Lebensdaten
1860 – 1938
Geburtsort
Tula (Rußland)
Sterbeort
Ascona (Kanton Tessin)
Beruf/Funktion
Malerin ; Kunsttheoretikerin
Konfession
orthodox
Normdaten
GND: 118631365 | OGND | VIAF: 12484403
Namensvarianten
  • Werjowkina, Marianna Wladimirowna
  • Verëvkina, Marianna Vladimirovna
  • Werefkina, Mariamna Wladimirowna (geborene)
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Zitierweise

Werefkin, Marianne von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118631365.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Wladimir N. (1821–96), aus Moskau, russ. Offz., 1881 Kdt. d. Peter u. Paul-Festung in St. Petersburg, S d. Nikolai (1766–1830), russ. Gen.lt., 1813–14 Kdt. v. St. Petersburg, 1821–30 v. Moskau;
    M Elisabeth (1834–85), aus Kosakenfam., T d. Peter Daragan (1800–75), russ. Gen.lt., Gouverneur d. Prov. Poltava, u. d. Anna v. Balugiansky (Boluganska) (1806–77), Erzieherin d. Zarenkinder;
    B Peter (1862–1946), russ. Offz., Gen.gouverneur in Kaunas, Vilnius u. Tallinn, mit Zar Nikolaus II. befreundet, Wsewolod (1872–1924, ? 1914 / 18 Vera Abegg, 1872–1960, aus dt.stämmiger Fam. in Königsberg, Ostpr., Malerin, seit d. 1920er J. in Frankr.);
    um 1896–1922 Alexej v. Jawlensky (1864–1941), Maler (s. NDB X);
    Verwandter Iwan L. Goremykin (1839–1917), russ. Innenmin. u. Min.präs.

  • Biographie

    Aus begüterter, dem Zarenhof verbundener Adelsfamilie stammend, genoß W. eine an westlichen Vorbildern orientierte, mehrsprachige Erziehung. Besonders gefördert wurde ihre künstlerische Begabung durch die selbst als Ikonenmalerin tätige Mutter. Seit 1883 studierte W. an der Moskauer Schule für Malerei, Plastik und Architektur bei dem „Wandermaler“ Illarion Prjanischnikow (1840–94), seit 1886 bei dem bedeutendsten russ. Realisten Ilja Repin (1844–1930) als eine von zwei Privatschülern. Für ihre realistischen Porträts, z. B. der Mutter (Öl/ Lwd., Artzibushev Coll., Odessa, Florida), erhielt W. große Anerkennung und wurde als „russischer Rembrandt“ bezeichnet, auch mit Velazquez und Zurbaran verglichen. 1888 durchschoß sie sich bei einem Jagdunfall versehentlich die rechte Hand, was lebenslang neurologische Beschwerden verursachte. Mit großer Disziplin und einer Hilfskonstruktion zwischen Zeige- und Mittelfinger fand sie nach langwieriger Rekonvaleszenz zur Malerei zurück und nahm den Unterricht bei Repin wieder auf. 1892 vermittelte ihr dieser die Bekanntschaft mit dem mittellosen Offizier Alexej Jawlensky, der sich der Kunst zugewandt hatte. W. unterstützte ihn von da an finanziell und förderte ihn künstlerisch und gesellschaftlich; nach dem Tod ihres Vaters übersiedelte sie zusammen mit Jawlensky Ende Okt. 1896 nach München. In einer platonischen, von ihrer üppigen zaristischen Pension (7000 Rubel) finanzierten Lebens- und Arbeitsgemeinschaft sollte Jawlensky W.s eigene künstlerische Ideen verwirklichen; sie selbst malte zehn Jahre lang nicht mehr. Umso intensiver rezipierte sie die aktuellen künstlerischen Strömungen, verlegte sich auf kunsttheoretische, philosophische, psychologische und literarische Studien und machte ihren Salon in Schwabing zu einem Treff- und Kristallisationspunkt von Künstlern, Museumsleuten, Literaten und Angehörigen der russ. Kolonie. 1897 gründete sie hier – in Anlehnung an die Nazarener – die „Bruderschaft von Sankt Lukas“. Als ihr minderjähriges Dienstmädchen Jawlensky 1902 einen unehelichen Sohn gebar, geriet W.s Lebensgemeinschaft mit Jawlensky in eine schwere Krise. In ihren 1901 / 02–05 verfaßten „Lettres à un inconnu“ reflektierte W. in einer Mischung aus „Tagebuch, privater Kunstphilosophie und visionären dichterischen Passagen“ ihre eigene Entwicklung als Frau und Künstlerin.

    Auf einer ausgedehnten Frankreichreise 1905 / 06 setzte sie sich mit der Malerei van Goghs, Cézannes, Gauguins, aber auch mit der von Toulouse-Lautrec und Matisse sowie den Nabis auseinander. Erkennend, daß Jawlensky nicht imstande war, ihre künstlerischen Vorstellungen umzusetzen, begann sie in Südfrankreich wieder mit ersten Skizzen in völlig neuer Formensprache, 1907 mit expressionistischen Gemälden. Im Sommer 1908 griffen Wassily Kandinsky (1866–1944) und Gabriele Münter (1877–1962) in Murnau ihre Neuerungen auf. Im Dez. desselben Jahres initiierte W. zusammen mit Jawlensky, Adolf Erbslöh (1881–1947) und Oscar Wittgenstein (1880–1919) die Neue Künstler-Vereinigung München (NKVM), 1912 schloß sie sich dem „Blauen Reiter“ an, mit dem sie 1913 in der Berliner Galerie Sturm ausstellte. Nach dem|Ausbruch des 1. Weltkriegs mußte sie am 3. 8. 1914 München als „Feindstaatenausländerin“ mit ihren Hausgenossen verlassen.

    Nach drei Jahren in Saint-Prex am Genfersee übersiedelte W. im Herbst 1917 mit ihrem Haushalt nach Zürich und zog 1918 weiter nach Ascona. Nach der Oktoberrevolution ihrer zaristischen Pension verlustig, lebte W. nun in bedrängten wirtschaftlichen Verhältnissen und arbeitete 1919 vorübergehend als Bühnenmeisterin für Alexander (1886–1963) und Clotilde Sacharoff (1892–1974) sowie als Pharmareferentin. Ihre Werke fanden keine Käufer, deshalb entwarf sie auch Plakate und Kunstpostkarten oder schrieb Zeitungsbeiträge. Eine kleine Unterstützung (120 Fr.) durch das Rote Kreuz und Schweizer Mäzene sicherten der seit 1922 Staatenlosen den Lebensunterhalt. 1922 verließ Jawlensky sie, um die Mutter seines Sohnes zu ehelichen und ließ W. tief verletzt zurück: Sie sah darin den Bruch des einst ihrem Vater gegebenen Versprechens, sie nie zu verlassen. Erst die Freundschaft mit dem Sänger Ernst Alfred Aye (1873–1947), mit dem sie 1925 Italien bereiste, gab ihr neuen Lebensmut. Das in Ascona entstandene, stets gegenständlich bleibende Spätwerk zeigt W.s zunehmende Hinwendung zu naturmythischen Themen. 1922 engagierte sie sich für die Gründung des Museo comunale d’arte moderna in Ascona, 1924 initiierte sie die Gründung der dortigen Künstlergruppe „Der Große Bär“. Der Umfang ihres Werkes ist nicht klar zu bestimmen, da viele Bilder verschollen sind bzw. von ihr verschenkt worden waren.

    Den maßgeblichen Anteil W.s an den innovativen Entwicklungen der expressionistischen Malerei in ihrer süddt. Variante hat zuerst Bernd Fäthke herausgearbeitet. Neben dem Einfluß der zeitgenössischen franz. Malerei gehen motivische Anleihen und Flächigkeit auf Edvard Munch und den durch James Whistler vermittelten japan. Farbholzschnitt zurück. W. erkannte bereits 1903 die Bedeutung des Lichts als Funktion der Farbe – und nicht nur als Beleuchtung der Gegenstände. Damit beeinflußte sie wesentlich Jawlensky, Franz Marc (1880–1916) und später auch Kandinskys Schrift „Über das Geistige in der Kunst“. Ab 1907 bevorzugte sie fast ausschließlich Tempera oder Mischtechnik. Als einzige aus der Gruppe des „Blauen Reiter“ widmete sie sich sozialen Themen (Wäscherinnen, 1909, Tempera/ Karton, München, Städt. Gal. im Lenbachhaus; Schindelfabrik, 1910, Tempera/ Karton, Mus. Wiesbaden). Zwar löste sie sich von den klassischen Darstellungen der Perspektive und arbeitete mit Reihungen, diagonalen Strukturen und bewußten Farbdissonanzen, ging aber nicht den Schritt zur Abstraktion. Sie nutzte die Formen der Natur als Träger symbolischer Inhalte für die Darstellung der Grundfragen menschlicher Existenz und fand dafür eine ganz eigene expressive Handschrift mit genau kalkulierter Farbigkeit, symbolistisch aufgeladen und teilweise enigmatisch. Vielleicht noch bedeutender als ihr eigenes künstlerisches Werk bleibt ihre einzigartige Rolle als Anregerin und Vorreiterin der Moderne im 20. Jh.

  • Auszeichnungen

    |M. W.-Preis d. Ver. d. Berliner Künstlerinnen 1867 (seit 1990).

  • Werke

    Weitere W u. a. Ölgem.: Vera Repin, 1881 (Schloßmus. Murnau);
    Mädchen in russ. Kostüm, 1883 / 88;
    Die Steingrube, 1907 (beides Privatslg.);
    Tempera/ Karton: Der Tänzer Sacharoff, 1909 (Fondazione M. W. im Museo comunale d’arte moderna, Ascona);
    Die Landstraße (Drei litau. Frauen), 1907 (ebd.);
    Herbst (Schule), 1907 (ebd.);
    Der rote Baum, 1910 (ebd.);
    Magische Atmosphäre, 1910 (ebd.);
    Schneewirbel, 1915 (Neue Gal. d. Stadt Linz, Wolfgang-Gurlitt-Mus.);
    Der Lumpensammler, 1917 (Fondazione M. W., Ascona);
    Lebensabend, um 1922 (ebd.);
    Ave Maria, 1927 (ebd.);
    Das ewige Leben, um 1929 (ebd.);
    Der Frevel, um 1930 (ebd.);
    Schrr.: Lettres à un inconnu, Briefe an e. Unbekannten 1901–1905, hg. v. C. Weiler, 1960 (dt.);
    G. Dufour-Kowalska, Lettres à un inconnu: aux sources de l’expressionisme, 1999;
    Nachlaß: Fondazione M. W., seit 1939 im Museo comunale d’arte moderna, Ascona;
    Teilnachlaß (im Nachlaß Peter v. W.) in d. litau. Nat.bibl. (Lietuvos nacionaliné), Vilnius;
    weitere Nachlaßteile in Priv.bes.

  • Literatur

    |J. Hahl-Koch, M. W. u. d. russ. Symbolismus, 1967;
    B. Fäthke, M. W., Gem. u. Skizzen, 1980;
    ders., Leben u. Werk 1860–1938, 1988;
    ders., M. W., 2001;
    ders., Jawlensky u. seine Weggefährten in neuem Licht, 2004;
    ders., Von W.s u. Jawlenskys Faible f. d. japan. Kunst, in: Die Maler d. „Blauen Reiter“ u. Japan, 2012, S. 103–12;
    N. Brögmann (Hg.), M. v. W., Oeuvres peintes 1907–1936, 1996;
    B. Weidle (Hg.), M. W., die Farbe beißt mich ans Herz, 1999;
    B. Salmen, M. W. in Murnau, Kunst u. Theorie, Vorbilder u. Künstlerfreunde, 2002;
    dies., . . M. W., Ein Leben f. d. Kunst, 2012;
    A. Mergeṣ-Knoth, M. W.s russ. Wurzeln, 2004;
    L. Laučkaite, Eksprezionizmo raitele Mariana Veriovkina, 2007;
    M. Folini (Hg.), Artisti russi in Svizzera, M. W. (Tula 1869 – Ascona 1938), 2010;
    B. Roßbeck, M. W., Die Russin im Kreis d. Blauen Reiter, 2010;
    St. Frey (Hg.), „In inniger Freundschaft“, Alexej Jawlensky, Paul u. Lily Klee, M. W., Der Briefwechsel, 2013;
    I. Schenk-Weininger, M. W., Vom Blauen Reiter z. Gr. Bären, 2014;
    J. Bowlt, Things that are not, M. W. and the condition of silence, in: R. P. Blakesley u. M. Samu (Hg.), From Realism to the Silver Age, 2014, S. 201–08;
    A. Raev, „Die Welt des Künstlers ist in seinem Auge, dieses wiederum schafft ihm seine Seele.“ M. v. W., in: Sturm-Frauen, Künstlerinnen d. Avantgarde in Berlin 1910–1932, hg. v. I. Pfeiffer u. M. Hollein, Ausst.kat. Schirn Kunsthalle Frankfurt 2015, S. 326–29;
    T. Malycheva, M. W. and the artists in her circle, 2017;
    ThB;
    Vollmer;
    SIKART;
    HLS;
    Dict. of Art;
    AKL.

  • Porträts

    |Selbstporträt in Matrosenbluse, Öl/ Lwd., 1893 (Fondazione M. W., Ascona);
    Selbstbildnis, Tempera / Papier, um 1910 (München, Städt. Gal. im Lenbachhaus);
    I. Repin, Öl/ Lwd., 1888 (Mus. Wiesbaden);
    A. v. Jawlensky, Öl/ Lwd., ca. 1906 (ebd.);
    ders., W. im Profil, Öl/ Pavatex auf Karton, um 1905 (Fondazione M. W., Ascona) u. Bildnis M. W., Öl/ Karton, 1906 (Slg. Hanna Bekker vom Rath im Mus. Wiesbaden);
    R. Eckert, Öl/ Lwd., 1905 (Museo comunale d’arte moderna, Ascona);
    G. Münter, Öl/ Karton, 1909 (München, Städt. Gal. im Lenbachhaus);
    E. Bossi, Öl/ Karton, um 1910 (ebd.).

  • Autor/in

    Eva Chrambach
  • Zitierweise

    Chrambach, Eva, "Werefkin, Marianne von" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 804-806 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118631365.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA