Lebensdaten
1560 – 1620
Geburtsort
Deventer
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Schriftsteller ; Bibliothekar ; Übersetzer
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118501518 | OGND | VIAF: 46797414
Namensvarianten
  • Albertinus, Aegidius
  • Albertinis, Aegidius
  • Albertinus, Ägidius
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Zitierweise

Albertinus, Aegidius, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118501518.html [07.10.2024].

CC0

  • Genealogie

    Schw des Abtes von Oberaltaich.

  • Biographie

    Bei den Jesuiten erzogen, erscheint A. 1592 als Hofkanzlist und später als Hofbibliothekar Herzog Maximilians in München und wird 1619 als „Hof- und Geistlicher Rats-Secretarius“ pensioniert. Seine über fünfzig, meist zwischen 1594 und 1618 erschienenen und bis ins nächste Jahrhundert wieder aufgelegten Schriften sind noch kaum durchforscht. Sie sind überwiegend Übersetzungen, Bearbeitungen oder Kompilationen aus lateinischem, italienischem, französischem und - am meisten - spanischem Schrifttum (darunter allein neun Werke von Antonio de Guevara). Damit vermittelt er dem katholischen Deutschland den Anschluß an die geistigen Bewegungen des Frühbarock: das stoisch-höfische Ethos des Absolutismus und das christlich-asketische Ethos der Gegenreformation. Mit dem modernen Interesse kreuzt sich ungebrochene mittelalterliche Überlieferung. In seinen selbständigeren Werken wie „Lucifers Königreich und Seelengejäidt“, 1617 (neu herausgegeben von R. von Liliencron in Kürschners Nationallit., Band 26, Stuttgart o. J.) füllt er Anekdoten und Kuriositäten aus Natur-, Welt- oder Heilsgeschichte in das allegorische Fachwerk oder die enzyklopädischen Ordnungen mittelalterlicher Summen und Specula. Dem Bedürfnis des zeitgenössischen Lebens widmet er seine Schriften über das Hauswesen und das Hofwesen, den Ehestand, den Kriegerstand und den Klosterstand, überall lehrend und mahnend. Auch sein erzählendes Werk, nicht nur die Heiligengeschichten und der allegorische Ritterroman „Des irrenden Ritters Raiss“ (1594, nach Jean de Carthény), sondern auch sein Beitrag zur Geschichte des deutschen Romans, die erste Übersetzung eines spanischen Pikaroromans „Der Landstörtzer Gusman von Alfarache“ (nach Mateo Aleman und Sayavedra), 1615 erschienen und noch mindestens achtmal aufgelegt, will - viel entschiedener noch als das Original - am Auf und Ab eines Abenteurerlebens ein Exempel liefern für die Unbeständigkeit des Glücks. Mit seiner eifernden Predigt von der Falschheit der Welt und der Schwachheit des Fleisches, der Hinterlist des Bösen und der Unausweichlichkeit des Todes ist A. nicht nur der fruchtbarste Vertreter, sondern auch die eindringlichste Stimme des finsteren Geistes des deutschen Frühbarock.

  • Werke

    Weitere W Verz. v. R. v. Liliencron (s. Text) u. v. V. Moser, in: Ztschr. f. dt. Philol. 48, 1920, S. 443-49. S. a. Gesamtkatalog d. Preuß. Bibliotheken 2, 1932, Sp. 745-49.

  • Literatur

    ADB I;
    K. v. Reinhardstöttner, Jb. f. Münchner Gesch. 2, 1888, S. 13;
    Newald, 1951, S. 121 bis 131.

  • Porträts

    Stich v. Lucas Kilian, 1630.

  • Autor/in

    Richard Alewyn
  • Zitierweise

    Alewyn, Richard, "Albertinus, Aegidius" in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 143 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118501518.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Albertinus: Aegidius A., Schriftsteller; gebürtig aus Deventer, 9. März 1620. Er erscheint nach Münchener Hofkammerrechnungen zuerst daselbst 1593 als Hofcanzelist; 1597 als Hofrathssecretarius und 1604 daneben als herzoglicher Bibliothekar; seit 1618 nennt er sich hof- und geistlichen Rathssecretarius. Bei Kurfürst Maximilian stand er in gutem Ansehen, wie man aus häufigen ihm gewährten Zuschüssen und Gehaltsaufbesserungen schließen kann. 1605 wurden ihm vom Herzog Reisegelder nach Rom verwilligt, wohin er nebst einem P. Franciscaner in des Klosters Anger Handlung verordnet sei. A. ist ein Zögling der Jesuitenschule; das zeigt seine ganze Denkungsart nicht minder als der encyklopädische Charakter seiner zwar trockenen und geistlosen, aber für seine Zeit umfassenden populären Bildung. Seine überaus zahlreichen Schriften sind von 1594—1618 zu München erschienen. Nur die „himmlischen Kammerherren“, d. h. eine Sammlung von Heiligenleben, scheinen zuerst 1644 nach seinem Tode gedruckt zu sein, falls sie nicht etwa das Werk eines gleichnamigen Sohnes sein sollten. Manche seiner Werke sind sowol noch während seines Lebens als später bis gegen Ende des Jahrhunderts in zahlreichen neuen Auflagen erschienen, deren offenbar großen Leserkreis wir uns jedoch auf das katholische Deutschland beschränkt denken müssen. Von eigener Production ist freilich in seinen Werken wenig die Rede; denn was nicht Uebersetzung ist, das kommt doch über Sammelarbeit nicht hinaus. Aber die Uebersetzung ist noch von so naiver Art, daß sie oft an freie Nachbildung streift. Seiner Hauptneigung zum Moralisiren läßt er in Zusätzen rücksichtslos freien Lauf, gestaltet auch sonst seinen Autor oft höchst willkürlich um. Seine Prosa ist nicht roher, als die volksthümliche Sprache seiner Zeit überhaupt. In derber und farbenreicher Bildlichkeit des Ausdrucks, mitunter selbst in jener Art humoristischer Reimprosa nähert er sich der Sprache Fischart's. An Inhalt umfassen seine Arbeiten so ziemlich die ganze Summe der populären, d. h. der nicht fachmäßig gelehrten Bildung seiner Zeit, darum verdienen sie Beachtung. Bestimmt, der allgemeinen Belehrung oder der|Erziehung einzelner Stände zu dienen, geben sie ein lebendiges und reich ausgeführtes Bild der damaligen katholischen Laienwelt. Unter des A. Uebersetzungswerken dieser Art nehmen die Schriften des spanischen Bischofs Anton von Guevara, Hofpredigers Karls V., 1544, die erste Stelle ein. Sie erschienen von 1598—1603 in Einzelausgaben, z. Th. öfter wiederholt und 1644 in einer Gesammtausgabe von 3 Bänden erneut. Am lehrreichsten zur Kennzeichnung damaliger Zustände sind darunter die beiden „Tractätl Contemtus vitae aulicae et laus ruris; das ander aber De conviviis et compotationibus“ (1599 München 1601. Amberg 1601. 1604. 1610. 1619. München 1636. Lübeck 1636. Köln 1643. Leipzig 1725), deren erster die Mühen und sittlichen Gefahren des geselligen und geschäftlichen Lebens am fürstlichen Hofe und der zweite das allgemein eingerissene Laster des Saufens und der Völlerei mit starken Farben schildert. Vom Hofleben handelt noch ausführlicher die „Hofschul“ 1600, nach Guevara's „Institutiones vitae aulicae“. Uebrigens übersetzte A., von kleineren Schriften abgesehen, Werke moralisirenden, betrachtenden oder erbaulichen Inhaltes von Ant. de Avila, Pet. Bessaeus, Joh. Boterus, Joh. de la Cerda, Anton Gallonius, Ant. Hulstius, Ludov. de Malvenda, Petr. de Medina, Alphons de Orosco, Franc. de Osuna, Salvator Pons, Florim. Remundus, Augustin Vivus und Laur. de Zamora. Die übersetzten Schriften gehören trotz ihrer gelehrten Verfasser sämmtlich der populären, nicht der gelehrten Litteratur des 16. Jahrhunderts an. (Vgl. das ziemlich vollständige Verzeichniß bei Adelung.) A. selbst hat an ähnlichen Werken „colligirt“, d. h. sammelnd und übersetzend verfaßt: „Der Kriegsleut Weckuhr“ 1601, eine beachtenswerthe Anweisung für Kriegsherren, Obersten und Soldaten. — „Hauspolicey“ 1602, ein Werk in 7 Theilen vom häuslichen Leben, dem Ehestand, der Kinderzucht etc. (über welche Dinge auch das „Horologium principum oder Fürstliche Weckuhr“ von Guevara lesenswerthe Erörterungen enthält). — „Der Welt Tummel- und Schauplatz“ 1612, eine physische Weltbeschreibung, die in 8 Büchern von Gott, Engeln, Teufeln, Himmel und Hölle, von den Gestirnen, den Thieren, Pflanzen, Metallen (daneben auch von Butter, Käse und Brod) und schließlich vom Menschen handelt; alle diese Dinge werden nach ihren natürlichen und „moralischen" Eigenschaften, d. h. in symbolisch-parabolisch-emblematischen Ausdeutungen besprochen. — „Der Teutschen Recreation oder Lusthaus" 1612—13, chronolog. geordnete Biographien, die gesammte weltliche, biblische und Kirchengeschichte in 4 Büchern umfassend; eine durchaus werthlose Arbeit. Der letzte Theil richtet sich polemisch gegen die Reformation. Daß Luther dem ehebrecherischen Umgang seiner Mutter mit dem Teufel entsprossen sei, erscheint dem Verfasser als eine wol glaubliche Volksmeinung. — „Der Welt Turnierplatz" 1614, eine moralisirende Allegorie. — „Lucifers Königreich und Seelengejaid" 1616, handelt in 8 Büchern von den 7 Todsünden und ihren Strafen; eine für die Culturgeschichte durch lebendige Schilderungen höchst lehrreiche Schrift, welcher der Verfasser in „Christi Seelengejaid" 1618 eine Darstellung der Tugenden gegenüberstellt. — Der „Hirnschleifer“ 1618, ein zu seiner Zeit sehr beliebtes Büchlein, gibt, an emblematischallegorische Bildchen anknüpfend, eine Reihe moralisirender Betrachtungen über die verschiedensten Gegenstände. — „Newes unerhörtes Kloster- und Hofleben“ 1618 (nach des 1558 verstorbenen Jesuiten Adrian de Witte „Spirituale monasteriolum") will in allegorischer Einkleidung (das Kloster ist die Kirche, Vorsteher desselben Frau Discretio etc.) zeigen, wie ein jeder Mensch in seinem Stande ein gottgefälliges Leben führen könne. Dazu kommen dann noch zwei übersetzte und überarbeitete Romane: „Des irrenden Ritters Raiß“ 1594, nach des französischen Carmeliterpriors Jean de Cartheny „Chevalier errant“, der seinerseits wieder auf einem älteren Werke des 15. Jahrhunderts beruht, eine breite, langweilige Allegorie. Endlich der oft gedruckte „Landstörtzer Gusman von Alfarache“ 1615, nach des Spaniers Matthäus Aleman berühmtem Roman: „La vida del picaro Guzman de Alfarache“, dessen erster Theil 1599 erschien, der echte zweite 1605. A., dem es auch hier in erster Linie auf das moralisirende Element ankam, geht mit seinem Original sehr willkürlich um, verschmilzt auch mit diesem in dem ganz umgestalteten zweiten Theil die „Picara Justina“ des Francisco de Ubeda, eine rohe Nachahmung von Aleman's Roman. Wie in Spanien und anderwärts, so auch in Deutschland ist dies Buch der Vater der Schelmenromane geworden.

    • Korrektur

      Korrektur: Jetzt zu vergl.: Lucifer's Königreich und Seelengejaid von Aegid. Albertinus, herausgegeben (als Bd. XXVI der Kürschner’schen National-Litteratur) von R. v. Liliencron. Einleit. S. I—XXI; K. v. Reinhardstöttner: Aeg. Albertinus, der Vater des deutschen Schelmenromans, in Jahrbuch s. Münchener Gesch., 2. Jahrg. 1888, S. 13—86. v. L.

  • Autor/in

    v. Liliencron.,
  • Zitierweise

    Liliencron, Rochus Freiherr von, "Albertinus, Aegidius" in: Allgemeine Deutsche Biographie 1 (1875), S. 217-219 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118501518.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA