Boss, Medard

Dates of Life
1903 – 1990
Place of birth
St. Gallen
Place of death
Zollikon (Kanton Zürich)
Occupation
Daseinsanalytiker ; Psychiater
Religious Denomination
evangelisch-reformiert
Authority Data
GND: 118662120 | OGND | VIAF
Alternate Names

  • Boss, Medard

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Citation

Boss, Medard, Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118662120.html [02.10.2025].

CC0

  • Boss, Medard

    1903 – 1990

    Daseinsanalytiker, Psychiater

    Der Psychiater und Psychoanalytiker Medard Boss entwickelte die von Martin Heidegger (1889–1976) und Ludwig Binswanger (1881–1966) begründete Daseinsanalyse zu einer eigenen psychotherapeutischen Schule weiter. Mit Gustav Bally (1893–1966) engagierte er sich in der psychoanalytischen Weiterbildung der Assistenzärzte in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die in den späten 1940er Jahren ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentrum der psychoanalytischen Psychosentherapie wurde.

    Dates of Life

    Geboren am 4. Oktober 1903 in St. Gallen
    Gestorben am 21. Dezember 1990 in Zollikon (Kanton Zürich)
    Grabstätte Evangelischer Friedhof in Zollikon
    Konfession evangelisch-reformiert
    Medard Boss, UZH Archiv (InC)
    Medard Boss, UZH Archiv (InC)
  • 4. Oktober 1903 - St. Gallen

    1905 - 1922 - Zürich

    Übersiedlung der Familie; Schulbesuch (Abschluss: Matura)

    Kantonsschule; Gymnasium

    1922 - 1928 - Zürich; Paris; Wien; Zürich

    Studium der Medizin (Abschluss: Medizinisches Staatsexamen)

    Universität

    1925 - 1925 - Wien

    Lehranalyse bei Sigmund Freud (1856–1939)

    1929 - Zürich

    Promotion (Dr. med.)

    Universität

    1928 - 1932 - Zürich

    Assistenzarzt

    Kantonale Heilanstalt (heute Psychiatrische Universitätsklinik)

    1928 - 1931 - Zürich

    1932 - 1933 - London; Berlin

    Postgraduate Ausbildung in Neurologie und Psychoanalyse

    1933 - 1934 - Zürich

    Erster Assistenzarzt

    Kantonale Heilanstalt (heute Psychiatrische Universitätsklinik)

    1934 - 1939 - Knonau (Kanton Zürich)

    Chefarzt

    Privatsanatorium Schloss Knonau

    1935 - Zürich

    selbstständiger Psychoanalytiker

    Psychoanalytische Privatpraxis

    1938 - 1948 - Zürich

    Mitarbeiter in der Arbeitsgemeinschaft bei Carl Gustav Jung (1875–1961)

    1939 - 1945

    Militärdienst als Bataillonsarzt

    Schweizer Armee

    1947 - Zürich

    Habilitation für Psychotherapie, insbesondere Tiefenpsychologie

    Medizinische Fakultät der Universität

    1954 - 1958 - Indien; Indonesien

    Reisen

    1954 - 1971 - Zürich

    Titularprofessor für Psychotherapie mit persönlichem Lehrauftrag

    Medizinische Fakultät der Universität

    1959 - 1969 - Zollikon (Kanton Zürich)

    Zollikoner Seminare mit Martin Heidegger (1889–1976)

    21. Dezember 1990 - Zollikon (Kanton Zürich)

    Kindheit, Jugend und Studium

    Boss wuchs seit 1905 in Zürich auf, wo er die Kantonsschule und ein Gymnasium besuchte und nach der Matura ein Medizinstudium begann, das er 1924 in Paris und 1925 Wien fortsetzte. Hier unternahm er eine Lehranalyse bei Sigmund Freud (1856–1939). Im Anschluss an das Medizinische Staatsexamen 1928 und die Promotion zum Dr. med. mit der Arbeit „Zur erbbiologischen Bedeutung des Alkohols“ bei Hans W. Maier (1882–1945) in Zürich 1929 absolvierte er eine Postgraduate-Ausbildung in Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie in Zürich, Berlin und London, hier v. a. bei Ernest Jones (1879–1958). Seine Lehranalyse führte er von 1928 bis 1931 bei Hans Behn-Eschenburg (1893–1934) in Zürich weiter.

    Erste Berufstätigkeit

    Von 1934 bis 1939 arbeitete Boss als Chefarzt in der Privatklinik Knonau bei Zürich, wo er u. a. den Psychoanalytiker Georg Groddeck (1866–1934) behandelte. Seit 1935 führte er zudem eine psychoanalytische Praxis in Zürich und wirkte von 1938 bis 1948 in Carl Gustav Jungs (1875–1961) Arbeitsgemeinschaft mit. 1947 habilitierte sich Boss mit der Arbeit „Sinn und Gehalt der sexuellen Perversionen“ an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich und wurde hier 1954 zum Titularprofessor für Psychotherapie ernannt.

    Boss befürwortete geschlechtsumwandelnde Operationen bei transsexuellen Patienten, die ihre Entscheidung in einer Psychotherapie bekräftigten, und löste damit eine viel beachtete Kontroverse mit deutschen Psychoanalytikern aus, insbesondere mit Alexander Mitscherlich (1908–1982), der sich strikt gegen solche Operationen aussprach.

    1941 veröffentlichte Boss eine Umfrage unter zehn Psychiatern, die die neue Elektroschockbehandlung einsetzten, gab einen historischen Überblick über den Einsatz teils gewalttätiger Schockkuren seit dem Altertum und berichtete, dass seine Kollegen in ihren Träumen, die mit der Behandlung zusammenhingen, meist „massive Aggressions- und Destruktionstendenzen“ erkennen ließen. Eine solch stark psychoanalytisch geprägte Befragung von Psychiatern und Psychotherapeuten über ihre Träume wurde später nie mehr veröffentlicht.

    Mit dem Psychoanalytiker Gustav Bally (1893–1966) engagierte sich Boss in der psychoanalytischen Weiterbildung der Assistenzärzte in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die in den späten 1940er Jahren ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentrum der psychoanalytischen Psychosentherapie wurde.

    Zusammenarbeit mit Martin Heidegger

    Angeregt durch Ludwig Binswanger (1881–1966), setzte sich Boss nach 1945 mit der Philosophie Martin Heideggers (1889–1976) auseinander und begann 1947 eine intensive Zusammenarbeit mit diesem. Von 1959 bis 1969 hielt Heidegger in Boss’ Haus regelmäßig Kurse für Ärzte ab (Zollikoner Seminare): Boss entwickelte die von Binswanger begründete Daseinsanalyse zu einer eigenen phänomenologischen Therapieschule in Abgrenzung zur naturwissenschaftlichen Medizin, zu der für ihn auch die Psychoanalyse zählte. Das von Boss 1955 miteingerichtete psychoanalytische Ausbildungsinstitut in Zürich wurde bereits 1965 Mitglied der 1962 gegründeten International Federation of Psychoanalytic Societies (IFPS), weil es selbst sich in der klinischen Praxis als psychoanalytisch ausgerichtet verstand.

    Boss fand bald internationale Anerkennung, zahlreiche seiner Bücher erschienen in mehreren Auflagen und wurden in andere Sprachen übersetzt. Gastdozenturen und -professuren führten ihn u. a. in die USA, nach Lateinamerika, Japan und Indien, wo er spirituell angeregt wurde. Seine Schülerin Erna Hoch (1919–2003) baute die psychiatrische Versorgung in Kaschmir auf und war viele Jahre dort tätig.

    1941 Dr. h. c., Universität Basel
    1971 Great Therapist Award der American Psychological Association
    1951–1958 Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Psychotherapie (Ehrenmitglied 1969)
    1954–1967 Präsident der International Federation for Medical Psychotherapy (1967 Ehrenpräsident)
    1959 Ehrenmitglied der Psychiatric Society of India
    1962 korrespondierendes Mitglied der Royal Medico-psychological Association of Great Britain
    1971 Great Therapist Award der American Psychological Association
    1971 Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Daseinsanalyse
    1973 Ehrenmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin
    1973 Ehrenmitglied der Asociación Ibero-Latino-Americana de Neurociencias y Psiquiatría

    Nachlass:

    nicht bekannt.

    Gedruckte Quelle:

    Frank Töpfer (Hg.), Verstümmelung oder Selbstverwirklichung. Die Boss-Mitscherlich-Kontroverse, 2012.

    Monografien:

    Körperliches Kranksein als Folge seelischer Gleichgewichtsstörungen, 1940, 71989, schwed. 1944, japan. 1959.

    Sinn und Gehalt der sexuellen Perversionen, 1947, 31966, Taschenbuchausg. 1972, 31984, engl. 1949, japan. 1957, ital. 1962, russ. 1965.

    Der Traum und seine Auslegung, 1953, engl. 1957 (Onlineressource), japan. 1970, ital. 1973.

    Einführung in die Psychosomatische Medizin, 1954, 2., gekürzte Aufl. u. d. T. Praxis der Psychosomatik. Krankheit und Lebensschicksal, 1978, franz. 1959.

    Psychoanalyse und Daseinsanalytik, 1957, Neuaufl. 1980, span. 1958, japan. 1962, engl. 1962, 21982, niederl. 1968, ital. 1973.

    Indienfahrt eines Psychiaters, 1959, 51987, engl. 1965, schwed. 1967, franz. 1971, japan. 1972.

    Lebensangst, Schuldgefühle und psychotherapeutische Befreiung, 1962, portugies. 1971.

    Grundriss der Medizin und der Psychologie. Ansätze zu einer phänomenologischen Physiologie, Psychologie, Pathologie, Therapie und zu einer daseinsgemässen Präventiv-Medizin in der modernen Industrie-Gesellschaft, 1971, 31999, engl. 1978, tschech. 1985.

    „Es träumte mir vergangene Nacht, …“, 1975, 21991, engl. 1977, portugies. 1979, serbokroat. 1985, franz. 1989.

    Praxis der Psychosomatik. Krankheit und Lebensschicksal, 1978.

    Von der Psychoanalyse zur Daseinsanalyse, 1979.

    Von der Spannweite der Seele, 1982.

    Aufsätze:

    Zur erbbiologischen Bedeutung des Alkohols, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 72 (1929), S. 264–292. (Diss. med.)

    Alte und neue Schocktherapien und Schocktherapeuten, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 173 (1941), S. 776–782.

    Herausgeberschaft:

    Martin Heidegger, Zollikoner Seminare, 1987, 42021, engl. 2001.

    Autobiografie:

    Psychotherapie in Selbstdarstellungen, hg. v. Ludwig J. Pongratz, 1973, S. 75–106.

    Bibliografien:

    Gion Condrau, Die Daseinsanalyse von Medard Boss und ihre Bedeutung für die Psychiatrie, 1965, S. 123–126.

    Urte Paulat, Medard Boss und die Daseinsanalyse. Ein Dialog zwischen Medizin und Philosophie im 20. Jahrhundert. Mit einer Bibliographie der Schriften von Medard Boss, 2001, S. 112–131.

    Monografien und Sammelband:

    Gion Condrau, Die Daseinsanalyse von Medard Boss und ihre Bedeutung für die Psychiatrie, 1965.

    Urte Paulat, Medard Boss und die Daseinsanalyse. Ein Dialog zwischen Medizin und Philosophie im 20. Jahrhundert. Mit einer Bibliographie der Schriften von Medard Boss, 2001.

    Manfred Riedel/Harald Seubert (Hg.), Zwischen Medizin, Philosophie und Psychologie. Heidegger im Dialog mit Medard Boss, 2003.

    Aufsätze und Beiträge:

    Helmut Thomä, Sigmund Freud. Ein Daseinsanalytiker. Bemerkungen zu Medard Boss’ „Psychoanalyse und Daseinsanalytik“, in: PSYCHE 12 (1959), S. 881–900.

    Alois Hicklin, Nachruf, in: Daseinsanalyse 8 (1991), S. 133–135.

    Erik Craig, Remembering Medard Boss, in: The Humanistic Psychologist 21 (1993), H. 3, S. 258–276.

    Klaus Hoffmann, Ludwig Binswangers Einfluss auf die deutsche Psychoanalyse nach 1945, in: Jahrbuch der Psychoanalyse 4 (1999), S. 191–208.

    Klaus Hoffmann, Psychoanalyse und Daseinsanalyse. Ludwig Binswanger aus aktueller Sicht, in: Luzifer Amor 15 (2002), S. 5–17.

    Gion Fidel Condrau, Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Daseinsanalyse, in: ebd., S. 92–104.

    Christof Goddemeier, Vor hundert Jahren wurde Medard Boss geboren. Heilkunde als „neue Art von Geburtshilfe“, in: Deutsches Ärzteblatt (2003), H. 10, S. 457. (Onlineressource)

    Klaus Hoffmann, The Development of Psychosis Psychotherapy in Switzerland, in: Yrjö O. Alanen/Manuel González de de Chávez/Ann-Louise S. Silver/Brian Martindale (Hg.), Past, Present and Future of Psychotherapeutic Approaches to Schizophrenic Psychoses, 2009, S. 108–123.

    Christof Goddemeier, Medard Boss. Krankheit als manchmal einzig möglicher Daseinsvollzug, in: Deutsches Ärzteblatt (2016), H. 1, S. 25 f. (P) (Onlineressource)

    Festschriften:

    Gion Condrau (Hg.), Medard Boss zum 70. Geburtstag, 1973.

    Gion Condrau, Prof. Dr. med. Medard Boss zum 85. Geburtstag gewidmet, in: Daseinsanalyse 5 (1988), H. 4, S. 231–362.

    Lexikonartikel:

    Josef Rattner, Art. „Medard Boss“, in: ders., Klassiker der Psychoanalyse, 21995, S. 700–725.

    Markus Porsche-Ludwig, Art. „Boss, Medard“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, hg. v. Traugott Bautz, Bd. 35, 2014, Sp. 122–139.

    Christian Müller, Art. „Medard Boss“, in: Historisches Lexikon der Schweiz, 2019. (Onlineressource)

  • Author

    Klaus Hoffmann (Reichenau)

  • Citation

    Hoffmann, Klaus, „Boss, Medard“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118662120.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA