Lebensdaten
1882 – 1940
Geburtsort
Brünn (Mähren)
Sterbeort
Paris
Beruf/Funktion
Arzt ; Schriftsteller ; Übersetzer
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118630458 | OGND | VIAF: 7404077
Namensvarianten
  • Weiss, Ernst
  • Weiß, Ernst
  • Weiss, Ernst
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

Verknüpfungen

Von der Person ausgehende Verknüpfungen

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Weiß, Ernst, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630458.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Gustav (1847–86), Tuchhändler, um 1880 in B., S d. Jonas (um 1809–93), Kaufm. in Nový Bydžov (Böhmen), u. d. Franziska Fink (* 1819);
    M Berta (1858–1934), T d. Seligman(n) Weinberg ( 1915) u. d. Amalie Herschmann (* 1833);
    1913–33 Johanna Bleschke (1894–1936, Ps. Rahel Sanzara, auch Sansara, 1927 Walter Davidsohn, Börsenmakler in Berlin, emigrierte 1933 ohne Ehefrau n. Frankr.), Tänzerin, Schausp., Schriftst. (s. Killy; Kosch, Lit.-Lex.³; Lex. Schriftstellerinnen 1933–45; Mitteldt. Jb. 1, 1994, S. 264 f.) T e. Stadtmusikers in Jena;
    2 B

    Egon (1880–1953), Richter, bis 1938 Prof. f. griech. u. röm. Recht, Zivilprozeß u. bürgerl. Recht an d. Dt. Univ. in Prag (s. Biogr. Judaica Bohemiae; Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft; Lex. bed. Brünner Deutscher; Göppinger), Otto (1884?–1941), 1 Schw Alice (1886–1965, Emil Rr. v. Skramlik, 1886–1970, ao. Prof. f. Physiol. in Freiburg, Br., o. Prof. in Jena u. Berlin, s. Rhdb; Fischer; Pogg. VI, VII a, VIII; Biogr. Lex. Böhmen; H. Drews, Leben u. Werk d. Physiol. E. Rr. v. S., Diss. Berlin 2004), Ärztin, – ledig;
    Verwandter Ludwig Weinberg, Kaufm. in Raudnitz, 1886 Vormund v. W.

  • Biographie

    W. besuchte Gymnasien in Brünn, Leitmeritz und Arnau, bevor er 1902 am Brünner 2. Staatsgymnasium die Matura ablegte. Nach dem Medizinstudium in Prag und Wien wurde er 1908 an der Univ. Wien zum Dr. med. promoviert. Anschließend ließ er sich an Kliniken in Bern und Berlin zum Chirurgen ausbilden und arbeitete seit 1911 im Wiedener Spital in Wien in der chirurgischen Abteilung, die von Julius Schnitzler (1865–1939), einem Bruder Arthur Schnitzlers (1862–1931), geleitet wurde. Um eine Lungentuberkulose auszuheilen, war W. 1913 als Schiffsarzt tätig, was ihn nach Indien und Japan führte. Noch im selben Jahr übersiedelte er nach Berlin und lernte Franz Kafka (1883–1924) kennen, mit dem ihn zeitweise eine enge Freundschaft verband.

    Wegen seines prekären Gesundheitszustands fand W. 1914–18 in der österr. Armee Verwendung als Sanitäter in der Etappe und an der Ostfront. Zum Pazifisten geworden, verarbeitete er seine Kriegserlebnisse in dem Gedichtband „Das Versöhnungsfest“ (1920) und dem Roman „Mensch gegen Mensch“ (1919, Neuausg. 1982). 1919 / 20 war er erneut in der Chirurgie eines Krankenhauses tätig, dieses Mal in Prag. Seit 1921 lebte er mit Rahel Sanzara als freier Schriftsteller in Berlin, wo bis 1933 der größte Teil seines Werks, vornehmlich Prosa, entstand. Nach dem Reichstagsbrand emigrierte W. nach Prag, um seine Mutter zu pflegen. Als diese 1934 starb, ging er nach Paris, konnte fortan nur noch in Exilverlagen und Emigrantenzeitschriften veröffentlichen und war auf die finanzielle Unterstützung von Freunden und Hilfsorganisationen angewiesen. Beim Einmarsch dt. Truppen in Paris unternahm W. einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen er am nächsten Tag verstarb.

    W.s erster Roman „Die Galeere“ (1913, Neuausg. 2000, tschech. 1925) ist, wie eine Reihe späterer Werke, im Arztmilieu angesiedelt. Er zeigt in der symbolistischen Anlage und im Psychologisieren der Handlung deutliche Einflüsse der Erzählweise Arthur Schnitzlers, während die folgenden Veröffentlichungen bis Anfang der 1920er Jahre dem Expressionismus verpflichtet sind. Im Roman „Der Kampf“ (1916, Neufassung u. d. T. Franziska, 1919, Neuausg. 2000, engl. 2008), von Kafka vor der Veröffentlichung durchgesehen, wird der Konflikt einer Pianistin zwischen Karriere und Privatleben geschildert. Sexualität als bestimmender Faktor menschlicher Beziehungen, Verbrechen oder Vaterkonflikte sind Themen im Roman „Tiere in Ketten“ (1918, Neufassung 1922, 3. Fassung 1930, Neuausg. 1982, tschech. 1928, ital. 2008), dessen Fortsetzung „Nahar“ (1922, Neuausg. 1982, tschech. 1924), in der im Stil der Neuen Sachlichkeit gehaltenen Kriminalstudie „Der Fall Vukobrankovics“ (1924, Neuausg. 1973) sowie in den Romanen „Georg Letham, Arzt und Mörder“ (1931, Neuausg. 2000, tschech. 1985, franz. 1989, engl. 2010) und „Der Verführer“ (1938, Neuausg. 1980, franz. 1991).

    Im Pariser Exil wandte sich W. auch der Frage nach den Ursachen für den Aufstieg des Nationalsozialismus zu (Der Gefängnisarzt oder Die Vaterlosen, 1934, Neuausg. 2000). Sein bekanntestes Werk ist der 1939 abgeschlossene, postum erschienene Roman „Der Augenzeuge“ (auch u. d. T. Ich, d. Augenzeuge, 1963, Neuausg. 2016, niederl. 1964, 2007, tschech. 1968, 1985, engl. 1977, ital. 1986, franz. 1991, türk. 1998, span. 2003), in dem ein Arzt in einer fiktiven Autobiographie, die Parallelen zu W.s Leben aufweist, schildert, wie er im 1. Weltkrieg den Gefreiten „A. H.“ von seiner hysterischen Blindheit heilt, somit mitschuldig wird am Aufstieg Hitlers und später zum Opfer des an die Macht Gelang-| ten. W.s wohl bereits 1937 entstandene Novelle „Jarmila“ (1998, tschech. 1998, franz.

    1999, span., ital. 2002, engl. 2004, niederl. 2007), von Stefan Zweig (1881–1942) als einer der „stärksten“ Texte W.s bezeichnet, galt lange Zeit als verschollen und wurde erst 1995 in Prag aufgefunden. W.s von ihm selbst für eine Veröffentlichung vorbereitete Tagebücher sind nicht überliefert. W. diente als Vorbild für die Figur des Schriftstellers Weidel in Anna Seghers’ Exilroman „Transit“ (engl., span. 1944, dt. 1947). Nach 1945 fast vergessen, begann die Wiederentdeckung seines Werks erst nach der Veröffentlichung von „Der Augenzeuge“ (1963, DDR 1973) und mit der in den 1970er Jahren einsetzenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit W. Er gilt als einer der seltenen Autoren, die Arztromane „jenseits der Trivialität“ verfaßt haben (R. Schneider, 1981).

  • Auszeichnungen

    |Goldenes Verdienstkreuz am Bande d. Tapferkeitsmedaille (1918);
    Lit.preis d. Olympiade Amsterdam u. Adalbert-Stifter-Preis d. Landes Oberösterr. (beide 1928 f. „Boëtius von Orlamünde“);
    – Gedenktafel, Luitpoldstr. 34, Berlin-Schöneberg.

  • Werke

    Weitere W Franta Zlin, 1919;
    Tanja, 1920 (UA Prag 1919);
    Stern der Dämonen, 1921;
    Die Feuerprobe, 1923 (Ill. v. L. Meidner), franz. 1989;
    Atua, 1923;
    Olympia, 1923 (UA Berlin 1923);
    Leonore (UA Prag 1923, Text verschollen);
    Hodin, 1923;
    Daniel, 1924, tschech. 1927;
    Männer in d. Nacht, 1925, tschech. 1926, 1982;
    Boëtius v. Orlamünde, 1928, seit 1930 u. d. T. Der Aristokrat, Neuausg. 1980;
    Das Unverlierbare, 1928, 2011;
    Dämonenzug, 1928;
    Der arme Verschwender, 1936, 1999, russ. 1963, litau. 1976, bulgar. 1985, span. 2006, niederl. 2012;
    Der zweite Augenzeuge u. andere ausgew. Werke, hg. v. K.-P.Hinze, 1978;
    Werkausg.: Gesammelte Werke, hg. v. P. Engel u. V. Michels, 16 Bde., 1982;
    Überss.: G. De Maupassant, Die Brüder Pierre u. Jean (auch unter d. Titeln „Die Brüder“, „Pierre u. Jean, Gesch. zweier Brüder“), 2014;
    M. Proust, Tage d. Freuden, 1926, Neuausg. 1997;
    H. de Balzac, Oberst Chabert, 1924, Neuausg. 2016;
    Bibliogr.: K.-P. Hinze, Bibliogr. d. Primär- u. Sekundärlit., 1977;
    Verfilmungen: Franta (Regie: M. Allary), 1989;
    Mein Vater, meine Frau u. meine Geliebte (Regie: M. Kreihsl), 2004 (n. d. Roman „Der arme Verschwender“).

  • Literatur

    |D. Lattmann, Posthume Wiederkehr, E. W., Arzt u. Schriftst., in: ders., Zwischenrufe u. andere Texte, 1967, S. 120–46;
    E. Wondrák, Einiges über d. Arzt u. Schriftst. E. W., 1968 (W, P);
    W. Wendler, in: W. Rothe (Hg.), Expressionismus als Lit., 1969, S. 656–68;
    W. D. Elfe, Stiltendenzen im Werk v. E. W., 1971;
    M. Pazi, Fünf Autoren d. Prager Kr., 1978;
    dies., E. W., Schicksal u. Werk e. jüd. mitteleurop. Autors, 1993;
    U. Längle, E. W., Vatermythos u. Zeitkritik, 1981;
    P. Engel (Hg.), E. W., 1982 (P);
    ders. u. H.-H. Müller (Hg.), E. W., Seelenanalytiker u. Erzähler v. europ. Rang, 1992;
    H. L. Arnold (Hg.), E. W., Text u. Kritik, H. 76, 1982 (W, P);
    M. Versari, E. W., Individualität zw. Vernunft u. Irrationalismus, 1984;
    F. Haas, Der Dichter v. d. traurigen Gestalt, Zu Leben u. Werk v. E. W., 1986 (W, L);
    R. Mielke, Das Böse als Krankheit, Entwurf e. neuen Ethik im Werk v. E. W., 1986;
    F. Trapp, Der Augenzeuge, Ein Psychogramm der dt. Intellektuellen zw. 1914 u. 1936, 1986;
    H.-H. Müller, Zur Funktion u. Bedeutung d. „unzuverlässigen Ich-Erzählers“ in d. Romanen v. E. W., 1990;
    R. Stach, Kafka, Die J. d. Entscheidungen, 2002, passim;
    B. Horstmann, Hitler in Pasewalk, Die Hypnose u. ihre Folgen, 2004, S. 67–98 (über „Der Augenzeuge“);
    I. Hnilica, Med., Macht u. Männlichkeit, Ärztebilder d. frühen Moderne b. E. W., Th. Mann u. A. Schnitzler, 2006;
    T. Kindt, Unzuverlässiges Erzählen u. Lit. Moderne, Eine Unters. d. Romane v. E. W., 2008;
    C. Dätsch, Existenzproblematik u. Erzählstrategie, Stud. z. parabol. Erzählen in d. Kurzprosa v. E. W., 2009;
    C. Heering, Die Kultur d. Kriminellen, Lit. Diskurse zw. 1918 u. 1933, E. W., Mit e. Exkurs zu R. Sanzara, 2009;
    C. Kanz, Der Dichter, d. Künstler u. d. Krieg, Männl. Gebärphantasien b. E. W., Ernst Jünger, Franz Kafka u. Max Beckmann, in: F. Krause (Hg.), Expressionism and Gender, 2010, S. 21–44;
    Ostdt. Gedenktage 1990, S. 113–15 (P);
    BHdE II;
    Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft;
    Brünner Köpfe, 1988;
    E. Pillwein u. H. Schneider, Lex. bed. Brünner Deutscher, 2000;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Killy;
    Metzler Autorenlex. (P);
    Metzler Lex. dt.-jüd. Lit. (P);
    – P. Engel (Hg.), W.-Bll., seit 1973.

  • Autor/in

    Thomas Diecks
  • Zitierweise

    Diecks, Thomas, "Weiß, Ernst" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 27 688-689 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630458.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA