Dates of Life
1514 – 1574
Place of birth
Feldkirch (Vorarlberg)
Place of death
Kaschau (Košice, Slowakei)
Occupation
Mathematiker ; Astronom
Religious Denomination
evangelisch
Authority Data
GND: 119499215 | OGND | VIAF: 98148088
Alternate Names
  • Rhaeticus, Joachim
  • Rheaticus de Porris, Georg Joachim
  • Rhetikus, Georg Joachim
  • more

Objekt/Werk(nachweise)

Relations

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Citation

Rheticus, Georg Joachim, Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119499215.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogy

    V Georg Iserin ( 1528), ital. Herkunft, Dr. med., Stadtphysikus in F., als Zauberer hingerichtet (s. L);
    M Thomasina de Porris, aus lombard. Adelsfam. ( 1553/54, 2] Georg Wilhelm, Stadtammann in Bregenz);
    Schw Magdalena de Porris; ledig.

  • Biographical Presentation

    Nach einer Elementarausbildung bei seinem Vater besuchte R. die Lateinschule in Feldkirch und 1528-31 die von Oswald Myconius (1488–1552) geleitete Frauenmünsterschule in Zürich. Die Hinrichtung seines Vaters zwang ihn, den ins Deutsche übersetzten Namen seiner Mutter „von Lauchen“ anzunehmen, den er erstmalig 1536 unter Bezugnahme auf seine Herkunft in „Rheticus“ änderte. Auf Empfehlung des Feldkircher Stadtphysikus Achilles Pirmin Gasser 1532 an der Univ. Wittenberg immatrikuliert, studierte R. Mathematik und Astronomie v. a. bei Johannes Volmar (M. A. 1536). Schon während seines Studiums gehörte er zum engeren Freundeskreis Philipp Melanchthons, wurde auf dessen Betreiben 1536 zum Professor „Mathematum inferiorum“ ernannt und 1537 offiziell in das Kollegium der Wittenberger Artistenfakultät aufgenommen. Von Melanchthon unterstützt, konnte R. 1538 mehrere führende dt. Astronomen, darunter Peter Apian, Johannes Schöner und Philipp Imser aufsuchen.

    Berühmt wurde R. als einziger Schüler von Nikolaus Copernicus (1473–1543) und maßgeblicher wissenschaftlicher Vertreter der heliozentrischen Kosmologie. Im Frühjahr 1539 reiste er nach Frauenburg (Ermland), assistierte dort Copernicus bei der Fertigstellung des Manuskripts von „De revolutionibus orbium coelestium“ (gedr. 1543), betrieb eigene astronomische und kartographische Forschungen und veröffentlichte 1540 in Danzig den ersten gedruckten Bericht („Narratio prima“) über das neue Weltsystem. Zwei Jahre später bereitete er gemeinsam mit seinem Freund, dem Nürnberger Drucker Johannes Petreius (1497–1550), den Druck des Hauptwerks von Copernicus vor.

    Im Okt. 1541 kehrte R. nach Wittenberg zurück und wurde noch im selben Jahr zum Dekan der Artistenfakultät gewählt. Bessere Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten versprach er sich allerdings von der Univ. Leipzig, die ihn – nachhaltig unterstützt von Joachim Camerarius, dem Rektor der Univ. Tübingen – 1542 als Professor „Mathematum superiorum“ berief. Unterbrochen wurde seine Leipziger Lehrtätigkeit von einer Italienreise 1545/46, auf der er u. a. Geronimo Cardano besuchte, sowie von einer psychischen Erkrankung, die ihn von Ende 1546 bis Anfang Dez. 1547 in Lindau (Bodensee) festhielt. Erst im Sommer 1548 konnte R. nach einem Zwischenaufenthalt in Zürich, wo er bei seinem Schulfreund Conrad Gesner (1516–65) Medizin studierte, wieder nach Leipzig zurückkehren. Dort wurde er für das Wintersemester 1548/49 zum Dekan der Artistenfakultät und zum Sprecher der „Bayer. Nation“ gewählt. Während dieses zweiten Leipziger Aufenthalts verfaßte R. mehrere Kalender und die „Ephemeriden“ auf das Jahr 1550, die bis heute zu den wichtigsten Quellen der Copernicus-Rezeption gehören.

    Wegen einer homosexuellen Affäre mit einem seiner Studenten mußte R. im April 1551 aus Leipzig fliehen, sein Vermögen wurde eingezogen. Nach Zwischenstationen in Chemnitz, Prag (wo er vermutl. 1553 sein Med.studium abschloß), Wien und Breslau ließ er sich 1554 als praktischer Arzt in Krakau nieder. Er erarbeitete dort weiterhin Gutachten und Anleitungen zum Bau astronomischer Instrumente (z. B. Jakobsstab), sammelte umfangreiches Beobachtungsmaterial und schrieb nach dem Zeugnis von Zeitgenossen mehrere Werke zu den Prinzipien der Astronomie, die sämtlich verloren sind. Als überzeugter Astrologe erstellte R. Horoskope und Gutachten. Parallel dazu unterhielt er ein alchemisches Laboratorium mit mehreren Angestellten. R.s originäre mathematische Leistung besteht in seinen Arbeiten zur Trigonometrie, für die er schon 1551 durch seinen „Canon doctrinae triangulorum“ den Grundstein gelegt hatte und worin erstmals|alle sechs trigonometrischen Funktionen gleichermaßen in Tabellen enthalten sind. Die Berechnung der Tafeln, für die R. mehrere Mitarbeiter benötigte, wurde durch Ks. Maximilian II. und andere Fürsten finanziell großzügig unterstützt. Seine ärztliche und wissenschaftliche Tätigkeit in Krakau endete 1574, als ihn der Magnat Johannes Ruber nach Kaschau im damaligen Ungarn berief, wo er wenig später an einer Lungenentzündung starb. Der Mathematiker Valentin Otho (um 1550–1605), sein bedeutendster Schüler, veröffentlichte 1596 R.s nachgelassenes trigonometrisches Hauptwerk „Opus palatinum de triangulis“.

  • Works

    u. a. De libris revolutionum Nicolai Copernici Narratio prima, Danzig 1540, Nachdr. 1965;
    Encomium Prussiae, Danzig 1540;
    Orationes duae, prima de Astronomia et Geographia, altera de Physica, Nürnberg 1542;
    Ephemerides novae, Leipzig 1550;
    Opus palatinum de triangulis, Neustadt 1596. – Hg.: Johannes de Sacrobosco, Libellus de sphaera, Wittenberg 1538 (mit Ph. Melanchthon);
    Euklid, Elementorum geometricorum libri VI, Leipzig 1549.

  • Literature

    ADB 14, S. 93 f., 28, S. 388-90;
    F. Hipler, Die Chorogr. d. R., in: Zs. f. Math. u. Physik 21, 1876, S. 125-50;
    K.-H. Burmeister, G. J. R., Eine Bio-Bibliogr., 3. Bde., 1967/68;
    ders., R. u. Paracelsus, in: Montfort 24, 1972, S. 619-29;
    ders., Neue Forsch. Über G. J. R., in: Jb. d. Vorarlberger Landesmus.ver. 1974/75, 1977, S. 37-47;
    ders., in: Wandlungen im geograph. Denken v. Aristoteles bis Kant, hg. v. M. Büttner, 1979, S. 129-37;
    K. Figala, Die sog. Sieben Bücher über d. Fundamente d. chem. Kunst v. J. R., in: Sudhoffs Archiv 55, 1971, S. 247-56;
    R. S. Westman, The Melanchthon circle, in: Isis 66, 1975, S. 164-93;
    J. Kraai, The newly-found Rheticus lectures, in: Btrr. z. Astronomiegesch. 1, 1998, S. 32-40;
    Pogg. I-III;
    DSB XI;
    Altpreuß. Biogr. II;
    Killy. – Zu Georg Iserin: E. Somweber, Der Zauberer u. Hexenmeister Dr. G. I. v. Mazo, in: Montfort 20, 1968, S. 295-325.

  • Author

    Andreas Kühne
  • Citation

    Kühne, Andreas, "Rheticus, Georg Joachim" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 496-497 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119499215.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographical Presentation

    Joachim: Georg J., geb. am 15. Februar 1514 zu Feldkirch in Vorarlberg, am 4. December 1576 zu Kaschau zu Ungarn. Nach dem Heimathslande Rhätien nahm er den Beinamen Rhaeticus an, woraus auch wol der durch Verstümmelung ihm bisweilen zugelegte Name Rehtz gebildet ist. Er erhielt seine Schulbildung in Zürich und war Mitschüler von Konrad Geßner bei Oswald Myconius und bezog die Universität Wittenberg, wo er an dem Mathematiker Reinhold, dem Theologen Cruciger, besonders aber an Melanchthon gute Freunde fand. Auf des letzteren Empfehlung erhielt er, nachdem er 1535 die Magisterwürde erlangt, schon 1536 als ganz junger Mann nach dem Tode des Mathematikers Volmar die zweite Professur der Mathematik. Mit der Schrift „Praefatio in arithmeticem“ trat er die Professur an, doch war seines Bleibens nicht lange in Wittenberg, denn als nach Wittenberg die Kunde von der kühnen Idee des Copernicus über dessen neues Weltsystem kam, entschloß er sich sofort nach Frauenburg zu gehen, um den Unterricht des Copernicus zu genießen und denselben in der Herausgabe seines großen Werkes zu unterstützen. In Frauenburg wurde er einer der begeistertsten Anhänger der neuen Lehre und schrieb an Peter Schoner in Nürnberg, mit welchem er bereits früher auf einer Studienreise bekannt geworden war, zu Anfang 1540 als Bericht über die Ideen und Arbeiten des Copernicus die „Narratio de libris revolutionum Copernici“ (Epistola ad J. Schonerum), welche ein Vorläufer des copernicanischen Werkes ist und demselben in den späteren Ausgaben von 1566 an angefügt wird. In Danzig und Basel 1540 und 1541 gedruckt, soll diese Schrift zur Folge gehabt haben, daß|eine fahrende Schauspielerbande entweder in Frauenburg oder nach anderen in Elbing unter lautem Beifall eine Posse aufführte, in welcher das copernicanische System lächerlich gemacht wurde. J. kehrte nach Wittenberg zurück, wurde aber schon 1542 nach Leipzig berufen, wo er den Lehrstuhl für Mathematik auch nur kurze Zeit behielt und ihn Johann Hommel überließ. Als es 1542 dem Freunde des Copernicus, dem Bischof Tiedemann Giese (Bd. IX S. 151) zu Kulm gelang, den Copernicus zu bewegen sein Manuscript zum Drucke herzugeben, sandte Giese dasselbe an J., der es sofort mit Empfehlungsbriefen von Melanchthon nach Nürnberg brachte und mit Osiander und Schoner den Druck veranlaßte. Im J. 1542 erschienen von Rhaeticus: „Orationes de astronomia, geographia et physica“, 1550 in Leipzig „Ephemeris ex fundamentis Copernici“ und nach seinem Tode das „Opus Palatinum de triangulis a G. J. Rhetico coeptum, Lucas Valentius Otho, principis Palatini Friderici IV electoris mathematicus consummavit anno 1596“. Wiederum war es Copernicus gewesen, der bei praktischen Rechnungen die Unzulänglichkeit und Unsicherheit der damals existirenden trigonometrischen Tafeln erkannt hatte und daher dem Rhaeticus die Berechnung neuer und genauer trigonometrischer Tafeln zu unternehmen empfahl. Nach damals bekannten, sehr weitläufigen Methoden (man kannte noch nicht die Logarithmen und bediente sich, um die Multiplicationen in Additionen und Subtractionen umzuwandeln, der trigonometrischen Functionen) berechnete Rhaeticus mit dem Radius 10,000 Millionen die Sinus, Cosinus, Tangenten und Cotangenten von 10 zu 10 Secunden. Durch die Unterstützung des Kaisers Maximilian II. und mehrerer ungarischer Magnaten konnte er sich, zurückgezogen in Polen und Ungarn lebend, zwölf Jahre hindurch Hülfsrechner halten, doch wurde das ganze Werk erst durch seinen Schüler Otho 20 Jahre nach seinem Tode vollendet. Die Sinustafeln von Rhaeticus erschienen noch im Thesaurus mathematicus von Petiscus im J. 1613.

    • Literature

      Ueber Rhaeticus s. Weidler's Historia astronomiae. Jöcher. Das Zedler’sche Universallexikon etc.

  • Author

    Bruhns.
  • Citation

    Bruhns, Christian; Günther, "Rheticus, Georg Joachim" in: Allgemeine Deutsche Biographie (), S. [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119499215.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographical Presentation

    Rheticus: Georg Joachim R., Astronom, geb. am 16. Februar 1514 zu Feldkirch, am 4. December 1576 zu Kaschau in Oberungarn. Der Name Rheticus oder Rhaeticus ist die damals übliche Latinisirung des Geburtslandes Vorarlberg (Rhätien); wie der Familienname gelautet, ist nicht sicher, doch hat Hipler's Vermuthung viel für sich, daß er, da er sich in die Universitätsmatrikel als „G. J. de porris“ eintrug, eigentlich von Lauchen geheißen habe. Er erhielt seine erste Schulbildung zu Zürich unter dem trefflichen Myconius, den wir aus Th. Plater's Selbstbiographie genau kennen, und der als einer der ersten auch die Anfangsgründe der Mathematik in den gelehrten Unterricht eingeführt zu haben scheint. Von Zürich ging R. als noch sehr jugendlicher Student nach Wittenberg, wo sein Landsmann Joh. Volmar Mathematik docirte, dort wurde er 1535 Magister und besuchte als solcher Tübingen und Nürnberg, an welch' letzterem Orte er mit Schoener nähere Beziehungen anknüpfte. Mittlerweile war Volmar gestorben, und sein erst 22 Jahre zählender Schüler sah sich als Professor der Mathematik nach Wittenberg zurückberufen, doch wurde dieser Lehrstuhl nicht mehr mit Einer Person besetzt, sondern man machte auf Melanchthon's Antrag den Beginn mit jener Zweitheilung, deren wir bereits bei Erasm. Reinhold (s. o. S. 77) gedachten. Unser R. hatte Arithmetik und Geometrie zu lehren; am 5. Januar 1537 wurde er von dem „Praeceptor Germaniae“ feierlich in sein Amt eingeführt und trat dasselbe mit einer — übrigens nicht eben bedeutenden — Rede über das Wesen der Arithmetik an. Außerdem bereitete er damals schon den Abriß der Kirchenrechnung von Sacrobosco zu erneuter Ausgabe vor, welche nachher Reinhold besorgte.

    Zunächst sollte jedoch R. in Wittenberg nicht lange verweilen. Er wußte, daß im fernen Preußen ein weiser Mann in stiller Einsamkeit an einem Werke arbeite, durch welches die gesammten Anschauungen vom Weltgebäude eine grundstürzende Reform erfahren sollten; diesen Mann persönlich kennen zu lernen, von ihm selbst in die Geheimnisse der neuen Weltordnung eingeführt zu werden, erschien ihm allzu lockend, und so bewog ihn denn, wie er selbst sich ausdrückt, die „fama de Coppernici admirandis hypothesibus percrebrescens“, im Früjähr 1539 die Reise nach Frauenburg anzutreten, anscheinend mit Einwilligung der ihm seine Stelle offen haltenden Facultäi. Auf dieser Reise berührte er Posen und schrieb von da einen Brief an Freund Schoener in Nürnberg mit dem nachmals so glänzend eingelösten Versprechen, bald ausführlicheres über Coppernicus und seine Lehre mittheilen zu wollen. Coppernicus nahm den jungen Adepten liebenswürdig auf, und so vollkommen sah derselbe sein Verlangen erfüllt, daß sein zuerst nur auf Wochen bemessener Aufenthalt sich auf mehr denn zwei Jahre ausdehnte; er wohnte in Frauenburg, begleitete den greifen Lehrer auf dessen Reisen und ward so der begeisterte Verkünder der heliocentrischen Kosmologie. Es ist auffallend, daß man in dem damals von dem fanatischen Dantiscus regierten Ermland dem intimen Verkehr eines Domherrn mit einem jungen Lutheraner keine Hindernisse in den Weg legte, allein aus Rheticus' späteren Aeußerungen läßt sich in der That nicht der Schluß ziehen, daß dergleichen versucht worden sei. Zehn Wochen eifrigen Studiums reichten für R. hin, um die versprochene: „Narratio prima de libris revolutionum“ vom Stapel lassen zu können, die nun freilich kein einfaches Sendschreiben mehr darstellte, sondern als Buch Ende 1539 zu Danzig gedruckt wurde und der Gelehrtenwelt die erste authentische Kunde vom coppernicanischen System vermittelte. Coppernicus' Freund, der Kulmer Bischof Giese, schickte das Werkchen an den Herzog Albrecht in Königsberg, der dem jungen Gelehrten eine „fürstliche Vererung“ reichen ließ und ihn auch in seine Hauptstadt eingeladen zu haben scheint. Jedenfalls|war der Herzog unserm R. andauernd wohlgesinnt, denn noch unterm 1. September 1541 erging aus seiner Kanzlei ein Schreiben an den sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich, derselbe möge seinem Professor noch längeren Urlaub ohne Gehaltsverkürzung bewilligen. R. wandte seine Zeit, während er an den Usern der Ostsee lebte, auch noch auf andere Art nützlich an; topographische Studien Coppernicus' zu Grunde legend, vermaß er die preußischen Lande nach einer in einer besonderen Abhandlung auseinandergesetzten Methode und dedicirte dem Herzoge nicht nur diese „Chorographia“ sondern auch eine „Tabula chorographica auf Preußen und etliche umbliegende lender“ sammt einem Instrumente (Astrolabium) zur Bestimmung der Tageslängen nach der Polhöhe. Was nun den Inhalt der „Prima narratio“ anlangt, welcher die in Aussicht genommene „altera“ um deswillen nicht nachfolgte, weil an deren Stelle das Hauptwerk selbst treten konnte, so beginnt dieselbe mit einer Zueignungsepistel an Schoener, worin Coppernicus neben Ptolemäus und Regiomontan oder eigentlich noch über letzteren gestellt wird; dann folgt eine kurze Lebensbeschreibung des Meistens, und nunmehr werden die wichtigsten Momente des Systemes in guter Charakteristik vorgeführt. Angehängt ist das „Encomium Borussiae"; R. hatte bei seinen Reisen und Vermessungsarbeiten mit Land und Leuten genaue Bekanntschaft gemacht und verwerthete diese im genannten Anhange, dessen Wesen der berufenste Kenner, L. Prowe, mit folgenden Worten kennzeichnet: „Es war das eine im Geiste des Humanistengeschlechtes von R. entworfene Schilderung seines gegenwärtigen Schutzlandes, dessen Schönheiten er mit etwas stark aufgetragenen Farben malt.“

    Gegen Ende 1541 hatte Coppernicus endlich das Originalmanuscript der „Revolutiones“ zum Abschlusse gebracht, und R. eilte damit zum Druck. Als Druckort erschien Nürnberg am geeignetsten, dort konnte Joh. Petrejus seine berühmte Officin zur Verfügung stellen, dort konnten Schoener und Osiander — welch' letzterer freilich das in ihn gesetzte Vertrauen schnöde täuschen sollte — den Druck überwachen. R. reiste deshalb selbst nach Nürnberg, traf die erforderlichen Einleitungen und corrigirte auch selbst die ersten Bogen, die sich durch Druckfehlermangel sehr vortheilhaft vor den übrigen auszeichnen. Während dieser Zeit ließ er bei Petrejus folgende Schrift erscheinen: „Orationes duae, prima de astronomia et geographia, altera de physica, habita Vitebergae a Joachimo Rhetico, Professore mathematum“. Den damals gehegten Plan, die von Regiomontan im griechischen Urtexte nach Nürnberg gebrachten und noch heute zu den Kimelien der dortigen Stadtbibliothek gezählten ϰωνιϰά des Apollonius herauszugeben, hat R. leider nicht ausgeführt.

    Von dieser Reise ist R. nicht mehr zu Coppernicus zurückgekehrt, dessen Bibliothek er vor seinem Abgange noch durch mehrere werthvolle Bücherschenkungen bereichert hatte; man weiß, daß der große Mann in der Stunde verschied, da man ihm das erste fertige Exemplar seines Werkes aufs Krankenbett legte. R. selbst kehrte nach Wittenberg zurück und nahm seine Vorlesungen wieder auf, doch ist er anscheinend nicht mehr recht warm daselbst geworden, vielleicht deshalb, weil der engherzig geocentrische Gesichtskreis der dortigen Theologen eine Störung seiner Zirkel nicht vertragen konnte. So wurde R. 1542 Professor der Mathematik in Leipzig und wandte sich der zweiten Hauptaufgabe seines Lebens zu. Das Fundament der verbesserten Astronomie war gelegt; nun galt es, die mathematischen Hülfsmittel für den weiteren Ausbau des Gebäudes zu beschaffen, und hierzu war vor allem die Ausbildung des trigonometrischen Kalküls und der trigonometrischen Tafeln nothwendig. R. edirte seines Lehrers gehaltvolle Schrift: „De lateribus et angulis triangulorum libellus“ — und begann mit Feuereifer die Berechnung eines Kanons, welcher Sinus — dieses Kunstwort verwarf|übrigens R. als „barbarisch“ —, Tangens und Sekans von 10 zu 10 Bogensecunden für den Sinus totus 100 000 000 enthalten sollte. Kaiser Maximilian II. und einige ungarische Patrone der Wissenschaft versahen R. hinreichend mit Mitteln, um stets ein paar Rechner unterhalten zu können, und so rückte denn das Riesenwerk wirklich nach und nach seiner Vollendung entgegen. Die Rechnung war äußerst schwierig, da jene algebraischen Vortheile, durch welche Bürgi bald nachher erhebliche Vereinfachungen herbeiführte, damals noch nicht zu Gebote standen.

    Auch in Leipzig war R. nicht seßhaft, er verlebte vielmehr die letzten zwanzig Jahre seines Lebens, wie so mancher Gelehrte jener Tage, großentheils auf Reisen, hauptsächlich mit der Absicht, seinem Unternehmen neue Gönner zu erwerben, alte zu erhalten. Um 1575 geschah es, daß zu ihm, der sich damals in den Karpathen aufhielt, ein junger Mann, Namens Otho, kam, der lediglich durch den Wunsch getrieben wurde, bei dem berühmten R. lernen zu können; gerührt empfing ihn derselbe mit den Worten, daß sich da seine Jugendgeschichte von neuem wiederholen solle. Otho blieb zunächst bei R. und machte in seinem Auftrage kleine litterarische Reisen. Während einer solchen erhielt R. eine Einladung von dem Baron Rauber in Kaschau und er folgte derselben auch, obschon er sich eben erst durch Schlafen in einem frisch getünchten Zimmer ein Unwohlsein zugezogen hatte. Dort in Kaschau ging sein „Katarrhus“ rasch in eine tödtliche Lungenentzündung über, und er starb, nachdem er sein Werk in Otho's Hände gelegt hatte. Als dieser von Krakau zurückkam, wurden ihm denn auch auf Anordnung des Kaisers alle Manuscripte anvertraut, und Otho gab das „Opus Palatinum de triangulis“ 1596 zu Neustadt a. H. heraus. Mit dem sonstigen Nachlaß scheint dagegen nicht sehr glimpflich umgegangen worden zu sein. Denn nach des Polen Casicius Zeugniß sollen sich darunter ein Buch „De nova philosophica natura rerum, ex sola naturae contemplatione“ und sieben Bücher von der Chemie befunden haben, was alles spurlos verschwunden ist. Doch beweisen, diese Titel noch mehr, daß R. ein Mann von ausgebreitetster Gelehrsamkeit war, von dem es umsomehr auffallen muß, daß er bis an sein Ende ein überzeugter Anhänger der Astrologie geblieben ist.

    • Literature

      Prowe, Nicolaus Coppernicus, 1. Bd., Berlin 1883, 1. Th. S. 284. 2. Th. S. 301, 389 ff., 406, 426 ff., 513 ff. — R. Wolf, Geschichte der Astronomie, München 1877. S. 209 ff., 236 ff., 242 ff., 296, 343 ff. —
      Kästner, Geschichte der Mathematik, 1. Bd., Göttingen 1796, S. 561 ff., 590 ff.; 2. Bd., Göttingen 1797, S. 368. —
      Beyträge zur Geschichte der Cultur, der Wissenschaften. Künste und Gewerbe in Sachsen, Dresden 1813. — Die Chorographie des Joachim Rheticus, aus dem Autographon des Verf. mit einer Einleitung herausgegeben von Hipler, Zeitschr. f. Math. u. Phys., 21. Bd., hist.-litter. Abtheilung, S. 125 ff.

  • Author

    Günther.
  • Citation

    CC-BY-NC-SA