Wünsch, Georg
- Dates of Life
- 1887 – 1964
- Place of birth
- Lechhausen bei Augsburg
- Occupation
- evangelischer Theologe
- Religious Denomination
- evangelisch
- Alternate Names
-
- Wünsch, Georg
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Wünsch, Georg
| evangelischer Theologe, * 29.4.1887 Lechhausen bei Augsburg, † 22.11.1964 Hofgeismar bei Kassel.
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Genealogy
V →Karl, Schr.setzer;
M Henerike Stark;
⚭ Würzburg 1913 Eva Dorothea Krauß (* 1890), T e. Arztes;
2 S, 1 T. -
Biography
W. wuchs in Augsburg auf, wo er ein Gymnasium besuchte. Im Anschluß an das Abitur und den einjährig-freiwilligen Militärdienst studierte er ev. Theologie und Philosophie seit 1908 in Erlangen, seit 1909 in Berlin und seit 1910 in Heidelberg. Nach dem 2. theol. Examen 1912 wirkte er als Stadtvikar im Offenburg (Baden). 1914 nahm W. freiwillig als Infanteriesoldat am 1. Weltkrieg teil und wurde bald schwer am Kopf verwundet. Nach der Rekonvaleszenz wirkte er 1916–22 als Pfarrer in Meßkirch (Baden), wo er aufgrund seiner marxistisch-sozialistisch zugespitzten sozialpolitischen Positionen erheblichen kircheninternen Widerständen ausgesetzt war.
Hatten zunächst v. a. die Luther-Deutung →Karl Holls (1866–1926) und das Eschatologiekonzept von →Johannes Weiß (1863–1914) W. beeinflußt, so erklärte er später →Ernst Troeltsch (1865–1923), dessen diagnostisch scharfen Blick auf die Wirklichkeit in ihrer historischen, sozialen, religiösen und politisch-gesellschaftlichen Prägung er bewunderte, zum Vorbild und Lehrer. Troeltschs „Soziallehren“ gaben W. in dessen Heidelberger Zeit den Impuls zur Abfassung seiner von →Hermann Jordan (1878–1922) betreuten Arbeit „Die Bergpredigt bei Luther, Eine Studie zum Verhältnis von Christentum und Welt“ (gedr. 1920), mit der er 1919 in Erlangen im Fach Kirchengeschichte zum Lic. theol. promoviert wurde. 1922 habilitierte sich W. in Marburg für Systematische Theologie und übernahm seit 1923 Redakteursaufgaben in →Martin Rades (1857–1940) liberal-theologischer Zeitschrift „Die Christliche Welt“. Seit 1924 Lehrbeauftragter und seit 1927 ao. Professor für Sozialethik an der Univ. Marburg, erhielt W. hier 1931 den Lehrstuhl für Ethik, Sozialethik und Apologetik, den ersten für Sozialethik in Deutschland überhaupt. W., der 1929 Mitglied der SPD geworden war, trat am 14.4.1933 aus politischen Gründen von seinem 1932 übernommenen Dekanat zurück.
Seit 1929 gab W. die von ihm gegründete „Zeitschrift für Religion und Sozialismus“ für den Bund der Religiösen Sozialisten Deutschlands heraus, in der er bis zu ihrem Verbot im Frühjahr 1933 zu programmatischen Fragen und tagespolitischen Konfliktlinien kämpferisch Stellung nahm. Auch sein Mitwirken im Ev.-Sozialen Kongreß und im Volkskirchenbund Baden seit 1922 festigte seinen Ruf als maßgebliche Figur religiös-sozialistischen Gestaltungsanspruchs. Ein zentraler Arbeitsbereich W.s war die Wirtschaftsethik, der er wegweisende Impulse gab (Rel. u. Wirtsch., 1925; Theol. Ethik, 1925; Ev. Wirtsch.ethik, 1927). W. konzipierte eine materiale Wertethik und grenzte sich von →Karl Barth (1886–1968) und →Friedrich Gogarten (1887–1967) ab, deren dialektischer Theologie er eine einseitige, abstrahierende Fixierung auf das Politische und ein Ausblenden „sozialer Tatsachen“ attestierte. Die Wirklichkeit lasse sich nur erfassen, wenn ihre „Nöte und Widersprüche“ ernstgenommen würden (Wirklichkeitschristentum, 1932). In Aufnahme marxistischer Theoreme konzipierte W. einen „christlichen Materialismus“. In seiner „Evangelischen Ethik des Politischen“ (1936) vollzog er, durchaus auch opportunistisch motiviert, einen Wandel und diente sich der NS-Ideologie an. Er stützte darin eugenische Argumentationsmuster und zeigte sich als Vertreter eines rassenbiologischen Antisemitismus, den er mit ursprungsmetaphorisch ausgeformten Gedanken von Schöpfungsordnung verband. Ethos, Rasse, Volk und Nation wurden von W. synthetisch aufeinander bezogen.
Im Sept. 1945 aufgrund seiner Nähe zur NS-Ideologie von der US-amerik. Militärregierung entlassen, durchlief W., der nicht Mitglied der NSDAP geworden war, ein spannungsreiches Spruchkammerverfahren in Marburg, in dem sich u. a. →Ernst Wolf (1902–1971) und →Rudolf Bultmann (1884–1976) entschieden gegen ihn positionierten. 1947 wurde W. als „unbelastet“ eingestuft und kehrte im Sept. 1950 auf seine Professur zurück. 1952–55 wirkte er als SPD-Stadtverordneter in Marburg, 1953–60 amtierte er als Präsident des Dt. Bundes für freies Christentum. Auch nach seiner Emeritierung 1955 verfocht W. das Ideal eines Religiösen Sozialismus, den er nicht zuletzt im Konkurrenzverhältnis zu den Ansprüchen eines sich ausformenden Sozialismus in der DDR konturierte. W.s Werk wird mittlerweile v. a. aus der Perspektive theologie- und ethikgeschichtlicher Dynamik rezipiert – weniger als Anknüpfungspunkt für eine im Schwinden begriffene Form religiös-sozialistischer Denkmuster.
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Awards
|Dr. theol. h. c. (Berlin 1925).
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Works
Weitere W Der Zus.bruch d. Luthertums als Soz.gestaltung, 1921 (Habil.schr.);
Ernst Troeltsch z. Gedächtnis, in: Die Christl. Welt 37, 1923, Nr. 7/8, Sp. 105–08, Nachdr. in: F. W. Graf (Hg.), E. Troeltsch in Nachrufen, 2002, S. 345–48 (Biogramm v. W., S. 753 f.);
Ethik d. Zorns u. Ethik d. Gnade, in: ZThK 31, NF 4, 1923/24, S. 327–52;
Nochmals: Ethik d. Zorns u. Ethik d. Gnade, Rückantwort an Pfarrer Gogarten v. PD Lic. W., ebd., S. 444–48;
Reich Gottes, Marxismus, NS, Ein Bekenntnis Rel. Sozialisten, 1931 (Hg.);
Sozialismus aus christl. Gewissen, [1949];
Luther u. d. Gegenwart, 1961;
Zw. allen Fronten, Der Marxismus in soziol. u. christl. Kritik, 1962;
Erfahrungen u. Gedanken e. rel. Sozialisten, Biogr. Skizze/Rel. Sozialisten, gestern u. heu|te, 1964 (Autobiogr., P);
Ernst Troeltsch, in: Lb. Bayer. Schwaben 9, 1966, S. 384–425;
– Qu Univ.archiv Marburg;
Hess. StA Marburg (Personalakten, Rektorat u. Theol. Fak.);
Landeskirchl. Archiv Kassel (Teilnachlaß);
Staatsbibl. zu Berlin, Hss.abt. (Briefwechsel, Archiv d. Verlags J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]). -
Literature
|F. Gogarten, Ethik d. Güte oder Ethik d. Gnade?, in: ZThK 31, NF 4, 1923/24, S. 427–33;
H. J. Wolff, Ev. Ethik d. Politischen, Eine Auseinandersetzung mit G. W., in: Archiv f. Rechts- u. Soz.philos. 32, 1938/39, S. 225–61;
A. Hakamies, G. W.s ev. Sozialethik im Lichte seiner werttheoret. Gesamtauffassung, 1975;
H. Röhr, Wirklichkeitschristentum, Zum Gedächtnis d. 100. Geb.tages v. G. W., in: Freies Christentum 39, 1987, S. 41–44;
K. Nowak, Rel. Sozialismus in d. Weimarer Rep., in: J. Mehlhausen (Hg.), … u. über Barmen hinaus, Stud. z. Kirchl. Zeitgesch., FS Carsten Nicolaisen, 1995, S. 100–11;
L. Wenzel, Sozialismus aus christl. Gewissen b. G. W., 1995;
E. Stübinger, Normative Wirtsch.ethik, G. W., Reminiszenzen an e. fast vergessenen Begründer d. ev. Wirtsch.ethik, in: Zs. f. Ev. Ethik 39, 1995, S. 57–64;
F. Voigt, Vom Ethos d. Ethik, Die prot. Soz.ethik u. d. modernen Lebenswiss., ebd. 58, 2014, S. 203–12;
K. Meier, Die Theol. Fakultäten im Dritten Reich, 1996;
F. Ziesche, „Ev. Wirtsch.ethik“, Eine Unters. zu G. W.s wirtsch.eth. Werk, 1996;
T. Jähnichen, Soz. Protestantismus u. moderne Wirtsch.kultur, 1997, bes. S. 23–26;
G. Meckenstock, Wirtsch.ethik, 1997, S. 122–24;
R. Bultmann, Theol. als Kritik, hg. v. M. Dreher u. K. W. Müller, 2002;
A. Lippmann, Marburger Theol. im NS, 2003;
E. Lessing, Gesch. d. dt.sprach. ev. Theol. v. Albrecht Ritschl bis z. Gegenwart, Bd. 2, 2004, bes. S. 319 f., S. 351–56;
K. Burkhardt, Adolf Grimme (1889–1963), Eine Biogr., 2007;
H. M. Bock, Die „Christl. Welt“ 1919–1933, Organisierte Akteure u. diskursive Affinitäten in d. kulturprot. Zs., in: M. Grunewald u. U. Puschner (Hg.), Das ev. Intellektuellenmilieu in Dtld., seine Presse u. seine Netzwerke, 1871–1963, 2008, S. 341–82;
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S. Keil, Zur Theol. des Wirklichen b. G. W., ebd., S. 239–46;
A. Christophersen, Uroffenbarung, Der Wille Gottes u. d. Gesetz d. Staates, Schöpfungsethik im NS, in: Urworte, Zur Gesch. u. Funktion erstbegründender Begriffe, hg. v. M. Ott u. T. Doering, 2012, S. 195–218;
ders., Umkämpfter Prot., Karl Holls Kritik an Ernst Troeltsch, in: H. Assel (Hg.), Karl Holl, Leben, Werk, Briefe, 2020, S. 315–41, bes., S. 335–39;
M. Wolfes, Wirtsch.ethik als Kapitalismuskritik, G. W.s Modell e. nicht-formalist. Wertethik u. d. „autonome Teleol. d. Wirtsch.“, in: M. Casper u. a. (Hg.), Kapitalismuskritik im Christentum, Positionen u. Diskurse in d. Weimarer Rep. u. d. frühen Bundesrep., 2016, S. 37–78;
W. Zager, Rudolf Bultmann u. d. Freie Christentum, in: ders., Entwicklungslinien im Liberalen Prot., 2017, S. 287–308;
ders. (Hg.), Rudolf Bultmann, Briefwechsel mit Götz Harbsmeier u. Ernst Wolf, 1933–1976, 2017 (z. Spruchkammerverfahren bes. S. 539–64, 580–82, 596–607 u. 708–12);
LThK³;
BBKL 14 (W, L);
RGG2-4;
Personenlex. Protestantismus;
Hess. Biogr. (P). -
Portraits
|Photogr. (Bildarchiv Foto Marburg).
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Author
Alf Christophersen -
Citation
Christophersen, Alf, "Wünsch, Georg" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 520-522 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz142976.html#ndbcontent