Lebensdaten
1496 – 1570
Geburtsort
Kahla/ Saale
Sterbeort
Torgau
Beruf/Funktion
Kapellmeister ; Kantor ; Komponist ; musikalischer Berater von Martin Luther ; Schriftsteller ; Dichter
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118764187 | OGND | VIAF: 42002488
Namensvarianten
  • Walther, Johann
  • Waltter, Johannes
  • Walter genannt Blanckenmoller, Johannes
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

Verknüpfungen

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Walter, Johannes, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118764187.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann, Müller d. Blanckenmühle b. K.;
    M N. N.;
    Anna (1500–71), T d. Hans Hesse ( 1517), kfl. sächs. Reiseschmied in T.;
    1 S Johann(es) d. J. (1527–78, Elisabeth Crodel, 1531–95, T d. Marcus Crodel[ius] [Krodel], 1487–1549, Rektor d. Lateinschule in T.), 1548 ‚hospes‘ am Tübinger Stift,|Kantor an d. Hofkapelle in Dresden, Kornschreiber in T. (s. L);
    Verwandter (?) George (Jörg) Blan(c)k(en)müller (Plan[c]k[en]müller), Kontrapunktist (s. E. L. Gerber, Neues hist.-biogr. Lex. d. Tonkünstler, 1812; R. Eitner, Biogr.-bibliogr. Qu.lex. d. Musiker u. Musikgel., II, 1900; MGG Suppl.).

  • Biographie

    Nach dem Besuch der Lateinschulen in Kahla und Rochlitz nahm W. im Sommersemester 1517 ein Studium in Leipzig auf, wo er vermutlich Schüler von Georg Rhau (1488–1548) wurde. Der Eintritt als Bassist und „Componist“ in die ernestin. Hofkantorei Kf. Friedrichs des Weisen (1463–1525) dürfte frühestens um 1523 / 24, möglicherweise aber auch erst nach einer Bewerbung mit dem „Geystliche gesangk Buchleyn“ (1524) erfolgt sein. Mit dem Kapellmeister Conrad Rupsch (um 1475–1530) war er im Okt./ Nov. 1525 in Wittenberg Martin Luthers (1483–1546) Berater bei der Vorbereitung der Deutschen Messe. Infolge der Auflösung der Hofkantorei 1526 verlor W. seine Stellung, obwohl Luther und Philipp Melanchthon (1497–1560) sich für ihn beim neuen Kf. Johann dem Beständigen (1468–1532) verwandten. Bevor W. durch eine Ende 1527 / Anfang 1528 verliehene Vikarie in der Stiftskirche Altenburg eine erste, zugleich lebenslang gewährte kurfürstliche Unterstützung erhielt, baute er in Torgau seit 1526 die erste stadtbürgerliche Kantorei mit dem Schulchor auf. Anfang 1530 trat er auch offiziell in den Schuldienst ein, um die Gottesdienste in der Marienkirche zu gestalten. 1535 / 36 erhielt die Kantorei schließlich Unterstützung durch Kf. Johann Friedrich den Großmütigen (1503–54) und wirkte erstmals im Hofgottesdienst 1542 sowie 1544 bei der Einweihung des ersten ev. Kirchenbaus im Schloß Torgau durch Luther mit. Da die 1548 mit W. als Kapellmeister neugegründete kurfürstlich albertin. Hofkantorei noch bis 1550 / 52 in Torgau blieb, dürfte er erst 1553 / 54 in Dresden bei mindestens drei besonderen Festlichkeiten für die Gottesdienstmusiken verantwortlich gewesen sein. Als Anhänger von Matthias Flacius (1520–75) und Nikolaus von Amsdorf (1483–1565) Gnesiolutheraner und damit Gegner des Interims ließ er sich Aug. 1554 in den Ruhestand versetzen und kehrte nach Torgau zurück, wo er seine kirchenpolitisch kritische Haltung durch Lehr- und Streitschriften wie auch seine Dankbarkeit gegenüber den früheren ernestin. Landesherren demonstrativ durch Widmungen von Kompositionen und Dichtungen zum Ausdruck brachte.

    W.s Name ist untrennbar mit Luther und dessen kirchenmusikalischen Neuerungen verbunden. Schon im frühen 17. Jh. als „Lutheranae Citharae conditor“ (Praetorius 1614) bezeichnet, wird in ihm bis heute das „Urbild des protestantischen Kantors“ (Blankenburg 1991) gesehen, dessen musikgeschichtliche, hymnologische und kirchengeschichtliche Bedeutung das Bild einer „ev. Kirchenmusik“ maßgeblich geprägt hat. Dabei hatte W. von Anfang an in musikpraktischer und theologisch-ästhetischer Hinsicht den Aufbau eines „exemplarischen Repertoires für reformatorische Kirchenmusikpflege“ mit „theologisch-musikästhetischer Grundierung“ im Blick (Stalmann 2007). Bereits mit seinem „Geystliche gesangk Buchleyn“ von 1524 (mehrere Aufll. u. Neubearbb. bis 1551) publizierte der bis dahin unbekannte Komponist das erste „Chorgesangbuch“ mit Bearbeitungen frühreformatorischen Liedguts, um nicht nur den Gemeindegesang, sondern auch die Figuralmusik zu fördern. Damit leistete er mit Rhaus späterem Sammelwerk „Neue deutsche geistliche Gesänge für die gemeinen Schulen“ (1544) einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung der Kirchen- und Schulmusik. Schon 1525 fungierte W. auch als Luthers Berater in der liturgischen Musikpraxis.

    Als Komponist folgte W. in der mehrstimmigen Bearbeitung lat. Propriumsgesänge, dem dt. Tenorlied und einer „humanistischen Ausprägung der Cantus-firmus-freien Bibelwort-Motette“ Traditionen mitteldt. Musikpflege (Stalmann 2007) und zumeist gattungsgeschichtlich und kompositionstechnisch älteren Mustern (Choralpassionen nach Matthäus u. Johannes, Kanonkonstruktionen in zahlr. Werken). Bei seinen Liedmotetten und dem siebenstimmigen, fünfteiligen Kirchweihpsalm „Beati immaculati“ (Ps. 118 [119]) von 1544 sowie dessen Pendant „Levavi oculos“ (Ps. 120 [121]) von 1545 gelangte er aber auch zu eigenständigen Lösungen. Herausragende Musikdrucke nach der Pensionierung sind der in Dresden komponierte achtfache Zyklus „Magnificat octo tonorum“ (1557), das umfangreichste Werk neben dem „Chorgesangbuch“, und sein bekenntnishaftes Spätwerk zum Gedenken an Luther „Das christlich Kinderlied D. Martini Lutheri Erhalt uns Herr etc.“ (1566). Gerade in W.s Spätwerk wird der Wille zu einer engen Wort-Ton-Beziehung deutlich (letzte Komposition Verbum caro factum est, 1568); hier ist W. als exemplarischer Komponist der Reformationszeit zu erkennen. Nach seinem ersten Lobgedicht „Lob und Preis der löblichen Kunst Musica“ (1538) nahm er auch am Ende seines Lebens noch einmal Stellung zur Gleichberechtigung von Musik und Theologie (Lob u. Preis d. himml. Kunst Musica, 1564) und blieb ein kritischer Beobachter theologischer und politischer Haltungen und Entwicklungen (Wach auf, wach auf, du dt. Land, 1561; Übers. v. Luthers „Encomion musices“, 1564). Als Stadt- und Schulkantor in Torgau schuf er das „Ur- und Vorbild des lutherischen Kantoreiwesens“ (Blankenburg 1991), das über seinen Nachfolger Mattheus Le Maistre (um 1505–77) sowie über Michael Praetorius (1571–1621), Heinrich Schütz (1585–1672) und Johann Sebastian Bach (1685–1750) hinaus bis in die Gegenwart hinein wirkte. Mit seinen Texten und Melodien zu Gemeindeliedern wie „Wach auf, wach auf, du dt. Land“ (Ev. Gesangbuch 145), „Herzlich tut mich erfreuen“ (Ev. Gesangbuch 148), „Allein auf Gottes Wort“ (Ev. Gesangbuch 195) und „All Morgen ist ganz frisch und neu“ (Ev. Gesangbuch 440 / Gotteslob 666) ist W. auch noch in Kirchengesangbüchern des 21. Jh. vertreten.

  • Auszeichnungen

    |Johann Walter Plakette (Sächs. Musikrat, seit 2002).

  • Werke

    |Geystliche gesangk Buchleyn, ²1525, Faks. hg. v. W. Blankenburg, 1979;
    – Sämtl. Werke, 6 Bde., hg. v. O. Schröder, M. Schneider u. J. Stalmann, 1943–73, in Bd. 6 auch „Die Gedichte ohne Musik“;
    W-Verz.: J. Stalmann, in: MGG², Sp. 432 f. (ausführl. L-Verz.);
    ders., Komp. u. Liederdichter d. Ev. Gesangbuchs, hg. v. W. Herbst, Hdb. z. Ev. Gesangbuch, Bd. 2, 1999, S. 337–39.

  • Literatur

    |ADB 41;
    Verba d. alten Johan Walthers, in: M. Praetorius, Syntagma musicum I, 1614 / 15, S. 449–53;
    M. Fürstenau, J. W., kfl. sächs. Capellmeister, in: Allg. musikal. Ztg. NF, 1863, S. 245–50, 261–67 u. 282–86;
    W. Gurlitt, J. W. u. d. Musik d. „Reformationszeit“, in: Luther-Jb. 15, 1933, S. 1–112;
    J. Stalmann, J. W.s Cantiones latinae, Diss. Tübingen 1960;
    ders., J. W., in: Gesch. d. Kirchenmusik, Bd. I, hg. v. W. Hochstein u. Ch. Krummacher, 2011, S. 335–37;
    F. Blume, Gesch. d. ev. Kirchenmusik, ²1965;
    U. Asper, Aspekte z. Werden d. dt. Liedsätze in J. W.s „Geistlichem Gesangbüchlein“ (1524–1551), 1985;
    W. Blankenburg, J. W., Leben u. Werk, hg. v. F. Brusniak, 1991;
    A. Brinzing, J. W. u. d. Streit um Luthers Erbe, in: Musik u. Kirche 66, 1996, S. 362–70;
    ders., Ein neues Dok. z. theol. Position d. späten J. W., in: J.-W.-Studien, Tagungsber. Torgau 1996, hg. v. F. Brusniak, 1998, S. 73–112;
    J. Heidrich, Bemm. z. d. Psalmkompositionen J. W.s., Über humanist. Züge im nichtliturg. Schaffen d. ‚prot. Urkantors‘, ebd., S. 113–39;
    F. Krautwurst, „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort!“, Zahlensymbol. Komponieren bei J. W. u. Leonhard Paminger, in: Musik d. MA u. d. Renaissance, FS K.-J. Sachs z. 80. Geb.tag, Veröff. d. Staatl. Inst. f. Musikforsch. Berlin XVIII/ Stud. z. Gesch. d. Musiktheorie 8, hg. v. R. Kleinertz, Ch. Flamm u. W. Frobenius, 2010, S. 435–41;
    J. Stalmann, „Die Music braucht Gott stets also beim heilgen Evangelio“, Bleibende Spuren d. Torgauer Erzkantors in d. ev. Kirchenmusik, in: J. W., Torgau u. d. ev. Kirchenmusik, hg. v. M. Herrmann, 2013, S. 35–46;
    J. Herzog, J. W. u. seine Nachkommen in Torgau, ebd., S. 76–125;
    Ch. M. Richter, J. W. aus Sicht d. neu entdeckten Textdokumente, ebd., S. 127–65;
    W.-Dokumente, bearb. v. ders., ebd., S. 167–316 (ausführl. Quu. L-Verz.);
    K. M. Schabram, J. W. u. d. Magnificat, Gattungsgeschichtl. u. musikanschaul. Aspekte d. Magnificat octo tonorum (1557), in: Maria „inter“ confessiones, Das Magnificat in d. frühen Neuzeit, hg. v. Ch. Wiesenfeldt u. S. Feinen, 2017, S. 147–58;
    F. Brusniak, J. W. (1496–1570), Das „Urbild d. prot. Kantors“ (Walter Blankenburg) u. d. Wandel e. musikhist. Mythos, in: Ref. in Kirche u. Staat, hg. v. U. Niedersen, 2018, S. 63–68;
    LThK³;
    Wer ist wer im Gesangbuch, 2001;
    BBKL 13;
    MGG;
    MGG²;
    zu Johann(es) d. J.: H.-P. Braun, in: Stiftsköpfe, hg. v. J. Baur, V. H. Drecoll u. W. Schöllkopf, 2012, S. 6–15;
    MGG;
    MGG².

  • Autor/in

    Friedhelm Brusniak
  • Zitierweise

    Brusniak, Friedhelm, "Walter, Johannes" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 362-364 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118764187.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Walther: Johann W., der Freund und Mitarbeiter Luther's im musikalischen Fache, geboren 1496 zu Cola in Thüringen, vor dem 24. April 1570 zu Torgau. Er trug auch den Namen Blankenmüller nach einer der Mutter gehörigen Mühle, die Blankmühle genannt wurde. Im J. 1524 treffen wir ihn als Bassist in der Hofcapelle zu Torgau, wo er auch bald darauf noch zum Componisten ernannt und von Luther nach Wittenberg erbeten wurde, um die Einrichtung der kirchlichen Gesänge zu besorgen. Da die Ergebnisse dieser Berathung bereits 1524 in der Herausgabe des Wittenberger Geistlichen Gesangbuches zu Tage traten, so muß die Berufung nach Wittenberg schon ein oder zwei Jahre vor 1524 geschehen sein, denn die Ausgabe umfaßt 43 vier- und fünfstimmige Gesänge (siehe die neue Partiturausgabe im 7. Bande der Publication der Gesellschaft für Musikforschung, Leipzig). Schon 1526 beabsichtigte der Kurfürst Johann Friedrich die Capelle aufzulösen, da er die Gelder zur Rüstung gegen den katholischen Bund gebrauchte. Ein Schreiben Philipp Melanchthon's an den Kurfürsten vom 20. Juni 1526 machte aber den Entschluß wieder rückgängig (abgedruckt in Monatsh. f. Musikg. 10, 85), jedoch schon 1529 setzte er die Gehälter der Capellmitglieder bedeutend herab und endlich 1530 sah er sich gezwungen, die Capelle ganz aufzulösen. Ehe aber die Capellmitglieder sich zerstreuten, faßte die Bürgerschaft Torgaus den Entschluß, eine Anzahl Mitglieder und besonders W. zu fesseln, indem sie sich zu einer Gesellschaft vereinten, der sie den Namen „Cantoreigesellschaft“ beilegten, um die ihnen lieb gewordene Kirchenmusik zu erhalten. Sie stellte W. die Sänger zur Verfügung, besoldete ihn, und um ihn ganz sicher an Torgau zu fesseln, schuf man an der Schule eine neue Lehrerstelle und setzte ihn dort ein. Man trennte an der Schule das Cantorat vom Organistenamte, übergab das erstere W. und als Lehrgegenstände Gesang, Religion und lateinischen Sprachunterricht bis zur leichteren Lectüre. Der Organist erhielt die Elementargegenstände. Die Einrichtung der Cantoreigesellschaft fand sehr bald in andern Städten Nachahmung, da die deutschen Fürsten überall durch die Kriegsvorbereitungen das Geld für die Capelle zurückbehielten, oder die Bürger erkannten, daß sie sich nur in dieser Weise eine Kirchenmusik schaffen konnten, wie diejenigen Städte sie besaßen, in denen sich eine fürstliche Capelle befand. Luther|war über das gänzliche Aufgeben der Capelle in Torgau sehr aufgebracht, denn sie war das Ideal seiner Bestrebungen, den Kirchendienst musikalisch auszuschmücken und zu beleben. Er richtete daher an den Kurfürsten ein sehr energisch abgefaßtes Schreiben, was wenigstens den einen Erfolg hatte, daß derselbe der Cantoreigesellschaft einen jährlichen Zuschuß von 100 Gulden zusagte. Als nun der Herzog Moritz an Stelle des gefangenen Kurfürsten trat, verpflichtete er sich zur Weiterzahlung dieser 100 Gulden jährlich und erst im J. 1548, als er die Hochzeit seines Bruders August ausrichtete, der sich mit einer dänischen Prinzessin vermählen wollte, entschloß er sich, selbst eine Capelle einzurichten, die vorläufig bei der Hochzeitsfeierlichkeit Wirken sollte und ihm dann nach Dresden folgte. Zum behufe der Bildung der Hofcapelle erhielt der Rector Cruciger an der Wittenberger Universität den Auftrag, die Studentenschaft durch Anschlag am schwarzen Brett aufzufordern, der neu zu gründenden Capelle als Sänger beizutreten und sich zur Prüfung bei Johann W. in Torgau zu melden. Am 22. September 1548 unterzeichnete der Kurfürst Moritz die Stiftungsurkunde; am 8. October sang die neugegründete Capelle unter der Direction Walther's bei den Hochzeitsfeierlichkeiten in Torgau und siedelte dann nach Dresden über. W. war somit zum kurfürstlichen Hofcapellmeister emporgestiegen und der erste in der langen Reihe berühmter Hofcapellmeister in Dresden. — W. hat die Zeit in Torgau fleißig benützt im Sinne Luther's weiter zu arbeiten. Schon 1525 druckte Peter Schöffer das Wittenberger geistliche Gesangbuch in 2. Ausgabe. Man glaubte seither vielfach, daß es ein Nachdruck sei, dies ist aber ein Irrthum, denn der neue Druck weist vielfache Verbesserungen auf, die nur von W. selbst herrühren können. Siehe die Anmerkungen in der neuen Partiturausgabe in Publication Bd. 7. Im übrigen ist es ein getreuer Abdruck der 1. Ausgabe von 1524. Zwölf Jahre später gab W. das Gesangbuch in neuer vermehrter Ausgabe heraus. Wir erfahren aus dem Titel des Druckes daß ihn der Kurfürst Johann Friedrich I. schon damals zum Sängermeister, d. h. zum Capellmeister der Capelle ernannt hatte. Der Druck von 1537 erschien in Straßburg bei Peter Schöffer und Matthias Apiarius. Er besteht aus 5 Stb., die sich in der Hofbibliothek in Wien complet, in der Staatsbibl. in München ohne Baß und in der Stadtbibl. Augsburg nur im Alt, Tenor und Vagans befinden. Der Inhalt besteht aus 53 Gesängen, ist also um 10 Nummern vermehrt. — Darauf folgte die 4. Auflage 1544 mit 63 Gesängen, die diesmal in Wittenberg selbst bei Georg Rhau erschien. Die 5 Stb. befinden sich in den Bibliotheken zu Berlin, doch fehlen bei einigen Stimmen zu Anfang mehrere Blätter, die aber durch die anderen Exemplare in Zwickau und Hamburg, denen die Vagans fehlt, ersetzt werden können. Die letzte Ausgabe füllt schon in Walther's Aufenthalt in Dresden, denn sie erschien 1551 bei Rhau in Wittenberg, die deutschen Gesänge bis zu 74 Nummern vermehrt und die lateinischen bis zu 47 Nummern. Die Vorreden bleiben immer dieselben; Exemplare besitzen die Bibliotheken in Berlin und Königsberg i/Pr. complet in 5 Stb., in München fehlen im Tenor Nr. 38 bis 74, in Kassel fehlen im Tenor die letzten zwei Blätter, in Upsala fehlt der Discantus und Leipzig besitzt nur den Bassus ohne Titelblatt. Eine vergleichende alphabetisch geordnete Inhaltsangabe aller fünf Ausgaben findet man Spalte 17 ff. im Vorwort zur neuen Ausgabe von 1524. — Walther's Schreib- und Ausdrucksweise leidet noch an einer gewissen Härte und Steifheit in der Stimmenführung, die es zu einem Wohlklange selten kommen läßt. Wie bei allen bedeutenden Zeitgenossen liegt aber Kraft und Würde in seinem musikalischen Ausdruck, die dem Gegenstande sehr wohl ansteht und wie bekräftigend den protestantischen Glaubenseifer bezeichnen will, der nicht wankt und weicht.|In den beiden letzten Ausgaben finden sich schon Gesänge mit milderem Ausdrucke. So veröffentlicht v. Winterfeld im 1. Bande seines Evangel. Kirchengesanges, S. 4 der Musikbeispiele, Walther's fünfstimmigen Gesang über eine reizende geistliche Volksmelodie „Joseph, lieber Joseph mein“, mit der Melodie im Discant, der schon das Bestreben kund thut, mehr dem harmonischen Wohlklange zu huldigen; doch es glückt ihm nur zum Theil. Daß er dabei die Melodie durch den 2. Discant, der den 1. Discant fortwährend kreuzt und verdeckt, vollständig dem Zuhörer gegenüber vernichtet, theilt er mit seinen Zeitgenossen, denen die benützte Volksmelodie nicht als Hauptsache galt, wie es heute der Fall ist, sondern denen die gewählte Melodie nur zur Grundlage diente, um zu derselben einen neuen Tonsatz zu erfinden. Deshalb gehen sie auch mit dem sogenannten Cantus firmus ganz willkürlich um, kürzen und verlängern die Noten ganz nach Belieben; und das geschah im geistlichen, wie weltlichen Tonsatze; deshalb hält es heute so schwer, die alten deutschen Volksmelodien aus den vierstimmigen Bearbeitungen zu reconstruiren und gehen die Ansichten der Musikhistoriker darüber weit auseinander. Ein Endurtheil über Walther's Leistungen ist bis jetzt kaum möglich, da uns die Tonsätze aus seiner späteren Zeit mit Ausnahme einiger weniger völlig unbekannt sind. Kade veröffentlicht zwar im 5. Bande von Ambros' Musikgeschichte S. 404 ff. zwei Gesänge von 1561 und 1566, doch bieten dieselben keine neuen Gesichtspunkte dar, stehen eher hinter dem obigen, Joseph, lieber Joseph mein, noch zurück. — Ueber Walther's fernere Lebensumstände ist nur noch wenig zu berichten. Im Herbste 1554 ließ er sich pensioniren und zog nach Torgau, wo er schon seit 1537 ein eigenes Haus in der Stümpferstraße besaß. Seit 1526 war er verheirathet mit Anna, Tochter des Hans Hessen, der beim Kurfürsten Reitschmidt gewesen war. Dieser Ehe entstammt ein Sohn, der ebenfalls den Namen Johann trug, Cantor in Hayn (Großenhain) war und 1551 auf Wunsch des Vaters nach Torgau zog und Kornschreiber wurde. Die späteren Nachkommen lassen sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts verfolgen, doch keiner widmete sich der Musik. Der letzte war ein Tuchmacher. — Walther's übrige Compositionen bestehen aus einer „Cantio septem vocum“ (Wittenbergae s. a., Georg Rhaw) gegen 1544 componirt, ferner „Ein schöner geistlicher und christlicher newer Berckreyen von dem jüngsten tage, vnd ewigem Leben“ (Wittenberg 1552 bei Rhau und in neuer Auflage in Marburg 1555 bei Andres Kolben gedruckt, sowie in Ausgaben 1561 in Nürnberg und zwei anderen ohne Jahr gedruckt); „Magnificat octo tonorum 4, 5 et 6 vocibus“ (Jhenae 1557 bei Christ. Rhodij in 5 Stb.); „Ein newes christliches Lied, dadurch Deutschland zur Buße vermanet, vierstimmig gemacht“ (Wittenberg 1561, bei Rhau's Erben, 6 Blätter mit gegenüber gestellten Stimmen); „Das christlich Kinderlied D. Martini Lutheri, Erhalt uns Herr etc. Auffs new in sechs Stimmen gesetzt“ (Wittembergk 1566 bei Schwertel, 21 Gesänge). Kade theilt einen Tonsaß im Ambros Bd. 5 daraus mit. — Auch als Dichter lernen wir Walther in seinem „Lob und preis der löblichen Kunst Musica“ (Wittemberg 1538) kennen. Es besteht aus 322 Versen. Ein zweites Gedicht, am Ende seines Lebens entstanden, ist betitelt: „Lob vnd preis der Himlischen Kunst MVSICA: Mit einer herrlichen, schönen Vorrede ... Lutheri“ (gezeichnet mit Torgaw am letzten Augusti Anno 1564, gedruckt zu Wittenberg durch Lorentz Schwenck). Exemplar in der Stadtbibliothek zu Breslau. Beschreibung in Emil Bohn's Katalog. Die übrigen Drucke sind beschrieben, zum Theil mit Register versehen, in den Monatsh. X, 86 ff. Die in neuen Ausgaben erschienenen Gesänge sind in meinem Verzeichniß neuer Ausgaben alter Musikwerke nebst Nachtrag in Monatsh. IX zu finden und 37 Gesänge in alten Sammelwerken sind in meiner Bibliographie verzeichnet.

    • Literatur

      Allg. musik. Ztg. Lpz. 1863, Nr. 14 u. f. — Taubert, Geschichte der Pflege der Musik in Torgau, Programm 1868 und Der Gymnasial-Singechor in Torgau, Programm 1870. — Kade, Eine feste burgk ist vnser gott. Der neuaufgefundene Luther-Codex vom Jahre 1530. Dresden 1871, nebst den oben bereits verzeichneten Quellen.

  • Autor/in

    Rob. Eitner.
  • Zitierweise

    Eitner, Robert, "Walter, Johannes" in: Allgemeine Deutsche Biographie 41 (1896), S. 110-113 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118764187.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA