Lebensdaten
1855 – 1927
Geburtsort
Southsea bei Portsmouth
Sterbeort
Bayreuth
Beruf/Funktion
Schriftsteller ; Kulturhistoriker ; Schwiegersohn Richard Wagners
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118675508 | OGND | VIAF: 39455347
Namensvarianten
  • Chamberlain, Houston Stewart
  • Chamberlain, H. St.
  • Chamberlain, Houston S.
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Zitierweise

Chamberlain, Houston Stewart, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118675508.html [04.10.2024].

CC0

  • Genealogie

    V William Charles aus dem Haus der Baronets Chamberlain (1818–78), kommandierender Admiral in Plymouth, S des Sir Henry Orlando, 1. Baronet (1773–1829), Diplomat (illegitimer S des Earl of Westmorland, also nicht blutsverwandt mit den übrigen Chamberlain), u. der Anne Eugenia (T des Großkaufmanns William Morgan of Tragedar in London, Lübeck u. Lissabon u. der Kaufm.-T Maria Cath. Böckmann aus Lübeck);
    M Eliza Jane, T des Captains u. Schriftstellers Basil Hall aus dem Haus der Baronets Hall (1788–1844, S des Sir James Hall, 4. Baronets of Dunglass M. P., Geologe u. Vorsitzender der Ges. der Wiss. in Edinburgh, u. der Lady Helen Douglas aus dem Haus des Earl of Selkirk) u. der Margaret, T des Gen.-Konsuls Sir John Hunter;
    Ov Sir Neville Chamberlain (1820–1902), britischer FM;
    B Basil Hall Chamberlain (1850–1935), Japanologe;
    1) Genf 1878 Anna (1846–1924, geschieden), T des Justizrats Horst (isr., dann ev.) in Breslau, 2) Bayreuth 1908 Eva v. Bülow (1867–1942), illegitime T Richard Wagners ( 1883) u. der Cosima v. Bülow geb. Flavigny ( 1930), illegitime T des Komponisten Franz Liszt ( 1886) u. der Marianne Gfn. d'Agoult geb. Vicomtesse de Flavigny; Schwager Henry Thode (1857–1920, Kunsthistoriker, Daniela, T des Hans v. Bülow [ 1894], s. NDB II); kinderlos.

  • Biographie

    Da die Mutter bereits kurz nach seiner Geburt starb, wurde Chamberlain von seiner Großmutter väterlicherseits und seiner Tante Harriet Chamberlain in Versailles erzogen (1856-66). Vom Vater zum Genieoffizier bestimmt, besuchte er dann zunächst eine englische Privatschule auf dem Lande und bis 1870 das Cheltenham-College. Die in seiner Kindheit erhaltenen Eindrücke haben sich tief eingeprägt. Er fühlte sich in England fremd und unglücklich. Unerfreuliche Erlebnisse, vor allem auf der Landschule, haben nicht zum wenigsten dazu beigetragen, ihn von seinem Heimatland innerlich zu lösen. Ein schweres Nervenleiden setzte dann dem geordneten Bildungsgang ein Ende. Für Chamberlain begann eine 9jährige Wanderschaft durch die west- und mitteleuropäischen Länder. Sehr wichtig wurde für ihn in diesen Jahren das freundschaftliche Verhältnis zu seinem deutschen Hauslehrer, dem Theologen Otto Kuntze, der Chamberlain durch strenge methodische Schulung zu einer für einen Ausländer geradezu bewunderungswürdigen Beherrschung der deutschen Sprache verhalf. 1879 begann Chamberlain in Genf das Studium der Naturwissenschaften. Nach bestandenem Baccalaureus-Examen (1881) widmete er sich Untersuchungen über den Wurzeldruck bei Pflanzen, erlitt jedoch 1884 einen Nervenzusammenbruch, so daß er erst sehr viel später die Arbeit „Recherches sur la sève ascendante“ (1897) veröffentlichen konnte. Von 1884-89 hielt er sich in Dresden auf, wo er sich intensiv mit Kant, deutscher Literatur und Kunst beschäftigte. Er ging dann nach Wien und nahm noch ein Jahr lang die botanischen Studien bei J. Wiesner auf, war aber nicht imstande, die für ihn zu anstrengenden mikroskopischen Untersuchungen zum Abschluß zu bringen. Seit 1892 hat sich Chamberlain ausschließlich als freier Schriftsteller betätigt. Neben zahlreichen Werken und Aufsätzen über Richard Wagner befaßte er sich vornehmlich mit naturphilosophischen, religiösen, geschichtlichen und politischen Fragen. Seit 1909 lebte er ganz in Bayreuth, so daß er fortan dem intimen Kreis angehörte, der sich um Cosima Wagner gebildet hatte. Erst 1916 wurde er deutscher Staatsbürger. Infolge einer Quecksilbervergiftung, die er sich vor dem 1. Weltkrieg zugezogen hatte, gelähmt, hat Chamberlain sein furchtbares Leiden in bewunderungswürdiger stoischer Haltung getragen.

    Schon sehr früh entschied sich Chamberlain ganz für Deutschland. 1876 schrieb er: „Mein Glaube, daß die ganze Zukunft Europas, das heißt der Zivilisation der Welt, Deutschland in Händen liegt, ist zur Sicherheit geworden.“ Es war nicht allein das überkommene geistige Erbe der Deutschen, das ihn mächtig anzog; der Höhepunkt der deutschen Kultur war in seinen Augen erst mit Richard Wagner erreicht. Mit dessen Musik kam er 1875 in Interlaken in Berührung. 1882 kam er zum ersten Mal nach Bayreuth, er hat dann regelmäßig an den Festspielen teilgenommen. Wagner wurde „die Sonne meines Lebens“, Bayreuth „die Heimat meiner Seele“. 1888 trat er in freundschaftliche Beziehungen zu Cosima Wagner; er übertrug seine überschwengliche Verehrung für den Meister auf die „hohe Frau“, wie er sie in seinen Briefen nannte. Wagner war für Chamberlain einer der größten Musiker und Dichter aller Zeiten, das von diesem geschaffene Musikdrama hielt er für die vollkommenste Synthese künstlerischer Gestaltung überhaupt. Wagner war aber für ihn auch der Führer in eine bessere Zukunft; von ihm übernahm er die Verfalls- und Regenerationstheorie; wie dieser war er überzeugt, daß am ehesten eine erhabene Kunst zur sittlichen und geistigen Erneuerung beitragen könne. Chamberlain hat sich durch seine Werke über Wagner sowie durch zahlreiche Aufsätze in den „Bayreuther Blättern“ ohne Zweifel ein Verdienst darum erworben, daß außerhalb der deutschen Grenzen Wagners Musik und vor allem auch der geniale Gedanke der Bayreuther Festspiele zunehmendes Verständnis fanden.

    Chamberlains geistige Entwicklung ist wesentlich von Kant beeinflußt worden. Von diesem, der indischen Vorstellungswelt und der Betrachtung der Natur her, wobei er sich Goethe zum Vorbild nahm, entwickelte er seine Lebenslehre. Chamberlain hat stets mehr als die reine Philosophie das Geheimnis des Lebens interessiert, wie es seiner naturwissenschaftlichen Ausgangsposition entsprach. Er hielt Leben für eine in der Bewegung verharrende Gestalt. Leben als Gestalt muß sich gegen die zerstörenden Einflüsse von Kraft und Stoff durchsetzen. Die Gestalt ist einem Bildungsgesetz unterworfen, womit er meint, daß die einzelnen Teile untereinander und zum Ganzen in einer mathematisch bestimmbaren Relation stehen, er vermutet sogar, daß dieses Bildungsgesetz kosmisch verankert sei und alle Lebewesen aneinander binde. Bei der Gestalt ist danach die Beharrungskraft das eigentlich Primäre, Evolutionen und Variationen haben nur sekundäre Bedeutung. Chamberlain lehnt daher die Evolutionslehre von Darwin durchaus ab, da es ihm viel wichtiger zu sein scheint, die Lebenstypen festzustellen als die Arten zu erklären. Evolution sei nur als Rückbildung denkbar. Von dieser Grundansicht her fand Chamberlain mühelos die Brücke zu seiner Rassenideologie. Denn Rasse ist für ihn nichts anderes als gestaltgewordenes Menschentum. Die meisten Menschen haben keine Rasse, sondern leben im Völkerchaos. Chamberlain legt nicht den stärksten Akzent auf die physischen Merkmale, sondern auf das Rassebewußtsein; von der Rasse her werden Wesen und Charakter des Menschen bestimmt, die eigentümliche Art und Weise, wie dieser sich inneren und äußeren Eindrücken gegenüber verhält, das Nichtandersseinkönnen entscheidet über die Zugehörigkeit. Wie Gobineau hat auch Chamberlain die Indoeuropäer, beziehungsweise die Germanen als die kulturschöpferische Rasse angesehen. Das Germanische faßt er jedoch sehr weit auf, auch die Kelten und die Slawen gehören für ihn dazu. Wohl aber gibt es Völker, die mehr als andere befähigt sind, die germanische Rassenseele zur Entfaltung zu bringen. Vor allem setzt er seine Hoffnungen auf die Deutschen, deren große Geister die germanische Weltanschauung im Denken und Handeln am reinsten zum Ausdruck gebracht haben. Das Deutschtum hat daher „die Würde und die Verantwortlichkeit eines Hauptes des germanischen Rassegedankens, weil es in seiner Mitte Hirn und Herz dieser besonderen Menschenart birgt“. Chamberlain lehnte einen allgemeinen Fortschritt der Menschheit ab, da diese für ihn nur ein abstrakter Begriff sei. Trotzdem war er Optimist. Für die Zukunft hing seiner Meinung nach alles davon ab, ob die Germanen und vor allem die Deutschen ihre Rassewerte bewußt pflegen, beziehungsweise imstande waren, feindliche Kräfte abzuwehren. Dann war durchaus noch eine neue Kulturblüte möglich.

    Rasse wird ihm vor allem durch den Gegensatz deutlich. Der absolute Gegensatz zur germanischen ist nach seiner Überzeugung die jüdische Rasse. Chamberlain bezeichnete sich nicht als Antisemit, sondern als Asemit. Er hatte großen Respekt vor dem jüdischen Rassestolz, seine erste Frau war Halbjüdin, er hatte jüdische Freunde und war durchaus dagegen, daß man die Juden für alle Verfallserscheinungen verantwortlich mache. Trotzdem hat Chamberlain dem Rassegedanken eine in ihren Folgen gefährliche Auslegung gegeben, gerade weil er das psychische Phänomen in den Vordergrund rückte. Er sprach den Juden gewisse Fähigkeiten und Eigenschaften ab, vor allem verinnerlichte Religiosität, die er bei den Ariern voraussetzte, und erblickte in dem übermäßigen Einfluß, den jene in der modernen Welt ausübten, ein untrügliches Anzeichen für die Gefährdung der germanischen Führerrolle. Auch den Geist der katholischen Kirche, vor allem den des Begründers des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola, empfand er als ungermanisch. In seinem Werk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ (1899) faßt Chamberlain die Weltgeschichte als einen Kampf der Rassen beziehungsweise als eine Auseinandersetzung der Weltanschauungen auf. Er schreibt bewußt als Dilettant; wenn dieser seiner Phantasie durch den Verstand gebieten läßt, ist er allein imstande, eine Gesamtschau zu geben. Geschichte ist nach seiner Überzeugung keine Wissenschaft. Die “Grundlagen“ waren ursprünglich als eine Trilogie gedacht, der erste Teil, der niemals eine Fortsetzung gefunden hat, sollte nach diesen Plan nur eine Einführung sein. Chamberlain verfaßte eine Theodizee auf rassischer Grundlage (Joachimsen). Im Mittelpunkt stehen die Kapitel über den Eintritt der Germanen und der Juden in die Weltgeschichte. Da Chamberlain|seine Theorie von dem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Germanentum und Judentum beweisen will, muß er folgerichtig den absonderlichen Versuch unternehmen, Christus, wenn schon nicht physisch, so doch wenigstens psychisch für das Ariertum zu beanspruchen. Jesus ist für Chamberlain eine Erscheinung, der er höchste Ehrfurcht zollt: „Gott ist Christus“, dieses eine Mal hat sich die göttliche Idee in einem Menschen in reinster Form manifestiert, erst seit Christus gibt es eine Religion der Erfahrung. Chamberlain ist sich nicht bewußt gewesen, daß die Anwendung rassischer Maßstäbe auf den Stifter der christlichen Religion diese herabwürdigt, er faßt sie in erster Linie als eine Weltanschauung auf. Er wird damit zum Wegbereiter des Deutschchristentums. In den „Grundlagen“ fehlt es nicht an tieferen Einsichten und an einer Fülle von Anregungen; im großen und ganzen ist jedoch mit Recht von diesem Werk gesagt worden, daß darin nichts ganz richtig und nichts ganz falsch sei. Chamberlain geht von vorgefaßten Meinungen, nicht selten von einem bloßen Ressentiment aus; er verwendet die Quellen willkürlich, vergleicht Unvergleichbares miteinander und verwickelt sich in Widersprüche, die er nicht sehen will. Seine Kenntnisse sind bei aller Belesenheit unzureichend, besonders gilt dies für das richtige Verstehen des Geistes der Antike und der jüdischen Religion. Von der Vielfältigkeit des geschichtlichen Lebens besitzt er keine Vorstellung, er gelangt zu einer fast naiven Vereinfachung höchst komplizierter kausaler Zusammenhänge.

    Die „Grundlagen“ haben seinen Namen in weite Kreise getragen; der glänzende, wenn auch für den heutigen Geschmack reichlich pathetische Stil übte eine faszinierende Wirkung aus. Der große Erfolg des Werkes war aber vor allem darin begründet, daß eine ihrer selbst unsicher gewordene Generation sich nach einer Synthese, nach einem Zukunftsziel sehnte, die Chamberlain zu geben schien. Von der Fachwissenschaft wurde das Werk allerdings abgelehnt. H. Thode, der Gatte von Daniela von Bülow, warf ihm Abweichen von der Bayreuther Tradition, ja sogar Diebstahl an Wagners Gedankengut vor, so daß zwischen den beiden Männern ein tiefes Zerwürfnis entstand. Einer der unbedingtesten Bewunderer wurde der deutsche Kaiser. Chamberlain ist wiederholt an den Hof gerufen worden; ein reger Briefwechsel kam in Gang, der noch in der Doorner Zeit fortgesetzt worden ist. Der Kaiser hatte das Gefühl, in Chamberlain eine Persönlichkeit gefunden zu haben, die ihn verstehen konnte. Dessen Einfluß auf den Herrscher war jedoch nicht sonderlich günstig. Aus indischer Schau trug Chamberlain dem kaiserlichen Freund eine mystische, erhabene Königsidee vor, so daß dessen schon übersteigertes Gottesgnadentumsbewußtsein neue Nahrung empfing. Auch Chamberlains religiöse Überzeugung hat sich Wilhelm II. mehr und mehr angeeignet.

    In den beiden Werken über Kant (1905) und Goethe (1912) kam es Chamberlain vor allem auf den Beweis an, daß Anschauung und Denken sich wechselseitig notwendig bedingen. Biographien im üblichen Sinne wollte er nicht geben; seine Gestaltlehre verbot ihm, die Entwicklung der Persönlichkeit zu betrachten oder sich um eine Einordnung in die Geistesgeschichte zu bemühen. Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges verlor er den Blick für die Wirklichkeit. Für Chamberlain bedeutete der Krieg ein einziges moralisches Verbrechen der Feinde Deutschlands, die das friedliebende und kulturell höchststehende Volk ohne jede Veranlassung überfallen hätten. Der Krieg war für ihn vor allem auch ein Verrat an der Rasse. In seinen Kriegsaufsätzen führte Chamberlain eine so maßlose Sprache besonders gegen England, daß selbst politisch rechtsstehende Kreise Unbehagen empfanden. Der Weimarer Republik stand er ganz ablehnend gegenüber. Eine Demokratie im westlichen Sinne hielt er als politischer Romantiker dem deutschen Wesen nicht für zuträglich. Der an das Krankenbett gefesselte und von der Außenwelt abgeschlossene Mann hat dann noch große Hoffnungen auf Hitler gesetzt, den er 1923 kennenlernte und völlig falsch als das Gegenteil eines Fanatikers einschätzte. Chamberlains unmittelbarer Einfluß auf die junge Generation nach dem Kriege war nicht mehr bedeutend; die meisten wandten sich Spengler zu.

    Der Zugang zum Verständnis dieser problematischen Persönlichkeit ist nicht zuletzt in dessen nervöser Veranlagung zu suchen. Zeitlebens kränklich, ein ausgesprochener Neurotiker, trat bei Chamberlain gegenüber äußeren und inneren Eindrücken eine übermäßige Erregbarkeit zutage. Bei vielseitiger glänzender Begabung war in ihm das Emotionelle stärker als das Verstandesmäßige ausgebildet. Er fiel immer wieder in irrationales Denken zurück. Aus innerer Unsicherheit wird es mit zu erklären sein, daß er biologischen und rassischen Problemen seine Hauptaufmerksamkeit widmete, auch seine Neigung zu Persönlichkeitskult hängt damit zusammen. Er war im Grunde heimat- und wurzellos. Er lebte in Deutschland in einer selbstkonstruierten Welt, die oft mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatte. Er blickte auf die Höhen und nicht in die Niederungen|hinein. Chamberlain wäre in besonderem Maße berufen gewesen, Brücken zwischen Deutschland und England zu schlagen, die beiden Völker zu gegenseitigem Verstehen ihrer Vorzüge und Schattenseiten zu ermahnen. Durch die einseitige Parteinahme für sein Gastland erwies er diesem keinen guten Dienst, indem er die Neigung zu geistiger Überheblichkeit nährte. Er brachte sich, in dem Ruf eines Renegaten stehend, um jede Wirkung in England. Die humanitäre und idealistische Grundhaltung darf bei Chamberlain nicht übersehen werden; für die Macht- und Wirtschaftskämpfe unter den Staaten hatte er eher zu wenig Verständnis. Aber darüber kann doch kein Zweifel bestehen, daß Chamberlain den Nationalsozialismus geistig mit vorbereitet hat. Seine Vorliebe für den Vitalismus, die überhöhte Stellung, die er der Kunst gegenüber der Wissenschaft anwies, die verschwommene Neuromantik und vor allem die pseudowissenschaftliche Begründung der Rassenpsychologie konnten von den Nationalsozialisten ohne weiteres übernommen werden. Rosenberg hat in seinem „Mythos des 20. Jahrhunderts“ vieles Chamberlains Gedankengängen entlehnt. Es ist durchaus anzunehmen, daß diesen später die rechtlose Willkür des Systems abgestoßen hätte. Er würde sich - und zum Teil mit Recht - mißverstanden gefühlt haben. Er glaubte, sicherlich aufrichtig, um eine sittliche Erneuerung der abendländischen Völker bemüht zu sein; ein großer Teil seiner Lehren ist jedoch letzten Endes den Kräften der Zerstörung und der Barbarei zugute gekommen.

  • Werke

    u. a. Gesamtausg. seiner Hauptwerke, 9 Bde., 1923;
    Das Drama Richard Wagners, 1892, ⁶1921;
    Richard Wagner, 2 Bde., 1896, 111942;
    Die Grundlagen d. 19. Jh., 2 Bde., 1899, 281942;
    Immanuel Kant, Die Persönlichkeit als Einführung in d. Werk, 1905, ⁵1938;
    Goethe, 1912, ⁵1931, Neudr. 1932;
    Kriegsaufsätze I-III, 1914;
    Neue Kriegsaufsätze, 1915;
    Lebenswege meines Denkens, 1919, ³1942;
    Mensch u. Gott. Betrachtungen üb. Religion u. Christentum, 1921, ⁶1943;
    Rasse u. Persönlichkeit, Aufsätze, 1925, ⁴1942;
    Natur u. Leben, hrsg. v. J. v. Uexküll, 1928;
    Briefe 1882-1924 u. Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II., hrsg. v. P. Pretzsch, 2 Bde., 1928;
    Cosima Wagner u. H. S. Ch. im Briefwechsel 1888-1908, hrsg. v. dems., 1934;
    G.Schott, Ch., der Seher d. Dritten Reiches, Das Vermächtnis H. S. Ch.s an d. dt. Volk in e. Auslese aus s. Werken, ⁴1941;
    A. Vanselow, Das Werk H. S. Ch.s, 1927 (Bibliogr.).

  • Literatur

    Eine wiss. Biogr. ist noch nicht vorhanden. H. S. Ch., Die Grundlagen d. 19. Jh…, Kritische Urteile, 1901, ³1909;
    C. Kranz, Ch.s Grundlagen d. 19. Jh.s in ihrer Stellung zu Christus u. zum Christentum, in: Zeitfragen d. christl. Volkslebens, Bd. 31, H. 3, 1906;
    E. Sellière, H. S. Ch., le plus récent philosophe du pangermanisme mystique, Paris 1917 (kritisch);
    H. S. Ch., Ein Abriß s. Lebens auf Grund eigener Mitt., hrsg. v. L. v. Schroeder, 1918 (P);
    F. W. Foerster, England in H. S. Ch.s Beleuchtung…, 1918 (kritisch);
    A. Chamberlain, Meine Erinnerungen an H. S. Ch., 1923 (P);
    C. Netzle, Ch.s Stellung in d. dt. Lit., in: Lit.-Echo, 26. Jg., 1924;
    G. Schott, Das Lebenswerk H. S. Ch.s in Umrissen, 1927;
    A. Rosenberg, H. S. Ch. als Verkünder u. Begründer e. dt. Zukunft, 1927;
    Nachrufe: P. Joachimsen, H. S. Ch., in: Zeitwende, 3. Jg., 1927, S. 347 ff. u. 430 ff (kritisch);
    F. Groß, K. A. Meyer, H. A. Grunsky u. F. Hotmann, in: Bayreuther Bll., 50. Jg., 1927, S. 105-15;
    E. Dujardin, in: Münchener Neueste Nachrr. 26/4, 1927;
    O. Kunze, in: Allg. Rdsch., 24. Jg., 1927, S. 35;
    K. A. Meyer, in: Schweizer Mhh. f. Pol. u. Kultur 6, 1926/27, S. 650 bis 654 u. in: Times, London 10. Jan. 1927;
    W. Vollrath, H. S. Ch. u. s. Theol., 1937;
    E. Cassirer, The Myth of the State, New Haven 1948;
    J. Réal, The Religious Conception of Race, H. S. Ch. and Germanic Christianity, in: The Third Reich, London 1955, S. 243-87 (kritisch);
    Dict. Nat. Biogr.;
    Bibliogr. d. dt. Lit., 1927, S. 174;
    Ziegenfuß;
    Körner (L).

  • Autor/in

    Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode
  • Zitierweise

    Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu, "Chamberlain, Houston Stewart" in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 187-90 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118675508.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA