Lebensdaten
1896 – 1988
Geburtsort
Gießen
Sterbeort
Trautheim bei Darmstadt
Beruf/Funktion
Pädagoge
Konfession
evangelisch
Namensvarianten
  • Wagenschein, Martin

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Zitierweise

Wagenschein, Martin, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz138128.html [28.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Raimund (1865–1945), ltd. Ing. d. Gailschen Ziegelei in G.;
    M Anna Sittig (1869–1952);
    Gießen 1923 Wera (1899–1988), Kinderfrau, Vf. v. Kindheitserinnerungen u. Reisetagebüchern (s. Kosch, Lit.-Lex.³), T d. Magnus Biermer (1861–1913), Dr. iur. utr., Dr. phil., 1893 ao. Prof. d. Staatswiss. in Münster, 1898 o. Prof. f. Volkswirtsch. in Greifswald, 1900 o. Prof. d. Nat.ök. u. Gießen (s. Rhein.-Westfäl. Wirtsch.biogrr. 15, 1994, S. 391–93), u. d. Margarete Pauline Amalie Frommholz oder Soetbeer (?);
    kinderlos;
    Gvv d. Ehefrau Anton Biermer (1827–92), o. Prof. d. Pathol. 1861 in Bern, 1865 in Zürich, 1874 in Breslau (s. NDB II; HLS).

  • Biographie

    W. besuchte das Ghzgl. Realgymnasium in Gießen. Nach dem Abitur 1914 wurde er als „kriegsuntauglich“ gemustert und war für das Rote Kreuz tätig. Seit 1918 studierte er Mathematik, Physik und Geographie in Gießen und Freiburg (Br.), wo er 1921 bei Walter König (1859-1936) mit der Arbeit „Experimentelle Untersuchung über das Mitschwingen einer Kugel in einer schwingenden Flüssigkeits- und Gasmasse“ zum Dr. phil. promoviert wurde. Nach dem 1. Staatsexamen 1920, Referendariatszeit in Darmstadt, Worms, Friedberg und Gießen sowie dem 2. Staatsexamen 1923 wurde W. Lehrer in Bad Nauheim. Vom staatlichen Schulwesen enttäuscht, wechselte er 1924 an die Odenwaldschule zu Paul Geheeb (1870-1961) und war dort – unterbrochen durch halbjährige Tätigkeit an der Oberrealschule Mainz 1930 – bis 1933 tätig. Kurz nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, die W. erschreckt und besorgt zur Kenntnis genommen hatte, ging er endgültig nach Darmstadt in den öffentlichen Schuldienst zurück. Um seinen Weg unauffällig weiterzugehen, trat er der NS-Volkswohlfahrt und dem NS-Lehrerbund bei und wurde 1938, einem Aufruf der Partei folgend, Mitglied der NSDAP, um seine Weiterbeschäftigung als Beamter nicht zu gefährden. Nach Kriegsende wurde er von der Spruchkammer entlastet, d. h. seine nationalsozialistische Vergangenheit wurde als „unerheblich“ beurteilt.

    W. war 1945–54 an der Aufbauschule Traisa und danach bis zur vorzeitigen Versetzung in den schulischen Ruhestand 1957 im Schuldorf Bergstraße tätig. Er bemühte sich in der Nachkriegszeit, Erkenntnisse und Erfahrungen aus seiner Lehrtätigkeit der vergangenen Jahrzehnte in die Unterrichtsplanung einzubringen. 1947–53 wirkte er an den „Beiträgen zur hess. Schulreform“ mit, 1949–63 war er Lehrbeauftragter am Pädagogischen Institut in Jugenheim (Bergstraße) und danach bis 1972 an dessen Nachfolgeinstitution, der Hochschule für Erziehung in Frankfurt/M. Nach einer Lehrstuhlvertretung für Pädagogik an der Univ. Tübingen 1955 / 56 war er hier 1956–78 ao. Professor. An der TH Darmstadt führte er 1952–87 ein pädagogisches Seminar. Mit Paul und Edith Geheeb (1885–1982) und ihrer 1934 in der Schweizer Emigration gegründeten École d’Humanité blieb er bis zu seinem Tod freundschaftlich verbunden.

    W.s Ziel war die „Entrümpelung“ des offiziellen Lehrplans und dessen Konzentration auf die „exemplarische“ Auswahl wesentlicher Unterrichtsthemen und die „genetische“ Entwicklung ihres Inhalts. Die von ihm geprägten Formeln „Mehr Lernen, weniger ‚durchnehmen‘!“ und „Verstehen (des Verstehbaren) ist ein Menschenrecht“ sind Ausdruck dieses Anliegens. Auch sah er es nicht als Aufgabe des Physiklehrers, künftige Physiker heranzubilden, sondern mündige Laien.

    W. konzentrierte seine Arbeit auf Mathematik und Physik, sie strahlte aber auch auf alle anderen Schulfächer aus. Charakteristika der von ihm begründeten Methode des „exemplarischen Lehrens“ sind die Rücknahme des Lehrereinflusses und eine Förderung des Austauschs der Schüler untereinander (Das Exemplarische Lehren als e. Weg z. Erneuerung d. Höheren Schule, 1954, ³1964; Zum Begriff d. Exemplar. Lehrens, 1956; 7 / 81966; Verstehen lehren, Genet., Sokrat., Exemplar., 1968, ⁹1992, Neuausg. 1999). Großen Wert legte W. darauf, von der Muttersprache aus behutsam zur Fachsprache zu gelangen. Auswendig gelernte Formeln und Ausdrücke ohne inwendiges Begreifen betrachtete er als wertlos, das Notenraster zur Beurteilung lehnte er ab.

    In der Bildungspolitik ist W.s Pädagogik umstritten, weil ihre Wege und Ziele nur schwer mit denen einer Leistungsgesellschaft vereinbar sind. Gleichwohl ist W.s Einfluß auf die Bildungspläne der letzten Jahrzehnte nicht zu übersehen.

  • Auszeichnungen

    |Goethe-Plakette d. Landes Hessen (1955);
    Preis d. Georg-Michael-Pfaff-Stiftung f. Initiativen im Bildungswesen (1969);
    Dr. phil. h. c. (TH Darmstadt 1978);
    Preis d. Henning-Kaufmann-Stiftung z. Pflege d. Reinheit d. dt. Sprache (1985);
    Didaktik-Preis f. Physik d. Dt. Physikal. Ges. (1986);
    Mitgl. d. Dt. Ausschusses f. d. Erziehungs- u. Bildungswesen;
    W.-Haus an d. École d’Humanité, Hasliberg Goldern (Schweiz) (1990);
    W.-Weg, Trautheim (1992);
    W.-Haus d. Schule Marienau (1991);
    M.-W.-Preis d. Zentrums f. Lehrerbildung d. Univ. Kassel (seit 2010).

  • Werke

    |Zus.hänge d. Naturkräfte, Das Gefüge d. physikal. Naturbildes, 1937;
    Natur physikal. gesehen, 1953, ⁴1967, Neuausg. 1976;
    Die Erde unter d. Sternen, Ein Weg z. d. Sternen f. jeden v. uns, 1955, ³1965;
    Die Pädagog. Dimension d. Physik, 1962, ⁵1995;
    Exemplarisches Lehren im Math.unterr., 1962;
    Ursprüngliches Verstehen u. exaktes Denken, 2 Bde. 1965 / 70, Bd. 1 ²1970;
    Die Erfahrung d. Erdballs, Ein Btr. z. genet. Didaktik d. Himmelskde., 1967;
    Naturwiss. u. Allg.bildung, o. J. (1968);
    Was bedeutet naturwiss. Allg.bildung?, 1968;
    Kinder auf d. Wege z. Physik, 1973, ⁸1997, Neuausg. 2003 (mit A. Banholzer u. S. Thiel);
    Anmm. z. Genet. Prinzip im Physikunterr., o. J. (1973);
    Naturphänomene sehen u. verstehen, hg. v. H. Ch. Berg, 1980, ⁴2009;
    Gegen d. Nichtachtung d. Unmessbaren u. Unmittelbaren, 1982;
    Erinnerungen f. morgen, Eine päd. Autobiogr. 1983, ²1989, Neuausg. 2002;
    Die Sprache zw. Natur u. Naturwiss., 1986;
    „… zäh am Staunen“, Pädagogische Texte z. Bestehen d. Wissensges., zus.gest. u. hg. v. H. Rumpf, 2002;
    Bibliogr.: Internetseite d. W.-Archivs;
    Nachlaß: W.-Archiv an d. École d’Humanité, Hasliberg Goldern (Kt. Bern).

  • Literatur

    |H. v. Hentig, Laudatio auf d. Empfänger d. Preises d. Henning-Kaufmann-Stiftung 1985, M. W., in: Neue Slg. 26, 1986, S. 447–64;
    ders., Wiss., Eine Kritik, 2003;
    M. Soostmeyer, Exemplarisch, sokrat. u. genet. lehren!, Zum Tode W.s, in: Pädagog. Rdsch. 42, 1988, H. 6, S. 723–30;
    I. Bürmann, Überwindung v. Person u. Sache, 1997;
    W. Köhnlein, Der Vorrang d. Verstehens, 1998;
    S. Brülls, Unterr.vorbereitung n. W., in: A. Kaiser u. D. Pech (Hg.), Unterr.planung u. Methoden, 2004, S. 62–69;
    Schrr. d. Schweizer. W.-Ges., seit 1991.

  • Porträts

    |Photogrr. (W.-Archiv, Hasliberg Goldern).

  • Autor/in

    Hannelore Eisenhauer, Klaus Kohl
  • Zitierweise

    Eisenhauer, Hannelore; Kohl, Klaus, "Wagenschein, Martin" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 197-198 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz138128.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA