Boss, Medard
- Lebensdaten
- 1903 – 1990
- Geburtsort
- St. Gallen
- Sterbeort
- Zollikon (Kanton Zürich)
- Beruf/Funktion
- Daseinsanalytiker ; Psychiater
- Konfession
- evangelisch-reformiert
- Normdaten
- GND: 118662120 | OGND | VIAF
- Namensvarianten
-
- Boss, Medard
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- Carl Gustav Jung (1875–1961)
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- Ernest Jones (1879–1958)
- Georg Groddeck (1866–1934)
- Gustav Bally (1893–1966)
- Hans Behn-Eschenburg (1893–1934)
- Hans W. Maier (1882–1945)
- Ludwig Binswanger (1881–1966)
- Martin Heidegger (1889–1976)
- Sigmund Freud (1856–1939)
Orte
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Boss, Medard
1903 – 1990
Daseinsanalytiker, Psychiater
Der Psychiater und Psychoanalytiker Medard Boss entwickelte die von Martin Heidegger (1889–1976) und Ludwig Binswanger (1881–1966) begründete Daseinsanalyse zu einer eigenen psychotherapeutischen Schule weiter. Mit Gustav Bally (1893–1966) engagierte er sich in der psychoanalytischen Weiterbildung der Assistenzärzte in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die in den späten 1940er Jahren ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentrum der psychoanalytischen Psychosentherapie wurde.
Lebensdaten
Medard Boss, UZH Archiv (InC) -
Autor/in
→Klaus Hoffmann (Reichenau)
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Zitierweise
Hoffmann, Klaus, „Boss, Medard“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118662120.html#dbocontent
Kindheit, Jugend und Studium
Boss wuchs seit 1905 in Zürich auf, wo er die Kantonsschule und ein Gymnasium besuchte und nach der Matura ein Medizinstudium begann, das er 1924 in Paris und 1925 Wien fortsetzte. Hier unternahm er eine Lehranalyse bei Sigmund Freud (1856–1939). Im Anschluss an das Medizinische Staatsexamen 1928 und die Promotion zum Dr. med. mit der Arbeit „Zur erbbiologischen Bedeutung des Alkohols“ bei Hans W. Maier (1882–1945) in Zürich 1929 absolvierte er eine Postgraduate-Ausbildung in Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie in Zürich, Berlin und London, hier v. a. bei Ernest Jones (1879–1958). Seine Lehranalyse führte er von 1928 bis 1931 bei Hans Behn-Eschenburg (1893–1934) in Zürich weiter.
Erste Berufstätigkeit
Von 1934 bis 1939 arbeitete Boss als Chefarzt in der Privatklinik Knonau bei Zürich, wo er u. a. den Psychoanalytiker Georg Groddeck (1866–1934) behandelte. Seit 1935 führte er zudem eine psychoanalytische Praxis in Zürich und wirkte von 1938 bis 1948 in Carl Gustav Jungs (1875–1961) Arbeitsgemeinschaft mit. 1947 habilitierte sich Boss mit der Arbeit „Sinn und Gehalt der sexuellen Perversionen“ an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich und wurde hier 1954 zum Titularprofessor für Psychotherapie ernannt.
Boss befürwortete geschlechtsumwandelnde Operationen bei transsexuellen Patienten, die ihre Entscheidung in einer Psychotherapie bekräftigten, und löste damit eine viel beachtete Kontroverse mit deutschen Psychoanalytikern aus, insbesondere mit Alexander Mitscherlich (1908–1982), der sich strikt gegen solche Operationen aussprach.
1941 veröffentlichte Boss eine Umfrage unter zehn Psychiatern, die die neue Elektroschockbehandlung einsetzten, gab einen historischen Überblick über den Einsatz teils gewalttätiger Schockkuren seit dem Altertum und berichtete, dass seine Kollegen in ihren Träumen, die mit der Behandlung zusammenhingen, meist „massive Aggressions- und Destruktionstendenzen“ erkennen ließen. Eine solch stark psychoanalytisch geprägte Befragung von Psychiatern und Psychotherapeuten über ihre Träume wurde später nie mehr veröffentlicht.
Mit dem Psychoanalytiker Gustav Bally (1893–1966) engagierte sich Boss in der psychoanalytischen Weiterbildung der Assistenzärzte in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die in den späten 1940er Jahren ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentrum der psychoanalytischen Psychosentherapie wurde.
Zusammenarbeit mit Martin Heidegger
Angeregt durch Ludwig Binswanger (1881–1966), setzte sich Boss nach 1945 mit der Philosophie Martin Heideggers (1889–1976) auseinander und begann 1947 eine intensive Zusammenarbeit mit diesem. Von 1959 bis 1969 hielt Heidegger in Boss’ Haus regelmäßig Kurse für Ärzte ab (Zollikoner Seminare): Boss entwickelte die von Binswanger begründete Daseinsanalyse zu einer eigenen phänomenologischen Therapieschule in Abgrenzung zur naturwissenschaftlichen Medizin, zu der für ihn auch die Psychoanalyse zählte. Das von Boss 1955 miteingerichtete psychoanalytische Ausbildungsinstitut in Zürich wurde bereits 1965 Mitglied der 1962 gegründeten International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS), weil es selbst sich in der klinischen Praxis als psychoanalytisch ausgerichtet verstand.
Boss fand bald internationale Anerkennung, zahlreiche seiner Bücher erschienen in mehreren Auflagen und wurden in andere Sprachen übersetzt. Gastdozenturen und -professuren führten ihn u. a. in die USA, nach Lateinamerika, Japan und Indien, wo er spirituell angeregt wurde. Seine Schülerin Erna Hoch (1919–2003) baute die psychiatrische Versorgung in Kaschmir auf und war viele Jahre dort tätig.
1941 | Dr. h. c., Universität Basel |
1971 | Great Therapist Award der American Psychological Association |
1951–1958 | Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Psychotherapie (Ehrenmitglied 1969) |
1954–1967 | Präsident der International Federation for Medical Psychotherapy (1967 Ehrenpräsident) |
1959 | Ehrenmitglied der Psychiatric Society of India |
1962 | korrespondierendes Mitglied der Royal Medico-psychological Association of Great Britain |
1971 | Great Therapist Award der American Psychological Association |
1971 | Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Daseinsanalyse |
1973 | Ehrenmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin |
1973 | Ehrenmitglied der Asociación Ibero-Latino-Americana de Neurociencias y Psiquiatría |
Nachlass:
nicht bekannt.
Gedruckte Quelle:
Frank Töpfer (Hg.), Verstümmelung oder Selbstverwirklichung. Die Boss-Mitscherlich-Kontroverse, 2012.
Monografien:
Körperliches Kranksein als Folge seelischer Gleichgewichtsstörungen, 1940, 71989, schwed. 1944, japan. 1959.
Sinn und Gehalt der sexuellen Perversionen, 1947, 31966, Taschenbuchausg. 1972, 31984, engl. 1949, japan. 1957, ital. 1962, russ. 1965.
Der Traum und seine Auslegung, 1953, engl. 1957 (Onlineressource), japan. 1970, ital. 1973.
Einführung in die Psychosomatische Medizin, 1954, 2., gekürzte Aufl. u. d. T. Praxis der Psychosomatik. Krankheit und Lebensschicksal, 1978, franz. 1959.
Psychoanalyse und Daseinsanalytik, 1957, Neuaufl. 1980, span. 1958, japan. 1962, engl. 1962, 21982, niederl. 1968, ital. 1973.
Indienfahrt eines Psychiaters, 1959, 51987, engl. 1965, schwed. 1967, franz. 1971, japan. 1972.
Lebensangst, Schuldgefühle und psychotherapeutische Befreiung, 1962, portugies. 1971.
Grundriss der Medizin und der Psychologie. Ansätze zu einer phänomenologischen Physiologie, Psychologie, Pathologie, Therapie und zu einer daseinsgemässen Präventiv-Medizin in der modernen Industrie-Gesellschaft, 1971, 31999, engl. 1978, tschech. 1985.
„Es träumte mir vergangene Nacht, …“, 1975, 21991, engl. 1977, portugies. 1979, serbokroat. 1985, franz. 1989.
Praxis der Psychosomatik. Krankheit und Lebensschicksal, 1978.
Von der Psychoanalyse zur Daseinsanalyse, 1979.
Von der Spannweite der Seele, 1982.
Aufsätze:
Zur erbbiologischen Bedeutung des Alkohols, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 72 (1929), S. 264–292. (Diss. med.)
Alte und neue Schocktherapien und Schocktherapeuten, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 173 (1941), S. 776–782.
Herausgeberschaft:
Martin Heidegger, Zollikoner Seminare, 1987, 42021, engl. 2001.
Autobiografie:
Psychotherapie in Selbstdarstellungen, hg. v. Ludwig J. Pongratz, 1973, S. 75–106.
Bibliografien:
Gion Condrau, Die Daseinsanalyse von Medard Boss und ihre Bedeutung für die Psychiatrie, 1965, S. 123–126.
Urte Paulat, Medard Boss und die Daseinsanalyse. Ein Dialog zwischen Medizin und Philosophie im 20. Jahrhundert. Mit einer Bibliographie der Schriften von Medard Boss, 2001, S. 112–131.
Monografien und Sammelband:
Gion Condrau, Die Daseinsanalyse von Medard Boss und ihre Bedeutung für die Psychiatrie, 1965.
Urte Paulat, Medard Boss und die Daseinsanalyse. Ein Dialog zwischen Medizin und Philosophie im 20. Jahrhundert. Mit einer Bibliographie der Schriften von Medard Boss, 2001.
Manfred Riedel/Harald Seubert (Hg.), Zwischen Medizin, Philosophie und Psychologie. Heidegger im Dialog mit Medard Boss, 2003.
Aufsätze und Beiträge:
Helmut Thomä, Sigmund Freud. Ein Daseinsanalytiker. Bemerkungen zu Medard Boss’ „Psychoanalyse und Daseinsanalytik“, in: PSYCHE 12 (1959), S. 881–900.
Alois Hicklin, Nachruf, in: Daseinsanalyse 8 (1991), S. 133–135.
Erik Craig, Remembering Medard Boss, in: The Humanistic Psychologist 21 (1993), H. 3, S. 258–276.
Klaus Hoffmann, Ludwig Binswangers Einfluss auf die deutsche Psychoanalyse nach 1945, in: Jahrbuch der Psychoanalyse 4 (1999), S. 191–208.
Klaus Hoffmann, Psychoanalyse und Daseinsanalyse. Ludwig Binswanger aus aktueller Sicht, in: Luzifer Amor 15 (2002), S. 5–17.
Gion Fidel Condrau, Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Daseinsanalyse, in: ebd., S. 92–104.
Christof Goddemeier, Vor hundert Jahren wurde Medard Boss geboren. Heilkunde als „neue Art von Geburtshilfe“, in: Deutsches Ärzteblatt (2003), H. 10, S. 457. (Onlineressource)
Klaus Hoffmann, The Development of Psychosis Psychotherapy in Switzerland, in: Yrjö O. Alanen/Manuel González de de Chávez/Ann-Louise S. Silver/Brian Martindale (Hg.), Past, Present and Future of Psychotherapeutic Approaches to Schizophrenic Psychoses, 2009, S. 108–123.
Christof Goddemeier, Medard Boss. Krankheit als manchmal einzig möglicher Daseinsvollzug, in: Deutsches Ärzteblatt (2016), H. 1, S. 25 f. (P) (Onlineressource)
Festschriften:
Gion Condrau (Hg.), Medard Boss zum 70. Geburtstag, 1973.
Gion Condrau, Prof. Dr. med. Medard Boss zum 85. Geburtstag gewidmet, in: Daseinsanalyse 5 (1988), H. 4, S. 231–362.
Lexikonartikel:
Josef Rattner, Art. „Medard Boss“, in: ders., Klassiker der Psychoanalyse, 21995, S. 700–725.
Markus Porsche-Ludwig, Art. „Boss, Medard“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, hg. v. Traugott Bautz, Bd. 35, 2014, Sp. 122–139.
Christian Müller, Art. „Medard Boss“, in: Historisches Lexikon der Schweiz, 2019. (Onlineressource)