Wolf, Hieronymus
- Dates of Life
- 1516 – 1580
- Place of birth
- Oettingen
- Place of death
- Augsburg
- Occupation
- Humanist ; Philologe ; Graecist ; Bibliothekar ; Pädagoge ; Pionier der Byzantinistik
- Religious Denomination
- lutherisch
- Authority Data
- GND: 100706460 | OGND | VIAF: 4938504
- Alternate Names
-
- Wolff, Hieronymus
- Lycius
- Wolfius, Hieronymus
- Wolphius, Hieronymus
- Wolf, Hieronymus
- Wolff, Hieronymus
- Lycius
- Wolfius, Hieronymus
- Wolphius, Hieronymus
- Wolfius
- Wolf, Hieronimus
- Wolffius, Hier.
- Wolffius, Hieronymus
- Hofius, Hieronymus
- Lykios, Hieronymus
- Vvolfium, Hieronymum
- Bolphios, Hierōnymos
- Lycius, Hieronymus
- Licius, Hieronymus
- Wulfius, Hieronymus
- Wolfio, Hieronimo
- Bolphios, Hieronymos
- Wolfius, Hieron.
- Wolfius, Hier.
- Wolf, Hier.
- Wolphius, Hieronimus
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Wolf (Wolff, Wolfius, Wolphius, Lycius), Hieronymus
| Philologe, Gräzist, Byzantinist, Bibliothekar, Rektor, Humanist, * 13.8.1516 Oettingen, † 8.10.1580 Augsburg, ⚰ Augsburg, Sankt Anna, Kreuzgang. (lutherisch)
-
Genealogy
V →Georg (1477/78–1536), Kastner, später Landvogt d. Gfsch. Oettingen, S d. →Ulrich († 1484), Söldnerhptm. d. Reichsstadt Augsburg u. Dienstmann d. Grafen v. Oettingen;
M Katharina Dehlinger († 1550), aus bäuerl. Fam.;
1 B →Heinrich Wolf(f) (1520–1581, ⚭ Rosina Rosendtzweit, geb. Göringer), Dr. med., studierte in Tübingen, Bourges, Dôle, Besançon, Paris, Straßburg, Montpellier u. Avignon, 1550 Arzt in Oe., 1553 Stadtarzt in Nürnberg (s. W. Brechtold, Dr. H. W., Würzburg 1959;
RAG;
Stadtlex. Nürnberg;
Frühneuzeitl. Ärztebriefe), 2 Schw →Anna (1507–74), Äbtissin v. Kloster Zimmern, →Maria (1508–1574);
– ledig. -
Biography
Da W.s Mutter nach der Geburt seines Bruders an einer Psychose erkrankte, wuchs er teils bei der Pflegemutter Ursula Gall in Oettingen, teils auf dem Landgut seines →Vaters in Megesheim auf. Seinen ersten Unterricht erhielt er 1524/25 in Nördlingen. Mit 11 Jahren setzte er seinen Schulbesuch in Nürnberg fort, zunächst an der Lateinschule bei St. Sebald, seit 1528 am Gymnasium bei St. Egidien. 1530 mußte W. auf Anweisung seines Vaters die Schule verlassen und eine Ausbildung in der gfl.-oettingischen Kanzlei auf Burg Harburg aufnehmen. Erst im April 1535 durfte er an das Gymnasium zurückkehren, folgte aber bereits im August seinem Lehrer →Joachim Camerarius (1500–1574) an die Univ. Tübingen. Nach dem Tod seines Vaters begann W. in Tübingen ein Jurastudium, das er rasch abbrach. In den nächsten anderthalb Jahrzehnten führte er ein unstetes Wanderleben mit zahlreichen wechselnden Stationen und schweren psychischen Krisen: 1537 Schreiber in der Kanzlei des Würzburger Bischofs, 1538 Studium in Wittenberg, 1539/40 Lehrer an der Schule bei St. Sebald in Nürnberg, 1541 Eröffnung einer Lateinschule in Oettingen, 1542 erneuter Aufenthalt in Wittenberg, 1543/44 auf Vermittlung Melanchthons Rektor der Lateinschule in Mühlhausen (Thür.), 1544–46 Lehrer der Chorschüler am Nürnberger Hl.-Geist-Spital, 1546|Eröffnung einer Privatschule in Nürnberg, 1547 Übersiedlung nach Straßburg, 1548–50 Betreuer von Augsburger Studenten in Basel, 1550/51 Reise mit den Studenten nach Paris.
Anschließend fand W. in Augsburg eine Anstellung als Bibliothekar bei →Johann Jakob Fugger (1516–1575). Nach einem Zerwürfnis mit diesem übernahm W. 1557 bis zu seinem Tod das Rektorat des Gymnasiums bei St. Anna und die Leitung der Augsburger Stadtbibliothek, die 1563 ein eigenes Gebäude erhielt. Unter seiner Ägide entwickelten sich das Gymnasium und die Bibliothek (Schulordnungen 1557 u. 1576) zu weithin anerkannten Einrichtungen. Der von W. 1575 publizierte Katalog der griech. Handschriften der Stadtbibliothek ist der erste gedruckte Handschriftenkatalog in Deutschland.
In Straßburg begann W., griech. Autoren ins Lateinische zu übersetzen. 1548 erschien als sein Erstlingswerk die Übersetzung des Isokrates, die des →Demosthenes folgte 1550. Beide Übersetzungen wurden, teils mit dem griech. Originaltext, mehrfach neu aufgelegt.
Die großen kommentierten zweisprachigen Ausgaben des Isokrates (1570) und des Demosthenes (1572) bildeten den Höhepunkt von W.s Editions- und Übersetzungstätigkeit.
Durch die im Auftrag →Anton Fuggers (1493–1560) erstellten griech.-lat. Erstausgaben der byzantin. Geschichtsschreiber Johannes Zonaras, →Niketas Choniates (beide 1557) und →Nikephoros Gregoras (1562) begründete W. die Byzantinistik als eigenständige Disziplin.
Seine Editionen boten für lange Zeit die verbindliche griech. Textfassung, seine Übersetzungen machten die Werke für breite wissenschaftlich interessierte Kreise verfügbar und fanden europaweit Verbreitung. W. zählt zu den bedeutendsten Philologen seiner Generation und galt nach dem Tod von Joachim Camerarius als das Oberhaupt der Gräzistik in Deutschland.
Angeregt durch seine intensive Beschäftigung mit der Astrologie, verfaßte W. 1564 eine Autobiographie (Commentariolus de vita sua), die er bis zur Jahreswende 1570/71 fortführte. Sie ist an seinen Freund und Verleger →Johannes Oporinus (1507–1568) adressiert, in dessen Offizin fast alle seine Werke erschienen. Da Oporinus vor der Fertigstellung verstarb, wurde sie erst 1773 durch →Johann Jacob Reiske (1716–1774) veröffentlicht und danach mehrfach ins Deutsche übersetzt. Von hohem Interesse ist auch W.s nur teilweise überlieferte Korrespondenz. Mehr als 200 Briefe an Oporinus und dessen Neffen →Theodor Zwinger (1533–1588) geben detailliert Auskunft über die Entstehung seiner Publikationen. 35 Schreiben an →Johannes Crato v. Crafftheim (1519–85) beleuchten die nirgends sonst thematisierten Beziehungen W.s zum Wiener Hof Ks. →Maximilians II. (1527–76). Die Korrespondenz mit Joachim Camerarius ist die einzige, aus der neben 71 Briefen W.s auch 42 Antworten an diesen vorliegen. Knapp 700 Bände aus W.s bedeutender Bibliothek befinden sich heute in der Staatlichen Bibliothek Neuburg a. d. Donau.
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Works
W u. a. Isocratis Orationes omnes, Basel 1548, Paris 1553 (beide lat.), Basel 1553, 1558 (beide griech.lat.), Augsburg 1566 (lat.), Basel 1567, 1570, 1571 (alle griech.-lat.);
Demosthenis Opera omnia, Basel 1550, Venedig 1550, Basel 1555 (alle lat.), 1572 (griech.-lat.);
Ioannis Zonarae Compendium historiarum, Basel 1557;
Nicetae Acominati Choniatae LXXXVI annorum historia, Basel 1557;
Nicephori Gregorae Romanae, hoc est Byzantinae, historiae libri XI, Basel 1562 (alle griech.-lat.);
alle drei zusammen, nur lat.: Paris 1567, Frankfurt 1568, 1578;
In Claudii Ptolemaei Quadripartitum enarrator ignoti nominis, Basel 1559 (griech.-lat.);
Epicteti Enchiridion, item Cebetis Thebani Tabula, Basel 1561 (griech.-lat.), erweitert 1563 (griech.-lat. bzw. lat.);
M. T. Ciceronis Libri tres de officiis, Basel 1563, erweitert 1569;
Suidae Historica caeteraque omnia, Basel 1564, 1581 (lat.);
Catalogus Codicum graecorum manuscriptorum Augustanae Bibliothecae, Augsburg 1575;
– Autobiogr.: Hieronymi Wolfii de vita sua commentariolus, hg. v. J. J. Reiske, in: Oratores Graeci, Bd. 8, 1773, S. 772–876;
mit Übers., Kommentar u. W -Verz. hg. v. H. Zäh, 1998 (Mikrofiche), revidierte Online-Fassung (ohne Kommentar), 2013: MATEO Mannheimer Texte Online;
– Korr.: Online-Ausgabe, 2013: MATEO Mannheimer Texte Online;
– W-Verz.: Autobiogr. (s. o.). -
Literature
L ADB 43;
K. KöBerlin, Gesch. d. Humanist. Gymn. b. St. Anna in Augsburg v. 1531 bis 1931, 1931, S. 51–105;
F. Husner, Die Editio princeps d. Corpus Historiae Byzantinae, in: FS Karl Schwarber, 1949, S. 143–62;
R. Schmidbauer, Die Augsburger Stadtbibliothekare durch vier Jhh., 1963, S. 55–75 u. 329;
H.-G. Beck, in: Lb. Bayer. Schwaben IX, 1966, S. 169–93;
J. M. M. Hermans, Byzantin. Hss. im 16. Jh., Bemm. z. ältesten gedr. Hss.kat. (Augsburg 1575), in: Polyphonia Byzantina, hg. v. H. Hokwerda u. a., 1993, S. 189–220;
D. R. Reinsch, Ed. u. Rezeption byzantin. Historiker durch dt. Humanisten, in: Graeca recentiora in Germania, hg. v. H. Eideneier, 1994, S. 47–64;
H. R. Velten, Das selbst geschriebene Leben, 1995;
D. W. Berman, H. W. in the Rosenthal Collection, two annotated volumes, in: The Yale Univ. Library gazette 71, 1997, S. 120–29;
H. Zäh, Ein Gel. u. Päd. v. europ. Format, H. W., Rektor 1557–1580, in: Eine Augsburger Schule im Wandel d. Zeit, 2000, S. 30–41;
ders., Za. d. Humanismus, Die Wiederentdeckung v. Byzanz, in: Die Welt v. Byzanz, Europas östl. Erbe. hg. v. L. Wamser, 2004, S. 426–33;
ders., Die Bibliotheca Wolfiana in Neuburg, in: Bibliotheken in Neuburg an d. Donau, hg. v. B. Wagner, 2005, S. 105–35;
ders., Vom Augsburger Rel.frieden bis z. Gründung d. Annakollegs, Das Rektorat d. H. W. (1557–1580) im|Spiegel seines Briefwechsels, in: Das Gymn. b. St. Anna in Augsburg, hg. v. K.-A. Keil, 2006, S. 30–49;
V. Jung, Die Leiden d. H. W., in: Hist. Anthropol. 9, 2001, S. 333–57;
G. Algazi, Food for Thought, H. W. Grapples with the Scholarly Habitus, in: Egodocuments and History, hg. v. R. Dekker, 2002, S. 21–43;
K. Hajdú, Griech. Autographe d. H. W. in d. Bayer. Staatsbibl., in: Codices manuscripti 44/45, 2003, S. 41–67;
I. Keil u. H. Zäh, Tycho Brahe (1546–1601) u. seine Beziehungen zu Augsburg, in: Zs. d. Hist. Ver. f. Schwaben 97, 2004, S. 139–93;
W. Ludwig, Ciceros De officiis im humanist. Schulunterr., H. W. u. sein besonderer Kommentar (1563), in: Neulat. Jb. 22, 2020, S. 79–129;
S. Heilen u. H. Zäh, Who Edited and Who Translated the Anonymous Commentary to Ptolemy’s Tetrabiblos and (Ps.-)Porphyry’s Isagoge (Basel 1559)?, in: Mēnē, Revista internacional de investigación sobre magia y astrologia antiguas 20, 2020, S. 93–128;
Killy. -
Portraits
P Gem. v. A. del Hel, 1570 (Augsburg, Maximilianmus.), danach zahlr. Holzschnitte u. Kupf. (s. Digitaler Portraitindex);
zwei Medaillen, Blei, um 1560 bzw. 1578 (s. G. Habich, Die dt. Schaumünzen d. XVI. Jh., Nr. 1533 u. 2522). -
Author
Helmut Zäh -
Citation
Zäh, Helmut, "Wolf (Wolff, Wolfius, Wolphius, Lycius), Hieronymus" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 409-411 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd100706460.html#ndbcontent
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Wolf, Hieronymus
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Biography
Wolf: Hieronymus W. Gleich manchem andern Humanisten des XVI. Jahrhunderts hat W. sich auf selbstgebahnten und vielgewundenen Wegen Bildung und Stellung erringen müssen. Der Sprosse eines altadeligen, damals aber verarmten Geschlechts wurde er in Oettingen im Ries, wo sein Vater Amtmann war, am 13. August 1516 geboren. Seinen ersten Unterricht bekam er von einem sehr strengen Lehrer in Nördlingen. Auf seine Bitte wurde er 1527 nach Nürnberg geschickt, wo er an Sebald Heiden einen wackern Lehrer hatte. Aber als er an die Aegidienschule, an der Camerarius, Eoban Heß und Mich. Roting wirkten, übertrat, merkte er selbst, daß er für diesen Unterricht noch nicht reif war. Sein Vater wollte ihn daher nicht länger dort lassen und brachte ihn 1530 auf das Schloß Harburg in die Kanzlei, wo er nun fünf Jahre als Schreiber zubrachte. Er hätte an dem Kanzler Christ. Julius, der ihn zum Juristen ausbilden wollte, einen wohlwollenden Vorgesetzten gehabt, wenn er seine Abneigung gegen die Jurisprudenz hätte überwinden können. Aber ihm waren Virgil und Terenz lieber, obwol er sie nur halb verstand, und ohne Kenntniß der Prosodie machte er fleißig lateinische Verse. Auch was ein Lexicon sei, war ihm damals noch unbekannt; dennoch verfaßte er lateinische Reden und Dialoge. Der eifrige Jünger der Musen erntete indessen bei den andern Schreibern und bei den Junkern auf dem Schlosse nur bittern Spott und Mißhandlungen. Um ihnen auszuweichen, flüchtete er sich in seinen Freistunden mit seinen Büchern in die Küche, fiel aber nun dort dem Gelächter und den Neckereien der Knechte und Mägde anheim. So ließ er sich denn vor Tage von den Wächtern wecken und freute sich im ungeheizten Zimmer bei spärlichem Lichte, oder im Sommer auf den benachbarten Bergen seiner Studien. Weil aber der Spott seiner Quälgeister über den Sonderling nicht aufhörte, faßte er den herzhaften Entschluß, sich zu einem der Ihrigen umzuwandeln. Um Federhut, Degen und Dolch zu kaufen, wanderte er auf die Nördlinger Messe, brachte aber statt ihrer — ein griechisch-lateinisches Lexicon, einen Valerius Maximus und mehrere poetische und rhetorische Schriften heim. Nach fünf Jahren endlich erwirkte er von seinem Vater, daß er wieder nach Nürnberg zurückkehren durfte, aber er fand dort die alten Lehrer nicht mehr und zog nun Camerarius nach Tübingen nach. Obwol er zu schüchtern war, um dessen Rath über einen zweckmäßigen Studiengang einzuholen, und deswegen manches verkehrt anfing, fand nun Wolf's Lerneifer doch seine Befriedigung. Mit Macht warf er sich in die griechische Litteratur, und seine Herrschaft über die griechische Sprache wurde bald eine so große, daß er sie gewandter schrieb und sprach als die late nische. Als ihm nach zwei Jahren sein Vater keine Mittel zu fernerem Aufenthalt in Tübingen mehr gewähren wollte, zog er es vor, bei Rector Schegg als Diener einzutreten, so sauer ihm diese an sich schon demüthigende Stellung auch durch die Anfeindungen der Studenten gemacht wurde. Krankheit seines Vaters rief ihn nach Oettingen, aber noch vor dessen Tode kehrte er nach Tübingen zurück, um nun endlich auf dringendes Zureden von Freunden Jurist zu werden. Drei Monate hielt er aus; da wurde er selbst ernstlich krank; wiedergenesen beschloß er eine ganz andere Laufbahn einzuschlagen. Auf Empfehlung des Grafen von Oettingen wurde er Privatsecretär des Bischofs von Würzburg. Natürlich gefiel ihm das nicht lange. Ihn lockte gewaltig der Ruf der Universität Wittenberg, vor allem Melanchthon's Name. Er zog dorthin, hörte Melanchthon, Luther, Winsheim, Amerbach und Andere mit Begeisterung, besuchte dabei auch|die kurfürstliche Bibliothek eifrig und schrieb sich griechische Manuscripte ab. Auch Mathematik trieb er fleißig und vertiefte sich dazu in die Astrologie, die ihm jedoch sein ganzes Leben nur schwere Sorgen bereitete; denn er las immer Schlimmes für sich in den Sternen. Geldnoth zwang ihn, schon nach zwei Jahren (1539) Wittenberg wieder zu verlassen. In Nürnberg fand er eine ihn zufriedenstellende Anstellung als Gehülfe seines alten Lehrers Heiden. Unterdessen aber war in seiner Heimath die Reformation zum Siege gelangt, und sein Landesherr rief ihn zurück, um in Oettingen eine Schule einzurichten. Viele nüßliche Umstände veranlaßten ihn jedoch, der Vaterstadt bald wieder den Rücken zu kehren und sich wieder zu Melanchthon nach Wittenberg zu begeben. Auf dessen Empfehlung wurde er 1543 Rector in Mühlhausen i. Thüringen. Aeußerlich ging es ihm hier wohl; im Genusse seiner Besoldung kam er sich „reicher als Midas“ vor, und seine Studien, über die er Melanchthon in Briefen eingehenden Bericht erstattete, befriedigten ihn auch. Aber die Unbildsamkeit und Rohheit seiner Schüler veranlaßte ihn schon 1545, Mühlhausen wieder mit Nürnberg zu vertauschen. Auch hier war seines Bleibens nicht lange; denn der abergläubische Mann bildete sich ein, er sei verhext, und allerlei Gespenstersspuk, dessen Opfer er zu sein glaubte, verbitterte ihm das Leben. Der Besuch des Wildbades und die Cur, welche ein Schwarzwälder Bauer mit ihm vornahm, erleichterten ihm das Herz wieder etwas; aber kaum war er wieder nach Nürnberg zurückgekehrt, so bat er inständigst bei dem Rathe um seinen Abschied, weil er von einem längeren Aufenthalte den Tod fürchtete. Tübingen, Straßburg, Basel waren nun nacheinander seine Aufenthaltsorte. In Basel machte er die Bekanntschaft des Buchdruckers Oporinus, und hier verlegte er nun zuerst vier Reden des Isokrates und zwei des Demosthenes mit lateinischer Uebersetzung. Bald (1548) folgte diesen die Uebersetzung des ganzen Isokrates und dann die des ganzen Demosthenes. Ein halbes Jahr genügte dem durch seine früheren Studien mit diesen Rednern gründlich bekannten und vertrauten Marne, um diese Ausgaben zum Drucke fertig zu machen. Zwar wollte seine Isokrates-Uebersetzung ihm selbst nicht recht genügen, und von Demosthenes suchte ihn Amerbach zurückzuhalten, da sich an diesen schwierigen Schriftsteller weder Erasmus, noch Budäus gewagt habe. Aber in der gelehrten Welt verschafften ihm diese Ausgaben großen Ruf. In Straßburg bemühte man sich, ihn als Lehrer zu gewinnen, und von Augsburg kam ihm das Anerbieten, Söhne angesehener Familien in ihren Studien zu überwachen und zu leiten. Er entschied sich für das letztere und blieb mit seinen Zöglingen zuerst in Basel, dann begleitete er sie nach Paris. Er machte dort werthvolle Bekanntschaften; P. Ramus, Turnebus und andere Gelehrten nahmen ihn freundlich auf; dagegen fand seine Demosthenes-Uebersetzung einen heftigen Gegner an Strazelius. Dazu kam nun, daß der religiöse Eifer der Sorbonne dem furchtsamen Manne Besorgniß einflößte, er möchte als Ketzer verbrannt werden. Sein Aufenthalt in Paris dauerte daher nicht länger als ein Jahr. Er gab gerne die guten Verhältnisse daran, in denen er lebte, um seine Angst los zu werden, und wanderte zu Fuß nach Basel zurück. Man bot ihm hier eine Professur der griechischen Sprache an, die schmale Besoldung veranlaßte ihn aber, lieber den Weg nach Augsburg fortzusetzen, wo eben der Kaiser beim Reichstag weilte. Der Gesandte Eduard's VI. von England trug unter lockenden Bedingungen W. die Stelle eines Erziehers des jungen Herzogs von Suffolk an; während der Unterhandlungen starb der Letztere. Dafür fand W. eine ihm zusagende Stellung im Hause Jakob Fugger's als dessen Secretär und Bibliothekar. Während der sechs Jahre, in denen er sie bekleidete, konnte er zwar seine Kraft seinen neuen Ausgaben der griechischen Redner und der byzantinischen Historiker widmen; aber in dem vornehmen|Hause machte man Ansprüche an ihn, die er nicht befriedigen konnte; denn er taugte zu allem andern eher als zum Hofmann. Daher schied er gerne, als ihm 1557 der Antrag gemacht wurde, das Rectorat bei St. Anna zu übernehmen. Die Schule bedurfte einer gründlichen Umgestaltung, und W. löste diese Aufgabe mit so großer Umsicht, daß sie ihm einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Pädagogik gesichert hat. (Vgl. darüber Raumer, Gesch. der Päd.) Aber die Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden waren, verstimmten den zu trübem und mürrischem Wesen ohnedies geneigten Mann so sehr, daß er nach Umfluß der fünf Jahre, für die er sich verbindlich gemacht hatte, Augsburg verlassen wollte. Es standen ihm überallhin die Wege offen: Herzog Albrecht von Preußen wollte ihn nach Königsberg, der Rath von Straßburg an das dortige Gymnasium ziehen; die Berner boten ihm eine Professur in Lausanne, die Nürnberger eine solche in Altdorf. Freunde und der Rath der Stadt machten große Anstrengungen ihn zum Bleiben zu bestimmen, was auch gelang. Aber bis an sein Lebensende wurde der kränkliche, sich immer mehr abschließende und durch den Wahn, daß er zum Mißgeschick geboren sei, sich selbst das Leben verkümmernde Mann nie mit seinem Loose zusrieden. Die Vorreden zu seinen Büchern sind voll von Klagen über die Gesinnung seiner Umgebung, die kein anderes Interesse kenne als Gewinn und Genuß, und über die Vergeblichkeit seiner Bemühungen, in der Jugend einen bessern Sinn zu pflanzen. Um so inniger schloß er sich an seine Lieblinge, die Classiker, an. Seine Arbeitskraft trotz der körperlichen Leiden und sein Fleiß setzen in Erstaunen. Obwol er neben seinem mühevollen Schulamte auch noch die Geschäfte eines Stadtbibliothekars zu besorgen hatte, vollendete er seine verdienstvollen und grundlegenden Ausgaben des Isokrates, den er sieben Mal, und des Demosthenes (und Aeschines), den er vier Mal mit Uebersetzung und Commentar drucken ließ, dazu seine Ausgaben verschiedener philosophischer Schriften Cicero's, des Epiktet und Cebes und manches Andere. Nicht weniger als 16 Autoren hat er übersetzt oder erklärt. Am wenigsten genügte ihm selbst seine Uebersetzung des Suidas, die auch wol die schwächste seiner Arbeiten ist, da es ihm hier an guten Handschriften fehlte. Ein unbestrittenes Verdienst erwarb er sich durch die Herausgabe des Zonaras, Nicetas Choniates, Nicephorus Gregoras und Chalcondylas, — des ersten corpus historiae Byzautinae. Die meisten seiner Schriften sind bei Oporinus in Basel gedruckt. Seine Schriftstellerei brachte ihm manchen Verdruß, aber wenig Geld. Da er auch noch sehr freigebig gegen Verwandte war, sah er sich genöthigt, in seinem Alter sich von seinem liebsten Besitz, seiner werthvollen Bibliothek, zu trennen; er verkaufte sie um 700 fl. nach Lauingen. Als Melanchthon's erster Schüler bewährte er sich während seines ganzen Lebens durch seine milde und versöhnliche christliche Richtung, die er auch an der Schule pflegte. Doch blieben auch ihm heftige Anfeindungen wegen seiner evangelischen Gesinnung, namentlich in der letzten Zeit, nicht erspart. Sein durch schwere körperliche Leiden getrübtes Alter verfloß ihm einsam; er war nie verheirathet. Er starb am 8. October 1580.
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Literature
Sein Leben bis 1570 hat W. selbst beschrieben. (Abgedruckt in J. Jac. Reiskii oratt. graec. vol. VIII, p. 772.) —
Die Jugendgeschichte darnach in deutscher Uebersetzung von Passow in Raumer's histor. Taschenb. 1830. —
Crophius, Historia des Augspurgischen Gymnasii, 1740. —
Memoria Hier. Wolfii scr. G. C. Mezger 1862. -
Author
G. Mezger. -
Citation
Mezger, G., "Wolf, Hieronymus" in: Allgemeine Deutsche Biographie 43 (1898), S. 755-757 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd100706460.html#adbcontent