Lebensdaten
1878 – 1968
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Cambridge (England)
Beruf/Funktion
Kernphysikerin
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118580477 | OGND | VIAF: 64160163
Namensvarianten
  • Meitner, Lise
  • Meitner, Elise
  • Meitner, Ilse
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Zitierweise

Meitner, Lise, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118580477.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Philipp (1839–1910, isr.), Dr. iur., Rechtsanwalt aus Wschechowiz (Mähren), seit 1906 in W., S d. Kaufm. Moritz u. d. Lotti Kuhe;
    M Hedwig (1850–1924), T d. Holzhändlers Bernhard Skowran ( vor 1875) aus Novak (Ungarn) u. d. Julie Reder; ledig;
    N Otto Robert Frisch (1904–79), Prof. d. Physik in Cambridge (s. BHdE II).

  • Biographie

    M.s wissenschaftliche Bedeutung beruht auf ihren Arbeiten zur Radioaktivität und ihrer Mitwirkung an der Entdeckung der Kernspaltung. Als eine der ersten Frauen bekleidete sie in Preußen ein akademisches Amt. Um später gegebenenfalls ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können, legte sie nach dem Besuch der Volksschule und drei Klassen der Bürgerschule ein staatliches Lehrerexamen ab. Sie bereitete sich privat auf die 1901 bestandene Reifeprüfung vor, um anschließend an der Univ. Wien Mathematik, Physik und Philosophie zu studieren. Stark beeindruckt war M. von den Vorlesungen Ludwig Boltzmanns, die sie 1902-06 besuchte. Ihre Dissertation über die „Wärmeleitung inhomogener Körper“ erstellte sie bei dem Experimentalphysiker Franz Exner. Nach ihrer Promotion 1906 entstanden erste Publikationen über α- und β-Strahlen.

    Um sich theoretisch fortzubilden, ging M. 1907 nach Berlin zu Max Planck. Auch wollte sie weiterhin experimentell arbeiten. Durch Vermittlung des Experimentalphysikers Heinrich Rubens lernte sie Otto Hahn kennen, der für sein Arbeitsgebiet, die Radiochemie, physikalische Unterstützung suchte. M. wechselte an das chemische Institut über, wo ihre Tätigkeit vorerst auf die sogenannte „Holzwerkstatt“ im Souterrain beschränkt blieb, da der Direktor, Emil Fischer, ihr den Zugang zu anderen Räumen untersagte. Diese diskriminierende Einschränkung fiel erst fort, nachdem 1908 Frauen in Preußen das Recht zu studieren erhalten hatten. Fischer förderte M. danach, zumal die Zusammenarbeit zwischen ihr und Hahn erfolgreich verlief. Die ersten gemeinsamen Arbeiten betrafen radioaktive Zerfallsprodukte. Sie lieferten den Anstoß zu M.s späteren Untersuchungen der β- und γ-Strahlung, sind heute aber nur mehr von historischem Interesse. Eine Ausnahme bildet der experimentelle Nachweis des Rückstoßes bei der Aussendung von α-Strahlen, worüber M. 1909 erstmals vor der Physikalischen Gesellschaft vortrug. Nach der Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie 1912 setzte sie ihre Zusammenarbeit mit Hahn dort zunächst als Gast und dann als „Wissenschaftliches Mitglied“ fort. Im selben Jahr wurde sie Assistentin von Planck. Nach dem Ausbruch des 1. Weltkriegs ging sie 1915 freiwillig als Röntgenschwester in ein österr. Fronthospital. 1917 kehrte sie nach Berlin zurück, um dort die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Hahn fortzusetzen, die bald zum Nachweis der Muttersubstanz des Actiniums, des Elements 91 (Protactinium), führte.

    Da Frauen in Preußen erst nach dem 1. Weltkrieg zu einer Hochschullaufbahn zugelassen wurden, erhielt M. erst 1919 den Professortitel, 1922 die venia legendi und 1926 eine Professur. Nachdem sie 1918 die Leitung einer eigenen „physikalisch-radioaktiven“ Abteilung im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie übernommen hatte, konzentrierte sie sich auf die physikalische Untersuchung der α-, β- und γ-Strahlung und die damit verbundenen Kernprozesse. International bekannt wurde sie bald durch ihre Erforschung der sekundären, von der Elektronenhülle ausgehenden β-Strahlen. Entgegen der Annahme brit. Forscher behauptete sie, γ-Strahlung würde nach der durch α- oder β-Zerfälle ausgelösten Atomumwandlung ausgesandt, was sie 1925 bewies. Sie stellte fest, daß die Auslösung der sekundären β-Strahlen-Spektren in dem neuentstandenen Atom vor sich geht. Dies bedeutete, daß die Umordnung der äußeren Elektronenhülle nach der Kernumwandlung zumindest in den inneren Schalen schneller vor sich ging als die Aussendung von γ-Strahlen. Auch den vom Atomkern ausgesandten primären β-Strahlen mit kontinuierlicher Energieverteilung sowie den Präzisionsbestimmungen der Absorption von γ-Strahlen galt von Anfang an ihr Interesse. Andere Arbeiten betrafen α-Teilchen abnorm großer Reichweiten, die Verbesserung der Wilsonschen Nebelkammer und den Rückstoßnachweis bei β-Strahlen.

    Ein gemeinsames Forschungsvorhaben mit Hahn regte M. 1934 im Zuge der Anfang der 30er Jahre rasch voranschreitenden Kernphysik an. Gemeinsam untersuchten sie „Transurane“, Elemente jenseits des Urans mit einer größeren Ladungszahl als 92, nachdem E. Fermi Uran mit Neutronen beschossen und dabei unterschiedliche radioaktive Produkte gefunden hatte, die er für „Transurane“ hielt. Hahn und M. isolierten daraufhin durch Aussonderung aller Elemente zwischen Polonium 84 und Uran 92 die vermeintlichen „Transurane“, wobei jedoch M. Zweifel an deren Existenz blieben. Auch Ida Noddack wandte ein, daß diese Elemente hypothetisch blieben, bis überprüft sei, ob solche Elemente nicht mit irgendeinem Element zwischen Wasserstoff und Uran identisch seien – doch ihre Arbeit wurde wenig beachtet und blieb ohne Wirkung. Auch I. Curie und P. Savitch beschäftigten sich in Paris mit „Transuranen“. Dabei fanden sie 1937 eine Substanz mit der Halbwertszeit von 3,5 Stunden. Ihre erste Annahme, es handele sich um ein Thoriumisotop, wurde von Hahn und M. widerlegt. Im weiteren Verlauf stellten Curie und Savitch Ähnlichkeiten dieses schwer identifizierbaren Elements mit Lanthan fest. Ihre Experimente wurden von Hahn und F. Strassmann, der als analytischer Chemiker seit 1935 der Berliner Arbeitsgruppe angehörte, wiederholt. M. konnte sich jedoch nicht mehr daran beteiligen, da sie im Juli 1938 emigrieren mußte. Nach Stockholm berichtete ihr Hahn die neuesten Ergebnisse, daß nämlich durch Neutronenbeschuß von Uran ein Gemisch aus Radium- und Actiniumisotopen entstünde. M. forderte einwandfreie Daten über deren Eigenschaften an, worauf Hahn und Strassmann eine neue|Testserie durchführten. Überraschenderweise stießen sie dabei Ende 1938 auf mehrere Bariumisotope und wiesen nach, daß sich Thorium bei Beschuß mit schnellen Elektronen ebenfalls spaltet. Damit war der experimentelle Beweis für das Zerplatzen eines schweren Kerns in leichtere Elemente erbracht. Bald nach der Veröffentlichung dieser Ergebnisse lieferten M. und ihr Neffe O. R. Frisch im Januar 1939 auf der Grundlage des Bohrschen Tröpfchenmodells des Atomkerns die theoretische Deutung der Kernspaltung.

    M. hat den Weg zur Entdeckung der Kernspaltung entscheidend geebnet. Sie regte sowohl die Untersuchung der „Transurane“ als auch die zur Kernspaltung führende Versuchsreihe an und schlug die dazu geeignete Apparatur vor. Obwohl sie sich über die Verleihung des Nobelpreises allein an Hahn öffentlich nicht mißbilligend äußerte, war sie doch verbittert darüber, gewöhnlich lediglich als „Mitarbeiterin“ Hahns bezeichnet zu werden, worin sie eine Unterbewertung ihrer selbständigen physikalischen Arbeiten erblickte. Sowohl als Frau wie auch als Jüdin hatte sie Nachteile in ihrer wissenschaftlichen Karriere in Kauf nehmen müssen.

    Das Exil bedeutete für M. einen tiefen Einbruch in ihr wissenschaftliches und privates Leben. Unmittelbar nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten war ihr die Lehrbefugnis entzogen worden. Trotz ihrer jüd. Abkunft hatte sie sich zunächst im inzwischen von Hahn geleiteten Kaiser-Wilhelm-Institut sicher gefühlt. Zunehmend geriet sie jedoch in eine wissenschaftliche und menschliche Isolation. An ein öffentliches Auftreten war seit 1936 nicht mehr zu denken. 1938 wurde sie durch den „Anschluß“ Österreichs zur „deutschen Jüdin“. Daraufhin floh sie mit Hilfe einiger Kollegen über Holland nach Schweden. Dort war ihr ein Arbeitsplatz am Nobel-Institut versprochen worden, der jedoch zu ihrer Enttäuschung schlecht ausgestattet war, so daß sie vorerst kaum physikalisch arbeiten konnte. Ihre dürftigen Arbeits- und Wohnverhältnisse verbesserten sich nur langsam; um nicht erneut einen Ortswechsel in Kauf nehmen zu müssen, lehnte sie diverse Stellenangebote, nach Ende des Krieges auch die Rückkehr nach Deutschland, ab. Nachdem sie ein halbes Jahr Gastprofessorin an der Kath. Universität in Washington D.C. gewesen war, arbeitete sie seit 1947, finanziert durch eine Forschungsprofessur, in der „Försökstation“ der TH Stockholm. Ausgedehnte Reisen, auf denen M. zahlreiche Ehrungen erhielt, folgten auf die Bitternis der Kriegsjahre. 1960 zog sich M. auf ihren Alterssitz nach Cambridge zu Verwandten zurück.|

  • Auszeichnungen

    Dr. h. c. zahlr. Univ. (u. a. Berlin, Stockholm);
    Leibniz-Medaille d. Berliner Ak. d. Wiss. (1924);
    Ignaz-L.-Lieben-Preis d. Ak. d. Wiss. Wien (1925);
    Planck-Medaille d. Dt. Physikal. Ges. (1949;
    mit O. Hahn);
    Otto-Hahn-Preis (1954);
    Orden Pour le mérite f. Wiss. u. Künste (1957);
    Enrico-Fermi-Preis (1966;
    mit O. Hahn u. F. Strassmann);
    Mitgl. zahlr. Akademien.

  • Werke

    Weitere W u. a. Über d. Absorption von α- u. β-Strahlen, in: Physikal. Zs. 7, 1906, S. 588;
    Über d. Zerstreuung d. α-Strahlen, ebd. 8, 1907, S. 489;
    Magnet. Spektren d. β-Strahlen d. Radiums, ebd. 12, 1911, S. 1099 (mit O. v. Baeyer u. O. Hahn);
    Das magnet. Spektrum d. β-Strahlen d. Radioactiniums u. seiner Zerfallsprodukte, ebd. 14, 1913, S. 321 (mit dens.);
    Die Muttersubstanz d. Actiniums, e. neues radioaktives Element v. langer Lebensdauer, ebd. 19, 1918, S. 208 (mit O. Hahn);
    Eine neue Methode z. Herstellung radioaktiver Zerfallsprodukte, Thorium D, e. kurzlebiges Produkt d. Thoriums, in: Verhh. d. Dt. Physikal. Ges. 11, 1909, S. 55 (mit O. Hahn);
    Über d. versch. Arten d. radioaktiven Zerfalls u. d. Möglichkeit ihrer Deutung aus d. Kernstruktur, in: Zs. f. Physik 4, 1921, S. 146;
    Die γ-Strahlung d. Actiniumreihe u. d. Nachweis, daß d. Strahlen erst nach erfolgtem Atomzerfall emittiert werden, ebd. 34, 1925, S. 807;
    Über e. absolute Bestimmung d. Energie d. primären β-Strahlen v. Radium, ebd. 60, 1930, S. 143 (mit W. Orthmann);
    Über d. Absorptionsgesetz f. kurzwellige γ-Strahlung, ebd. 67, 1931, S. 147 (mit H. H. Hupfeld);
    Über d. Umwandlungsreihen d. Urans, d. durch Neutronenbestrahlung erzeugt werden, ebd. 106, 1937, S. 249 (mit O. Hahn u. F. Strassmann);
    Künstl. Umwandlungsprozesse b. Bestrahlung d. Thoriums mit Neutronen, Auftreten isomerer Reihen durch Abspaltung v. α-Strahlen, ebd. 109, 1938, S. 538 (mit dens.);
    Die Anwendung d. Rückstoßes b. Atomkernprozessen, ebd. 133, 1952, S. 141;
    Einige Bemerkungen z. Isotopie d. Elemente, in: Naturwiss. 14, 1926, S. 719;
    Experimentelle Bestimmung d. Reichweite homogener β-Strahlen, ebd., S. 1199;
    Die Anregung positiver Elemente durch γ-Strahlen v. Thorium C“, ebd. 21, 1933, S. 468 (mit K. Philipp);
    Trans-Urane als künstl. radioaktive Umwandlungsprodukte d. Urans, in: Scientia, Jan. 1938 (mit O. Hahn);
    Disintegration of Uranium by Neutrons, a New Type of Nuclear Radiation, in: Nature 143, 1939, S. 239 (mit O. R. Frisch);
    Resonance Energy of the Th Capture Process, in: Physical Review 60, 1941, S. 58;
    Spaltung u. Schalenmodell d. Atomkerns, in: Arkiv for Fysik 4, 1950, S. 383 (s. Nature 165, 1950, S. 561).

  • Literatur

    O. Hahn, L. M. 70 J., in: Zs. f. Naturforschung 3 a, 1948, S. 425-28 (P);
    O. R. Frisch, in: Biogr. Memoirs of Fellows of the Royal Society, 16.11.1970, S. 405-20 (W, P);
    F. Krafft, L. M., Her Life and Times – On the Centenary of the Great Scientist's Birth, in: Angew. Chemie International 17, 1978, S. 826-42 (P);
    Ch. Kerner, Lise. Atomphysikerin, Die Lebensgesch. d. L. M., ³1987 (P);
    D. Nachmansöhn u. R. Schmid, Die gr. Ära d. Wiss. in Dtld. 1900-1933, 1988 (P);
    NÖB 20 (P);
    Pogg. V-VII;
    BHdE II.

  • Porträts

    Bronzekopf v. E. Roeder, 1959 (Berlin, Hahn-M.-Inst.).

  • Autor/in

    Maria Osiezki
  • Zitierweise

    Osiezki, Maria, "Meitner, Lise" in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 731-734 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118580477.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA