Lebensdaten
1817 – 1869
Geburtsort
Paris
Sterbeort
Berlin-Charlottenburg
Beruf/Funktion
preußischer Diplomat
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118696327 | OGND | VIAF: 122220985
Namensvarianten
  • Goltz, Robert Heinrich Ludwig Graf von der
  • Goltz, Robert Graf von der
  • Goltz, Robert Heinrich Ludwig Graf von der
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Zitierweise

Goltz, Robert Graf von der, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118696327.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich (1775–1822), preuß. Gen.-Lt. u. Gesandter (1809–13 in München, 1815-22 in Paris), 1813 Adjutant Blüchers, 1814 Kommandant v. Paris (s. Priesdorff III, S. 422-24, P), S d. Leopold Heinr. (preuß. Gf. 1789, 1745-1816), preuß. Gen.-Lt., 1789-94 Gesandter in Petersburg (ebd. II, S. 381-83, P);
    M Juliane Wilhelmine (1784–1857), T d. Frdr. Carl Frhr. v. Seckendorff-Aberdar (1736–96), ansbach. u. bayreuth. Min., u. d. Eleonore Elis. Gfn. v. Brockdorff-Schney;
    Groß-Ov Wilh. Bernh. u. Carl Franz s. Einl.;
    Ov Frdr. Adrian Gf. (1770–1846), nd.länd. Gen.-Lt., Kriegsmin. u. Mil.-Gouverneur v. Südholland;
    B Carl (1815–1901), preuß. Gen. d. Kav. u. Gen.-Adj. Kaiser Wilhelms I. (s. Priesdorff VII, S. 366-68, P);
    Schw Leopoldine ( Ferd. Wilh. Reimar v. Kleist, 1796–1867, preuß. Gen. d. Inf. u. Gen.-Adj., ebd. VI, S. 442 f., P); ledig;
    N Carl (1864–1944), preuß. Gen.-Major. Flügeladj. Kaiser Wilhelms II. in Doorn.

  • Biographie

    Nach dem Besuch der Ritterakademie in Brandenburg und des Friedrichs-Gymnasiums in Breslau studierte G. in Bonn und kam nach dem Auskultatorexamen 1837 an das Berliner Stadtgericht. 1839 schied er aus der Justiz aus und bereitete sich auf den Verwaltungsdienst vor. G. wurde 1839 als Referendar der Regierung in Stettin und in Merseburg überwiesen. Nach dem Assessorexamen kam er 1842 nach Düsseldorf und 1845 nach Posen. In den Jahren 1842-48 unternahm er verschiedene Auslandsreisen, die ihn bis nach Süd- und Nordamerika führten.

    In den Revolutionsjahren 1848/49 beteiligte sich G. bei der Sammlung der konservativen Kräfte, er gehörte zu den Mitbegründern der Kreuzzeitung. 1849 trat er in Verbindung mit J. M. von Radowitz, von dessen Charakter er eine hohe Meinung gewann. Das freundschaftliche Verhältnis war für ihn auch beruflich von Vorteil, er wurde als Protokollführer zur Bundeszentralkommission in Frankfurt am Main berufen. Im Herbst des gleichen Jahres übernahm er provisorisch die Funktionen eines preußischen Residenten bei der Freien Stadt Frankfurt. Nach dem Sturz von Radowitz geriet G. in einen sachlichen Konflikt mit dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel. Im Juli 1851 schied er deshalb aus dem Staatsdienst aus, obwohl er während der Revolution erhebliche Vermögensverluste erlitten hatte. Er schloß sich einer Gruppe an, zu der in erster Linie inaktive preußische Diplomaten und Beamte gehörten und die sich von der sogenannten Kreuzzeitungspartei absetzte, deren Exponenten die pietistischen Brüder Gerlach waren. Diese Richtung organisierte sich in der Wochenblattpartei, nach der Zeitung „Das preußische Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen“ genannt. Innenpolitisch sah das Programm eine starke Monarchie vor, gleichzeitig wurde aber auch die Notwendigkeit einer gesunden Wechselwirkung zwischen Fürst und Volk betont. Vom Liberalismus wurde der Gedanke übernommen, daß Preußen durch strenge Rechtlichkeit den Führungsanspruch in Deutschland rechtfertigen müsse. Außenpolitisch trat die Partei für die reine Staatsräson ein, die Gesamtorientierung lag jedoch stärker nach der Seite des Westens, besonders Englands; die Abhängigkeit, in die Preußen von Rußland geraten war, wurde verworfen. Die Wochenblattpartei blieb nach ihrer Mitgliederzahl in sehr bescheidenen Grenzen. Sie erlangte nur deshalb eine zeitgeschichtliche Bedeutung, weil einige ihrer führenden Persönlichkeiten dem Koblenzer Hof des Prinzen und der Prinzessin von Preußen nahestanden. Die gemeinsame Basis war die Kritik an der schwächlichen preußischen Außenpolitik und die Abneigung gegen pietistische Einflüsse.

    G. hat von vornherein in der freien politischen Betätigung einen Übergang zu neuerlicher Verwendung im Staatsdienst gesehen. Im November 1854 wurde er zum Ministerresidenten in Athen ernannt (Gesandter seit 1857). Seitdem hatte er Gelegenheit, sich mit der orientalischen Frage weiter zu beschäftigen, wie viele andere davon überzeugt, daß das türkische Reich über kurz oder lang dem Untergang geweiht sei. In Athen spielte die preußische Diplomatie nur eine untergeordnete Rolle; das große Intrigenspiel lief zwischen England, Frankreich und Österreich. G. hielt sehr wenig von der politischen Befähigung des Königs Otto, um so mehr war er fasziniert von der Charakterstärke der ungewöhnlich schönen Königin Amalie, einer Prinzessin von Oldenburg. 1859 kam G. nach Konstantinopel, es gelang ihm in kurzer Zeit aus seiner Stellung etwas zu machen, energisch setzte er sich für innere Reformen ein. Nach einer vorübergehenden Vertretung eines Unterstaatssekretärs in Berlin wurde G. am 20.4.1860 zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister in Sankt Petersburg ernannt, er war somit der unmittelbare Nachfolger von Bismarck. Zum Unterschied von diesem hatte für ihn das freundschaftliche Verhältnis zu Rußland nur einen relativen Wert, er unterhielt auch gute Beziehungen zu dem liberalen Statthalter von Polen, dem Großfürsten Konstantin. Jedoch unternahm er nichts, was das Vertrauen des Zaren zur preußischen Politik hätte erschüttern können. Im Januar 1863 wurde G. zum Gesandten in Paris ernannt, und gleichzeitig erfolgte die Umwandlung in eine Botschaft. G. hat von Paris aus Bismarcks Politik mit steigender Sorge beobachtet. Gewiß hat dabei auch das persönliche Ressentiment eine erhebliche Rolle gespielt; G. hat den geheimen Wunsch gehegt, die Leitung der preußischen Politik zu übernehmen. Aber wichtiger war für ihn doch der sachliche Gegensatz. Auf die sogenannte Konvention Alvensleben, die Preußen zu einer eventuellen aktiven Mithilfe bei der Niederschlagung des polnischen Aufstandes verpflichtete, erfolgte eine heftige Reaktion in Frankreich. G. hielt die Konvention für einen beispiellosen Fehler; auch Bismarck hat sich von der Geheimklausel distanziert. Die höchst verschlungenen Wege, die Bismarck dann in der Schleswig-Holsteinischen Angelegenheit einschlug, verstand G. ebensowenig wie viele andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Auch den Bruch mit Österreich hätte er bestimmt nicht riskiert. Noch weniger war er mit den Methoden einverstanden, die Bismarck in der inneren Politik anwandte, er befürchtete, daß Preußen um jeden moralischen Kredit im In- und Auslande gebracht werden würde. Besonders scharf kritisierte er die Unterdrückung der Pressefreiheit sowie die Wahlbeeinflussung durch Staatsorgane.

    G. hat sich daher mit voller Überzeugung in jene Fronde eingereiht, die aus einem Teil der königlichen Familie, aus deren Coburger Verwandtschaft sowie aus hohen Beamten und Diplomaten bestand und die den Sturz des vermeintlich verderblichen Staatsmannes mit allen Mitteln anstrebte. Diese Fronde war um so gefährlicher für Bismarck, als sie das Ohr des Monarchen jederzeit erreichen konnte. Die Botschafter waren zum Beispiel berechtigt, dem König unmittelbar zu berichten. G. unterhielt auch einen geheimen Briefwechsel mit dem einflußreichen Hausminister Freiherr von Schleinitz. Bismarck hat daher G. als einen höchst unbequemen Gegenspieler betrachtet; 1865 kam es in Biarritz zu einer dramatischen Auseinandersetzung, in der sich Bismarck mit einer Erbitterung ohnegleichen über seine inneren Gegner, besonders über den Kronprinzen, äußerte. Trotzdem konnte G. seinem Lande im Jahre 1866 wertvolle Dienste leisten. Während der kritischen Situation, die nach dem überwältigenden Sieg Preußens über Österreich in Paris entstand, gelang es ihm, eine Formel zu finden, die dem Kaiser und seiner Regierung zunächst genügte. G. wurde in dieser Zeit zu einem überzeugten|Anhänger einer Verständigung mit Frankreich. Er war des Glaubens, daß eine solche mit Napoleon III. leichter herbeigeführt werden könne als mit jeder anderen Regierung; er sah voraus, daß ein Krieg zwischen Preußen beziehungsweise Deutschland und Frankreich unübersehbare Folgen haben müsse. G. war daher ehrlich bestrebt, dem Kaiser die schwierige Lage zu erleichtern, er befürwortete, ihm Kompensationen zu gewähren, wobei er nicht nur an Luxemburg, sondern auch an Belgien dachte. Es konnte Bismarck nur erwünscht sein, einen Botschafter in Paris zu wissen, der das Vertrauen in eine friedliche preußische Politik in maßgebenden Kreisen verstärkte. Es ist neuerdings die These vertreten worden, daß auch Bismarck auf Napoleon III. gesetzt habe, dessen politische Methoden er in mancher Hinsicht nachahmte, und daß er es für möglich hielt, mit diesem eine friedliche Lösung zu finden. Diese These ist kaum überzeugend, da Bismarck die politischen Fähigkeiten des Kaisers nicht sehr hoch einschätzte und dessen immer schwächer werdende Stellung mit zunehmender Skepsis beobachtete. Er hätte dann auch mehr getan, um das kaiserliche Prestige zu festigen.

    Es ist auch die grundsätzliche Frage aufzuwerfen, ob die Voraussetzungen zu einer dauernden Verständigung gegeben waren. Die persönlichen Sympathien Napoleons III. gehörten mehr Preußen als Österreich, das er, in der Tradition seines großen Onkels lebend, für den Hauptfeind ansah. Die deutsche Einigung hielt er vermutlich für unvermeidlich. Auch gab es Strömungen in Frankreich, denen zumindest eine Verständigung mit Norddeutschland sympathisch gewesen wäre. Auf der französischen Linken war der Haß gegen die katholische Kirche so stark, daß man sich schon aus diesem Grunde mehr zum Norden als zum Süden hingezogen fühlte, da man mit einem Sieg des Liberalismus rechnete. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wirkte die deutsche Kultur wie nie zuvor auf das französische Geistesleben ein. Andererseits war es nun einmal Tatsache, daß ein deutscher Nationalstaat nicht nur die jahrhundertelange französische Vorherrschaft beendigen mußte, sondern für die Zukunft auch als eine lebensgefährliche Bedrohung angesehen werden konnte. Im preußischen beziehungsweise deutschen Lager waren die Voraussetzungen fast noch ungünstiger. Das Erlebnis der Fremdherrschaft hatte bei vielen Deutschen sehr viel Abneigung gegen Frankreich erzeugt; auch Wilhelm I. bewegte sich in den Anschauungen der Befreiungszeit. Der Rheinbundgeist war noch nicht ganz erloschen, aber auch die öffentliche Meinung in Süddeutschland hätte keinesfalls mehr geduldet, daß deutsche Lande direkt oder indirekt in die französische Einflußsphäre gerieten. G. kämpfte daher wohl auf verlorenem Posten. Die Zukunft sollte nur allzusehr beweisen, wie notwendig an und für sich eine deutsch-französische Verständigung schon damals für das europäische Schicksal gewesen wäre. 1868 erkrankte G. an Zungenkrebs; das furchtbare Leiden verschlimmerte sich in einem solchen Maße, daß er nach Deutschland zurückkehren mußte. Bismarck trieb seine kleinliche Rachsucht so weit, daß er nicht einmal an der Beisetzung teilgenommen hat.

    G. lebte ausschließlich der Politik. Musische Neigungen besaß er nicht. Er war ein Diplomat überdurchschnittlichen Ranges, besaß aber kaum die Eigenschaften, die für einen verantwortlichen Staatsmann in so schwierigen Zeiten notwendig gewesen wären. Die Genialität in Bismarck vermochte er nicht zu erkennen. G. gehörte noch zu einem Typus der preußischen beziehungsweise deutschen Diplomatie, der gewöhnt gewesen war, eigene Überzeugungen zur Geltung zu bringen und den Gang der Außenpolitik mitzubestimmen. Bismarck hat von vornherein den Diplomaten dieses Recht bestritten. So ging es G. ähnlich wie einige Jahre später Harry von Arnim, er unterlag einem weitaus stärkeren Willen. Damit aber ist nicht gesagt, daß die Anschauungen, in denen er lebte, nicht ihre eigene historische Bedeutung hatten und in mancher Hinsicht zukunftsweisend gewesen sind.

  • Werke

    u. a. Über d. Reorganisation d. dt. Bundes, 1848.

  • Literatur

    ADB IX;
    K. Ringhoffer, Im Kampf f. Preußens Ehre, Aus d. Nachlaß d. Gf. Albrecht v. Bernstorff, 1906;
    Aufzeichnungen u. Erinnerungen a. d. Leben d. Botschafters Jos. Maria v. Radowitz, hrsg. v. H. Holborn, 2 Bde., 1925;
    Die Auswärtige Pol. Preußens 1858–71, 1932 ff.;
    O. Gf. zu Stolberg-Wernigerode, R. H. Gf. v. d. G., = Dt. Gesch.-qu. d. 19. Jh. 34, 1941 (mit Dokumentenanhang, L, P);
    Walter Schmidt, Die Partei Bethmann-Hollweg u. d. Reaktion in Preußen 1850–58, 1910;
    H. Oncken, Die Rheinpol. Kaiser Napoleons III. …, 3 Bde., 1926;
    H. Rothfritz, Die Pol. d. preuß. Botschafters Gf. R. v. d. G. in Paris 1863–69, 1934;
    F. Fischer, Mor. Aug. v. Bethmann-Hollweg u. d. Protestantismus, 1938;
    H. Geuss, Bismarck u. Napoleon III., 1959.

  • Autor/in

    Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode
  • Zitierweise

    Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu, "Goltz, Robert Graf von der" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 632-634 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118696327.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Goltz: Graf Robert Heinrich Ludwig von der G., preußischer Diplomat, ist am 6. Juni 1817 in Paris geboren. Sein Vater, der Generallieutenant Graf Heinrich Friedrich von der G., war daselbst zu jener Zeit preußischer Gesandter und aus seiner Ehe mit einer Freiin v. Seckendorff stammt Graf Robert als zweiter Sohn. Nach dem am 13. October 1822 erfolgten Tode des Vaters kam der Knabe zunächst nach Berlin, dann auf die Ritterakademie nach Brandenburg und später auf das Friedrichs-Gymnasium nach Breslau. Er studirte in Bonn und Berlin die Rechte, bestand das erste juristische Examen und trat in die Beamtenlaufbahn, indem er im März 1839 eine Referendarstelle bei der Regierung in Stettin und später in Merseburg annahm. Nach der dritten Staatsprüfung, am 20. April 1842, zum Regierungsassessor befördert, begab er sich behufs praktischer Ausbildung während neun Monaten auf Reisen, kam anfangs 1843 zur Regierung nach Düsseldorf; aber schon im darauffolgenden Jahre trat er eine zweite Reise nach den nördlichen europäischen Ländern,|besonders England und den skandinavischen Staaten an, worauf er 1845 zur Regierung nach Posen versetzt wurde. Es ist für die Entwicklung dieses Staatsmannes charakteristisch, daß er auch hier dem Reise- und Wissensdrange nicht widerstehen konnte, und schon im darauffolgenden Jahre nach Spanien, Süd- und Nordamerika ging. Die damaligen preußischen Zustände waren ihm zu eng und er wollte durch Vergleichung den richtigen Maßstab für die Reform der vaterländischen Einrichtungen finden. Wie seine schon 1848 in Berlin erschienene Schrift „Ueber die Reorganisation des deutschen Bundes“ beweist, hatte er frühzeitig über Staats- und Völkerleben nachgedacht und große Veränderungen vorausgesehen, so daß die Nachricht von der Februar-Revolution, die er am 7. März auf seiner Rückreise an der englischen Küste erhielt, ihn nur bis zu einem gewissen Punkte überraschte. „Ich hatte nie daran gezweifelt“, sagte er in der genannten Schrift, „daß diese Revolution das Zeichen zum offenen, vielleicht gewaltsamen Kampfe gegen sämmtliche in Europa herrschende Regierungssysteme geben und insbesondere auch das deutsche Volk in denselben hineinziehen werde. An diese Besorgniß knüpfte sich die ermuthigende Hoffnung, daß es gelingen möchte, von dem Bestehenden die gesunden Theile zu erhalten und auf einer befestigten und verjüngten Grundlage eine kräftigere Schöpfung erstehen zu lassen.“ In diesem Satze ist die Richtung scharf ausgesprochen, welche G. während seiner späteren Laufbahn in Betreff der inneren Politik verfolgte: sie bestand in jenem freisinnigen Conservativismus, welcher, als in Preußen nach 1848 wieder eine schroffe Reaction eintrat, Vielen fast für revolutionär galt, während er den Anhängern des reinen Parlamentarismus wie ein Abfall von der Sache der Freiheit vorkam. Auch über die deutsche Frage hat G. sich in derselben Schrift in ziemlich festen Zügen geäußert. Er bezweckte, wie hier eingestanden wird, mit seiner Reise nach den Vereinigten Staaten eine Beobachtung der Wirkungen, welche die Verfassung dieses Bundesstaates in moralischer und materieller Beziehung auf seine Bürger ausübt. Diese Verfassung, meinte er, würde ohne die wesentlichsten Veränderungen für kein europäisches Land passen; aber in der politischen Organisation des nordamerikanischen Bundes fand er zahlreiche Elemente, „welche dem deutschen Boden durchaus zusagen und nur mit dem monarchischen Princip in geeignete Verbindung gebracht werden müßten, um die trefflichsten Materialien zu einem dauerhaften deutschen Verfassungsbau zu liefern.“ Das sogenannte constitutionelle System Frankreichs hielt er durch die Februar-Revolution für gerichtet und warnte vor der Verallgemeinerung desselben in Deutschland. Er sah es geradezu „als eine traurige Probe von der politischen Reife des deutschen Volkes an, daß es in dem Augenblicke, wo sich durch den Sturz Ludwig Philipps und die Proclamation der französischen Republik jenes constitutionelle System definitiv als unausführbar erwiesen, einstimmig dasselbe verlangte.“ So gleichzeitig der Reaction und dem Liberalismus die Stirne bietend, suchte G. um ein Amt in einem der preußischen Ministerien nach und gab, da dies mißlang, schon im Februar 1849 seine Entlassung, die jedoch erst am 21. Mai erfolgte. Ein Jahr später trat er freiwillig in die Verwaltung zurück und kam zu der Bundes-Central-Commission als Protocollführer, wo er sich so tüchtig erwies, daß er am 26. Juni 1850 zum Legationsrath ernannt wurde. Am 5. October d. J. mit den Residenturgeschäften bei der freien Stadt Frankfurt beauftragt, mußte G. wegen des eingetretenen Systemwechsels schon im Mai 1851 diesen Posten verlassen und wurde zur Disposition gestellt. Er trat nun offen zur Opposition über, indem er sich lebhaft an dem „Preußischen Wochenblatte“ betheiligte und auch anderwärts, namentlich im Landtage, die von der damaligen Politik eingeschlagene Richtung bekämpfte. Verschiedene Verhältnisse hatten ihm indessen eine Annäherung an die Regierung zur Nothwendigkeit gemacht, so daß er im Laufe des J. 1854 die Verleihung der Ministerresidentenstelle zu Athen nachsuchte. Sie wurde ihm nicht ohne Schwierigkeiten am 2. October gewährt und G. zerfiel durch diese Rückkehr in den Dienst unter dem Ministerium Manteuffel zum Theil mit seinen Gesinnungsgenossen und namentlich mit dem Grafen Albert von Pourtalès. Am 7. Januar 1857 wurde er zum Gesandten am griechischen Hofe befördert und hiemit war sein Eintritt in die höhere diplomatische Laufbahn entschieden. Seine genaue Kenntniß der orientalischen Angelegenheiten bewirkte schon am 29. Januar 1859 seine Ernennung zum Gesandten in Konstantinopel. Nachdem er in demselben Jahre kurze Zeit den Unterstaatssecretär im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten vertreten hatte, wurde er am 15. März 1862 Gesandter in Petersburg. Er hatte hier Gelegenheit, tiefere Blicke in die Politik des sich damals wieder „sammelnden“ Rußland zu thun, konnte sich aber mit dessen Bestrebungen nie recht befreunden. Auch war diese seine Stellung nur von kurzer Dauer, denn schon am 1. December desselben Jahres erfolgte seine Berufung zum Botschafter nach Paris. Hier begann seine eigentliche, in die Entwicklung der neuesten deutschen Geschichte eingreifende Thätigkeit. Napoleon III. stand auf dem Gipfel seiner Macht und Frankreichs Einfluß wuchs mit dem Zunehmen der Uneinigkeit der beiden deutschen Großmächte. Zunächst erforderte der polnische Aufstand die umsichtigste Beobachtung der französischen Politik, welche nur eine weitere Ausdehnung desselben abwartete, um thätig einzugreifen; dann galt es Frankreichs Sympathien für Dänemark zu bekämpfen und endlich bei Ausbruch des preußisch-österreichischen Krieges die „wohlwollende Neutralität“ Frankreichs zu erwirken. In der Angelegenheit der Elbherzogthümer war die französische Presse seit Jahren stark für Dänemark eingenommen und es bedurfte der äußersten Anstrengungen, um sie zu einem Umschwunge der öffentlichen Meinung, deren Macht in Frankreich sich selbst unter dem Scheinconstitutionalismus Napoleons nicht verleugnete, zu veranlassen. Die Schwierigkeiten wuchsen, als nach dem Gasteiner Vertrage die französischen Zeitungen den Kaiser Napoleon vor einer mächtigeren Nachbarschaft Preußens warnten, und es sich darum handelte, Preußens Führerschaft in Deutschland als eine durch die Entwicklung der Verhältnisse berechtigte und nothwendige darzustellen. Dieses unbedingte Vertrauen der preußischen Staatsmänner in den Beruf und die Macht Preußens hat es allein ermöglicht, daß sie, der Eine in dieser, der Andere in jener Weise, unbekümmert um die interessirten Berechnungen Napoleons III., die Paralysirung der französischen Politik bei der Lösung der großen deutschen Frage rücksichtslos ins Auge faßten. So war es gleichzeitig ein Zeichen seiner höchsten Macht und seiner ersten Niederlage, daß Napoleon III. ohne Zuziehung seines Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, dem bei ihm beglaubigten preußischen Botschafter direct seine Zustimmung zu den Friedensbedingungen von Nicolsburg gab. G. durfte diese in persönlicher Unterhandlung erreichte Zustimmung des Kaisers für ein Maximum und für einen großen Erfolg halten, weil ihm durch besondere Umstände und die merkwürdigste Selbstüberwindung des Kaisers, die vollständige Entmuthigung des in all' seinen Berechnungen Getäuschten sowie die Schwäche des damaligen Frankreich überhaupt unbekannt war. Daß nach der Klärung der Lage sein Verdienst geringer erschien, war vielleicht mehr eine natürliche, als eine gerechtfertigte Folge. Am Zungenkrebs erkrankt, unterwarf er sich in Paris mit großer Standhaftigkeit einer schmerzlichen, von dem berühmten Chirurgen Nelaton unternommenen Operation, kehrte dann, nachdem er eine Zeit lang in einem kaiserlichen Pavillon im Garten von Fontainebleau Genesung gesucht hatte, in fast hoffnungslosem Zustande nach Berlin zurück und starb am 24. Juni 1869 in Charlottenburg.

  • Autor/in

    Felix , Bamberg.
  • Zitierweise

    Bamberg, Felix, "Goltz, Robert Graf von der" in: Allgemeine Deutsche Biographie 9 (1879), S. 358-360 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118696327.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA