Lebensdaten
1836 – 1895
Geburtsort
Lemberg (Lwíw, Galizien, heute Ukraine)
Sterbeort
Lindheim bei Frankfurt/Main
Beruf/Funktion
Schriftsteller
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118604570 | OGND | VIAF: 64011430
Namensvarianten
  • Sacher Ritter von Kronenthal, Leopold Franz Johann Ferdinand Maria von (bis 1838)
  • Arand, Charlotte (Pseudonym)
  • Rodenbach, Zoë von (Pseudonym)
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Sacher-Masoch Ritter von Kronenthal, Leopold, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118604570.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus böhm. Fam., nachweisbar mit d. Brüdern Johann Georg, Franz Joseph u. Ignatz Fortunat S. (Sächer), die sich seit 1729 wegen d. Verdienste ihres Vaters Thomas in d. Türkenkriegen „Rr. v. Kronthal (Cronthall)“ nennen durften;
    V Leopold S. Rr. v. Kronenthal (1797–1874, 1838 Namenserweiterung zu S.-M. Rr. v. Kronenthal), Kreisbeamter in Bochnia u. Tarnopol (Galizien), dann Polizeidir. in Lemberg, 1849-54 Stadthptm. v. Prag, 1854/55 Polizeidir. v. Graz. k. k. HR, S d. Johann Nepomuk S. Rr. v. Kronenthal (1759–1836), Staatsgüter- u. Salinenadministrator in Kalusz u. Wieliczka (Galizien), k. k. Gubernialrat, österr. Leopold-Orden 1818, u. d. Rosa Rob(e)l;
    M Caroline Josepha (1802–70), T d. Franz (Franciszek) Masoch (Massoch) (1763–1845), studierte Phil. u. Med. in Tyrnau, Prag u. Wien, 1793 o. Prof. in Lemberg, 1802 Dekan, 1803 u. 1828 Rektor, Landes-Protomedicus (s. ÖBL, Polski słownik biograficzny), u. d. Rosa Piero;
    Ur-Gvv Wenzel (Venceslas) S. (Zacher), um 1759 Herrschaftsverw. u. Schloßaufseher in Königswart (Kynžvart, Böhmen);
    4 Geschw u. a. Karl (1845–86), RA in Graz (s. Gen. 2);
    1) Graz 1873 1887 Angelika Aurora (Ps. Wanda v. Dunajew, Wanda v. S.-M., D. Dolorès) (1845– nach 1909 [1933 ?]), Schriftst. (s. W, L), T d. Wilhelm Rümelin, k. k. Fourier u. Bahnbeamter in Graz, u. d. Marie Schubert, 2) Helgoland 1890 Hulda Meister (1846–1918), Erzieherin, Übersetzerin (s. Patacky, Lexikon deutscher Frauen der Feder, 1898; Kosch, Lit.-Lex.³);
    3 S aus 1) u. a. Alexander (1864–84), 1 S, 2 T aus 2) u. a. Marfa (Ps. M. Coray) (1887–1963, Artur Saternus, * 1892, Journalist), Schriftst., Ramón (1889–1915 ⚔), Dramaturg, Schriftst.; aus Verbindung mit d. Schausp. Caroline Herold (Ps. Clairmont) 1 unehel. T Caroline (Lina) Herold (* 1872);
    N Artur Wolfgang v. S.-M. (Ps. Michael Zorn) (1875–1953), Offz., Schriftst. (s. Gen. 2);
    Gr-N Alexander (s. 2).

  • Biographie

    S. besuchte die dt. Gymnasien seit 1844 in Lemberg und seit 1848 in Prag. Nach der Matura 1852 studierte er Philosophie in Prag, seit 1854 in Graz, wo er 1856 promoviert wurde und sich im selben Jahr für Neuere Geschichte habilitierte (Der Aufstand in Gent unter Ks. Carl V., 1857). S.s Karriere als|Schriftsteller begann mit dem anonym erschienenen Roman „Eine Galiz. Geschichte, 1846“ (1858, gekürzt u. d. T.Gf. Donski, Eine Galiz. Gesch. 1846“, 1864) über den galiz. Aufstand 1846. 1862 veröffentlichte er die populärwissenschaftliche Studie „Ungarns Untergang und Maria von Österreich“, zog sich jedoch bald aus dem Universitätsbetrieb zurück und gab 1870 seine Dozentur auf.

    Seine Affäre mit der Arztgattin Anna v. Kottowitz (* 1833) 1862-66 inspirierte S. zu dem Roman „Die geschiedene Frau, Passionsgeschichte eines Idealisten“ (2 Bde., 1870, Neuausg. 1989). Seinen literarischen Ruhm begründete er mit den in Galizien angesiedelten Novellen „Don Juan von Kolomea“ (1866, in: Westermann's Jb. d. Illustrirten Dt. Mhh.), „Mondnacht“ und „Der Capitulant“ (beide 1868), in denen er das Realismuskonzept Iwan Turgenjews mit einer zeittypischen Darwin-Schopenhauer-Synthese kombinierte. Die drei Novellen gingen ein in den 1870 bei Cotta erschienen ersten Teil „Die Liebe“ (2 Bde., ⁴1878) von S.s als Zyklus von sechs mal sechs Novellen geplantem Hauptwerk „Das Vermächtniß Kains“, von dem nur die beiden ersten Teile erschienen.

    Im Okt. 1866 übernahm S. die Grazer Zeitschrift „Die Gartenlaube für Österreich“, gab diese jedoch 1867 nach Kontroversen wegen seines „großösterr.“ Programms wieder ab. Seine im Frühjahr 1869 in Meran begonnene Beziehung zu Fanny Pistor (geb. Koch ?, Baronin Bogdanoff ?), mit der er einen „Unterwerfungsvertrag“ unterzeichnete, verarbeitete er literarisch in „Venus im Pelz“ und variierte diese Beziehungskonstellation in zahlreichen späteren Texten. Diese bekannteste und wirkungsmächtigste Novelle S.s erschien 1870 im 1. Teil des „Kain“-Zyklus und wurde zu seinen Lebzeiten nie selbständig publiziert (erstmals 1901). Die Kritik lehnte den Text, wie auch den im selben Jahr erschienenen Roman „Die geschiedene Frau“ als „nihilistisch“ und „unnatürlich“ ab. 1890 begründete der Psychiater Richard v. Krafft-Ebing (1840–1902) mit dem Begriff „Masochismus“ (Neue Forsch. auf d. Gebiete d. Psychopathia sexualis, in: Psychopathia sexualis, ⁶1891) ein Paradigma, das die Auseinandersetzung mit S. bis heute bestimmt.

    Nach der Trennung von Fanny Pistor lebte S. seit Mai 1870 ein Jahr in Salzburg, dann wieder in Graz. Hier begann Anfang 1872 die im Zeichen ‚masochistischer' Inszenierungen stehende Beziehung mit Angelika Aurora Rümelin, die den Vornamen „Wanda“ der Protagonistin von „Venus im Pelz“ annahm. Großen Erfolg in Frankreich hatten 1872/73 Übersetzungen aus dem 1. Teil von S.s „Kain“-Zyklus; weitere franz. Buchausgaben folgten. 1873 übersiedelten S. und seine Frau Angelika Aurora nach Brück/Mur (Steiermark), 1877 zurück nach Graz. In diesem Jahr erschien mit „Das Eigenthum“ der 2. Teil des „Kain“-Zyklus (2 Bde.), der auch die jüd. Novelle „Hasara Raba“ (Einzelausg. 1882) enthielt. Weitere „Judengeschichten“ (1878) wurden von der jüd. Kritik begeistert aufgenommen und brachten S. den Ruf eines kompetenten und empathischen Schilderers des Judentums ein.

    Nach dem Scheitern eines Zeitschriftenprojekts in Budapest 1880 gründete S. 1881 in Leipzig die kosmopolitische ,Internationale Revue' „Auf der Höhe“, die anspruchsvolle Übersetzungen aus der europ. Literatur und Wissenschaft brachte. Für Schulden des Mitherausgebers der Zeitschrift und – gemäß S.s „masochistischer“ Inszenierung – Liebhabers seiner Frau, (Robert) Armand Rosenthal (1855–98), 1883 haftbar gemacht, war S. wirtschaftlich ruiniert, trennte sich von seiner Frau und mußte „Auf der Höhe“ im Sept. 1885 einstellen. Er übersiedelte 1886 auf ein Gut in Lindheim (Hessen), das S.s ehemalige Mitarbeiterin und spätere Ehefrau, die Übersetzerin Hulda Meister, erwarb. Hier gründete er 1893 den „Oberhess. Volksbildungsverein“, der durch Bibliotheksgründungen, Vorträge, Theater- und Musikaufführungen dem Antisemitismus entgegenwirken sollte.

    S.s Werk wurde in der Wirkungsgeschichte zu Unrecht auf das Etikett des „Masochistischen“ reduziert. S. zählte zu den bekanntesten und produktivsten Autoren von Realismus und Gründerzeit, deren literarisches Repertoire er thematisch erweiterte. Sein fortschrittsoptimistisch-liberales, kosmopolitisches Schreibprogramm war der europ. Aufklärung verpflichtet; die sensationalistischen Aspekte seines Werks sind nicht zuletzt den Existenzbedingungen des freien Schriftstellers im 19. Jh. geschuldet.

  • Werke

    Weitere W Der Emissär, Eine galiz. Gesch., 1863, Neuausgg. 1873 u. 1877;
    Kaunitz, Kultur-hist. Roman, 2 Bde., 1865. Neuausgg. 1873, 1877 u. um 1908;
    Über d. Werth d. Kritik, Erfahrungen u. Bemerkungen, 1873;
    Falscher Hermelin, Kl. Gesch. aus d. Bühnenwelt, 1873, 7. Aufl. um 1897;
    dass., Neue Folge, 1879, 6. Aufl. o. J.;
    Die Messalinen Wiens, Gesch. aus d. guten Ges., 1873, 13. Aufl. um 1911;
    Wiener Hofgesch., Hist. Novellen, 2 Bde., 1873, 9. Aufl. o. J.;
    Russ. Hofgesch., Hist. Novellen, 4 Bde., 1873;
    Die Ideale unserer Zeit, Roman, 4 Bde., 1875, ³1876;
    Galiz. Geschichten, Novellen, 1875, Neuausgg. 1877 u. 1886;
    Der Ilua, Novelle, 1877, Einzelausg. 1882, Neuausg. [1888];
    Der Neue|Hiob, Roman, 1878;
    Neue Judengesch., 1881;
    Der Judenraphael, 1881. Einzelausg. 1882. Neuausg. [1888]. Die Gottesmutter, 1883, Neuausg. [1888];
    Poln. Ghetto-Gesch., 1886;
    Poln. Gesch., 1887, ²1906;
    Contes Juifs, Récits de famille, 1888, dt. u. d. T.Jüd. Leben in Wort u. Bild“, 1891, Nachdr. 1985;
    Venus im Pelz, Novelle, 1901, ⁶1907, zahlr. Neuausgg.;
    Grausame Frauen, Novellen, 6 Bde., [1907];
    Ausgew. Ghetto-Geschichten, mit Geleitwort v. G. Karpeles, 1918;
    Don Juan v. Kolomea, Galiz. Geschichten, hg. v. M. Farin, 1985;
    Souvenirs, Autobiograph. Prosa, 1985;
    Seiner Herrin Diener, Briefe an Emilie Mataja, hg. v. A. Koschorke, 1987;
    Bibliogr.:
    M. Farin, S.-M.-Bibliogr. 1856-2003, in: I. Spörk u. A. Strohmaier (Hg.), L. v. S.-M., 2002, S. 307-76;
    zu Angelika Aurora (Wanda):
    Der Roman e. tugendhaften Frau, Ein Gegenstück z. „Geschiedenen Frau“ v. S.-M., 1873;
    Echter Hermelin, Gesch. aus d. vornehmen Welt, 1879;
    Die Damen im Pelz, 1882, ca. ⁷1910;
    Meine Lebensbeichte, Memoiren 1906, Neuausg. 1986 u. d. T. Die Beichte d. Dame im Pelz;
    Masochismus u. Masochisten, Nachtrag z. Lebensbeichte, 1908, beides in: Lebensbeichte, mit e. Dossier hg. v. L. Exner u. M. Farin, 2003 (P).

  • Literatur

    ADB 53;
    C. F. v. Schlichtegroll, S.-M. u. d. Masochismus, 1901;
    ders, „Wanda“ ohne Maske u. Pelz, Eine Antwort auf „Wanda“ v. S.-M.s „Meine Lebensbeichte“, nebst Veröff. aus S.-M.s Tageb., [1906], beides in Neuausg. u. d. T. S.-M., hg. v. L. Exner u. M. Farin, 2003 (P);
    E. Hasper, L. v. S.-M., 1932;
    G. Deleuze, Présentation de S.-M., Le froid et le cruel, 1967 (dt. 1968);
    J. Cleugh, The first masochist, A biography of L. v. S.-M. (1836–1895), 1967;
    M. Farin (Hg.), L. v. S.-M., Materialien zu Leben u. Werk, 1987;
    ders. (Hg.), Phantom Schmerz, Qu.texte z. Begriffsgesch. d. Masochismus, 2003 (P);
    A. Koschorke, L. v. S.-M., Die Inszenierung e. Perversion, 1988 (P);
    B. Michel, S.-M., 1836–1895, 1989;
    A. Opel, Wanda u. L. v. S.-M., Szenen e. Ehe, Eine kontroversielle Biogr., 1996;
    J. K. Bang, Elsk mig!, En Studie i L. v. S.-M.s masochisme, 1998 (dt. 2003) (P);
    S. Milojevic, Die Poesie d. Dilettantismus, Zur Rezeption u. Wirkung L. v. S.-M.s., 1998;
    I. Spörk u. A. Strohmaier (Hg.), L. v. S.-M., 2002;
    M. C. Finke u. C. Niekerk (Hg.), One Hundred Years of Masochism, Lit. Texts, Social and Guttural Contexts, 2000;
    P. Weibel (Hg.), Phantom Lust, Visionen d. Masochismus in d. Kunst, 2 Bde., 2003;
    L. Exner, L. v. S.-M., 2003 (P);
    Ostdt. Gedenktage 1986 (P);
    ebd. 1995 (P);
    Wurzbach;
    ÖBL;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Kosch, Theater-Lex.;
    Killy;
    Metzler Autorenlex. (P);
    zu Angelika Aurora (Wanda):
    K. Bang, Venus im Pelz?, Über W. v. S.-M.s Erinnerungen, in: Zs. f. Sexualforsch. 10, 1997, S. 253-56;
    Gh. Gürtler, Damen mit Pelz u. Peitsche, Zu Texten v. W. v. S.-M., in: Th. Klugsberger u. a. (Hg.), Schwierige Verhältnisse, Liebe u. Sexualität in d. Frauenlit. um 1900, 1992, S. 71-82;
    I. Schackmann, Das Bild d. Emanzipierten, Herrin u/oder Gefährtin, Zu zwei Novellen v. W. v. S.-M. u. Irma v. Troll-Borostyáni, ebd., S. 83-102;
    K. Gerstenberger, „But I wanted to write an honest book“, The confessions of W. v. S.-M., in: diess.: Truth to tell, German women's autobiographies and turn-of-the-century culture, 2000, S. 140-74.

  • Autor/in

    Max Kaiser
  • Zitierweise

    Kaiser, Max, "Sacher-Masoch Ritter von Kronenthal, Leopold" in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 325-327 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118604570.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Sacher-Masoch: Leopold von S.-M., Romanschriftsteller und psychopathologischer Typus, geboren am 27. Januar 1836 in Lemberg als Sohn des Polizeipräsidenten, am 5. März 1895 in Lindheim in Hessen. — Auf das erregbare Gemüth des lebenslänglich zwischen slavischen Instincten und deutscher Cultur Schwankenden wirkte schon früh die slavische Volkspoesie durch die Lieder und Märchen, die seine kleinrussische Amme ihm vorsang und erzählte. Die Revolution in Polen erweckte seine Sympathie für die galizischen Bauern und seine Antipathie gegen den polnischen Adel; in beiderlei Hinsicht wie in mancher anderen hat er dann auf Karl Emil Franzos bestimmend eingewirkt. — Er studirte in Prag und Graz und war von 1857 an als Privatdocent der Geschichte in Graz thätig, ohne daß übrigens diese Thätigkeit ("Der Aufstand in Gent unter Karl V.“, 1856) in seiner schriftstellerischen Wirksamkeit Spuren hinterlassen hätte; denn um die chronique scandaleuse der Kaiserin Katharina und Potemkin's kennen zu lernen, bedurfte es eben keiner besondern Studien. Der Erfolg seiner Novellen und Romane veranlaßte ihn dann, den Lehrberuf aufzugeben. Wie so viele Schriftsteller jener Zeit — ich nenne nur Gutzkow und Auerbach — wechselte er häufig den Aufenthalt: Graz, 1873 Bruck an der Mur, 1880 wieder Graz, dann Budapest, Paris, seit 1890 Lindheim. Auch diese Ortswechsel brachten in seiner monoton aufgeregten Production keine wesentlichen Aenderungen hervor.

    1858 erschien „Eine galizische Geschichte 1846“, wie die nächsten novellistischen Skizzen unter dem anhaltenden Einfluß Turgenjew's. Der Herold der slavischen Culturskizze hat nicht nur die Technik, sondern auch die Auffassung seines so viel kleineren Schülers mit bedingt. Die Annäherung seiner Instinctmenschen an die heimische Erde, die starke Betonung der socialen und klimatischen Einflüsse, das Zurücktreten der Fabel hinter der Charakterschilderung hat er dort gelernt — alles freilich Dinge, die seiner eigenen Anlasse entsprachen. Ebenso hat Schopenhauer, den er sich als Lebensphilosophen erkor, ihm nur für eigene Ahnungen deutliche Worte gefunden. S.-M. bekannte sich zu einer nahezu ausschließlich animalischen Auffassung der Geschlechtsliebe als einer tückischen Erfindung der Natur zur Peinigung des Menschen und sah in der Frau fast nur das satanische Werkzeug, dessen die Schöpfung sich bedient, um den Mann mit Schmerzen Kinder erzeugen zu lassen. Dazu kam, nur anfangs, noch ein edleres Thema: das des unheimlichen Absterbens unserer Empfindungen — vielleicht durch die Gräfin Hahn vermittelt, in deren Romanen dies „Gesetz der Umwandlung“ (wie Ibsen es später nannte) eine Hauptrolle spielt und von der (wie von dem katholischen Pamphletisten Sebastian Brunner) S.-M. in einem seiner schlimmsten Bücher, den „Messalinen Wiens“ ("Der katholische Salon") ein carikirendes, ja verleumderisches Portrait entworfen hat.

    Aus diesen Tendenzen ging (nach dem erfolgreichen historischen Lustspiel „Der Mann ohne Vorurtheil") seine beste Erzählung hervor: „Der Don Juan von Colomea“ (1866, in Heyse's Deutschem Novellenschatz Bd. 24 mit trefflicher Einleitung abgedruckt). 1869 faßte er den großen Plan, in einem Novellencyklus „Das Vermächtniß Kains“ die menschlichen Leidenschaften und|ihren Zielpunkt darzustellen, zuerst natürlich die Liebe (dann „das Eigenthum", „den Staat", „den Krieg“, „die Arbeit“, „den Tod"); aber er besaß nicht die Kraft Zola's und es blieb bei zusammenhanglosen Einzelgeschichten, die nur durch gewisse Idiosyncrasien verbunden sind.

    In S.-M. hatte sich nämlich inzwischen eine schlimme Anlage krankhaft entwickelt. Er litt an dem erotischen Bedürfniß, seine Begier durch Mißhandlungen aufstacheln zu lassen, das man nach ihm (und seinen Figuren) „Masochismus“ benannt hat (vgl. v. Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis). Eine unglückliche Ehe gab dieser Neigung Nahrung. Aurora (v.) Rümelin, als Schriftstellerin in Sacher-Masoch's Rolle „Wanda v. Dunajew“, hat sich in ihrer „Lebensbeichte“ (Wanda v. Sacher-Masoch, Meine Lebensbeichte, Leipzig 1906) zwar als mißhandeltes Opfer seiner perversen Lüste dargestellt; aber auch ohne die — zu weit gehende — Antwort v. Schlichtegroll's ("Wanda ohne Pelz“, Leipzig 1906; vgl. von demselben: „Sacher-Masoch und der Masochismus“, Dresden 1901, und von S.-M. selbst „Der Werth der Kritik“, Leipzig 1873) würde man schon aus ihrem eigenen Bericht ersehen, daß sie diese Krankheit wissentlich gesteigert und gepflegt hat — anfangs vielleicht mit guter Absicht.

    Allerdings hat die Ehe (1873) nicht alle Schuld; Sacher-Masoch's schwache Persönlichkeit wurde auch durch den Erfolg zerstört. Seine Romane und Novellen hatten durch ihre schlechten Eigenschaften so stark gewirkt wie durch die guten: einem ungewöhnlichen Talent, Naturen von starkem Triebleben hinzustellen, die Rede individuell zu färben, die Handlung folgerecht durchzuführen, half eine wilde Sinnlichkeit, eine schamlose Entblößung tief gefühlter Perversitäten zum Gewinn zahlloser Leser nach; gerade wie es zuerst mit dem so viel unschuldigeren Zola ging. Besonders fand er auch in Frankreich begeisterte Leser, was ihm sogar in die vornehme „Revue des deux mondes“ Aufnahme verschaffte. Sein Ruf war auch die Ursache, daß man ihm 1882—85 die Leitung der Zeitschrift „Auf der Höhe“ anvertraute. In rastloser Productivität erschöpfte er sich und gab sich im Leben und im Dichten immer unbedingter der Leidenschaft hin, Sacher-Masochische Romane zu erleben. Der Mann, der im „Vermächtniß Kains“ noch principiell gegen Schiller's Idealismus fast mit Gründen Otto Ludwig's gekämpft hatte (2, 100), der die Verwandtschaft von Wollust und Grausamkeit (2, 179) mit romantischem Ernst betont hatte, schrieb jetzt nur Scandalgeschichten; und die „Revue des deux mondes“ veröffentlichte in zehn Jahren 14 Novellen von S.-M. Dabei stumpfte sich seine Psychologie zu naturalistischer Oberflächlichkeit ab und seine Erzählungskunst zu immer neuen Variationen des Themas „Venus im Pelz": immer wieder die grausam-wollüstige Schönheit in der Pelzjacke, die mit der Peitsche ihren willenlosen Sklaven beglückt ...

    So blieb zuletzt nur noch der ethnologische Werth der galizischen und Judengeschichten übrig, in denen sich bis zuletzt die scharfe Beobachtungsgabe und rasche Inscenirungskunst dieses ebenso begabten als unglücklichen Erzählers kundgab.

    • Literatur

      Die wichtigere Litteratur ist oben angegeben; dazu kommen die Schriftstellerlexika u. s. w.

  • Autor/in

    Richard M. Meyer.
  • Zitierweise

    Meyer, Richard M., "Sacher-Masoch Ritter von Kronenthal, Leopold" in: Allgemeine Deutsche Biographie 53 (1907), S. 681-682 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118604570.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA