Anpassung; er führte in einem Memorandum die Nützlichkeit der Psychoanalyse auch für den nationalsozialistischen Staat aus und plante 1938 eine Zeitschrift für „Deutsche Psychoanalyse“ als Gegengewicht zur „Jüdischen Psychoanalyse“. Bei der Besetzung Österreichs fungierte M. zunächst als Treuhänder für die Übernahme der Wiener Psychoanalytischen Vereingung mit Psychoanalytischer Poliklinik und dem Psychoanalytischen Verlag in das sog. Göring-Institut. Eine anteilnehmende Geste Anna Freud gegenüber erregte das Mißtrauen der Nationalsozialisten und führte zum Scheitern seiner Mission und als Folge davon zu Haus-, Lehr- und Lehranalyseverbot; deshalb verstand sich M. später als „Opfer“. Die DPG mußte aus der IPV austreten und wurde aufgelöst.

    Am 16.10.1945 konstituierte sich die DPG mit M. als Vorsitzendem neu. Er galt, trotz seiner Affinität zur Jungschen Richtung (Nachanalyse bei der Jungianerin Gertrud Weller), als Vertreter der „orthodoxen“ Psychoanalyse. In seiner „Zeitschrift für Psychoanalyse“, die nach zwei Heften aus wirtschaftlichen Gründen ihr Erscheinen einstellen mußte (1949), bemühte er sich um eine Bestandsaufnahme psychoanalytischen Wissens. Massive theoretische und persönliche Auseinandersetzungen mit Harald Schultz-Hencke, dem ärztlichen Begründer der Neoanalyse, dem, zusammen mit dem Arzt Werner Kemper, durch das von der Versicherungsanstalt Berlin finanzierte Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen eine Absicherung des Berufsstandes gelungen war, gipfelten in einer öffentlichen Kontroverse zwischen beiden auf dem 1. Kongreß der International Psychoanalytical Association (IPA) nach dem Krieg 1949 in Zürich und führten zur Gründung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV, 11.9.1950), die seit 1950/51 als Berliner Psychoanalytisches Institut eine klassische psychoanalytische Ausbildung anbot. Die DPG-Mitglieder verübelten es ihrem Vorsitzenden, daß er heimlich eine neue Gruppe gegründet hatte. Auf dem IPA-Kongreß in Amsterdam (1951) wurde die DPV in die IPA aufgenommen. Neben seiner psychoanalytischen Praxis war M. als Dozent für Psychoanalyse an der FU Berlin tätig.

    M.s Hauptinteresse richtete sich auf die Herausarbeitung einer Anthropologie, die die Psychoanalyse in das biologisch-philosophische Menschenbild einzubeziehen versuchte. Er strebte eine philosophische Klärung der sich daraus ergebenden Probleme an und untersuchte das theoretische Verhältnis der Tiefenpsychologie zu den Fragen der Philosophie, der Kultur, der Religion, der Ethik und der Erziehung. Bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung publizierte er (seit 1920) regelmäßig u. a. in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse und der Zeitschrift für Sexualwissenschaften „Imago“. Ein eher pädagogisches Gepräge weisen die unmittelbar nach dem Krieg erschienenen Schriften auf; dann wandte er sich, in Verbindung mit seiner Vorlesungstätigkeit, einer ausführlichen Freud-Exegese zu.

  • Werke

    u. a. Psychoanalyt. Gesichtspunkte z. Psychogenese d. Moral, insbes. d. moral. Aktes, in: Imago 7, 1921, H. 3;
    Btrr. z. Metapsychol., ebd. 12, 1926. H. 1;
    Zur Genese d. weibl. Über-Ichs, in: FS zu Freuds 70. Geb.tag, in: Internat. Zs. f. Psychoanalyse 12, 1926, H. 3/4;
    Psychoanalyse u. Philos., in: Hippokrates 1, 1929, H. 6;
    Psychoanalyse u. Weltanschauung, in: Reichswart v. 22.10.1933;
    Die erste Objektbesetzung d. Mädchens in ihrer Bedeutung f. Penisneid u. Weiblichkeit, in: Internat. Zs. f. Psychoanalyse 22, 1936, H. 2;
    Streifzüge durch d. Psychoanalyse, 1948;
    Zur menschl. Grundhaltung, Psychol. u. Technik d. psychoanalyt. Therapie, in: Psychol. Btrr. 2, 1955, H. 1.

  • Literatur

    K. Brecht u. a., „Hier geht d. Leben auf e. sehr merkwürdige Weise weiter …“, Kat. u. Materialslg. z. Ausst. z. Gesch. d. Psychoanalyse in Dtld., 1985, S. 95;
    R. Lockot, Erinnern u. Durcharbeiten, Zur Gesch. d. Psychoanalyse u. Psychotherapie im Nat.-sozialismus, 1985, S. 118-26;
    dies., Die Reinigung|d. Psychoanalyse, Die DPG im Spiegel v. Dokumenten u. Zeitzeugen (1933–1951), 1994. – Zu Josine Müller geb. Ebsen u. u. Ada M.-B. geb. Schott: K. W. Oberborbeck, Kinderanalyse im Umfeld d. Berliner Psychoanalyt. Inst. 1920 bis 1933;
    in: Zs. z. Gesch. d. Psychoanalyse H. 13, 1994, S. 71-120.

  • Autor/in

    Regine Lockot
  • Zitierweise

    Lockot, Regine, "Müller-Braunschweig, Carl" in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 488-490 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd129413372.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA