Lebensdaten
1875 – 1961
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Bramsche (Niedersachsen)
Beruf/Funktion
Pädagoge ; Jugend- und Sportführer
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118927655 | OGND | VIAF: 295290207
Namensvarianten
  • Neuendorff, Gustav Rudolf Edmund
  • Neuendorff, Edmund
  • Neuendorff, Gustav Rudolf Edmund
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Zitierweise

Neuendorff, Edmund, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118927655.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Gustav (1848–1916) aus Bromberg (Weichsel), Kaufm.;
    M Marie Mylo (1846–1924) aus B.;
    Ohrdruf 1899 Kläre Werner (1875–1965);
    1 S, 2 T.

  • Biographie

    N. besuchte das Sophien-Realgymnasium in Berlin und studierte seit 1894 in Berlin und Greifswald Philosophie und Philologie. Die Promotion 1897 im Fach Philosophie (Das Verhältnis der Kantischen Ethik zum Eudämonismus) und Examina für den höheren Schuldienst in den Fächern Turnen, Philosophie, Französisch, Englisch, Deutsch und Latein zeugen von einer weitgespannten Ausbildung. Seit 1897 Turnlehrer an Schulen in Berlin und Ohrdruf (Thüringen), seit 1901 Schulleiter in Haspe (Westfalen) und Mülheim/Ruhr, wurde N. 1925 Direktor der Preuß. Hochschule für Leibesübungen in Berlin-Spandau bis zu deren Schließung 1932. Die folgenden Stationen wurden von politischen Umbrüchen bestimmt: 1932 Mitleiter des Instituts für Leibesübungen der Univ. Berlin, 1934 in den Ruhestand versetzt, 1936 Lehrbeauftragter für Sportpädagogik an der Univ. Bonn, 1938 Führungsämter im Sportbereich der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, 1941 Direktor der Hochschule für Leibesübungen im besetzten Prag, 1945 Internierung. Ein Theologiestudium während seiner Bonner Lehrtätigkeit qualifizierte N. 1945 zur Ordination als Pfarrer; in diesem Amt wirkte er zunächst in Groß-Buckow (Niederlausitz), 1948-59 in einer Flüchtlingsgemeinde bei Bramsche.

    Bei N. war die pädagogische Arbeit stets mit der schon in der Schul- und Studienzeit begonnenen schriftstellerischen und organisatorischen Tätigkeit für die Turnerbewegung verknüpft. Letztere ging unter seinem Einfluß eine enge Verbindung mit der bürgerlichen Jugendbewegung ein. Turnerjugend und Wandervogel, zwei Stränge bürgerlichkonservativer Reformbewegungen, wurden nachhaltig von ihm geprägt. Zahlreiche ehrenamtliche Funktionen führten N. meist für viele Jahre in Vorstandsämter des Zentralausschusses zur Förderung der Volks- und Jugendspiele (1908), des Deutschen Jugendherbergswerkes und seiner Vorläufer (1911), des Bundes für Schulreform (1913), des Jungdeutschen Bundes (1919). Als Bundesleiter des Wandervogels e. V. (1913–20), als Jugendwart der Deutschen Turnerschaft (1921–33) und schließlich im Vorstand der Deutschen Turnerschaft (1926–33) stand N. im Zentrum der ideologischen Auseinandersetzungen um die Jugend der Weimarer Republik. Anhänger eines rigiden Rassismus und Antisemitismus, im 1. Weltkrieg hochdekorierter Leutnant, dann Freikorpskämpfer, seit 1918 Mitglied und zeitweise Mandatsträger der DNVP, seit 1932 Mitglied der NSDAP, konnte N. die Deutsche Turnerschaft planmäßig in die „Gleichschaltung“ der „Volksgemeinschaft“ führen. – Seine eigene Entmachtung durch den Reichssportführer Hans v. Tschammer und Osten (1887–1943), später die Internierung und Vertreibung und eine erste Amtsenthebung als Pfarrer dienten der Konstruktion einer Widerstandslegende gegen den Nationalsozialismus.

    Progressive und reaktionäre Theorie und Praxis flossen bei N. zusammen. An reformpädagogischen und jugendbewegten Vorbildern orientierte sich seine Lehrer- und Schulleitertätigkeit mit naturverbundenen Wanderungen, Turnen im Freien (auch für Mädchen und Frauen), mit „ganzheitlicher“ Betätigung von Geist und Körper und dem Ideal der „Schulgemeinde“ als mitverantwortlicher Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden. Als „Spandauer Geist“ wurde dieses Prinzip auch für seine Leitung der Hochschule für Leibesübungen maßgebend und literaturfähig. Seine weltanschauliche Prägung bezog N. aus der romantisch-idealistischen Philosophie mit ihrer Konstruktion des „Volksgeistes“. Diese steigerte sich bei ihm zu einer mythischen Vorstellung vom überlegenen deutschen Volkstum, das durch jugendbündische Kraft und turnerische Gemeinschaft zu schaffen bzw. wiederherzustellen sei. War bei „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn das Turnen mit freiheitlich-patriotischen Inhalten besetzt, so vollzog sein Apologet und Nachfolger eine Entwicklung von der antiintellektuellen Kulturkritik zur nationalen „Wehrbereitschaft“ als Vorgabe und Ziel für die Turnerbewegung.

    In zahlreichen Buchveröffentlichungen und Hunderten von Aufsätzen hat N. seine Pädagogik variiert. In den Schriften zur schulischen und außerschulischen Bildung kam er von der individuellen „Persönlichkeitspädagogik“ (Moderne pädagogische Strömungen u. einige ihrer Wurzeln im geistigen Leben d. Zeit, 1907) zu einer kollektivistischen „deutschen“, nämlich chauvinistischen „Volkserziehung“ (Neues dt. Volkstum – Lebensfragen d. dt. Zukunft, 1916). Zeitgenössische Reformbestrebungen, Jugendbewegung, Turnerbewegung und deutschvölkische Gruppierungen sollten sich zu einem „großen deutschen Volksbund und Tatbund“ vereinigen. Die Deutsche Turnerschaft als Organisation gewann dabei geschichtsmächtige Dimensionen (Ewiges Turnertum als Wegbereiter zum Dritten Reich, 1934).

    Daneben legte N. grundlegende historische Arbeiten (Gesch. d. neueren dt. Leibesübung vom Beginn d. 18. Jh. bis zur Gegenwart, 4 Bde., 1930–37) und zahlreiche Beiträge zur Praxis des Turnens in Schulen und Verbänden und zur Ausbildung von Lehrern und Funktionären vor (Methodik d. Schulturnens in Grundzügen, 1927, ³1930). Die Mythisierung von Turner- und Jugendbewegung als Errettung von jeweiligen „Krankheiten der Zeit“ zieht sich durch von frühen belletristischen Veröffentlichungen (Hinaus in d. Ferne! Zwei Wanderfahrten dt. Jungen durch dt. Lande, 1911, ³1924; Der Weg in die Stille – Eine dt. Gesch., 1919, ²1924) bis zu religiösen Alterswerken (Wir brauchen Gott – Ein Weg zu ihm über d. Natur u. e. lebendiges Leibestum, 1955). In einer unveröffentlichten theol. Studie (Weine nicht, Jesus, mein Freund, 1961) stellte N. sich schließlich als kirchenkritischer Verfechter eines undogmatischen Christentums dar.

  • Werke

    Weitere W u. a. Hdb. f. Leiter, Leiterinnen u. Vorturnerinnen v. Frauenabteilungen, 1908, ⁴1924;
    Turnen, Spiel u. Sport f. dt. Knaben, 1911;
    Turnen, Spiel u. Sport f. dt. Mädchen, 1914;
    Kriegserfahrungen u. Neugestaltung d. höheren Schulwesens, 1917;
    Wider d. Intellektualismus u. v. seiner Überwindung durch d. Schulgemeinde, 1921;
    Die Schulgemeinde – Gedanken üb. ihr Wesen u. Anregungen zu ihrem Aufbau, 1921;
    Jugendturnerspiegel – Ein Lebensbuch f. jugendl. Turner u. Turnerinnen d. Dt. Turnerschaft, 1923;
    Turnen, Sport u. Spiel in d. Schule, 1923;
    Die Turnstunde in d. Knabenschule, 1925, ⁷1930;
    Jugendturn- u. Sportbuch, 1926;
    Dt. Mädchenturnen, 1926, ⁶1932;
    Die dt. Leibesübungen, 1927.

  • Literatur

    J. Dieckert, E. N. u. d. Turnerjugendbewegung, 1968 (W-Verz.);
    H. Ueberhorst, E. N. – Turnführer ins Dritte Reich, 1970;
    ders., Ferdinand Goetz u. E. N., in: Sportgesch., Traditionspflege u. Wertewandel, hg. v. W. Buss u. A. Krüger, 1985, S. 147-60;
    L. Peiffer, Die Dt. Turnerschaft, Ihre pol. Stellung in d. Zeit d. Weimarer Rep. u. d. NS, 1976;
    K. Lennartz, Die Briefe E. N.s an Erich Harte 1923-1932, 1989;
    C. Tiedemann, in: Ill. Gesch. d. Dt. Turnerjugend, hg. v. L. Peiffer, 1992, S. 75-85 (P);
    Rhdb. (P).

  • Autor/in

    Winfried Mogge
  • Zitierweise

    Mogge, Winfried, "Neuendorff, Edmund" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 110-112 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118927655.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA