Lebensdaten
1887 – 1936 oder 1938
Geburtsort
Moskau
Sterbeort
Schömberg Kreis Calw (Schwarzwald)
Beruf/Funktion
Psychologe
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 139471618 | OGND | VIAF: 101207311
Namensvarianten
  • Gelb, Adhémar Maximilian Maurice
  • Gelb, Adhémar
  • gelb, adhemar
  • mehr

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Zitierweise

Gelb, Adhémar, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd139471618.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Maximilian (1855–1901), Dir. d. Versicherungsges. „New York“ in M., S e. jüd. Kaufm. (?) in Budapest (?);
    M Wilh. Christine Ludovica (1856–1942), T d. Buchdruckers Peter Heinr. Stahl in Hamburg u. d. Albertine Henr. Pauline Hülsenberg;
    Weimar 1912 Nelly (* 1888), T d. Max Achenbach, gen. Alvary (1858–98), Opernsänger (s. NDB I*), u. d. Thekla Thomas;
    1 S.

  • Biographie

    Nach dem Besuch des Peter-und-Paul-Gymnasiums in Moskau nahm G. 1906 das Studium der Philosophie in München auf. Er promovierte 1910 bei C. Stumpf in Berlin. 1909-12 war er Volontärassistent am Psychologischen Institut der Universität Berlin, 1912-14 Assistent am Psychologischen Institut der Akademie für Sozialwissenschaften zu Frankfurt/Main (von 1914 an Universitäts-Institut). Die Habilitation für Philosophie und Psychologie (1919) schloß sich an seine wissenschaftliche und praktische psychologische Tätigkeit im Frankfurter Hirnverletzten-Lazarett (seit 1915) an. Zum außerordentlichen Professor wurde er 1924 ernannt, 1929 zum ordentlichen Professor und (mit M. Wertheimer zusammen) zum Direktor des Frankfurter Psychologischen Instituts. 1931 nahm G. einen Ruf auf das Ordinariat für Philosophie an der Universität Halle an. Dort wurde er Direktor des von ihm aufgebauten Psychologischen Seminars. Im Zusammenhang mit der Judenverfolgung wurde er 1933 mit geringen Bezügen, die jährlich neu festgesetzt werden mußten, entlassen. Berufungsverhandlungen mit der Universität Stockholm (1934) kamen wegen einer Erkrankung an Lungentuberkulose nicht zum Abschluß. In den letzten Lebensjahren hat G. nur noch gelegentlich Gastvorträge gehalten, insbesondere die viel beachteten 10 Vorträge an der Universität Lund (1935).

    Die international anerkannte Leistung G.s ist die theoretisch und experimentell fundierte genaue Analyse der Störungen der Sinneswahrnehmung, der Sprache und der Erkenntnisvorgänge nach Hirnverletzungen. Bereits die mit K. Goldstein und M. Wertheimer zusammen abgehaltenen Seminare über „Hirnverletzten-Psychologie“, an denen neben Neurologen und Psychologen bekannte Wissenschaftler anderer Fachgebiete (zum Beispiel P. Tillich, M. Horkheimer, Th. Adorno) teilnahmen, waren Höhepunkte des Frankfurter Universitätslebens. G. verstand es, in der Struktur singulärer Erscheinungen des abnormen Seelenlebens prägnante Auswirkungen allgemein-psychologischer Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Er konnte dadurch die neuen Erkenntnisse der Gestaltpsychologen bestätigen und präzisieren. Beispielhaft ausgeprägte Fälle der Farbsinnstörungen, der pathologischen Raumwahrnehmung, der Aphasie und Agnosie wurden in diesem Sinne gedeutet. Unübertroffen sind G.s neuartige Interpretationen der pathologischen Denkvorgänge. Er unterschied verschiedene Grade der primitiven, am Individuellen haftenden, „konkreten“ Verhaltensweisen von dem rationalen, abstrahierenden oder katogorialen Verhalten, zu dem Hirnverletzte oft nicht fähig sind. Die Vortäuschung kategorialen Verhaltens durch den Gebrauch des automatisierten Reihensprechens wurde von G. mit eindrucksvollen Beispielen belegt. Er, der zugab, aus J. G. Herders und W. von Humboldts Schriften über die Sprache mehr für das Verständnis der Aphasie gelernt zu haben als aus klinisch-medizinischen, gewann Einsichten in das spezifisch Menschliche der höchsten geistigen Leistungen, die zu den bedeutendsten Fortschritten der neueren Psychologie gehören. Aus der Auffassung der intelligenten Leistung als Organisation des anschaulich und gedanklich Gegebenen ergibt sich folgerichtig die neue Deutung der Agnosie: Nicht der Verlust der Vorstellungen ist die Ursache der Seelenblindheit, sondern die bereits in der Wahrnehmung nachweisbare Störung der Gestalterfassung ist die Ursache für den Verlust der Vorstellungen und des Erkennens der Dinge.

    In der Auseinandersetzung mit der Grazer Gestaltpsychologischen Schule hatte G. bereits 1910 die entscheidende Neuorientierung in der Psychologie mit vorbereitet, durch welche die dualistische Voreingenommenheit überwunden wurde, derzufolge elementare Prozesse des Seelenlebens elementaristische, mechanische Vorgänge sein sollen. Zu seinen wahrnehmungspsychologischen Entdeckungen zählen das (gelegentlich auch nach ihm bezeichnete) τ-Phänomen (1914) (die Abhängigkeit der Raumwahrnehmung von der erlebten Zeit), die mit R. Granit zusammen erforschte Tatsache, daß in der „Figur“ - gegenüber dem „Grund“ - die Farbenschwelle erhöht ist (1923), und der experimentelle Nachweis, daß die relative Helligkeits- und Farbenkonstanz eine Funktion des gesamten Sehfeldes, insbesondere der getrennten Wahrnehmungen von Beleuchtung und Beleuchtetem, also keine Urteilsfunktion ist (1929). Durch geniale Versuche greift er schließlich klärend in die von D. Katz und E. R. Jaensch aufgeworfene Auseinandersetzung über das Verhältnis von Farbenkonstanz und Farbenkontrast ein (1932). – In den an der Universität Lund gehaltenen Vorträgen (1935) schildert G. in durchsichtiger Folgerichtigkeit den Weg eines exakten Forschers, der zu einem tiefen Eindringen in die menschliche Natur gelangt. Seiner Wahrheitsliebe gemäß ist für ihn das Bild des Menschen mehr durch die höheren Erkenntnisvorgänge bestimmt als durch die biologischen Triebe.

  • Werke

    u. a. Theoretisches üb. „Gestaltqualitäten“, in: Zs. f. Psychol. 58, 1910, S. 1-58 (Diss.);
    Die Bedeutung v. „Figur“ u. „Grund“ f. d. Farbenschwelle, ebd. 93, 1923, S. 83-118 (mit R. Granit);
    Die Erscheinungen d. simultanen Kontrastes u. d. Eindruck d. Feldbeleuchtung, ebd. 127, 1932, S. 42-59;
    Versuche auf d. Gebiete d. Zeit- u. Raumanschauung, in: Ber. üb. d. 6. Kongreß f. experimentelle Psychol. in Göttingen v. 15.-18.4.1914, 1914, S. 36-42 u. 159 f.;
    Farbenpsycholog. Unterss., in: Dt. Zs. f. Nervenheilkde. 59, 1917;
    Psycholog. Analysen hirnpatholog. Fälle, 1920 (mit K. Goldstein);
    Grundfragen d. Wahrnehmungspsychol., in: Ber. üb. d. 7. Kongreß f. experimentelle Psychol. in Marburg v. 20.-23.4.1921, 1922, S. 114-16;
    Über e. eigenartige Sehstörung (Dysmorphopsie) infolge v. Gesichtsfeldeinengung, Ein Btr. z. Lehre v. d. Beziehungen zw. „Gesichtsfeld“ u. „Sehen“, in: Psycholog. Forschung 4, 1923, S. 38-63;
    Über Farbennamenamnesie nebst Bemerkungen üb. d. Wesen d. amnest. Aphasie überhaupt u. d. Beziehung zw. Sprache u. d. Verhalten z. Umwelt, ebd. 6, 1925, S. 127-86 (mit K. Goldstein);
    Zur Frage nach d. gegenseitigen funktionellen Beziehung d. geschädigten u. d. ungeschädigten Sehsphäre b. Hemianopsie, ebd., S. 187-99 (mit dems.);
    Die psycholog. Bedeutung patholog. Störungen d. Raumwahrnehmung, in: Ber. üb. d. 9. Kongreß f. experimentelle Psychol. in München v. 21.-25.4.1925, 1926, S. 23-80;
    Die „Farbenkonstanz“ d. Sehdinge, in: Hdb. d. normalen u. patholog. Physiol., hrsg. v. A. Belhe u. a., XII, 1, Receptionsorgane II, 1929, S. 594-678;
    Remarques générales sur l'utilisation des données pathologiques pour la psychol. et la philosophie du langage, in: Journ. de psychol. normale et pathologique 30, Paris 1933, S. 403-29;
    Zur med. Psychol. u. phil. Anthropol., in: Acta Psychologica 3, 1937, S. 193-271 (P: Zeichnung v. F. Pollock, 1926).

  • Literatur

    Psycholog. Forschung 21, 1937, S. 113;
    R. Bergius, Zum 75. Geb.tag v. A. G., in: Psychol. Btrr. VIII, 3, 1963.

  • Autor/in

    Rudolf Bergius
  • Zitierweise

    Bergius, Rudolf, "Gelb, Adhémar" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 168-169 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd139471618.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA