Lebensdaten
1909 – 1983
Geburtsort
Mülheim/ Ruhr
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Buchhändler ; Verleger
Konfession
evangelisch
Namensvarianten
  • Weismann, Wilhelm
  • Weismann, Heinrich Wilhelm
  • Weismann, Willi
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Zitierweise

Weismann, Willi, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz140109.html [27.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Immanuel Ehrenreich (1882–1916 Bapaume-Beaumetz), aus Wilhelmsdorf b. Ravensburg, Bes. e. Buchdruckerei in Dortmund, Schriftsetzer in Mülheim, S d. Wilhelm Friedrich Karl (1834–1906), aus Crailsheim, Apotheker in Wilhelmsdorf, u. d. Louise Friederike v. Furtenbach (1842–1904);
    M Anna Sophie Emilie (1881–1968), aus Mülheim, T d. Wilhelm Heinrich Brandt (1839–1917), aus Hom/ Lippe, Bäckermeister in Mülheim, u. d. Anna Louise Wilhelmine Ohle (1843–1922), aus Lemgo/Lippe;
    Mülheim/ Ruhr 1936 Friederike Luise (1905–83), aus Dortmund, Warenhauseinkäuferin f. Textilien, T d. Friedrich Wilhelm Heinrich Kötter (1869–1945), aus Dortmund, Schlosser, u. d. Elisabeth Wulff (1875–1957), aus Borgeln b. Soest;
    2 S Bernt (* 1937), Reprotechnik (Meister) in Freudenstadt, Peter (* 1944), Verlagsbuchhändler, Ghostwriter in München, 1 T Barbara Köster (* 1946), Büroleiterin in Ottobrunn b. München;
    Verwandter Ehrenreich (1641–1717), aus Hollabrunn (Niederösterr.), ev. Geistlicher, 1693 Special-Sup. in Stuttgart, 1698 Prälat v. Herrenalb, 1711 Abt v. Maulbronn, Gen.-Sup. u. württ. Kirchenrat, Vf. lat. Wörterbücher (s. Wurzbach).

  • Biographie

    W. besuchte ab 1923 das Knabeninstitut der Pietistischen Zieglerschen Anstalten in Wilhelmsdorf bei Ravensburg, das er mit der Mittleren Reife abschloß. 1925 begann er eine Buchhändlerlehre in der Buchhandlung Max Röder, Mülheim/ Ruhr. Ab 1928 war er als Buchhändler in Berlin und Dortmund tätig, 1932–1941 als selbständiger Verlagsvertreter. Früh politisch engagiert (SPD) stand er Ernst Niekischs (1889–1967) „Widerstandsverlag“ nahe und unterhielt Kontakte u. a. zu Friedrich Georg Jünger (1898–1977), Alexander Mitscherlich (1908–82) und A. Paul Weber (1893–1980); nach 1933 folgten wegen seiner Beziehungen zu Oppositionskreisen kurze Inhaftierungen und Gestapo-Überwachung. Nach dem Verbot der österr. Literaturzeitschrift „Das Silberboot“, die er kurzzeitig vertrieben hatte, wurde ihm jede verlegerische Tätigkeit untersagt. 1941 zur Wehrmacht einberufen, kam W. u. a. an die Ostfront und zuletzt 1945 als Fernmelder zur Vermittlungsstelle Hochland in München. Dort schloß er sich bei Kriegsende der Widerstandsgruppe „O 7“ an und beteiligte sich an den Aktivitäten der „Freiheitsaktion Bayern“ zur kampflosen Übergabe der Stadt.

    Nachdem W. am 8. 3. 1946 eine Verlagslizenz von der US-Militärregierung erhalten hatte, brachte er vom April an monatlich die ambitionierte Literaturzeitschrift „Die Fähre“ heraus (ab Jg. 3 u. d. T. „Literarische Revue“). Hier wurden u. a. Texte von James Joyce, Franz Kafka (1883–1924), Klaus Mann (1906–49), Alexander Mitscherlich, Hermann Broch (1886–1951), Hans Henny Jahnn (1894–1959) und Henry Miller vorgestellt, teils in Arbeitsgemeinschaft mit dem nun wieder erscheinenden Wiener „Silberboot“. Die Redaktion besorgte der Literaturkritiker und Übersetzer Hans Hennecke (1897–1977). Finanziert wurde die Zeitschrift 1948–49 durch einen eigenen „Magazin-Verlag“ W.s, der ein gutes Dutzend Kriminalromane, u. a. von Agatha Christie, herausbrachte, v. a. aber durch ein „Münchener Magazin“ (Aug. 1947 eingestellt, ab Juni 1948 „Neues Magazin“), das ab Aug. 1946 monatlich herauskam und zu einem großen Erfolg wurde. Die Auflage der Illustrierten verzehnfachte sich von anfänglich 20 000 Exemplaren bis 1949. Neben unterhaltsamen Berichten und Feuilletons fanden sich auch Beiträge von Emigranten (Johannes R. Becher, Hermann Kesten, Irmgard Keun, Alfred Polgar), internationalen Autoren (Dino Buzzat|i, François Mauriac, Henry Miller) und Proben junger Talente (Walter Kolbenhoff, Ernst Kreuder, Hans Werner Richter, Luise Rinser). Die Abbildung eines weiblichen Aktes führte im Febr. 1949 zur Anklage und Verurteilung wegen Verbreitung unzüchtigen Schrifttums. Im Aug. 1950 kam nach weiteren juristischen Auseinandersetzungen das letzte Heft heraus. Schon im Nov. 1949 hatte die „Literarische Revue“ ihr Erscheinen eingestellt.

    Die Bibliographie des literarischen Weismann Buchverlags von seiner Lizenzierung durch| die US-Militärregierung im März 1946 bis zu seinem Ende 1954 umfaßt nicht mehr als 57 Titel. Neben Lyrik und Prosa junger Autoren, Neuausgaben von Exilpublikationen, Übersetzungen und Anthologien widmete sich der Verleger mit besonderem Enthusiasmus der Aufgabe, mit Broch, Canetti und Jahnn drei in Deutschland nahezu unbekannte Autoren der Erzähleravantgarde durchzusetzen. Canettis Roman „Die Blendung“ war Ende 1935 erstmals in Wien erschienen, in Deutschland aber unbekannt geblieben. Als W. ihn Ende 1948 erneut publizierte, hatte er nicht nur mit Devisen- und Papierproblemen zu kämpfen, sondern v. a. mit der Buchhandelskrise nach der Währungsreform. Jahnns „Das Holzschiff“, 1948 aus übernommenen Rohbogen hergestellt, wurde verzögert ausgeliefert; dagegen konnte „Perrudja“ wegen moralischer Bedenken von Druckerei und Buchbinderei nicht erscheinen. 1949–50 kamen die beiden Bände der „Niederschrift des Gustav Anias Horn“ aus Jahnns Trilogie „Fluß ohne Ufer“ heraus, in Leipzig zwar gedruckt, aber in der Ostzone mit Vertriebsverbot belegt und teils wieder eingestampft. W., der großzügige Vorschüsse bezahlt hatte, erzielte desolate Verkaufszahlen.

    Zu Angriffen von seiten der Presse und Mißtrauen der Behörden führte insbesondere auch W.s politische Ausrichtung. 1949 brachte W. das im Verlag Volk und Welt, Berlin (Ost) erschienene Buch von Nico Rost „Goethe in Dachau“ (1948) als Lizenzausgabe mit einem Vorwort von Anna Seghers heraus. Trotz Vertriebsverboten für Canetti und Jahnn in der Sowjetzone organisierte er Treffen ost- und westdt. Autoren, wirkte beim DDR-gesteuerten „Demokratischen Kulturbund“ mit und hatte Kontakte zur KPD. Die beiden 1951 erscheinenden Anthologien „Wir heißen euch hoffen, Schriftsteller zur Deutschen Verständigung“ und „Worte wider Waffen“ vereinten Autoren wie Johannes R. Becher und Alfred Döblin, Stephan Hermlin und neben Jahnn Ernst Penzoldt, Anna Seghers, Walter v. Molo, Arnold Zweig, Bert Brecht und Hermann Hesse. 1953 wurde W. ein Reisepaß für die Schweiz verweigert, da er „als eifriger Propagandist der kommunistischen Idee“ dem Ansehen Deutschlands schade. Die finanziellen und ideologischen Probleme führten 1954 zum Ende des Weismann Verlages. Noch im selben Jahr gründete er zusammen mit der Buchhändlerin Ruth Jansen (1915–2007) den Parabel Verlag, in dem „linke“ Kinder- und Bilderbücher, etwa von Janosch (eigtl. Horst Eckert, * 1931) und Friedrich Karl Waechter (1937–2005), erschienen. Weitere Durchsuchungsaktionen, Beschlagnahmen und politische Gerichtsverfahren folgten. 1969 gründete W.s Sohn Peter das Verlagskollektiv Weismann Verlag, dem auch W. angehörte. Das „antiautoritäre“ Buchprogramm für junge Menschen verstand sich als Alternative zur Heilen-Welt-Pädagogik der herkömmlichen Jugendliteratur. Anfang der 1970er Jahre kam ein Frauenbuch-Programm dazu, das von Antje Kunstmann (* 1949) betreut wurde. Mitte der 1980er Jahre zog sich Peter aus dem Verlag zurück, der von Antje Kunstmann weitergeführt und 1990 in „Kunstmann Verlag“ umbenannt wurde.

    W. exponierte sich beharrlich wie kein anderer Verleger der Besatzungszeit und der frühen Bundesrepublik. Im Gegensatz zu dem einstigen NS-Mitläufer Kurt Desch (1903–84), der – kurz vor W. in München lizenziert – schnell zum Auflagen- und Vermögensmillionär wurde, steht W. mit seinem literarischen Anspruch und seiner politischen Querköpfigkeit für den Versuch eines verlegerischen Neubeginns nach 1945.

  • Auszeichnungen

    |Mitgl. d. Börsenver. d. Dt. Buchhandels, d. Komma Klubs München, d. Vereinigung d. Verfolgten d. Naziregimes, d. Humanist. Union, d. Dt. Friedensunion u. d. Republikan. Clubs München.

  • Literatur

    |K. Schlüter, Die Fähre – „Lit. Revue“, Analyse e. Lit.zs. d. ersten Nachkriegsjahre (1945–1949), in: Archiv f. Gesch. d. Buchwesens 24, 1983, Sp. 1269–1552;
    Ch. Bylow, Hermann Broch u. d. Verl. W. W., Ein Btr. z. Entstehungsgesch. d. Romans „Die Schuldlosen“ (1945–1951), ebd. 38, 1992, S. 191–256;
    A. E. Jouas, La pédagogie de la revolte politique dans les publications du Weismann Verlag, de 1970 à 1975, 1981;
    G. Böhringer, Die Zss.-Landschaft Münchens 1945–1949, Die lit.-pol. Wochen- u. Monatspresse zw. Möglichkeiten u. Illusionen, in: Trümmerzeit in München, hg. v. F. Prinz, Ausst.kat. München 1984, S. 261–68;
    J. Meyer u. B. Zeller (Hg.), Broch, Canetti, Jahnn, W. W. u. sein Verlag, 1946–1954, Marbacher Mag. 33, 1985 (mit e. biogr. Abriß, Bibliogr. d. Verlagsproduktion, P);
    R. Wittmann, Auf geflickten Straßen, Lit. Neubeginn in München 1945 bis 1949, 1995;
    J. Frohn, Lit.austausch im geteilten Dtld. 1945–1972, 2014;
    Nachlaß: Monacensia München, DLA Marbach (Verlagsarchiv, Korr.).

  • Porträts

    |Photogrr., 1946 u. 1980, Abb. in: Marbacher Mag. 33, 1985, S. 73 u. Umschlagrücks.;
    Bronzebüste v. H. Liekfeld (Leihgabe v. R. Jansen in d. Monacensia München).

  • Autor/in

    Reinhard Wittmann
  • Zitierweise

    Wittmann, Reinhard, "Weismann, Willi" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 676-677 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz140109.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA