Lebensdaten
1798 – 1881
Geburtsort
Lette (Westfalen)
Sterbeort
Zürich
Beruf/Funktion
Politiker ; Jurist ; Romanschriftsteller
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118801597 | OGND | VIAF: 139914
Namensvarianten
  • Temme, Jodocus Deodatus Hubertus
  • Stahl, Heinrich
  • Temme, Jodocus
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Zitierweise

Temme, Jodocus, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118801597.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Carl Bernard Joseph (1765–1841), aus Warendorf (Westfalen), Justitiar u. Stadtrichter in Wiedenbrück, S d. Johann Carl Heinrich (1738–96), Gograf zum Harkotten, u. d. Catharina Gertrud Wiese (1738–71);
    M Maria Elisabeth Ferie (1769–1848), aus Beelen;
    Ur-Gvv Carl Bernard Joseph (1693–1768), Gograf zum Harkotten;
    Ov Anton Heinrich (1778–1861), freisinniger kath. Pfarrer 1816–25 in St. Vit b. Wiedenbrück, 1825–52 in Herzebrock;
    7 jüngere Geschw;
    Elberfeld 1827 Wilhelmine Juli(an)e Plücker (1808–78, ev.) aus Elberfeld; mind. 8 K u. a. Elisabeth (Elise) (1828–1911, Hermann Otto Wächter, 1822–81, Apothekenbes. in Tilsit, S d. Johann Wächter, 1786–1853, Apothekenbes. in Tilsit, gründete Zucker- u. Essigfabriken sowie Ölmühlen, 1847 Abg. v. Tilsit im Vereinigten LT, 1850–53 Mitgl. d. preuß. 1. Kammer, 1834 KR), Friederike Juliane Agnes (1836–1902, Stephan Born, eigtl. Simon Buttermilch, 1824–98, jüd., 1848 Gründer d. „Allg. Dt. Arbeiter-Verbrüderung“, s. NDB II; W);
    E Carl Emil Hermann Wächter (1860–1916), Oberrichter, Handelsger.präs., PD f. Schweizer Zivilrecht u. Züricher Zivilprozessrecht, 1915 Tit.-Prof. (s. Schweizer Juristenztg. 1916, S. 263–67).

  • Biographie

    Nach Privatunterricht bei seinem Vater und dessen Halbbruder Anton Heinrich durchlief T. die Oberprima des Theodorianums zu Paderborn. Seit 1814 studierte er Rechtswissenschaft in Münster, seit 1816 in Göttingen. Nach Erstem (1817) und Zweitem („kleinem“ Assessor-)Examen (1819) absolvierte er sein Referendariat am Oberlandesgericht Paderborn und als Hilfsrichter in Rheda. 1821 ging T. als Assessor an das Fürstl. Bentheim. Gericht nach Hohenlimburg bei Hagen (Westfalen). 1822–24 begleitete er den Prinzen Franz von Bentheim-Tecklenburg-Rheda bei dessen Jurastudien nach Heidelberg, Bonn und Marburg. Wegen einiger „Unbotmäßigkeiten“ konnte T. erst 1832 das „große“ Assessor-Examen ablegen und erhielt noch 1832 eine Anstellung als Obergerichtsassessor am Hofgericht Arnsberg. 1833 wurde er Kreisjustizrat in Ragnit, 1836 Direktor des Inquisitoriats in Stendal, 1838 Richter am Hofgericht Greifswald und 1839 Rat am neuen Kriminalgericht Berlin. Zusätzlich schrieb T. in der Zeit bis zu seiner Ernennung zu dessen 2. Direktor 1842 zahlreiche Monographien und Aufsätze straf- und verfahrensrechtlicher Natur, gab zwei jur. Zeitschriften heraus, sammelte fünf Bände Volkssagen und veröffentlichte mehrere Romane unter Pseudonym. Seine vorgesehene Beförderung zum Direktor des Kriminalgerichts scheiterte an T.s couragierten jur. Stellungnahmen, u. a. gegen ein geplantes „reaktionäres“ Ehescheidungsrecht, ein Lieblingsprojekt Kg. Friedrich Wilhelms IV. 1844 wurde er als Direktor des Land- und Stadtgerichts nach Tilsit versetzt. Am 10. 4. 1848 erfolgte seine Ernennung zum Staatsanwalt am Kriminalgericht im revolutionserschütterten Berlin, am 8. 5. seine Wahl in die Preuß. Konstituierende Versammlung und am 10. Mai in die Frankfurter Nationalversammlung, wo er auf der „äußersten Linken“ für das demokratische Programm eintrat. Politisch beim Hof mißliebig, wurde T. im Juli 1848 mit der gesetzlichen Folge des Verlusts seiner parlamentarischen Mandate als 2. Präsident und Vorsitzender des Kriminalsenats des OLG nach Münster versetzt. Fünf Wochen später in Ragnit wiedergewählt, kehrte er nach Berlin zurück und trat u. a. für das Recht zur Revolution und die Volkssouveränität ein. Wegen seiner Beteiligung an einem Aufruf zur Steuerverweigerung eröffnete T.s eigener Senat ein Verfahren wegen Hochverrats und Aufruhrs gegen ihn und ließ ihn kurzzeitig verhaften. Nach der Auflösung der Nationalversammlung ging T. mit dem „Rumpfparlament“ nach Stuttgart. Nach dessen gewaltsamer Auflösung wandte er sich nach Münster, wurde abermals verhaftet, wegen Hochverrats angeklagt, aber freigesprochen. Unter rückwirkender Anwendung eines Disziplinargesetzes von 1849 enthob ihn das preuß. Obertribunal 1851 seines Amtes unter Verlust seiner Pensionsansprüche.|Noch 1851 übernahm T. in Breslau die Redaktion der demokratischen „Neue Oder Zeitung“, bevor er Ende 1852 nach vielen Pressionen mit seiner Familie in die Schweiz auswanderte. Hier erhielt er an der Staatswiss. Fakultät der Hochschule Zürich eine (zunächst unbesoldete) Professur. Zur Sicherung des Unterhalts publizierte T. erfolgreiche, bis heute nachgedruckte Unterhaltungsromane, Erzählungen sowie Kriminalnovellen und schrieb für die „Gartenlaube“. 1863 in das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt, legte er bereits zu Beginn des Folgejahrs – desillusioniert von der „vollen Nichtigkeit unseres Parlamentarismus“ – sein Mandat nieder und kehrte nach Zürich zurück, wo er 1878 seine Professur aufgab. Bedeutung erlangte T. weniger als Jurist oder Schriftsteller, als vielmehr durch sein kompromißloses Eintreten für Recht und Freiheit des Volkes.

  • Werke

    W u. a. jur. Schrr.: Hdb. d. Preuss. Civilrechts, 2 T., 1832/35;
    Hdb. d. Preuß. Kriminalrechts, 1837;
    Die Lehre v. d. Tödtung n. Preuß. Recht, 1839;
    Die Lehre vom Diebstahl n. Preuß. Recht, 1840;
    Die Lehre vom strafbaren Betruge n. Preuß. Recht, 1841;
    Btrr. z. Preuß. Strafrecht, 1842;
    Critik d. Entwurfs d. StGB f. d. Preuß. Staaten, 2 T., 1843;
    Lehrb. d. Preuß. Civilrechts, 2 Bde., 1846;
    Grundzüge e. dt. Strafverfahrens, 1850;
    Die Prozesse gegen J. T., 1851;
    Glossen z. StGB f. d. Preuß. Staaten, 1853;
    Lehrb. d. Preuß. Strafrechts, 1853;
    Lehrb. d. Schweiz. Strafrechts, 1855;
    Lehrb. d. gemeinen dt. Strafrechts, 1876; – Belletristik u. autobiogr. Schrr.:
    Westphäl. Sagen u. Geschichten, 2 Bde., 1831 (unter Ps.);
    Die Volkssagen Ostpreußens, Litthauens u. Westpreußens, 1837 (mit W. A. J. Tettau);
    Die Volkssagen d. Altmark, 1839;
    Die Volkssagen v. Pommern u. Rügen, 1840;
    Erinnerungen, 1883, hg. v. Stephan Born, neu hg. u. mit e. Anhang versehen v. M. Hettinger u. d. T. „Augenzeugenberr. d. dt. Rev., 1848/49, Ein Preuß. Richter als Vorkämpfer d. Demokr.“, 1996 (P vor S. I); J. T. Lesebuch, hg. v. W. Gödden u. S. Kessemeier 2004 (Nachwort S. 138–50, P); – Bibliogr. d. jur. Schrr.: Peters, 2010 (s. L), S. 314–21.

  • Literatur

    L ADB 37;
    F. Steinmann, T., Sein Leben u. sein Hochverraths-Prozeß, 1850;
    M. Gust, J. D. H. T., Ein münsterländ. Schriftst. u. Politiker d. 19. Jh., 1914;
    H. Kirrinnis, in: Acta Prussia, FS f. Fritz Gause, 1968, S. 261–84;
    T. Odermatt, Der strafrechtl. Unterr. an d. Univ. Zürich im 19. Jh., 1975, S. 104 ff.;
    U. L. Kötschau, Richterdisziplinierung in d. preuß. Reaktionszeit, Verfahren gegen Waldeck u. T., 1976;
    R. v. Heydebrand, in: dies., Lit. in d. Prov. Westfalen 1815–1945, 1983, S. 56–58;
    M. Hettinger, J. D. H. T. (1798–1881), Volksfreund oder Staatsfeind? Ein Demokrat vor d. Zeit, in: F. J. Düwell u. Th. Vormbaum (Hg.), Recht u. Juristen in d. dt. Rev. 1848/49, 1998, S. 93–178;
    ders., J. T. (1798–1881), Richter, Staatsanwalt u. Prof., Abg., Häftling u. Emigrant, in: Westfäl. Zs. 149, 1999, S. 345–60;
    ders., Wer zu früh kommt, den bestraft d. Leben, Erinnerungen an J. T., e. Vorkämpfer f. d. Demokr., in: Jur. Zeitgesch. 1, 1999/2000, S. 293–315;
    K. Peters, J. D. H. T. u. d. preuß. Strafverfahren in d. Mitte d. 19. Jh., 2010 (P);
    Westfäl. Köpfe;
    Ostdt. Gedenktage 1998 (P);
    Biogr. Hdb. Frankfurter NV;
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L); Westfäl. Autorenlex. (W, L
    , P);
    Reinalter II;
    Enz. Märchen.

  • Autor/in

    Michael Hettinger
  • Zitierweise

    Hettinger, Michael, "Temme, Jodocus" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 24-25 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118801597.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Temme: Jodocus Deodatus Hubertus T., Politiker, juristischer und schönwissenschaftlicher Schriftsteller, wurde (nach seiner eigenen Angabe) am 22. October 1798 zu Lette in der westfälischen Grafschaft Rheda geboren; sein Vater war Amtmann des Klosters Klarholz. Vorgebildet durch seinen Oheim, einen gelehrten, vorurtheilsfreien, dem Geiste humanistischer Aufklärung ergebenen Geistlichen, konnte T. schon 1813 die Prima des Gymnasiums zu Paderborn und im folgenden Jahre die Universität beziehen. Nur kurze Zeit weilte er in Münster, dann ging er nach Göttingen, vollendete hier das Rechtsstudium und trat 1817 als Auscultator bei dem Oberlandesgerichte in Paderborn in den Staatsdienst. Im J. 1819 wurde er Referendar daselbst und 1821 Assessor bei dem fürstlich Bentheimschen Land- und Stadtgericht in Hohenlimburg, begleitete dann aber als Erzieher einen Prinzen von Bentheim-Tecklenburg bis zum Jahre 1824 auf die Universitäten Heidelberg, Bonn und Marburg. In die juristische Praxis zurückgekehrt, wurde er nach Erledigung der dritten Prüfung an das Gericht zu Arnsberg versetzt, ging später als Kreisjustizrath nach Ragnit in Litthauen, 1836 als Inquisitionsdirector nach Stendal. 1838 als Hofgerichtsrath nach Greifswald und wurde 1839 als zweiter Director an das Criminalgericht zu Berlin versetzt. So hatte ihn eine Art Wanderleben in die verschiedensten Landestheile des Staates geführt. Als Untersuchung- und Criminalrichter sammelte er in diesen Jahren den reichen, fast unerschöpflichen Schatz von Erfahrungen, den er später in seinen Romanen und Criminalgeschichten verwerthete, während ihn das Studium von Land und Leuten auf die Sammlung von Sagen und Märchen der verschiedenen Provinzen führte. Von diesen Sammlungen seien erwähnt: „Westfälische Sagen und Geschichten“ (II, 1831); „Die Volkssagen Ostpreußens, Litthauens und Westpreußens“ (mit W. J. A. v. Tettau. 1837); „Die Volkssagen der Altmark“ (1839); „Die Volkssagen von Pommern und Rügen“ (1840). Auch als Novellist hatte sich T. bereits in Arnsberg versucht, und es stammen aus dieser Zeit mehrere Romane und Novellen, die er unter dem Namen H. Stahl veröffentlichte. — In Berlin sollte T. sehr bald in politische Kämpfe verwickelt werden und damit auch den ersten Verfolgungen anheimfallen. Die reactionäre Regierung des neuen Königs Friedrich Wilhelm IV. plante ein neues Ehegesetz, dessen Zweck die Erschwerung der Ehescheidungen war. Der Katholik T., auf dem Boden des Allgemeinen Landrechts stehend, bekämpfte die kryptokatholischen Tendenzen jenes Gesetzentwurfs mit solcher Schärfe, daß die Regierung es für gerathen hielt, den unliebsamen Opponenten aus der Reichshauptstadt zu entfernen (1844) und ihn unter Beförderung zum Director des Stadt- und Landgerichts in Tilsit zu ernennen. Nach der Märzrevolution des Jahres 1848 kehrte T. als Staatsanwalt nach Berlin zurück, blieb aber nur wenige Monate in dieser Stellung; denn da T. gleichzeitig ein Mandat für die preußische Nationalversammlung erhalten hatte, das Ministerium aber den freisinnigen Mann gern beseitigen wollte, so wurde er zum Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts in Münster ernannt. Schon nach vier Wochen wiedergewählt, war er mit Jacoby, Waldeck, Ziegler u. a. seitdem ein scharfer Gegner der Regierung und nahm wesentlichen Antheil an der Steuerverweigerung und dem Protest gegen die Auflösung der Nationalversammlung (November 1848). Daß selbst der herrliche preußische Richterstand in jenen Tagen von einer bureaukratischen Liebedienerei nicht ganz frei war, zeigte sich auch in Temme's Leben; denn der Criminalsenat des Oberlandesgerichts zu Münster petitionirte nicht nur um Entfernung seines Vicepräsidenten, sondern erhob auch gegen denselben als Steuerverweigerer die Anklage auf Hochverrath, infolge dessen T. vom Amte suspendirt und am 22. December 1848 verhaftet wurde. Aber schon am 8. Januar 1849 wurde er vom Kreise Neuß in die deutsche Nationalversammlung nach Frankfurt a. M. gewählt. In derselben harrte er auch trotz der preußischen Abberufungsordre aus, bis Gewalt den letzten Rest des Parlaments in Stuttgart auseinander sprengte. Deshalb nach seiner Rückkehr nach Münster von neuem des Hochverraths angeklagt und abermals verhaftet, mußte er neun Monate lang in Untersuchungshaft zubringen, bis am 6. April 1850 seine völlige Freisprechung durch die Geschworenen erfolgte. Aber die Verfolgung hörte damit nicht auf. Jetzt wurde ein Disciplinarverfahren gegen ihn eingeleitet, und auf Grund einer Verordnung vom 10. Juli 1849, der man erst rückwirkende Kraft geben mußte, um sie gegen T. in Anwendung bringen zu können, verurtheilte ihn das Obertribunal als Disciplinarhof im Februar 1851 zur Amtsentsetzung und zum Verlust des Anrechts auf Pension. T. stand nun vor der Aufgabe, sich eine neue Existenz zu gründen, die für ihn als Mißliebigen nicht leicht war. Er übernahm zunächst die Redaction der „Oderzeitung“ in Breslau, des Sammelpunktes der Opposition; aber die polizeilichen Belästigungen, deren sowohl der Redacteur als der Verleger ausgesetzt waren, ließen ihn bald dieses Verhältniß lösen. Ein Versuch, sich und seine Zahlreiche Familie als Rechtsconsulent ehrlich durch die Welt zu bringen, erwies sich gleichfalls wenig erfolgreich, er ging deshalb 1852 freiwillig ins Exil nach Zürich, wo er bald eine Professur an der Universität erhielt, die ihm aber erst nach sieben Jahren ein sehr bescheidenes Einkommen brachte. So griff er denn zur Feder, um als Schriftsteller sein Brot zu verdienen. Seine reichen Erfahrungen als Richter verwerthend, „behandelte er die Criminalistik in der Form der Novelle und des Romans und er wurde so der Hauptvertreter eines besonderen Genres, in dessen Behandlung er bis jetzt trotz der großen Zahl der Nachfolger unerreicht dasteht. Er erzählt zumeist, was er selbst erlebt; viele seiner Novellen sind mehr Wahrheit als Dichtung, und der erfahrene Criminalist brauchte den Dichter nicht oft zu bemühen. Seine Erzählungen, deren Verbreitung sich in den Jahren 1859—66 namentlich die 'Gartenlaube' sehr angelegen sein ließ, sind scharf concipirt; mit den Figuren agirt er, wie ein Inquirent. An diesen erinnert auch der seltsame Stil; kurze, abgerissene Sätze, wie|Fragen und Antworten eines Verhörs, wie die eiligen Darlegungen eines Referats. Er strebt hastig dem Ende zu und der Leser, den mehr das Stoffliche als das Psychologische des Falles reizt, mit ihm. Für Temme's Genre ist der schnelle Sprung von Satz zu Satz nicht unangenehm, wenngleich er darin des Guten manchmal zu viel gethan hat“. T. schrieb mit beispielloser Leichtigkeit und rastlosem Eifer: er schrieb eben „aus Noth, ums tägliche Brot“, und es that ihm bitter weh, wenn mancher deutsche Recensent aus Untenntniß dieser Verhältnisse rasch und herzlos den Stab über seine Arbeiten brach. Es mag uns erspart bleiben, die Titel seiner sämmtlichen schönwissenschaftlichen Schriften aufzuführen: sie umfassen mehr als 150 Bände; als die hervorragendsten seien erwähnt: „Neue deutsche Zeitbilder“ (drei Romane: Anna Hammer, III, 1850; Josephe Münsterberg. III, 1850; Elisabeth Neumann, III, 1852); „Die schwarze Mare" (III, 1854); „Die Verbrecher" (V, 1855); „Die Gesellschafterin" (1858); „Schwarzort" (III, 1863); „Die Frau des Rebellen" (II, 1871); „In der Ballus" (1874); „Im Amthause zu Sinningen“ (II, 1876); „Die Generalin“ (IV, 1877) u. a. Auch als juristischer Schriftsteller war T. hervorragend thätig und sein „Lehrbuch des preußischen Civilrechts" (1846) galt lange als vortreffliches Compendium; ihm folgten später noch „Lehrbuch des preußischen Strafrechts" (1853); „Lehrbuch des schweizerischen Strafrechts“ (1855) und „Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts“ (1876), in welchem er seine so vielfach von den geltenden Gesetzen abweichenden Anschauungen klar entwickelte und gegen die herrschende Strömung entschieden vertheidigte. Noch einmal trat T. in die politische Oeffentlichkeit, als ihm die Berliner Wähler 1863 ein Mandat zum preußischen Abgeordnetenhause übertrugen; aber der alte Demokrat, der in der Schweiz keine Erschütterung in seinen Anschauungen erfahren, konnte sich in den neuen Parlamentarismus nicht hineinfinden, und so kehrte er schon nach Jahresfrist in die Schweiz zurück. Bis zum Jahre 1878 behielt er seine Professur bei, dann siedelte er nach Tilsit über, um im Kreise seiner Kinder und Kindeskinder den Lebensabend zu beschließen. Als ihm hier aber bald seine treue Lebensgefährtin durch den Tod entrissen ward, fühlte er sich einsam und vereinsamt, und es zog ihn wieder nach dem geliebten Zürich zurück. Hier starb er am 14. November 1881.

    • Literatur

      Handschriftliche Mittheilungen. — Berliner Tageblatt vom 20. Novbr. 1381. — Erinnerungen von J. D. H. Temme, (zuerst in der Frankfurter Zeitung, dann) herausg. von Stephan Born (Temme's Schwiegersohne) Leipz. 1883.

  • Autor/in

    Franz Brümmer.
  • Zitierweise

    Brümmer, Franz, "Temme, Jodocus" in: Allgemeine Deutsche Biographie 37 (1894), S. 558-560 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118801597.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA