Lebensdaten
um 1478 oder 1480 – 1537
Geburtsort
Straßburg
Sterbeort
Freiburg (Breisgau)
Beruf/Funktion
Humanist ; Musiktheoretiker
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 117320005 | OGND | VIAF: 10620240
Namensvarianten
  • Luscinus, Othmarus
  • Nachtigall, Othmarus (eigentlich)
  • Nachtgall, Othmarus (eigentlich)
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Luscinus, Othmar, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117320005.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johannes Nachtgall, Bürger in St.;
    M Ottilia N. N.

  • Biographie

    In seiner Jugend wurde L. geprägt von den Straßburger Humanisten wie Geiler von Kaysersberg. Einer seiner Mitschüler war der Humanist Dietrich Grosemund. Seit 1494 studierte L. an der Univ. Heidelberg, wo er 1496 das Baccalaureat erwarb. Anschließend unternahm er lange Studienreisen, die ihn nach Löwen, Paris, Padua und Wien führten, von wo aus er Fahrten nach Griechenland und in den Vorderen Orient unternahm. 1505 war L. in Wien als Student eingeschrieben und erhielt bei Wolfgang Grefinger eine Ausbildung als Organist und Komponist, er hielt auch an der Universität Vorlesungen über Musik. 1510/11 lebte er in Augsburg im Hause von Konrad Peutinger und trat vermutlich in Verbindung mit Sebastian Virdung, dessen „Musica getutscht“ (1511) er später ins Lateinische übertrug, außerdem schloß er Freundschaft mit dem Humanisten Veit Bild, mit dem er 1511|vermutlich nach Kloster Melk ging. 1511-14 hielt er sich in Paris auf, wo er bei Fausto Andrelini seine Lateinkenntnisse erweiterte und bei Hieronymus Aleander Griechisch lernte. Seit 1514 lebte er in Straßburg und entfaltete hier bis 1523 eine reiche Tätigkeit, über die Hälfte seiner fast 40 Schriften entstand in dieser Zeit, ebenso die wenigen Kompositionen. 1515 wurde er zum Organisten an St. Thomas berufen, wo sich eine der besten Orgeln der Zeit befand. Im selben Jahr vollendete L. sein Musiktraktat „Musicae Institutiones“, das auf seinen in Wien gehaltenen Vorlesungen basiert. Für das Griechischstudium, das er in Straßburg einführte, schuf er Grammatiken und Textausgaben. 1518 ging L. zu einem Urlaub nach Italien, um dort, vermutlich in Padua, zum Doctor iuris pontifici zu promovieren, 1518/19 weilte er in Brixen und erteilte dem Propst Griechischunterricht. 1520 verlor er seine Straßburger Organistenstelle, als dort die Anhänger der Reformation die Oberhand gewannen. Nach einem Aufenthalt in Konstanz 1522/23 siedelte L. 1523 nach Augsburg über. Er lebte dort im Kloster St. Ulrich und Afra, hielt Vorlesungen über die Psalmen und vermutlich auch über die klassischen Sprachen. Daraus ging auch seine Schrift „Collatione sacrae scripturae“ hervor, die von Sigmund Grimm herausgegeben wurde. In ihr zeigt sich L.s kritische Haltung zur alten Kirche, von der er sich jedoch nie getrennt hat. 1525 erhielt L. ein Kanonikat und ein Predigtamt an St. Moritz, das ihm sein Gönner Jakob Fugger verschafft hatte. Im Sinne der Fugger vertrat er als Prediger die kath. Lehre gegen die Reformatoren, stand in Verbindung mit Johann Eck und war 1526 Mitglied der Delegation für die Disputation mit Zwingli in Baden. Auf Grund von Pressionen des Augsburger Rates, der in seiner Mehrheit reformatorisch eingestellt war, gab L. 1528 seine Ämter ab und nahm in Freiburg i. Br. die Stelle des Münsterpredigers an. Er bewohnte dort mit Erasmus und Augustinus Marius gemeinsam ein Haus. 1531 unternahm er eine Wallfahrt nach Marseille, 1532 besuchte er in Mainz den Domprediger Friedrich Nausea. Angebote auf Stellen in Mainz und München lehnte L. ab. Seit 1531 war er ständiger Gast der Freiburger Kartause, die eine beachtliche gelehrte Tradition besaß. Sein Nachlaß und seine Bibliothek gingen an das Kartäuserkloster, die Bücher kamen später an die Universität.

    L. gehört in seiner Vielseitigkeit als Musiker, Literat, Gräzist, Jurist und Theologe zu den angesehensten Humanisten. Sein Wirken war allerdings beeinträchtigt durch die kirchlichen Auseinandersetzungen. Im Bereich der Musik sind außer den Traktaten drei Orgelkompositionen aus der Straßburger Zeit bekannt, dreistimmige Bearbeitungen von vokalen Vorlagen. In ihnen verbindet sich der ornamentalkolorierende Stil der Hofhaimerschule mit dem eher skalenmäßigen der Pariser Schule. In seinen Musikschriften, insbesondere in seiner „Musurgia seu praxis musicae“ (1536, verfaßt vor 1529) werden, ausgehend von dem „fundamentum“ der „vox“ als Klang, verschiedene Aspekte der „compositio“ behandelt, wie etwa Klangausweitung in Stimmführung und Stimmenzahl, Fauxbourdon oder Imitation. Was die historisch-antizipatorischen Ausführungen über die Probleme des spätmittelalterlichen Konsonanz - Dissonanzbegriffs und über die Entwicklung der alten Modi zur modernen Dur-Moll-Tonalität betrifft, sind seine Musikschriften von überragender Bedeutung. Auch die affektbetonten Wortausdeutungen der Vokalpolyphonie eines Orlando di Lasso oder eines Clement Jannequin werden bei L. theoretisch bereits vorweggenommen. Von seinen theologischen Schriften gewannen einige besondere Bedeutung: In der Einleitung zum Kommentar des Halberstädter Bischofs Haymo zu den Paulinischen Briefen (1518) fordert er das direkte Studium der Bibel, das nicht durch sophistische Kommentare getrübt sein sollte. Den Anspruch auf einen direkten Zugang zur Bibel erhob er mit seiner Erklärung und Übersetzung der Psalmen „Der Psalter Verteutscht“ (1524), die als eine der besten neben derjenigen Luthers gilt. Die Bedeutung humanistischer Studien betonte L. in seinem Dialog „Grunnius Sophista“ (1522). In seiner Anekdotensammlung „Ioci ac sales mire festivi“ (1524) beabsichtigte er eine lehrreiche Unterhaltung durch Scherze und Witze, wobei er sich weniger als andere Schwankerzähler der Zeit auf die satirische Wirkung verlegte.

  • Werke

    Ausgg. d. Kompositionen: H. J. Moser (Hrsg.), Frühmeister d. dt. Orgelkunst, 1930, Nr. 13, 28, 29;
    Summa Rosellae, 1516 (jur. Hdb.).

  • Literatur

    ADB 19;
    Ch. Schmidt, Hist. littéraire de l'Alsace II, 1879, 174 ff. (W-Verz.);
    Y. Rockseth, O. N. dit L., in: L'humanisme en Alsace, Congrès de Strasbourg 1938, 1939, S. 192 ff.;
    K. W. Niemöller, in: Archiv, f. Musikwiss. 15, 1958, S. 41-59 (L);
    Goedecke 2;
    de Boor-Newald;
    LThK;
    MGG VIII (P);
    Riemann;
    The New Grove XI.

  • Porträts

    Stich, 1524, in: J. F. Rein, Das gesamte Augspurg. Ev. Ministerium in Bildern u. Schrr., 1749, Nr. 10.

  • Autor/in

    Mechthild Albus, Christoph Schwingenstein
  • Zitierweise

    Albus, Mechthild; Schwingenstein, Christoph, "Luscinus, Othmar" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 531-532 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117320005.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Luscinius: Ottmar L. (Nachtigall), geb. in Straßburg 1487, in Freiburg 1537, ein freier selbständiger Geist, von bewundernswerther Vielseitigkeit, aber freilich ohne sonderliche schöpferische Kraft. Er wurde zuerst von Wimpheling unterrichtet, ging 1508 nach Paris, wo er Lateinisch bei Fausto Andrelini, Griechisch bei Hieronymus Aleander hörte, dann nach Löwen, Padua und Wien, wo er Theologie und canonisches Recht studirte, theoretische und praktische Musikstudien trieb, bereiste Griechenland und Kleinasien, ohne über diese Reisen einen Bericht zu hinterlassen und kehrte nach kurzem Aufenthalte in Augsburg, wo er Peutinger besuchte, in Konstanz, wo er die Freundschaft mit Johann v. Botzheim erneuerte, in Speier, wo er Reuchlin kennen lernte, nach Straßburg zurück (1514). Hier wurde er Organist an der St. Thomaskirche, Lehrer und Priester, verlor aber nach einigen Jahren sein Amt und vermochte auch eine ihm in Aussicht gestellte Präbende trotz einer zu diesem Zwecke unternommenen Reise nach Rom nicht zu erlangen. Diese Zurücksetzung erzeugte in ihm einen Haß gegen die der Wissenschaft feindlichen Geistlichen, den er lebhaft ausdrückte. Die gewonnene Muße aber verwandte er zu einer reichen schriftstellerischen und Lehrthätigkeit; er führte als erster das Studium der griechischen Sprache in Straßburg ein, veröffentlichte zu diesem Zwecke griechische Lehrbücher, Beispielsammlungen, Uebersetzungen aus dem Lucian, welchen letztern Schriftsteller er trotz der bekannten antiheidnischen Gesinnung des Wimpheling’schen Kreises geistreich und muthig zu vertheidigen wußte; unter den Elsässern jener Zeit schrieb er das reinste Latein. Dabei versäumte er nicht einen kleinen Tractat über die Grundbegriffe der Musik ("Institutiones musicae“, 1515) und ein juristisches Handbuch ("Summa Rosellae“, 1516) zu veröffentlichen und erwarb sich auf einer Reise nach Italien (1518) die juristische Doctorwürde. Wenn er nun auch später der Jurisprudenz nicht ganz untreu wurde, so zeichnete er sich vornehmlich durch drei anderweitige Veröffentlichungen aus: 1) durch seine theologischen: Eine Einleitung zu dem Commentar des Halberstädter Bischofs Haymo zu den Paulinischen Briefen (1518), in welcher er die Scholastik verdammt und das Studium der nicht durch sophistische Spielereien getrübten Bibel verlangt und seine Erklärung und Uebersetzung der Psalmen (1524), in welcher er den Anspruch erhebt die „Bibel durch die Bibel“ zu erläutern; 2) durch seinen Dialog: „Grunnius sophista“ (1522), ein Gespräch zwischen Nisobarbarus und Grunnius, in welchem er durch den ersteren die Nothwendigkeit und Glückseligkeit der Humanitätsstudien in sehr energischer Weise gegen den letzteren vertheidigen läßt, der in der Unwissenheit den naturgemäßen Zustand der Menschen erblickt; 3) durch seine Anekdotensammlung: „Loci ac sales mire festivi“ (1524). Im Gegensatze zu anderen Schwankerzählern jener Zeit hat er mehr die Unterhaltung seiner Leser im Auge und verfolgt weniger eine satirische Tendenz. Er ist in seinen Schwanken Gelehrter, der für Gelehrte schreibt; daher bedient er sich zahlloser Anspielungen auf das Alterthum, entlehnt Geschichten und Beispiele aus griechischen und römischen Schriftstellern der classischen Zeit. Doch bezeugt er seine Zugehörigkeit zum Wimphelingischen Kreise dadurch, daß er mehr als die anderen Humanisten die patristischen Schriftsteller berücksichtigt und die Bibel häufiger citirt. Indessen schöpft er auch aus den Neueren: Bebel's Facetien, Pauli's Schimpf und Ernst werden vielfach von ihm benutzt. Dagegen tritt mündliche Ueberlieferung, persönliche Erfahrung, eigene Erfindung fast völlig zurück; nur wenige Persönlichkeiten aus dem humanistischen Lager werden genannt, nur gelegentlich wird von ihm angespielt auf Vorgänge seines Lebens. Den übrigen humanistischen Erzählern ähnelt er durch seinen Kampf gegen die Sophisten, worunter er die unwissenschaftlichen Theologen versteht, durch seine Polemik gegen die Astrologen und die von ihnen aufgestellten Prognostiken. Seine Volksthümlichkeit, die trotz seiner gelehrten Tendenz bestehen kann, zeigt er durch die Lust, mit der er dem gefunden Menschenverstand gegenüber der eingebildeten Gelehrsamkeit zum Siege verhilft, in den vielfachen moralischen Nutzanwendungen, die oft recht seltsam mit den von ihm mit Vorliebe erzählten Zoten contrastiren. Religiöse Fragen berührt er wenig: Bibelworte müssen manchmal zu Schwänken herhalten; religiöse Grundsätze, z. B. daß der Glaube ohne Werke nichts nütze, behandelt er nicht ohne einen Anfing von Frivolität, doch betont er gelegentlich mit Ernst und Entschiedenheit seine Zugehörigkeit zur christlichen Religion. — Durch diese schriftstellerische Thätigkeit, der noch eine Reihe Gelegenheitsschriften und Uebersetzungen zuzurechnen sind, suchte er sich zu betäuben und die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen von der Reformation abzulenken. Bei aller Verehrung für Luthers Gelehrsamkeit und bei aller Verachtung der ungebildeten Priester vermied er es nämlich, obwol er selbst Prediger, seit 1524 in Augsburg, war, Partei zu nehmen; erst 1528 trat er, wenn auch nur ein einziges Mal, gegen die Lutheraner auf und mußte dieses Auftreten mit einer kurzen Haft büßen. In Folge dieses Schicksals begab er sich nach Freiburg, wo er, Reisen nach Marseille und Mainz abgerechnet, bis zu seinem Tode lebte. Von Hutten, mit dem er|früher befreundet war, scheint er kurz vor dessen Tode sich getrennt zu haben; auch mit Erasmus kam er in Mißhelligkeiten, aber ohne seine Schuld. Er war ein höchst begabter Mensch, der aber theils durch seine eigene Unbeständigkeit, theils durch die Ungunst der Verhältnisse keinen Wirkungskreis fand, in welchem er seine Fähigkeiten entfalten konnte.

    • Literatur

      Vgl. Am Ende, Versuch einer Lebensbeschreibung O. L.'s bei Strobel, Miscellaneen litter. Inhalts, Nürnb. 1781, Bd. IV, S. 3 ff.; Ch. Schmidt, Hist. litt. de l'Alsace (Paris 1879), Bd. II, S. 124—208 und S. 412 bis 418 ein Verzeichniß seiner 32 kleinen Schriften und Ausgaben, und H. A. Lier, O. H. Joci ac sales im Archiv für Literaturgeschichte, Bd. XI (1882), S. 1—50.

  • Autor/in

    Ludwig Geiger.
  • Zitierweise

    Geiger, Ludwig, "Luscinus, Othmar" in: Allgemeine Deutsche Biographie 19 (1884), S. 655-657 unter Luscinius, Ottmar [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117320005.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA