Winter, Fritz

Lebensdaten
1905 – 1976
Geburtsort
Altenbögge/Bönen (Westfalen)
Sterbeort
Herrsching a. Ammersee
Beruf/Funktion
Künstler ; Maler ; Künstler ; Hochschullehrer ; Elektriker ; Bergmann
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118633821 | OGND | VIAF: 37709651
Namensvarianten

  • Winter, Friedrich
  • Winter, Fritz
  • Winter, Friedrich
  • Winther, Fritz
  • Winther, Friedrich

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Zitierweise

Winter, Fritz, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118633821.html [26.12.2025].

CC0

  • Winter, Fritz (Friedrich)

    | Maler, * 22.9.1905 Altenbögge/Bönen (Westfalen), † 1.10.1976Herrsching/Ammersee, Dießen, Sankt Georgen/Ammersee. (evangelisch)

  • Genealogie

    V Friedrich (1884–1943), aus Wulka (Wólka, Westpreußen), Schachtabteufer im Bergbau, S d. Karl August u. d. Eleonore Schwanke;
    M Berta (1887–1955), aus Trolau (Posen) (?), T d. Michael Czislick u. d. Wilhelmine Bartsch;
    7 jüngere Geschw u. a. Schw Else Rüschenschmidt (1917–1982);
    1) Dießen/Ammersee 1953 Margarete (1890–1958, 1] Walther Schreiber, 1884–1958, Wirtsch- u. Kommunalpol., preuß. Staatsmin. f. Handel u. Gewerbe, 1953–55 Reg. Bgm. v. Berlin, s. NDB 23; Biogr. Hdb. Berliner Stadtverordnete), seit d. 1930er J. W.s Lebensgefährtin, T d. Hermann Rüffer (1856–1918), aus Halle/Saale, Dr. iur., RA, JR ebd., u. d. Clara Booch, 2) Dießen/Ammersee 1959 Waltraud (1912–73, 1] N. N.), T d. Walther Schreiber u. d. Margarete Rüffer (beide s. o.);
    1 S aus 2) Florian (* 1960), Arzt, 5 Adoptiv-K u. a. Adoptiv-S Michael, Matthias, Adoptiv-T Gabriele, Christiane;
    N Helga Gausling (1939–2022), Erbin v. W., Leiterin d. Fritz-Winter-Hauses in Ahlen (s. W).

  • Biographie

    Als ältestes von acht Kindern in eine Bergmannsfamilie geboren, besuchte W. die Volksschule in Ahlen/Westfalen. 1919 begann er eine Ausbildung zum Grubenelektriker an der Zeche Westfalen und arbeitete nach seiner Gesellenprüfung 1922 auch als Hauer und Schlosser. Erste Zeichnungen aus dieser Zeit zeigen die Auseinandersetzung mit den Menschen seiner Umgebung und ihren schweren Lebensumständen. Während der Wirtschaftskrise zeitweilig ohne Anstellung, wanderte W. auf den Spuren von van Gogh durch die Niederlande und versuchte 1927, über den Besuch des Realgymnasiums einen höheren Schulabschluß zu erlangen. Auf Empfehlung seines Zeichenlehrers bewarb er sich am Bauhaus in Dessau, wo er zum Wintersemester desselben Jahres ein Studium aufnehmen konnte. Bis 1930 belegte er Kurse u. a. bei Wassily Kandinsky (1866–1944) und Josef Albers (1888–1976); er wurde Mitglied der Bühnenabteilung von Oskar Schlemmer (1888–1943) und besuchte die freie Malklasse von Paul Klee (1879–1940), der seine Kunstauffassung entscheidend prägte, nicht zuletzt mit seinen Vorstellungen über die Sichtbarmachung des Unsichtbaren. 1929 nahm W. an der Wanderausstellung „Junge Bauhausmaler“ teil. Von der Lehrzeit am Bauhaus behielt er seine experimentelle Arbeitsweise und ein starkes Interesse an den Naturwissenschaften bei. Zwischen 1929 und 1931 besuchte W. mehrfach den Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) in Davos. 1930 assistierte er dem ungar. Künstler Naum Gabo (1890–1977) in Berlin und hatte dort im selben Jahr eine erste Einzelausstellung in der Galerie Ferdinand Möller. 1931 zog W. nach Halle/Saale, um an der dort kurz zuvor gegründeten Pädagogischen Akademie tätig zu werden. Es entstanden erste abstrakte Stilleben, ab 1931/32 dunkelgrundige „Zellen“ und „Sternbilder“. Insbesondere von dem ungar. Kunstkritiker Ernő (Ernst) Kállai (1890–1954), der 1928/29 am Bauhaus als Schriftleiter der Zeitschrift „bauhaus“ tätig gewesen war, wurde er als Vertreter einer biomorphen Abstraktion gefördert. Nach der Schließung der Akademie in Halle 1933 siedelte W. nach Bayern über und bezog zwei Jahre später ein Bauernhaus in Dießen am Ammersee, wo er bis zu seinem Tod lebte.

    Nach 1933 bemühte sich W. vergeblich um Ausstellungsmöglichkeiten in Deutschland; 1937 wurden zwei seiner Werke aus Museumsbesitz als „entartet“ beschlagnahmt. In seinen Arbeiten der 1930er Jahre verbinden sich kristalline und biomorphe Formen zu abstrakten Sinnbildern mikro- und makrokosmischer Strukturen und Energien („Licht“ - u. „Kristallbilder“ 1934/35, „Surreale Landschaften“ 1936/37). Mit Beginn des 2. Weltkriegs als Soldat an die Ostfront eingezogen, schuf W. Hunderte von kleinformatigen „Kriegszeichnungen“, in denen er sein bildnerisches Repertoire mit einfachsten Mitteln weiter ausbildete. Auf dieser Grundlage entstand 1944 seine bekannteste Werkgruppe, die „Triebkräfte der Erde“. Die kleinformatigen, während eines Genesungsurlaubs nach einer schweren Kriegsverletzung entstandenen Blätter wurden in der Nachkriegszeit als Schlüsselwerke abstrakten Formenreichtums gefeiert.

    Nach der Rückkehr aus russ. Kriegsgefangenschaft 1949 gründete W. mit Willi Baumeister (1889–1955), Rupprecht Geiger (1908–2009) und anderen in München die „Gruppe der Gegenstandslosen“, später „ZEN 49“, um an die Ideale des „Blauen Reiter“ anzuknüpfen und das Geistige in der Kunst wiederzubeleben. 1950 stellte W. auf der Biennale in Venedig aus und machte in Paris Bekanntschaft mit dem franz. Informel, v. a. mit Pierre Soulage (1919–2022) und Hans Hartung (1904–1989). Sichtbar wird der franz. Einfluß in den „Formzeichenbildern“ (1951–54), schwebenden, irregulären Zeichen mit Fragmentcharakter und den „Notationsbildern“ (ab 1953) unter Verwendung kalligraphischer Zeichen.

    In den frühen 1950er Jahren herrschte die reiche Farbgebung der Nachkriegszeit vor, darauf folgte eine Phase karger Farbigkeit und Formgebung, die auf Entkörperlichung und Vergeistigung des Materials zielt. Generell wird in den 1950er Jahren die Grundspannung der Polarität zum Ausgangspunkt seiner Bildfindung. Für die erste documenta in Kassel 1955 schuf W. mit dem Gemälde „Kompo|sition vor Blau und Gelb“ (heute Neue Gal., Kassel) das erste ortsspezifische und explizit für eine documenta konzipierte Kunstwerk.

    Die Rauminstallation dieser monumentalen Leinwand im großen Malereisaal des Museum Fridericianum sollte eine Vorstellung davon geben, welche Erfahrungsräume sich mit den Mitteln einer vom Gegenstand losgelösten Malerei zu eröffnen vermögen. Der ehemalige Bauhausschüler W. stand hier als zentrale Mittlerfigur zwischen der deutschen Vorkriegsavantgarde und der internationalen Abstraktion der Gegenwartskunst.

    Die 1950er Jahre wurden für W. das Jahrzehnt des Erfolgs und der Anerkennung seines Werkes. Im Kunsthandel wurde er von der Galerie Marbach in Bern gehandelt, in München von den Galerien Günther Franke und Otto Stangl, in Köln von Ferdinand Möller und der Galerie „Der Spiegel“. Auch in Paris und New York waren seine Werke im Handel vertreten.

    Als Gastdozent leitete W. 1953 an der Landeskunstschule in Hamburg einen Kurs aus der Reihe „Abstrakte Maler lehren“. 1955 übernahm er eine Professur an der Staatl. Werkakademie in Kassel, wo er bis 1970 lehrte. Damit wurde er Kollege des documenta-Initiators Arnold Bode (1900–1977), mit dem er in den kommenden Jahren eng zusammenarbeitete. Auf den ersten drei documenta-Ausstellungen 1955, 1959 und 1964 stellte W. größere Werkkomplexe aus und übernahm zunehmend Verantwortung in den Organisationsstrukturen der Weltausstellung. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau und einer langen Krankheitsphase 1959 aufgrund einer Kriegsverletzung standen die 1960er Jahre für einen Neubeginn. Über eine Werkgruppe kleinformatiger Ölstudien (1959/60) gelangte W. zu einer Farbfeldmalerei, bei der die Raumwirkung der Farbe im Vordergrund steht. In den „Farbraummodulationen“ (1964) brachte er eine der wesentlichen Fragen der Malerei seiner Zeit zum Ausdruck, die Ambivalenz zwischen der Leinwand als Fläche und dem Raumwert der Farbe. Das Spätwerk ab ca. 1967 ist von Übermalungen und zunehmend graphischer Bildordnung geprägt. In den letzten Lebensjahren entstanden Filzstiftzeichnungen. Das maltechnisch und formal vielseitige Gesamtwerk W.s steht in einer Tradition, die der Kunst des Blauen Reiter wie dem Bauhaus gleichermaßen verpflichtet ist.

    Mit seiner weitgehend gegenstandslosen Formensprache suchte W. in einem übergeordneten Bezug zur Natur die verborgenen elementaren Kräfte und Strukturen der Schöpfung sichtbar zu machen. 1974 schenkte W. einen Teil seines künstlerischen Nachlasses dem Galerieverein München mit der Auflage, die Werke in eine Stiftung einzubringen. Diese wurde 1981 als Fritz-Winter-Stiftung gegründet und ist seitdem an den Bayer. Staatsgemäldesammlungen in München beheimatet. W.s bedeutendster Sammler Konrad Knöpfel (1913–2010) gründete 1994 eine weitere Stiftung, die Konrad Knöpfel-Stiftung Fritz Winter und gab damit seine umfangreiche Sammlung an das Kunstmuseum Stuttgart.

  • Auszeichnungen

    |Mitgl. d. Ak. d. Künste Berlin (West), Abt. Bildende Kunst (1956);
    2. Preis d. 25. Biennale di Venezia (1950);
    2. Ströher-Preis f. gegenstandslose Malerei (1950);
    1. Preis d. Dt. Künstlerbundes (1951);
    Domnick-Preis (2. Preis) (1951);
    Konrad-von-Soest-Preis (1952);
    Preis d. Ausst. „Eisen u. Stahl“, Düsseldorf (1952);
    Preis d. 9. Internat. Ausst. in Lissone, Italien (1955);
    Cornelius-Preis d. Stadt Düsseldorf (1956);
    Preis d. Graphik d. Internat. Ausst. v. Tokio (1957);
    Preis d. Internat. Bau-Ausst. in Berlin (1957);
    Preis d. Ass. Belge des Critiques d’Arts (1957);
    Preis d. Weltausst. Brüssel (1958);
    Kunstpreis d. Stadt Berlin (1958);
    Premio Marzotto Mailand (1958);
    Gr. Kunstpreis d. Landes NRW (1959);
    Goethe-Plakette d. Landes Hessen (1965);
    Gr. BVK (1969, mit Stern 1974);
    Orden Pour le mérite f. Wiss. u. Künste (1972);
    Bayer. Verdienstorden (1972);
    Rubenspreis d. Stadt Siegen (1977).

  • Werke

    Weitere W u. a. Schrr.: kunstform? zweckform?, in: bauhaus, zs. f. gestaltung, Nr. 4, 1928, S. 18;
    Gestaltungselemente in d. Malerei, in: G. Hassenpflug, Abstrakte Maler lehren, Ein Btr. z. abstrakten Formen- u. Farbenlehre als Grundlage d. Malerei, 1959, S. 27–51;
    W-Verz. d. Gem.: G. Lohberg, F. W. Leben u. Werk, Mit Werkverz. d. Gem. u. d. sonstigen Techniken, 1986 (P); W-Verz. d. Druckgraphik: K. Gabler, Das graph. Werk v. F. W., 1968;
    Helga Gausling (Hg.), F. W., Das graph. Werk v. 1950–1975, 2004;
    e. W-Verz. d. Papierarbb. existiert nicht;
    Nachlaß: Photo- u. Schriftarchiv heute größtenteils im Fritz-Winter-Haus Ahlen.

  • Literatur

    |Margarete Schreiber-Rüffer, Über F. W., in: Die schöpfer. Kräfte in d. abstrakten Malerei, Ein Zyklus v. Ottomar Domnick, 1947, S. 30–40;
    W. Haftmann, F. W., Triebkräfte d. Erde, 1957;
    R. Wankmüller, F. W., 1961;
    J. Büchner, F. W., 1963;
    F. W. z. 60. Geb.tag, Ausst.kat. Staatl. Kunstslgg. Kassel, Text v. K. Gabler, 1965;
    H. Keller, F. W., 1976;
    SZ v. 3.10.1976;
    FAZ v. 7.10.1976;
    F. W., Triebkräfte d. Erde, 1932–1944, Ausst.kat. Münster, Westfäl. Landesmus. 1981;
    J.-K. Schmidt, F. W., Konrad Knöpfel-Stiftung F. W., Gal. d. Stadt Stuttgart, 2000;
    „Man lebt im Wirken der Schöpfung“, F. W. z. 100. Geb.tag, Ausst.kat. Gustav-Lübcke-Mus. Hamm/Fritz-Winter-Haus Ahlen u. a., Bramsche 2005;
    K. Müller, Neue Formen, F. W., Arbb. auf Papier 1925–75, Ausst.kat. Kunstmus. Stuttgart 2006;
    F. W., Ausgew., Kernbestand Fritz-Winter-Stiftung, hg. v. d. Bayer. Staatsgem.slgg. u. d. Fritz-Winter-Stiftung, 2018;
    F. W., documenta-Künstler d. ersten Stunde, Ausst.kat. Neue Gal. Kassel 2020;
    M. Marschall, Die Feldskizzen F. W.s (1939–1944), Dok. u.|Unters., 2021;
    Munzinger;
    Vollmer;
    Dict. of Art;
    Film: F. W., Dok.kurzfilm i. A. d. Inst. f. Film u. Bild in Wiss. u. Unterricht (FWU), Regie: W. Koch, 1961.

  • Porträts

    |Photogrr. aus allen Schaffensphasen, Abb. in: Lohberg (s. W).

  • Autor/in

    Anna Rühl
  • Zitierweise

    Rühl, Anna, "Winter, Fritz (Friedrich)" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 258-261 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118633821.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA