Lebensdaten
1912 – 2007
Geburtsort
Kiel
Sterbeort
Söcking/ Starnberger See
Beruf/Funktion
Physiker ; Philosoph ; Pazifist
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118630717 | OGND | VIAF: 71399085
Namensvarianten
  • Weizsäcker, Carl Friedrich Freiherr von
  • Weizsäcker, Carl Friedrich von
  • Vaitsaiker, Karl Phrēntrich phon
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Weizsäcker, Carl Friedrich Freiherr von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630717.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Ernst (s. 1);
    M Marianne v. Graevenitz;
    Ov Viktor (s. 2);
    B Richard (s. 4);
    Feldmeilen/ Zürichsee (Kt. Zürich) 1937 Gundalena (1908–2000), Dr. phil., Hist., T d. Ulrich Wille (1877–1959), Dr. iur., schweizer. Oberst (s. HLS), u. d. Inez Rieter (1879–1941);
    3 S Carl Christian (* 1938, Elisabeth v. Korff, * 1938), o. Prof. f. Volkswirtsch.lehre 1972 in Bielefeld, 1974 in Bonn, 1982 in Bern u. 1986 in Köln, 1977 Mitgl. d. wiss. Beirats im Bundesmin. f. Wirtsch. (s. Drüll, Heidelberger Gelehrtenlex. IV), Ernst Ulrich (* 1939, Christine Radtke, * 1944, Biol., Umwelt-Aktivistin), Physiker, 1972 o. Prof. f. Interdisziplinäre Biol. in Essen, 1975 Präs. d. Gesamthochschule Kassel, 1980 Dir. am UNO-Zentrum f. Wiss. u. Technol., 1984 Dir. d. Inst. f. europ. Umweltpol., 1991–2000 Gründungspräs. u. Geschäftsführer d. Wuppertal Inst. f. Klima, Umwelt, Energie im Wiss.zentrum NRW, 1998–2005 Abg. d. Dt. BT, 2012–18 Co-Präs. d. Club of Rome (s. Munzinger; Biogr. Hdb. MdB), Heinrich (* 1947, Dorothee Graßmann, * 1944), Prof. f. Math. an d. TU Kaiserslautern, 1 T Elisabeth (* 1940, Konrad Raiser, 1938–92, Dr. theol., Gen.sekr. d. Ökumen. Rates d. Kirchen, S d. Ludwig Raiser, 1904–80, o. Prof. f. bürgerl. Recht in Göttingen u. Tübingen, s. NDB 21), Dr. phil., Hist., Linguistin, 2001–07 Vorstandsmitgl. d. Dt. Ev. Kirchentags, 2003 ev. Präs. d. Ökumen. Kirchentags in Berlin, Präs. d. Ökumen. Forums christl. Kirchen in Europa (s. NDB 21*).

  • Biographie

    Diplomatie, also die Kombination erlesener Ausdrucksfähigkeit und eines zurückhaltenden, sein Gegenüber jedoch genau einschätzenden Wesens im Verbund mit Takt und strategischem Denken, wurde W. in die Wiege gelegt. Sein Vater Ernst Weizsäcker, Marineoffizier und Diplomat, wurde noch in Diensten des württ. Königshauses 1916 von Kg. Wilhelm II. v. Württemberg mit der Verleihung des erblichen Adels in den Freiherrnstand erhoben. 1920 trat er in die Dienste des Auswärtigen Amtes, wo Ernst v. Weizsäcker bis zu den hohen Ämtern des Staatssekretärs sowie des dt. Botschafters im besetzten Dänemark aufstieg, nach 1945 jedoch wegen seiner Verstrickungen in das NS-Regime (u. a. als Brigadeführer der Allg. SS) von den Alliierten im „Wilhelmstraßen-Prozeß“ als Kriegsverbrecher angeklagt und zu einigen Jahren Haft verurteilt wurde.

    Seine Kindheit verbrachte W. 1915–22 auf Schloß Solitude nahe Stuttgart. Nach Aufenthalten in Basel und Kopenhagen legte er 1929 sein Abitur in Berlin ab. Unter dem Einfluß des Kern- und Quantenphysikers Werner Heisenberg (1901–76) wählte er Physik als Studienfach, auch wenn seine Berufung und sein geistiger Horizont von Anfang an weit über dieses Fach hinausging. W. studierte 1929–33 Physik und Mathematik an den Universitäten Berlin, Göttingen und Leipzig, dort insbesondere bei Heisenberg und dessen Assistenten Friedrich Hund (1896–1997), der W.s Doktorvater wurde (Dr. phil. 1933). Sein eigentlicher Mentor war jedoch der dän. Atomphysiker Niels Bohr (1885–1962) in Kopenhagen, zu dessen engstem Schüler und Interpret W. avancierte. 1936 habilitierte sich W. in der neu entstandenen Disziplin Kernphysik und trat als wissenschaftlicher Mitarbeiter in das KWI für Physik in Berlin ein. Dort beschäftigte er sich mit der Bindungsenergie von Atomkernen (Bethe-W.-Formel 1935) und mit Kernprozessen, die im Inneren von Sternen Energie liefern (sog. Bethe-W.-Zyklus 1937 / 38). 1936 zeigte er, daß Kernisomere als verschiedene metastabile Zustände des Atomkerns zu interpretieren sind. 1937 erschien sein erstes Fachbuch „Die Atomkerne“.

    1940–42 arbeitete W. am dt. Uranprojekt mit, in dem nach Möglichkeiten gesucht wurde, die 1939 entdeckte Uranspaltung für Uranmaschinen oder Bomben nutzbar zu machen. Von W. stammte der Hinweis, daß neben angereichertem Uran 235 auch Plutonium 239 (von ihm Eka-Rhenium genannt) für derartige Zwecke nutzbar gemacht werden kann; die technische Umsetzung dieser Einsicht erfolgte durch US-amerik. Forscher und dt. Exilanten in Los Alamos bzw. beim Abwurf der zweiten (Pt-basierten) Atombombe auf Nagasaki. Diese US-amerik. Entwicklungen waren u. a. deswegen so intensiv vorangetrieben worden, weil man in den USA wußte, daß auf dt. Seite Nobelpreisträger Heisenberg und begabte Nachwuchsphysiker wie W. mit ähnlichen Entwicklungen befaßt waren, die allerdings seit 1942 de facto viel stärker als in den USA auf die sog. Uranmaschine, also eine Art Reaktor, zielten. Wie W. 1991 in einem Interview bekannte, glaubte er – völlig zu Unrecht, wie sich herausstellte –, mit der Arbeit an diesem Projekt der Physik und sich selbst eine besondere Stellung im Entscheidungsgefüge des NS-Staats sichern und auf diese Weise Schlimmeres verhindern zu können.

    1942–44 hatte W. den Lehrstuhl für Theoretische Physik an der Univ. Straßburg inne. Seit 1943 verlagerte sich sein Interesse auf eine Theorie der Planetenentstehung, auf Kosmogonie sowie (seit 1945 mit Heisenberg) auf Theorien der Turbulenz, die sich allerdings als zu schwierig für ihn erwiesen. Nach Kriegsende wurde W. mit Heisenberg und acht weiteren Kernphysikern durch die alliierte Alsos-Mission in Farm Hall (Südengland) interniert – ihre internen Gespräche wurden heimlich aufgezeichnet und geheimdienstlich ausgewertet, um mehr über den Stand des dt. Uranprojekts zu erfahren, und später auszugsweise publiziert.

    Nach der Rückkehr nach Deutschland 1946 wurde W. Abteilungsleiter in dem in Göttingen neugegründeten MPI für Physik. Seine Interessensschwerpunkte verlagerten sich weiter in Richtung allgemeiner Grundlagenfragen der Physik, wie die sog. Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik und die Einheit der Physik, der er mehrere Bücher widmete. Seine Vorlesungen im Studium Generale der Univ. Göttingen, die 1948 mit „Die Geschichte der Natur“ (Neuaufl. 2006) als Buch erschienen, wurden zu einem all-| seits hochgeschätzten Bildungsangebot für Studierende aller Fakultäten. 1957–69 hatte W. eine Professur für Philosophie an der Univ. Hamburg inne. In dieser Phase beschäftigte er sich ausführlich mit den philosophischen Systemen des Descartes’schen Rationalismus und des Kantischen Idealismus, der auch ein wichtiger Hintergrund seines eigenen naturphilosophischen Werks ist.

    Als 1956 die Aufrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen diskutiert wurde, wurde W. zum Sprecher der „Göttinger Achtzehn“, die ein aufsehenerregendes Manifest dagegen lancierten. Diese offene Opposition zum damaligen Atom- und dann Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (1918–88) sowie Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) mag auch erklären, daß W. 1979 von Willy Brandt (1913–92) zum Kandidaten der SPD für die Wahl des Bundespräsidenten vorgeschlagen wurde, was er ablehnte.

    1964–70 leitete W. die in Hamburg ansässige Forschungsstelle der Vereinigung Dt. Wissenschaftler, die von Mitgliedern der „Göttinger Achtzehn“ gegründet worden war. Ferner war er 1969–74 Vorsitzender des Verwaltungsrats des Dt. Entwicklungsdienstes und konzipierte in dieser Position seine Vorstellungen von einer neuen „Weltinnenpolitik“. 1970 wurde für W. sowie den Philosophen Jürgen Habermas (* 1929) das Starnberger MPI zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt gegründet, in dem W. mit seinen Mitarbeitern u. a. über Themen wie die Vermeidbarkeit von Atomkriegen, Ost-Westsowie Nord-Süd-Konflikte und zunehmende Knappheit von Energie-Ressourcen arbeitete. Nach W.s Pensionierung 1980 wurde dieses Institut geschlossen, da ein geeigneter Nachfolger fehlte.

    Als begehrter Vortragender, als erfolgreicher Publizist Dutzender von Sachbüchern mit hohen Auflagenzahlen, als ein das Gespräch und den Ausgleich zwischen den Lagern suchender Friedensforscher, Philosoph und Religionstheoretiker sowie als vielseitiger Intellektueller blieb W. bis zu seinem Lebensende aktiv.

  • Auszeichnungen

    |u. a. Mitgl. d. Ak. d. Wiss. z. Göttingen (1950) u. d. Leopoldina (1959, Ehrenmitgl. 1992);
    Max-Planck-Medaille (1957);
    Orden Pour le Mérite f. Wiss. u. Künste (1961);
    Friedenspreis d. Dt. Buchhandels (1963);
    korr. Mitgl. d. Sächs. Ak. d. Wiss. (1966) u. d. Bayer. Ak. d. Wiss. (1969);
    Österr. Ehrenzeichen f. Wiss. u. Kunst (1971);
    Gr. BVK mit Stern u. Schulterband (1973);
    Nominierung f. d. Physiknobelpreis (1953, 1958, 1964, 1965);
    Theodor-Heuss-Preis (1989);
    Asteroid 13531 „Weizsäkker“ (1991);
    Dr. h. c. mult. (Aachen, Aberdeen, Alberta, Basel, Berlin, Leipzig, Tübingen);
    – C.-F.-v.-W.-Stiftung Wissen u. Verantwortung d. C. F. v. W.-Ges. e. V. (seit 2002);
    C.-F.-v.-W.-Preis d. Stifterverbands f. d. dt. Wiss. u. d. Leopoldina (seit 2009).

  • Werke

    W Zum Weltbild d. Physik, 1937, ⁸1958;
    Der begriffl. Aufbau d. theoret. Physik, Vorl. v. Sommersemester 1948, Typoskript 1948, 2004;
    Mit d. Bombe leben, Sonderdruck aus: Die Zeit, 1958;
    Die Einheit d. Natur, Stud., 1971;
    Der Garten d. Menschl., Beitrr. z. geschichtl. Anthropol., 1977;
    Der bedrohte Friede, Pol. Aufss. 1945–1981, 1981;
    Lieber Freund! Lieber Gegner! Briefe aus fünf J.zehnten, 2002;
    C. F. v. W. im Kontext, Ges. Werke auf CD-ROM, hg. v.M. Drieschner, 2011;
    Teilnachlässe u. a. C.-F.-v.-W.-Stiftung Wissen u. Verantwortung d. C. F. v. W.-Ges. e. V. u. Archiv d. MPG, Berlin-Dahlem.

  • Literatur

    |K. M. Meyer-Abich (Hg.), Physik, Philos. u. Pol., Für C. F. v. W. z. 70. Geb.tag, 1982;
    M. Wein, Die Weizsäckers, Gesch. e. dt. Fam., 1988;
    P. Ackermann, W. Eisenberg u. H. Herwig (Hg.), Erfahrung d. Denkens, Wahrnehmung d. Ganzen, C. F. v. W. als Physiker u. Philos., 1989;
    T. Görnitz, C. F. v. W., Ein Denker an d. Schwelle z. neuen J.tausend, 1992;
    D. Hoffmann, Operation Epsilon, Die Farm-Hall-Protokolle oder d. Angst d. Alliierten v. d. dt. Atombombe, 1993;
    M. Schaaf, C. F. v. W., Physiker u. Philos. im Schatten d. Atombombe, Censis-Report 21–96, Juni 1996;
    U. Bartosch u. J. Wagner (Hg.), Weltinnenpol., Internat. Tagung anlässl. d. 85. Geb.tags v. C.-F. v. W. in d. Ev. Ak., 1997;
    W. Krohn u. K. M. Meyer-Abich (Hg.), Einheit d. Natur, Entwurf d. Gesch., Begegnungen mit C. F. v. W., 1997;
    D. Hattrup, C. F. v. W., Physiker u. Philos., 2004;
    R. Lorenz, Der Protest d. Physiker, Die Göttinger Erklärung v. 1957, 2004;
    M. Drieschner, C. F. v. W., Eine Einf., 2005;
    K. Hentschel u. D. Hoffmann (Hg.), C. F. v. W., Physik, Philos. u. Friedensforsch., 2014 (P);
    Philos.lex., hg. v. E. Lange u. D. Alexander, 1984;
    Kosch, Lit-Lex.³ (W, L);
    Metzler Philosophenlex. (P);
    Enz. Philos. Wiss.theorie;
    Munzinger;
    zur Fam.: GHdA 62, Frhrl. Häuser B VI, 1976, S. 446 f.

  • Porträts

    |Photogrr. (BA u. Archiv d. MPG, Berlin-Dahlem).

  • Autor/in

    Klaus Hentschel
  • Zitierweise

    Hentschel, Klaus, "Weizsäcker, Carl Friedrich Freiherr von" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 715-717 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118630717.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA