Lebensdaten
1848 – 1916
Geburtsort
Frankfurt/Main
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Industrieller ; Sozialpolitiker
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 119228386 | OGND | VIAF: 20486108
Namensvarianten
  • Merton, Wilhelm
  • Merton, William
  • Moses, William

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Zitierweise

Merton, Wilhelm, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119228386.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Raphael (Ralph) Moses (seit 1856 Merton, 1817–83) aus London, Metallkaufm., S d. Abraham Lyon Moses u. d. Abigail N. N.;
    M Sara Amalia (1818–51), T d. Philipp Abraham Cohen (1790–1856), Bankier u. Metallhändler, hann. Bergfaktor, u. d. Leonore Wertheimber;
    Ur-Gvm Zacharias Isaak|Wertheimber, Bankier u. Kaufm. in F.;
    B Henry R. (1838–72), Kaufm. in London;
    Frankfurt/M. 1877 Emma (1859–1939), T d. Bankiers Emil Ladenburg (1822–1902, s. NDD XIII*);
    4 S, 1 T, u. a. Alfred (1878–1954), Richard (s. 2), beide Industrielle, bauten d. von ihrem Vater gegründete Metallges. AG zum Konzern aus, Walter (1879–1975), Industrieller, seit 1910 Geschäftsinh. d. Berliner Handels-Ges. (alles. BHdE I), Adolf (1886–1914, ⚔), Kunsthistoriker.

  • Biographie

    Die Familie M.s stand in der Spannung zwischen Kosmopolitismus und dem Bedürfnis nach Angleichung an Geist und Verfassung des vorgefundenen urbanen Milieus. Der mit der brit. Staatsbürgerschaft ausgestattete Vater erlangte erst nach langer Wartezeit 1855 das Frankfurter Bürgerrecht, für dessen Erwerb dem aus Hannover stammenden Großvater Cohen ebenfalls eine Bewährungsfrist gesetzt worden war. Die durch Namensänderung bekräftigte Naturalisierung in Frankfurt bedeutete für den hier als „British Subject“ in der Nähe der jüd. Orthodoxie der Großeltern lebenden William (erst später Wilhelm) einen wichtigen Brückenschlag zu seiner Geburtsstadt. Nach Beendigung der Schulzeit am Frankfurter Städtischen Gymnasium war M., der ein halbes Jahr bei der Deutschen Bank in Berlin volontiert hatte, abwechselnd im Londoner Handelshaus des älteren Bruders Henry und in der nunmehr von seinem Vater geführten Frankfurter Firma Ph. A. Cohen tätig. 1876 wurde er Teilhaber im väterlichen Geschäft und ließ sich ganz in Frankfurt nieder. Von da an datiert, gefördert durch die Heirat mit einer Frankfurter Bankierstochter und die Ausweitung des schließlich in eigener Regie geführten Cohenschen Geschäfts, die völlige Einwurzelung M.s in der Mainmetropole. Ihr lief die durch sein soziales Engagement verstärkte Hinwendung zu Deutschland parallel, die in der um die Jahrhundertwende angenommenen deutschen Staatsbürgerschaft und im Übertritt zum christlichen Glauben ihren Ausdruck fand.

    Die entscheidende Zäsur in der Unternehmertätigkeit M.s markiert die 1881 erfolgte Gründung der Metallgesellschaft (MG) als Aktiengesellschaft – mit zunächst 2 Mill. Mark Aktienkapital – für den „Handel in und die Fabrikation von Metallen und Metalloxyden“. In ihr ging wenig später die Firma Cohen auf. Das bereits in der Cohenschen „Handlung“ vereinte Gründungstriumvirat bestand neben M., der den Vorsitz im Aufsichtsrat übernahm, aus Leo Ellinger (1852–1916), dem Sohn des väterlichen Kompagnons, und dem mit diesem verschwägerten, den Vorstandsposten besetzenden Zachary Hochschild. Durch die straffe, in seiner Person konzentrierte, mehr auf die Institution des Aufsichtsrats als die des Vorstandes vertrauende Unternehmensführung gelang M. innerhalb weniger Jahrzehnte der Aufbau eines auf dem Weltmetallmarkt führenden Konzerns. Für die Ausgestaltung des weiträumigen Unternehmens, das sowohl in die Metallgewinnung (Bergbau- und Hüttenwesen) als auch später in die Metallverarbeitung und die Entwicklung technischer Verfahren auf diesen Gebieten ausgriff, wurde der Einsatz wissenschaftlicher Methoden zur Entwicklung neuer, rationellerer Arbeitstechniken und effektiverer Organisationsformen entscheidend. So hat M. mit der seit 1893 regelmäßig publizierten „Metallstatistik“ seinen eigenen Unternehmungen wie seinen Partnern auf dem Metallsektor ein Hilfsmittel systematischer, weltumspannender Marktforschung an die Hand gegeben. Der Pflege und Entwicklung der „Geschäfte mit technischem Einschlag“ diente die 1897 erfolgte Gründung einer „besonderen, mit der MG eng liierten metall-industriellen Gesellschaft“, der Metallurgischen Gesellschaft AG (Lurgi). Während in der MG weiterhin das Handelsgeschäft konzentriert war und der Lurgi vorrangig die Wahrung der Industrieinteressen zufiel, beschritt M. mit der Gründung der Borg- und Metallbank AG (1906, 1910 in die Metallbank und Metallurgische Gesellschaft AG umgegründet) den Weg der Erschließung des Kapitalmarktes.

    Als M. in der Schweizer. Gesellschaft für Metallwerte 1910 das letzte und umfassendste Finanzierungsinstrument für sein Unternehmen schuf, erstreckte sich der in enger Kapital-, Arbeits- und Familienverbindung mit der Londoner Schwestergesellschaft stehende Gesamtkonzern industriell vom Heddernheimer Werk mit seinen wachstumsintensiven Verzweigungen bis zu der 1887 als erster industrieller Neugründung ins Leben gerufenen Metallhütte Hoboken. Organisatorisch reichte das Geflecht von Tochtergesellschaften, Beteiligungen, Niederlassungen und Vertretungen bis nach New York (American Metal Co., 1887), Mexiko und Melbourne (Australian Metal Co., 1897). Nach Ansicht des Nationalökonomen Robert Liefmann stellte der von ihm 1913 unter die drei „internationalsten Unternehmungskomplexe Deutschlands“ eingestufte „Merton-Konzern“ den Prototyp eines als „Effektenkapitalismus“ bezeichneten weltwirtschaftlichen Verflechtungsgebildes dar. M. ist der – übrigens später von Lenin zur Demonstration wachsender Verknüpfung des internationalen Monopolkapitals für seine Imperialismustheorie aufgegriffenen – Verflechtungsthese Liefmanns mit einer für den engsten Mitarbeiterkreis bestimmten Streitschrift entgegengetreten. Neben wichtigen, infolge Aktenverlusts unersetzlichen Informationen zur Frühgeschichte der MG gibt die Liefmann-Kritik Aufschluß über M.s unternehmerische Maximen. Dabei werden die Überzeugung von der notwendigen ethischen Fundierung wirtschaftlichen Handelns sowie die optimistische Annahme eines wechselseitigen Zusammenhangs von marktbeherrschender Konzernmacht und dadurch ermöglichter, dem volkswirtschaftlichen Ganzen dienender Leistungen deutlich.

    Schon früh stellte M. seinem wirtschaftlichen Unternehmen ein ebenbürtiges soziales Reformwerk an die Seite. Auch auf dem Feld sozialen Handelns bemühte er sich um planmäßige, rationelle, methodisch fundierte Organisation. Daher gehört die Schaffung von auf wissenschaftlicher Grundlage arbeitenden, mit einem gut geschulten Personal ausgestatteten sozialen Einrichtungen zu den bleibenden Verdiensten M.s. Organisatorische Grundlage und Ausgangspunkt für seine sozialreformerischen und -pädagogischen Unternehmungen wurde das 1890 gegründete, 1896 als GmbH etablierte Institut für Gemeinwohl. Als weitere Gründungen M.s folgten 1891 die Gesellschaft für Wohlfahrtseinrichtungen mit den von ihr betriebenen Volksküchen und Werkskantinen, 1895 die gemeinnützige Rechtsauskunftsstelle, 1899 die Centrale für private Fürsorge, 1902 das Soziale Museum, 1908 das auf die Beobachtung von Bleierkrankungen in den MG-Erzhütten zurückgehende Institut für Gewerbehygiene. Den sozialreformerischen Bestrebungen im Verein für Sozialpolitik und der Gesellschaft für Soziale Reform war M. durch persönliche Anteilnahme wie finanzielle Mitträgerschaft (vor allem der „Sozialen Praxis“ und des Berliner Bureaus für Sozialpolitik) verbunden.

    Aus der Einsicht M.s in den engen Zusammenhang von Theorie und Praxis im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben erwuchsen der Aus- und Weiterbildung von Kaufleuten, Industriellen, Technikern und Verwaltungsbeamten dienende sozialpädagogische Institutionen: die Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung und die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften (1901). Letztere bildete die Vorstufe zur Frankfurter Universität, an deren Gründung M. sowohl durch Beisteuerung eines beachtlichen Stiftungsbetrags als auch durch konzeptionelle Mitwirkung vor allem bei der Durchsetzung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät beteiligt war. Es gehört zu den Widersprüchen der Persönlichkeit M.s, daß dieser zwar die von seinen wissenschaftlichen und sozialreformerischen Initiativen hinterlassenen Spuren im gesellschaftlichen Leben erkannte, gleichwohl selbst in Distanz zum herrschenden Parteien- und Interessenbetrieb blieb und jede öffentliche Betätigung und weiterreichende Publizität vermied. Durch seine Abseitshaltung glaubte M., der seine Tätigkeit als einen Volk und Staat geschuldeten „öffentlichen Dienst“ begriff, sich die für die Sache notwendige, das Gesamtinteresse fördernde Handlungsfreiheit bewahren zu können.

    Der 1. Weltkrieg brachte für M.s auf Internationalität angewiesenes Wirtschaftsunternehmen vielfältige Umgestaltungen und führte zu einer intensiven Einbindung in die Aufgaben und Anforderungen der Kriegswirtschaft. M. wies aber den von England ausgehenden, auf Liefmanns Verflechtungstheorien gestützten Vorwurf zurück, der eigentliche Zweck der internationalen Organisation des MG-Konzerns liege in der Versorgung Deutschlands mit „Munitions-Metallen“ für den Kriegsfall. M.s Konzern trat ganz in den Dienst der Kriegssozialpolitik, vor allem auf dem Gebiet der Kriegswohlfahrtspflege. Inmitten weitreichender Pläne für neue unternehmerische und sozialpolitische Initiativen überraschte ihn Her Tod.|

  • Auszeichnungen

    Dr. phil. h. c. (Marburg 1906), Dr.-Ing. E. h. (TH Aachen 1913).

  • Werke

    Vorwort (S. III-VIII) zu: N. Brückner (Bearb.), Die öffentl. u. private Fürsorge, Gemeinnützige Thätigkeit u. Armenwesen mit bes. Beziehung auf Krankfurt am Main, 1892;
    Entgegnung auf R. Liefmann, „Die internat. Organisation d. Frankfurter Metallhandels“, o. J. (Privatdr. 1913/15).

  • Literatur

    W. M. u. sein soz. Vermächtnis, Gedenkworte seiner Verehrer anläßl. d. 10. Wiederkehr seines Todestages, 1926;
    R. Wachsmuth, Die Gründung d. Univ. Frankfurt, 1929;
    W. Däbritz, 50 J. Metallges. 1881-1931, 1931 (P);
    S. M. Auerbach, Jews in the German Metal Trade, in: Leo Baeck Institute Year Book X, 1965, S. 188-203;
    H. Achinger, W. M. in seiner Zeit, 1965 (P);
    P. Kluke, Die Stiftungsuniv. Frankfurt am Main 1914-1932, 1972;
    U. Ratz, Sozialreform u. Arbeiterschaft, Die „Gesellschaft f. Soz. Reform“ u. d. sozialdemokrat. Arbeiterbewegung v. d. Jh.wende bis z. Ausbruch d. 1. Weltkrieges, 1980;
    dies., Tagespol. Distanz u. soz.pol. Pragmatismus, W. M. u. d. soz.reformer. Bestrebungen seiner Zeit, in: MG-Information 16, 1981, H. 1, S. 18-21;
    dies., Sozialreform contra patriarchal. Wohlfahrtspflege, Aus e. Briefwechsel zw. W. M. u. Alfred Hugenberg, ebd. 18, 1983, H. 1, S. 22-25;
    dies., Gesamtinteresse vor Sonderinteressen, Streiflichter z. Pressepol. im Hause Merton, ebd. 19, 1984, H. 1, S. 10-13;
    dies., Wirtsch.führer, Sozialreformer, Frankfurter Stifter, Vor 70 J. starb W. M., ebd. 21, 1986, H. 4, S. 4-7 (P);
    P. Arnsberg, Die Gesch. d. Frankfurter Juden seit d. Franz. Revolution, 1983;
    Ch. Sachße, Mütterlichkeit als Beruf, Sozialarbeit, Sozialreform u. Frauenbewegung 1871-1929, 1986;
    S. Wolf, W. M., in: Jüd. Stiftungen in Frankfurt a. M.: Stiftungen, Schenkungen, Organisationen u. Vereine mit Kurzbiogrr. jüd. Bürger, dargest. v. G. Schiebler, hrsg. v. A. Lustiger, 1988, S. 355-60;
    Die Liefmann/Merton-Kontroverse, kommentiert v. Dr. H. Rieger, Dokumente u. Schrr. aus d. Hist. Archiv d. Metallges. AG, H. 1, 1992 (P);
    Bibliogr. z. Gesch. d. Frankfurter Juden 1781-1945. bearb. v. H.-O. Schembs, 1978, S. 536-38;
    DBJ I, 1925, S. 237-10. – Eigene Archivstud.

  • Porträts

    Bildarchiv, Hist. Archiv d. Metallges. AG Frankfurt/M.

  • Autor/in

    Ursula Ratz
  • Zitierweise

    Ratz, Ursula, "Merton, Wilhelm" in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 184-187 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119228386.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA