Lebensdaten
1931 – 2014
Geburtsort
Freudenberg bei Siegen
Sterbeort
Bielefeld
Beruf/Funktion
Historiker
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118973959 | OGND | VIAF: 108252200
Namensvarianten
  • Wehler, Hans-Ulrich
  • Han si-Wu er li xi Wei le
  • Hansi-Wuerlixi-Weile
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Zitierweise

Wehler, Hans-Ulrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118973959.html [20.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Theodor (* 1907, im 2. Weltkrieg vermißt), Kaufm. in F., seit 1933 in Gummersbach;
    M Elisabeth Siebel (1904–90);
    3 jüngere Schw Irmela (* 1933), Adelheid (1938–2001), Ursula (* 1940);
    1958 Renate Pflitsch (* 1935), Dipl.-Übers., aus Gummersbach;
    3 S Markus (* 1961), Dr. med., Internist, Chefarzt d. IV. Med. Klinik u. d. Notaufnahme d. Klinikums Augsburg, PD, Fabian (* 1963), Dr. iur., RA in B., Dominik (* 1967), Dr. med., Neurol., Facharzt f. Psychiatrie u. Psychotherapie in B.

  • Biographie

    W. wuchs seit 1933 in Gummersbach auf, wo er Jürgen Habermas (* 1929) kennenlernte, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft|verband. Nach dem Abitur am dortigen Städtischen Jungengymnasium 1952 erhielt er eines der ersten Fulbright-Stipendien und verbrachte ein Studienjahr an der Ohio Univ. in Athens (USA), wo er sich hauptsächlich mit amerik. Geschichte beschäftigte. Die Erfahrungen in den USA und die dort erlebte Demokratie, die W. in der Schrift „Deutscher Student in USA“ (1952 / 53, unveröff. Ms., Univ. Bielefeld) kritisch reflektierte, prägten seinen Wertehorizont bleibend. 1953 studierte W. an der Univ. Bonn, seit 1954 in Köln Geschichte, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft. 1960 wurde er bei Theodor Schieder (1908–84) mit der Arbeit „Sozialdemokratie und Nationalstaat, Nationalitätenfragen in Deutschland 1840–1914“ (1962, ²1971) zum Dr. phil. promoviert und war anschließend als Schieders Assistent in Köln tätig. Nachdem W. sein Werk „Der Aufstieg des amerikanischen Imperialismus 1865–1900“ (1974, ²1987) 1964 als Habilitationsschrift zurückgezogen hatte, wurde er 1968 in Köln mit der fakultätsintern kontrovers diskutierten Untersuchung „Bismarck und der Imperialismus“ (1969, ⁵1984) habilitiert. Anschließend Privatdozent in Köln, folgte W. 1970 einem Ruf als o. Professor für Amerik. Geschichte an das Kennedy-Institut der FU Berlin. 1971 wechselte er als Ordinarius für Allgemeine Geschichte des 19. und 20. Jh. an die neugegründete Univ. Bielefeld (em. 1996). Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren führten ihn an die Univ. Harvard (1972, 1989), nach Princeton (1976), Stanford (1983 / 84, 2004), Bern (1987 / 88) und Yale (1997).

    In den 1960er Jahren, einer Umbruchsphase in der westdt. Geschichtswissenschaft, die W. als Teil einer allgemeinen Veränderung des bundesrepublikanischen „Zeitgeists“ verstand, avancierte er zu einem der wichtigsten Vertreter der „Historischen Sozialwissenschaft“, die einen wissenschaftlichen „Paradigmenwechsel“ weg von der „historistischen“ Geschichtswissenschaft herbeiführen wollte (Gesch. als Hist. Soz.wiss., 1973, ³1980). Dazu gehörte auch die von W. seit 1971 herausgegebene biographische Reihe „Deutsche Historiker“ (9 Bde., 1971–82), die durch den Einbezug von Aufklärungshistorikern und „Außenseitern“ wie Eckart Kehr (1902–33) neue Traditionsstränge in der Historiographiegeschichte gegenüber den nationalkonservativen, historistischen Traditionen begründete. W. verstand unter „Historischer Sozialwissenschaft“ die programmatische Hinwendung zu einer theoretisch orientierten und seiner Auffassung nach zeitgemäßen Form von Geschichtswissenschaft, der er mit Bezug auf die Aufklärung eine wichtige Funktion für die „geistige Ökonomie der gegenwärtigen Gesellschaft“ zumaß (Moderne dt. Soz.geschichte, hg. v. H.-U. W., 1966, S. 14 f.).

    „Historische Sozialwissenschaft“ solle die Vergangenheit strukturell erfassen und durch den Rekurs auf ökonomische und soziologische Ansätze das Zusammenwirken von Wirtschaft und Gesellschaft, von Staat und Kultur und deren Veränderungen in der Geschichte erklären. Der Leitgedanke für die Neubestimmung des Fachs als aufklärerische und kritische Disziplin bedeuteten für W. eine doppelte Strategie der Distanzierung: zum einen gegenüber der partiell auf der „Volksgeschichte“ der NS-Zeit gründenden Sozialgeschichte struktureller Prägung der 1950er Jahre und zum anderen als Absage an den vermeintlichen Traditionalismus eines „maßvoll geläuterten Historismus“ der Politikgeschichte (Hist. Denken am Ende d. 20. Jh. 1945–2000, 2001, ²2002, S. 44). Diese Positionsbestimmungen mündeten in eine radikale Kritik am „Primat der Außenpolitik“ und einer Einführung des „Primats der Innenpolitik“ in die Geschichtswissenschaft. Die von W. und Jürgen Kocka (* 1941) begründete „Bielefelder Schule“ der Sozialgeschichte war mit einem zeitlichen und sachlichen Programm verbunden, mit dem sie den nationalsozialistischen Zivilisationsbruch historisch zu erklären und den Weg der Deutschen in die Moderne zu erläutern beabsichtigte. Dabei spielten für die aufstrebende dt. Sozialgeschichte und insbesondere für W. modernisierungstheoretische Vorstellungen wegen des ihnen zugeschriebenen Potentials für die Analyse gesamtgesellschaftlichen Wandels (Modernisierungstheorie u. Gesch., 1975) eine wichtige Rolle.

    Mit seinem Band „Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918“ (1973, 102000), der in kurzer Zeit international zu einer der einflußreichsten Interpretationen über die dt. Geschichte des späten 19. und frühen 20. Jh. wurde, avancierte W. zu einem der bekanntesten und streitbarsten dt. Historiker. Das Werk galt als programmatische Ausformulierung der negativen „Sonderwegsthese“, die die langfristigen Kontinuitäten der dt. Geschichte mit dem Nationalsozialismus als Fluchtpunkt betonte. Karrierebewußt übernahm W. die führende Rolle bei der Gründung der Buchreihe „Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft“ (1972) und der Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft“ (1975), die als Fachorgane für dt. Sozialgeschichte fungierten. Seit dieser Zeit verfolgte er die Idee einer Gesellschaftsgeschichte als Synthese und konzipierte im|Anschluß an Max Webers (1864–1920) Argumentationsgebäude der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit dreier verschiedener Dimensionen historischen Lebens (Herrschaft, Arbeit und Kultur) seine international rezipierte und zum Standardwerk gewordene „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ (5 Bde., 1987–2008), die in der Matrix verschiedener Felder (Bevölkerung, Politik, Wirtschaft, Kultur, soziale Ungleichheit) die langfristigen, makrohistorischen Entwicklungen innerhalb der dt. Gesellschaft seit dem 18. Jh. zusammenfassend betrachtet und in ihren politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandlungsprozessen und Krisen bis zum Ende des 20. Jh. nachzeichnet.

    Bedeutend für W.s wissenschaftliches und akademisches Leben war die (wissenschafts-) politische Funktion, die er für die Geschichtswissenschaft reklamierte. W. vertrat seine Positionen öffentlichkeitsgewandt z. T. in scharfen Polemiken, auch gegen andersdenkende Historiker, was zu Frontstellungen zwischen Sozialhistorikern und Vertretern anderer Geschichtsauffassungen führte. Das allgemeine Geschichtsbewußtsein sollte nach W. über die Teilnahme von Historikern an gesellschaftspolitischen Debatten und in öffentlichkeitswirksamen Medien geformt werden. Aufgrund seiner anerkannten Autorität als Sozialhistoriker avancierte er seit dem „Historikerstreit“ 1986 zu einem scharfsinnigen Analytiker und umstrittenen Diagnostiker des Zeitgeschehens in der Bundesrepublik.

  • Auszeichnungen

    |BVK I. Kl. (1997);
    ausw. Ehrenmitgl. d. American Hist. Ass. (2000);
    Staatspreis d. Landes NRW (2003);
    Cicero-Rednerpreis in d. Kategorie „Wiss.“ (2003);
    Helmholtz-Medaille d. Berlin-Brandenburg. Ak. d. Wiss. (2004);
    Ehrensenator d. Univ. Bielefeld (2004);
    Ehrenmitgl. d. American Ac. of Art and Sciences (2006);
    Lessing-Preis f. Kritik (2014);
    Mitgl. im Arb.kr. f. moderne Soz.gesch. u. im Verband d. Historiker u. Historikerinnen Dtld.s.

  • Werke

    Weitere W Krisenherde d. Ks.reichs 1871–1918, 1970, ²1979;
    Hist. Soz.wiss. u. Gesch.schreibung, 1980;
    Nationalitätenpol. in Jugoslawien, 1980;
    Preußen ist wieder chic …, Pol. u. Polemik in 20 Essays, 1983;
    Grundzüge d. amerik. Außenpol., I: 1750–1900, 1983, ²1984;
    Entsorgung d. dt. Vergangenheit? Ein polem. Essay z. „Historikerstreit“, 1987;
    Aus d. Gesch. lernen?, 1988;
    Die Gegenwart als Gesch., 1995;
    Pol. in d. Gesch., 1997 (P);
    Die Herausforderung d. Kulturgesch., 1998;
    Umbruch u. Kontinuität, 2000;
    Konflikte zu Beginn d. 21. Jh., 2003;
    Nationalismus, 2001, ²2004 (P);
    Notizen z. dt. Gesch., 2007 (P);
    „Eine lebhafte Kampfsituation“, Ein Gespräch mit M. Hettling u. C. Torp, 2006 (P);
    Land ohne Unterschichten? Neue Essays z. dt. Gesch., 2010;
    Die neue Umverteilung, Soz. Ungleichheit in Dtld., 1-42013;
    Die Deutschen u. d. Kapitalismus, Essays z. Gesch., 2014 (P);
    Hg.: Neue Wiss. Bibl., 39 Bde., 1966–80;
    Neue Hist. Bibl., 56 Bde., 1983–96;
    Krit. Stud. z. Gesch.wiss., bisher 170 Bde. (Mithg. 1972–2006);
    Gesch. u. Ges., Zs. f. Hist. Soz.wiss., 1975 ff. (Mithg.);
    Nachlaß: Univ. Bielefeld.

  • Literatur

    |Was ist Ges.gesch.? Positionen, Themen, Analysen, FS z. 60. Geb.tag, hg. v. M. Hettling u. a., 1991;
    Nat. u. Ges. in Dtld., Hist. Essays, FS z. 65. Geb.tag, hg. v. dems. u. P. Nolte, 1996;
    R. Hohls u. K. H. Jarausch (Hg.), Versäumte Fragen, Dt. Hist. im Schatten d. NS, 2000, S. 240–66;
    Th. Welskopp u. B. Hitzer (Hg.), Die Bielefelder Soz.gesch., Klass. Texte zu e. gesch.wiss. Programm u. seinen Kontroversen, 2010;
    St. Rebenich, C. H. Beck, Der kulturwiss. Verlag u. seine Gesch., 2013, S. 609–28;
    Ch. Nonn, Theodor Schieder, 2013, S. 261–77, 333–56 u. ö.;
    Ch. S. Maier, in: Gesch. u. Ges. 40, 2014, S. 610–17;
    P. Nolte, Innovation aus Kontinuität, H.-U. W. (1931–2014) in d. dt. Gesch.wiss., in: HZ 299, 2014, S. 593–623;
    ders., H.-U. W., Hist. u. Zeitgenosse, 2015 (P);
    D. Blackbourn, in: Central European Hist. 47, 2015, S. 1–16;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Munzinger.

  • Autor/in

    Vito Gironda
  • Zitierweise

    Gironda, Vito, "Wehler, Hans-Ulrich" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 554-556 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118973959.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA