Lebensdaten
1723 – 1789
Geburtsort
Edesheim
Sterbeort
Paris
Beruf/Funktion
Naturwissenschaftler ; Philosoph
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118706403 | OGND | VIAF: 95147318
Namensvarianten
  • Holbach, Paul Heinrich Dietrich Freiherr von
  • Thiry von Holbach, Paul
  • Tiry von Holbach, Paul
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Zitierweise

Holbach, Paul Freiherr von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118706403.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johs. Jacobus Dirre (Tirri, Tyrry, Thierry, 1672–1756), Weinbauer (?), S d. Philipp Dirre;
    M Kath. Jacobina Holbach (* 1684);
    Om Franz Adam Frhr. v. Holbach (Reichsadel 1720, Reichsfrhr. 1728, 1753), Bank- u. Börsenmakler in P.;
    Vt Joh. Wendelin Thierry ( 1811), Oberamtmann in Bruchsal, Vf. e. hs. Gesch. d. Speyerer Bischöfe im 17. u. 18. Jh. (Druck in: ZGORh 96, 1948);
    - 1) 1750 Suzanne ( 1754), 2) 1756 Charlotte-Suzanne, beide T d. Nicolaus Daine u. d. Susanne Westerburg (Cousine H.s);
    1 S aus 1), 1 S, 2 T aus 2).

  • Biographie

    Ausgebildet wurde H. auf Kosten seines in Paris durch Spekulationen reich gewordenen, in Wien geadelten Onkels Franz Adam von Holbach. Er genoß anfangs Hauslehrerunterricht in Edesheim, die weitere Erziehung wohl ganz – unbekannt wo – in Frankreich. 1744-48 war er zu Universitätsstudien in Leiden und erhielt durch die dort herrschende Toleranz und die auf exakter Naturbeobachtung beruhende Verbindung reiner und angewandter Forschung seine besondere Prägung. Seit 1748/49 lebte er in Paris. Der vom Onkel ererbte Reichtum und Adel erlaubte ihm, ein großes Haus zu führen, in dem die bedeutendsten Wissenschaftler (vor allem Chemiker, Ärzte, Ingenieure) und Schriftsteller sich regelmäßig zweimal in der Woche trafen und nach Paris reisende Gelehrte, Fürsten, Dichter und Künstler aus ganz Europa zu Gast waren, angezogen nicht zuletzt auch durch die noble Gesinnung und menschliche Güte des Hausherrn. Lebenslänglich befreundet war er mit Denis Diderot, dem Begründer der Encyclopédie, und|mit dem Regensburger Pfarrerssohn Friedrich Melchior Grimm, dem Herausgeber der an zahlreichen europäischen Höfen zirkulierenden Correspondance littéraire, philosophique et critique. Seine erste schriftstellerische Tätigkeit in den 50er Jahren – als Übersetzer von Werken führender Chemiker und Mineralogen ins Französische (unter anderem Neri, Merret, Kunckel, Wallerius, Henckel, Gellert, Lehmann, Orschall, Stahl) – trug ihm die Mitgliedschaft in 3 Akademien ein (Berlin 1754, Mannheim 1766, Petersburg 1780). Gleichzeitig begann er seine Mitarbeit an Diderots Encyclopédie (ab Band 2), zu der er über 1100 Artikel beitrug, nicht nur über Begriffe aus den Naturwissenschaften, sondern auch aus den Mythen und Glaubensvorstellungen kleiner und großer Völker aller Erdteile. Die Informationen darüber entnahm er seiner circa 3000 Bände zählenden Bibliothek. Höchstwahrscheinlich hat er auch mit Geld und Einflußnahmen das (oft stockende und gefährdete) Erscheinen der Encyclopédie maßgeblich unterstützt. In den 60er Jahren betätigte er sich heimlich, mit einem Team von Gleichgesinnten, als Herausgeber kirchenfeindlicher, aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts stammender Streitschriften, sowohl französischer Autoren wie bekannter englischer Deisten. Diese gegen die Kirche wie auch gegen die damalige Staatsordnung gerichtete Tätigkeit krönte er mit seinem Hauptwerk „Système de la nature, ou des lois du monde physique et du monde moral“, 1770 unter dem Pseudonym Mirabaud und mit der (fingierten) Angabe von London als Druckort erschienen und trotz Verbot und Verbrennung immer wieder neu gedruckt, bekämpft von rund anderthalb Dutzend Gegenschriften.

    Die Hauptgedanken des „Système de la nature“ lauten: Aus der Materie und ihrer Bewegung, die allein existent sind, entspringen die Erscheinungsformen und Eigenschaften der Dinge und auch der Mensch mit seinem Fühlen und Denken. Die Seele ist nur ein Name für Eigenschaften der Materie; im Gehirn treffen alle Nerven, das heißt alle Organe der sogenannten Seelentätigkeit, zusammen. Ideen und Instinkt werden uns nur durch die Sinne, Erziehung und Gewohnheit gegeben; es gibt weder Willensfreiheit noch persönliche Unsterblichkeit. Getrieben von Selbstliebe, strebt der Mensch nach Glück und Selbsterhaltung. Der Glaube an Götter stammt aus der Furcht des über die Natur und ihre Gesetze nicht aufgeklärten Menschen. Aufklärung, gute Gesetze und Erziehung werden den Menschen aus der Knechtung durch Kirche und Despoten befreien. Diese Gedanken seines Hauptwerks, das von Friedrich dem Großen scharf angegriffen und von Goethe zurückgewiesen wurde, werden in seinen (ebenfalls anonym erschienenen) späteren Werken über Fragen der Politik und der Moral (1773 und 1776) weitergeführt. H. ist im Kern ein philosophischer Einzelgänger und in seinem Denken ichbezogen und standesgebunden. Selbst durchdrungen von Menschlichkeit und dem Willen, wohl zu tun, setzt er sein eigenes Wesen als Modell des Menschentums in der neu zu schaffenden, aufgeklärten, glücklicheren Welt. Als Angehöriger des reichen Bürgertums, das zum Kampf gegen die herrschenden Institutionen in Kirche und Staat angetreten war, wird er zum „Theoretiker der Bourgeoisie“, zum Verkünder von (vielfach einseitigen) Vorstellungen, die ihn zum Beispiel für bürgerlichen Grundbesitz und freien Handel plädieren, die Probleme der Arbeit und Vermögensbildung durch Arbeit aber gar nicht sehen lassen. Von Umstürzen wollte er nichts wissen, Rettung erwartete er von „weisen Fürsten“. Seine „Ethocratie“ (1776) widmete er Ludwig XVI. Kein Wunder, daß ihm reale politische Wirkung versagt blieb, auch und gerade während der Französischen Revolution, wo seine Schriften wenig genannt werden, während Rousseau als Ahnherr beschworen wird. H. ließ alle seine Werke, auch seine Übersetzungen naturwissenschaftlicher Werke, anonym oder unter Pseudonymen erscheinen, eine für seine Staats- und religionsfeindlichen Schriften notwendige Vorsichtsmaßnahme, die aber die Unsicherheit seiner Autorschaft in vielen Fällen zur Folge hat.

    Im 19. und 20. Jahrhundert geht die Saat von H.s Gedanken da und dort immer wieder auf. In Deutschland sind die bibelkritischen Forschungen der sogenannten Tübinger Schule zu nennen, in denen ein Nachhall der bei H. konzentrierten Religionskritik im theologischen Raum verspürt werden kann. In seiner sofort nach dem Erscheinen in Zürich 1843 beschlagnahmten Schrift „Das entdeckte Christentum“ zitiert Bruno Bauer wiederholt aus H.s „Entschleiertem Christentum“ und dem „System der Natur“. Auf letzteres Werk beruft sich mehrfach auch Ludwig Büchner in seinem erstmals 1855 erschienenen Buch „Kraft und Stoff“. Vor allem aber haben sich Karl Marx und Friedrich Engels gründlich und kritisch mit H.s religiösen, politischen und wirtschaftlichen Ideen beschäftigt. Wenn H. meinte, der vernünftige Mensch würde bald erfahren, daß sein Wohlergehen von der Hilfe seiner Mitmenschen abhänge, und er würde sich durch eigene Wohltaten und Tugendhaftigkeit diese Hilfe zu sichern suchen, so sucht Marx diese Auffassung des zwischenmenschlichen Verhältnisses als ein System des gegenseitigen Nutzeffekts zu entlarven, als eine „scheinbar metaphysische Abstraktion“ der im bürgerlichen 18. Jahrhundert herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur und eine „Idealisierung der damaligen Ausbeutungszustände“. In England wirkt H. vor allem auf den jungen Shelley ein, der 1812 das „System der Natur“ mit Begeisterung liest und sogar übersetzen will und Gedanken dieses Buches in seinen Werken von „Queen Mab“ bis zum „Prometheus Unbound“ dichterisch verarbeitet. In Frankreich waren es die sogenannten Ideologen und später Auguste Comte, die die Religionskritik H.s zu einem Gedankengut ausbauten, das für das französische Freidenkertum des 19. und 20. Jahrhunderts gültig und bezeichnend wurde und nach England, Deutschland und Rußland weiterwirkte.

    H.s Aufnahme in Spanien bedarf noch einer gründlichen Untersuchung. Auffällig ist die verhältnismäßig große Zahl von Übersetzungen einzelner seiner Werke ins Spanische, vor allem in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In der Sowjetunion und in den Staaten ihres Einflußbereichs kann man von einer Holbach-Renaissance im 20. Jahrhundert sprechen. Zahlreiche Bücher von ihm wurden seit den 20er Jahren bis heute ins Russische und andere Sprachen übersetzt, zum Teil immer wieder neu aufgelegt, vor allem natürlich die den pädagogischen und propagandistischen Zielen der Staatsführung entsprechenden Titel. In der DDR wurden das „System der Natur“, „Das entschleierte Christentum“, die „Taschentheologie“ und die „Briefe an Eugenie“ neu ins Deutsche übersetzt; die dort unter der Leitung von Werner Krauss unternommene Holbach-Forschung ist gegenwärtig führend.

  • Werke

    Weitere W u. a. J. Vercruysse, Bibliogr. descriptive des écrits du baron d'H., 1971 (darin sind viele Überss. v. H.s Schrr. erstmals eruiert worden). - Laut R. Besthorn, Textkrit. Stud. z. Werk H.s, 1969, ist H. Autor v.: L'Abbé et le rabbin, in: Corr. littéraire, 1764;
    Essai sur l'art de ramper, ebd., 1790;
    Le christianisme dévoilé, 1766 (engl. 1795, 1819, span. 1821, russ. 1924/36, dt. 1970);
    La Contagion sacrée, 1768 (span. 1822/26, russ. 1936);
    Problème important, in: Recueil philosophique …, 1770;
    Lettres à Eugenie, 1768 (span. 1810/23/69, 4mal engl. 1819-57, russ. 1956, dt. 1959/70);
    Système de la nature, 1770 (7mal dt. 1783-1960, 10mal engl. 1795-1884 u. 4mal in d. USA 1808–63, span. 1822/23, 3mal russ. 1924-63, serb. 1950, rumän. 1957, poln. 1957, japan. 1970);
    Le Bon Sens, 1772 (8mal dt. 1788-1908, 4mal engl. 1795-1950, 8mal span. 1821-1913, jidd. 1907/13, türk. 1928/29, russ. 1941/56, poln. 1955, tschech. 1959, ungar. 1961);
    Eléments de la morale universelle, 1773 (span. 1820/23/37, russ. 1963);
    Système social, 1773 (dt. 1788/95, 1898, tschech. 1960);
    La Politique naturelle, 1773 (ital. 1778, 1879, dt. 1795/96, 1798 russ. 1963);
    La Morale universelle, 1776 (9mal span. 1812-43, dt. 1898);
    höchstwahrsch. auch v. Ethocratie (1776). Zur Théol. portative (1768) lieferte er Vorrede u. einige Artikel. Nicht v. H. ist der ihm früher zugeschr. Arrêt rendu à l'Amphithéatre de l'Opéra, 1753;
    ungesichert Lettre à une dame d'un certain âge sur l'etat présent de l'Opéra, 1752. Es wird wohl immer ungeklärt bleiben, welche Rolle er (als Mitarbeiter, Bearbeiter bzw. Übersetzer) bei d. schon erwähnten Herausgabe d. zahlr., meist aggressiven Schrr. franz. Autoren - N. A. Boulanger, C. Ch. Du Marsais, N. Fréret, G.-T.-F. Raynal - u. engl. Deisten - P. Annet, A. Collins, J. Davisson, M. Tindal, J. Toland, J. Trenchard, J. Whitefoot, Th. Woolston, dazu einige anonyme Schrr. - im einzelnen spielte. Sicher dürfte sein, daß er 1759 d. pantheist. Dichtung „The Pleasures of Imagination“ v. Mark Akenside u. 1772 d. Schr. „Human nature“ v. Th. Hobbes (²1650) ins Franz. übersetzte.

  • Literatur

    ADB XII;
    G. A. Moßbacher u. L. Grünenwald, Der Philosoph P. T. v. H., in: Pfalz. Mus., 1900, S. 50 ff.;
    M. P. Cushing, Baron d'H., A Study of 18th Century Radicalism in France, 1914;
    F. Mauthner, Der Atheismus u. s. Gesch. im Abendland, 1920, III. S. 132 ff.;
    G. W. Plechanow, Btrr. z. Gesch. d. Materialismus, II., Helvetius, Marx, ³1921, 1946, 1957;
    E. Cassirer, Die Philos. d. Aufklärung, 1932;
    W. H. Wickwar, Baron d'H., a Prelude to the French Rev., 1935;
    P. Naville, P. Th. d'H. et la philos. scientifique au XVIIIe siècle, 1943, ²1967 (W, L);
    P. Vernière, Spinoza et la pensée française avant la rév., T. 2: 18e siècle, 1954;
    H. Lüthy, Les Mississippiens de Steckborn et la fortune des barons d'H., 1955;
    D. Diderot, Correspondance, ed. G. Roth (et J. Varloot), 16 Bde., 1955-70;
    Ausgew. Texte, eingel. u. komm. v. M. Naumann, 1959 (L);
    W. P. Wolgin, Die Gesellschaftstheorien d. franz. Aufklärung, 1965, bes. S. 106-38;
    H. Sauter, P. T. v. H., in: Pfälzer Lb. I, 1965, S. 108-41;
    J.-P. Aschenbrenner, Shelleys Weltanschauung, Eine Unters. üb. Shelleys Verhältnis zu H.s „Système de la nature“, Diss. Tübingen 1967;
    J. Lough, Essays on the Enc. of Diderot and d'Alembert, 1968, darin: D'H.s Contribution, S. 111-229;
    Religionskrit. Schrr., hrsg. v. M. Naumann, Das entschleierte Christentum, Taschentheol., Briefe an Eugenie, übers, v. R. Heise u. F. G. Voigt, 1970;
    Y. Benot, Diderot, de l'athéisme à l'anticolonialisme, 1970, bes. S. 42 ff.

  • Porträts

    Ölgem. v. A. Roslin, 1774 (Paris, Slg. G. Wildenstein), Abb. in: Pfälzer Lb. I, 1965.

  • Autor/in

    Hermann Sauter
  • Zitierweise

    Sauter, Hermann, "Holbach, Paul Freiherr von" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 510-512 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118706403.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Holbach: Paul Heinrich Dietrich Freiherr v. H., wurde geboren zu Edesheim bei Landau in der Pfalz Anfang December 1723; getauft ward er am 8. December. Sein eigentlicher Familienname war Thierry (Dirre; Dietrich ist Uebersetzung davon). Den Namen Holbach und seinen Adel erhielt er durch Adoption seines Mutterbruders, des Freiherrn Franz Adam v. Holbach, der ihn in Paris erziehen ließ und ihm die Hälfte seines sehr großen Vermögens vermachte. den 21. Juni 1789 in Paris, woselbst er bereits seine Jugenderziehung empfangen hatte und später, nachdem er Erbe des ungeheuren väterlichen Vermögens geworden, durch sein gastliches Haus (in der Rue royale) zu den Häuptern des damaligen litterarischgesellschaftlichen Pariser Lebens zählte. Außer seinem Landsmann und innigem|Freunde Friedrich Melchior Frhr. v. Grimm, fanden sich bei ihm hauptsächlich Diderot, d'Alembert, Condorcet, auch Buffon und Rousseau ein, um Sonntags und Donnerstags bei glänzendsten Mahlzeiten den lebhaftesten Austausch der Meinungen zu Pflegen, soweit nicht etwa in den Sommermonaten ein entsprechender Ersatz auf Holbach's Landgute in Grand-Val (im Departement Puy de Dome) eintrat. Die Pariser Salons waren ja in einem gewissen socialen Gegensatze gegen den Versailler Hof der Mittelpunkt einer ausgedehnten und einflußreichen geistigen Bewegung Frankreichs geworden, indem dort (häufig auch unter Leitung geistreicher Frauen) die literarischen Erscheinungen und insbesondere die philosophischen Tagesfragen eine hingebende Besprechung fanden, welche in Inhalt und Tendenz grundsätzlich mit der schriftstellerischen Veröffentlichung der „Encyclopédie“ gleichen Schritt hielt. In diesen Kreisen ragte H. nicht nur durch eine außerordentliche Wohlthätigkeit, sondern auch durch häusliche und gesellige Tugenden, durch Herzensgüte und Anspruchlosigkeit, durch Kenntnißreichthum und Humor hervor; selbst Rousseau, welcher allmählich ein Gegner der Encyklopädisten wurde, nahm ihn in seiner „Nouvelle Héloïse“ zum Modelle des Hrn. v. Wolmar. Nachdem H. in seinen Erstlingsschriften „Arrêt rendu à l'amphithéatre contre la musique française“ (1752) und „Lettre à une dame sur l'état présent de l'Opéra“ (1752), sich mit Theater-Fragen beschäftigt hatte, eröffnete er bald hernach das ihm eigenthümliche litterarische Feld vorläufig mit „Le christianisme dévoilé“ 1756 unter dem Pseudonym Boulanger), und nach zehnjähriger Pause erschienen dann in äußerst rascher Abfolge: „Lettres de Thrasybule à Leucippe“ (1766 unter dem Pseudonym des im J. 1739 gest. Fréret), „De l'imposture sacerdotale“ (1767), „L'esprit du clergé ou le christianisme primitif" (1767), „La contagion sacrée ou l'histoire naturelle de la, superstition" (1768), „Les prêtres démasqués" (1768), „Examen des prophéties" (1768), „David ou l'histoire de l'homme selon le coeur de dieu“ (1768), „Lettres à Eugénie ou préservatif contre les préjugés“ (1768 mit Anmerkungen von Naigeon), „Lettres philosophiques sur l'origine du dogme de l'immortalité (1768), „Examen des apologistes du christianisme“ (1768 unter dem Pseudonym Fréret), „Théologie portative ou dictionnaire abrégé de la réligion chrétienne“ (1768 unter dem Pseudonym Bernier, die Auflage von 1776 hat den Titel „Manuel théologique en forme de dictionnaire"), hierzu der letzte Abschnitt der von Naigeon anonym herausgegebenen Schrift „Le militaire philosophe ou difficultés sur la religion" (1768), „De la cruauté religieuse" (1769), „L'enfer detruit," (1769), „L'intolérance convaincue de crime et de follie“ (1769), „Essai sur les préjugés“ (1770 unter dem Pseudonym D. M., daher für ein Werk des Du Marsais gehalten), „L'esprit du judaisme" (1770), „Histoire critique de Jésus-Christ" (1770), „Examen critique de la vie et des ouvrages de St. Paul" (1770), „Tableau des Saints ou examen de l'esprit et des personnages que le Christianisme propose pour modele“ (1770), „Système de la nature ou des lois du monde physique et du monde moral“ (1770 unter dem Pseudonym des im J. 1760 gest. Mirabeau in zwei verschiedenen Ausgaben, die Auflage von 1780 enthält auch die Widerlegung der Einwürfe Séguier's); in dem im gleichen Jahre (1770) erschienenen „Récueil philosophique“ sind von H.: „Reflexions sur les craintes de la mort“ und „La réligion est-elle nécessaire à la morale et utile à la politique?“ Dann folgten noch: „Le bon sens ou idées naturelles opposées aux idées Luruaturelles" (1772), „La politique naturelle" (1773), „Système social ou principes naturels de la morale et, de la politique" (1773), „Ethocratie ou le gouvernement fondé sur la morale“ (1776), „La morale universelle“ (1776). Nach Holbach's Tode gab Naigeon heraus „Eléments de morale universelle“ (1790) und noch spät|erschien aus dem Nachlasse „Le bon sens du curé J. Meslier“ (1830). Außerdem hatte H. mehrere chemische, pharmaceutische, physiologische und medicinische Artikel in die „Encyclopédie“ geliefert und auch verschiedene naturwissenschaftliche Arbeiten der Deutschen und der Engländer ins Französische übersetzt (s. Quérard, La France littéraire, Bd. IV. S. 119 f.). Seine Leistungen im Gebiete der sogen, exacten Wissenschaften hatten zur Folge, daß er von den Akademien zu Berlin und zu Petersburg in die Zahl ihrer Mitglieder aufgenommen wurde. Die angeführten dem Materialismus oder dem Kampfe gegen Religion gewidmeten Schriften, welche, soweit nicht Pseudonym, sämmtlich anonym erschienen, hatte er seit 1756 schon längst vorbereitet und dann zahlreich gleichzeitig (meistens durch Vermittelung des Buchhändlers Naigeon) auf den Markt geworfen, so daß selbst die Genossen seines Salons häufig in Unkenntniß über den Namen des Verfassers waren. Während die Mehrzahl der übrigen, welche auch vielfach sich in Wiederholungen der gleichen Gedanken bewegen, allmählich in Vergessenheit gerieth, fand das „Système de la nature“ auf eine lange Reihe von Jahren die weiteste Verbreitung (in Frankreich erlebte es noch im jetzigen Jahrhundert 20 Auflagen, eine deutsche Uebersetzung von Schreiter erschien 1783, eine neue von K. Biedermann 1841, und ein Auszug von Allhusen 1851). Während man früher annahm, das Buch sei wol in der nächsten Umgebung Holbach's entstanden, aber eigentlich von Lagrange oder von Diderot oder von diesen beiden gemeinschaftlich verfaßt, wird jetzt im Hinblicke auf Baron Grimm's Veröffentlichungen von Niemanden mehr bezweifelt, daß H. der wirkliche Verfasser sei, und dagegen kann nach den litterarischen Gewohnheiten der Encyklopädisten auch kein Einwand aus dem Umstande entnommen werden, daß in den nachgelassenen Schriften Diderot's (neue Gesammtausgabe von Assezat, 1875) mehrere Stellen wörtlich mit dem „Système de la nature“ übereinstimmen. Uebrigens war dasselbe auch unter allen Schriften Holbach's die einzige, welche in Bälde eine mehrfache Bekämpfung fand; es erschienen nämlich: „Castillon, Refutation du système de la nature“ (1771), sowie Holland (ein Freund Lambert's), „Reflexions philosaphiques sur le syst. De la nature“ (1772); bekannt ist, daß auch Friedrich der Große ein Examen critique du système de la nature schrieb. Die Grundanschauungen, auf welchen die ganze schriftstellerische Thätigkeit Holbach's beruhte, dürften als das folgerichtige letzte Ergebniß einer damals in Frankreich verbreiteten Gährung der Geister zu bezeichnen sein. So war H. Materialist aus Humanität, d. h. begeistert für das Wohl der Menschen wollte er dieselben glücklich machen durch Bekämpfung all' desjenigen, was ihm als drückendes Vorurtheil erschien; unglücklich fühle sich der Mensch in Folge von Aberglauben, dieser aber sei aus Furcht und letztere nur aus Unwissenheit entstanden. Darum müsse der Muth geweckt und Achtung vor der Vernunft eingeflößt werden, wozu die größte Förderung in den Naturwissenschaften liege, welche schlicht und verständig sagen, was ist, und demnach von Einbildungen und Vorurtheilen befreien. Indem aber H. hierbei die Thätigkeit des Denkens, durch welches die aufklärende und beruhigende Wissenschaft entsteht, irgend näher zu untersuchen gänzlich verschmähte, verblieb er ausschließlich in der negativen Tendenz der Polemik gegen alle Idealität überhaupt, welche er nahezu mit theologischen Grillen und religiösem Aberglauben identificirte. So wurde er zum fanatischen Vertreter eines einseitigsten Materialismus, welcher ihm allen Ernstes auch für das praktische Leben in jeder Beziehung als wohlthätig und vorteilhaft erschien. Das wesentlichste Hinderniß erblickte er in der Religion, welche nicht nur entbehrlich, sondern geradezu nachtheilig sei, indem sie den Schlechten Verzeihung verheiße und die Guten durch das Maß ihrer Forderungen unterdrücke. In vielen seiner Schriften gab er dem verneinenden Standpunkte bald durch Prüfungen, Enthüllungen, Entlarvungen, Befreiungen, bald durch Hinweis auf Betrug, Unduldsamkeit, Grausamkeit der Priester einen lebhaften und eindringlichen Ausdruck. Die Ethik wird völlig auf Physik zurückgeführt und unter Bekämpfung aller teleologischen Annahmen das Princip des Mechanismus auf sittliche Begriffe angewendet, so daß z. B. Selbstliebe, Menschenliebe und Haß grundsätzlich als das nämliche bezeichnet werden, was man in der Materie Trägheit, Attraction und Repulsion nennt. Und so ist es schließlich auch der Begriff des wohlverstandenen Interesses, auf welchen die gesellschaftlichen und politischen Grundsätze zurückgeführt werden.

    • Literatur

      Correspondance littéraire, philosophique et critique par le Baron de Grimm et Diderot (1813). Mémoires posthumes de Marmontel (1800). Avezac Lavigne, Diderot et, la société du baron Holbach (1875). K. Rosenkranz, Diderot's Leben und Werke, Bd. II. S. 78 ff. Fr. Alb. Lange, Geschichte des Materialismus, 2. Aufl. Bd. I. S. 359 ff. — Pfälzisches Museum 1900, Nr. 4, S. 50 f.

  • Autor/in

    Prantl.
  • Zitierweise

    Prantl, Carl von, "Holbach, Paul Freiherr von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 12 (1880), S. 710-713 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118706403.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA