Wirsing, Giselher
- Lebensdaten
- 1907 – 1975
- Geburtsort
- Schweinfurt
- Beruf/Funktion
- Journalist ; politischer Schriftsteller
- Konfession
- evangelisch
- Namensvarianten
-
- Wirsing, Hans Karl Theodor( eigentlich)
- Vindex( Pseudonym)
- Wirsing, Giselher
- Wirsing, Hans Karl Theodor( eigentlich)
- wirsing, hans karl theodor
- Vindex( Pseudonym)
- vindex
- Wirsing, Hans Carl Theodor( eigentlich)
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Wirsing, Giselher (seit 1928, eigentlich Hans Karl Theodor, Pseudonym Vindex)
| Journalist, politischer Schriftsteller, * 15.4.1907 Schweinfurt, † 23.9.1975 Stuttgart. (evangelisch)
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Genealogie
Aus seit dem 16. Jh. in Sch. ansässiger Honoratiorenfam.;
V →Friedrich (1869–1945), aus Sch., Dr., Chemiker, Inh. d. „Seifen- u. Soda-Fabrik Gottlieb Kraus“ in Sch., 1925 Ortsvors. d. Nat.lib. Partei ebd., 1922 Handelsrichter, 1924 KR (s. L), S d. →Theodor († 1895), Fabr.bes. in Sch., u. d. Benedikta Freiin v. der Tann (* 1841);
M Pauline (1873–1960), aus Sch., T d. →Karl Kraus (1845–1921), Mitinh. d. „Seifen- u. Soda-Fabrik Gottlieb Kraus“, u. d. Elise Krönlein;
2 Schw Bettina Grack, Elisabeth Zimmer;
– ⚭ 1) 1932 ⚮ 1951 Ellen Rösler (* 1907, ⚭ 2] →Edwin Erich Dwinger, 1898–1981, Schriftst., Landwirt im Allgäu, 1941 Kriegsber.erstatter, Dietrich-Eckart-Preis 1935), 2) →Gisela (Ps. Gisela Bonn, 1909–96, ⚭ 1] →Hermann Pörzgen, 1905–76, aus Kiel, Journ., Korr. d. FAZ, s. Wi. 1973;
Munzinger), aus Elberfeld, Dr. phil., Journ., Auslandskorrespondentin, Publ., Hg. u. Chefred. d. Zs. „Indo Asia“, Dok.filmregisseurin, Asien-Expertin (s. Munzinger), T d. Heinz Döhrn, Werklehrer in Elberfeld;
2 T aus 1) Marie-Luise (* 1934, ⚭ →Wolfgang Taute, 1934–95, Dr. phil., Prof. f. Jüngere Steinzeiten am Inst. f. Ur- u. Frühgesch. an d. Univ. Köln, 1970–72 stellv. Vors. d. Dt. Ges. f. Ur- u. Frühgesch., s. Bull. de la Soc. Préhistorique Luxembourgeoise 18, 1996, S. 7–10), →Sibylle (* 1936), Journ., Theaterkritikerin d. FAZ;
Verwandte →Johann Caspar Frhr. v. W. (1775–1842, sächs. Adel 1819, Frhr. 1827), sächs. Min.resident am württ. Hof, Geh. Legationsrat (s. NND 21), →Andreas Friedrich (1830–1903), Advokat, RA, 1870 Magistratsrat in Sch., bayer. JR, 1906 Ehrenbürger v. Sch., bayer. Verdienstorden v. hl. Michael IV. Kl., dessen T Dorothea (1858–1914, ⚭ →Julius Frhr. v. der Tann, 1847–88, Kaufm., Chemiker in Sch., s. NDB 25*), →Andreas Friedrich († 1903), Großkaufm. in Sch. -
Biographie
W. besuchte 1916–26 das Kgl. Humanistische Gymnasium in Schweinfurt und studierte nach dem Abitur in München, Königsberg, Berlin und Heidelberg Nationalökonomie und Rechtswissenschaften (Dipl.-Volkswirt 1929). Anschließend arbeitete er bis 1932 als Assistent an dem von →Alfred Weber (1868–1958) und →Carl Brinkmann (1885–1954) geleiteten Institut für Staats- und Sozialwissenschaften in Heidelberg und wurde hier im April 1933 mit der von Brinkmann betreuten Dissertation „Zwischeneuropa, Ein Beitrag zur nationalstaatlichen Entwicklung nach dem Kriege“ zum Dr. rer. pol. promoviert.
Bereits als Schüler schloß sich W. der Jugendbewegung an und betätigte sich politisch in deren Umfeld; seit 1923 war er in Organisationen der politischen Rechten aktiv, u. a. im „Bund Oberland“ und im „Jungnationalen Bund“. Seit 1928 führte er den dem Nibelungenlied entlehnten Vornamen Giselher, sofern er nicht unter Pseudonym publizierte, und betätigte sich als freier Journalist, seit April 1930 regelmäßig in der Zeitschrift „Die Tat“. Die 1933 im Diederichs-Verlag veröffentlichte erweiterte Fassung seiner Dissertation „Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft“ machte W. in Deutschland bekannt.
Die darin vertretene These, Deutschland müsse die geostrategische Aufgabe wahrnehmen, die als „Zwischeneuropa“ bezeichneten kleineren Staaten zwischen Deutschland und der Sowjetunion hegemonial zu kontrollieren, wurde publizistisch intensiv diskutiert. In den Jahren 1932/33 gehörte er mit →Hans Zehrer (1899–1966), →Ferdinand Fried (1898–1967) und →Ernst Wilhelm Eschmann (1904–1987) zu den prägenden Gestalten des „Tat-Kreises“, der ein autoritäres Staatsmodell verfocht und zeitweilig die Anfang 1933 gescheiterte „Querfront“ -Idee des Reichskanzlers →Kurt v. Schleicher (1882–1934) publizistisch unterstützte.
Mit der ihn lebenslang kennzeichnenden politischen Wendigkeit paßte sich W. 1933 den nationalsozialistischen Machthabern an und übernahm von Zehrer, der auf Druck des Regimes entlassen worden war, die Leitung der „Tat“ und ihres Fortsetzungsorgans „Das XX. Jahrhundert“ (1939–44). Gleichzeitig arbeitete er, seit 1933 als Ressortleiter Innenpolitik, 1938–1941 als Hauptschriftleiter für die „Münchner Neuesten Nachrichten“. Seit 1938 gehörte W. der SS an (SS-Sturmbannführer 1940), für deren „Sicherheitsdienst“ (SD) er bereits vorher „ehrenamtlich“ tätig gewesen war. 1940 erlangte W. die (offenbar früher beantragte) Mitgliedschaft der NSDAP.
Sein später Parteieintritt, den W. nach 1945 verfälschend als Ergebnis eigener Verzögerungstaktik bezeichnete, ging vermutlich auf einen Fehler der Bürokratie des „Braunen Hauses“ zurück. Mit seiner Publizistik seit 1933, auch seinen Buchveröffentlichungen vor dem Krieg, darunter seinem Reisebericht „Engländer, Juden, Araber in Palästina“ (1938), erwies sich W. als ausgeprägt antisemit. und antibrit. Propagandist im Dienst des NS-Regimes. Allerdings half er Journalistenkollegen, wie →Klaus Mehnert (1906–1984), die mit dem Regime in Konflikt geraten waren oder, wie der Münchner Redakteur →Fritz Jaffé (1892–1974), wegen ihrer jüd. Abstammung verfolgt wurden.
Während des 2. Weltkriegs verfaßte W. weitere Propagandaschriften, darunter das in hohen Auflagen verbreitete antiamerik. Pamphlet „Der maßlose Kontinent, Roosevelts Kampf um die Weltherrschaft“ (1942). Anfang 1942 wurde er als Kriegsberichterstatter und Angehöriger einer Propagandakompanie an der Ostfront eingesetzt. Nach schwerer Er|krankung arbeitete er wieder in Berlin als verantwortlicher Schriftleiter der in mehreren Fremdsprachen erscheinenden dt. Auslandsillustrierten „Signal“, die bis Anfang 1945 von der Wehrmacht herausgegeben und vom Auswärtigen Amt betreut wurde und daher nicht dem Propagandaministerium unterstand. W.s letzte vor Kriegsende publizierte Bücher lassen zwischen den Zeilen erkennen, daß er nicht mehr an einen dt. „Endsieg“ glaubte. Seine in „Das Zeitalter des Ikaros“ (1944) getroffene Feststellung, es könne „ohne Recht keine dauernde Ausübung der Macht“ geben, kann als verdeckte Kritik an der brutalen Praxis des Regimes gelesen werden. In seinem unter dem Pseudonym „Vindex“ veröffentlichten Werk „Die Politik des Ölflecks“ (1944) warnte W. eindringlich vor einem sich nach Mitteleuropa ausbreitenden „Sowjetimperialismus“.
W. unternahm in der Spätphase des Kriegs im Auftrag von Geheimdienstchef →Walter Schellenberg (1918–1952), den er seit 1940 beriet, längere Reisen, meist in das neutrale Ausland, u. a. nach Stockholm, Kopenhagen, Madrid, Rom und Lissabon. Seit Herbst 1944 verfaßte er für Schellenberg die (verschollenen) „Egmont-Berichte“, bei denen es sich um streng geheime „schonungslose Analysen der außen- und militärpolitischen Lage“ (R. Jedlitschka) Deutschlands handelte. Sie sollten dem Geheimdienstchef dazu dienen, seinen Vorgesetzten →Heinrich Himmler (1900–1945) von der Notwendigkeit eines eventuellen Separatfriedens mit den Westmächten zu überzeugen.
Kurz vor Kriegsende mit seiner Familie nach Bayern geflohen, wurde W. Anfang Juni 1945 von der US-amerik. Militärpolizei verhaftet und blieb, immer wieder verhört, bis April 1948 in US-amerik. und brit. Speziallagern interniert. In seinem Entnazifizierungsverfahren wurde er 1950 als „Mitläufer“ eingestuft. Seit 1948 publizierte W. – zuerst anonym – in der ev. Wochenzeitung „Christ und Welt“, zu deren Gründern er gehörte und die unter seiner Chefredaktion 1954–70 zu einer führenden westdt. Wochenzeitung aufstieg.
Dabei wurde er wegen seiner politischen Vergangenheit und seiner als opportunistisch empfundenen politischen Wendigkeit nach 1945 öffentlich scharf attackiert, vermochte aber Debatten anzustoßen, etwa über die Frage der Entwicklungshilfe, die Probleme des weltweiten Bevölkerungswachstums und die drohende „deutsche Bildungskatastrophe“ (Georg Picht).
W. gestand sein persönliches Versagen nach 1933 niemals ein. In seiner ersten größeren Nachkriegspublikation „Schritt aus dem Nichts“ (1951) deutete er den Nationalsozialismus als Unterform eines „dämonischen“ chiliastischen Utopismus, der das „Zeitalter der Revolutionen“ in einer säkularen Katastrophe habe enden lassen. Spätere Buchveröffentlichungen, meist das Ergebnis ausgedehnter weltweiter Reisen, befaßten sich u. a. mit dem Aufstieg Asiens, der Entkolonialisierung in Afrika und dem globalen Bevölkerungsproblem (Die Menschenlawine, 1956).
Besonders häufig bereiste W. Indien und gab im Auftrag der Dt.-Ind. Gesellschaft seit 1960 deren Zeitschrift „Indo Asia“ heraus. W.s späte Bücher, zuletzt „Der abwendbare Untergang“ (1975), widmeten sich vorrangig weltpolitischen und kulturkritischen Reflexionen.
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Werke
Weitere W Dtld. in d. Weltpol., 1933;
Köpfe d. Weltpol., 1934;
Das Kgr. Südslawien, 1935;
Der Krieg 1939/40 in Karten, 1940, 2. Aufl. u. d. T. Der Krieg 1939/41 in Karten, 1942, Nachdr. 2008 (Hg.);
Hundert Fam. beherrschen d. Empire, 1940;
Die Rückkehr d. mondo-mogo, Afrika v. morgen, 1954;
Indien, Asiens gefährl. Jahre, 1968;
Japan, Beharrung u. Wagnis, 1971;
Indien u. d. Subkontinent, Indien, Pakistan, Bangla Desh, Nepal, Sikkim, Bhutan, 1973, ²1974 (mit G. Bonn). -
Literatur
L K. Sontheimer, Der Tatkreis, in: VfZ 7, 1959, S. 229–60;
K. Mehnert, Am Sarge G. W.s, in: Indio Asia 18, 1976, S. 4–6;
U. Frank-Planitz, Die Zeit, d. wir beschrieben haben, Zur Gesch. d. Wochenztg. „Christ u. Welt“, in: B. Heck (Hg.), Widerstand, Kirche, Staat, Eugen Gerstenmaier z. 70. Geb.tag, 1976, S. 146–69;
K. Fritzsche, Pol. Romantik u. Gegenrev., Fluchtwege in der Krise d. bürgerl. Ges., Das Beispiel d. „Tat“ -Kreises, 1976;
A. Mohler, Der Fall G. W., in: ders., Tendenzwende f. Fortgeschrittene, 1978, S. 146–55;
K. Mehnert, Ein Deutscher in d. Welt, Erinnerungen 1906–1981, 1981;
O. Köhler, Unheiml. Publizisten, Die verdrängte Vergangenheit d. Medienmacher, 1995, S. 290–327 u. 434–37;
K. W. Schmidt, Die Tat (1909–1939), in: H.-D. Fischer (Hg.), Dt. Zss. d. 17. bis 20. Jh., 1979, S. 349–63;
D. Pöpping, G. W.s „Zwischeneuropa“, Ein dt. Föderationsmodell zw. Ost u. West, in: R. Blomert u. a. (Hg.), Heidelberger Soz.- u. Staatswiss., Das Inst. f. Soz.- u. Staatswiss. zw. 1918 u. 1958, 1997, S. 349–68;
N. Frei u. J. Schmitz, Journalismus im Dritten Reich, 1999, S. 173–80 u. 206;
R. Rutz, „Signal“, Eine dt. Auslandsillustrierte als Propagandainstrument im Zweiten Weltkrieg, 2007;
K. Große Kracht, „Schmissiges Christentum“, Die Wochenztg. „Christ u. Welt“ in d. Nachkriegszeit (1948–1958), in: M. Grunewald u. U. Puschner (Hg.), Das ev. Intellektuellenmilieu in Dtld., seine Presse u. seine Netzwerke (1871–1963), 2008, S. 505–31;
M. Tändler, in: N. Frei (Hg.), Wie bürgerl. war d. Nat.sozialismus, 2018, S. 351–68;
R. Jedlitschka, G. W., Worte als Taten, in: W. Proske (Hg.), Täter, Helfer, Trittbrettfahrer, 10: NS-Belastete aus d. Region Stuttgart, 2019, S. 483–505 (P);
Enz. NS;
Personenlex. Drittes Reich;
Biogr. Lex. Drittes Reich;
Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
– zu Fried-rich: Die bayer. Kommerzienräte, hg. v. M. Krauss, 2016, S. 712 f. -
Autor/in
Hans-Christof Kraus -
Zitierweise
Kraus, Hans-Christof, "Wirsing, Giselher (seit 1928, eigentlich Hans Karl Theodor, Pseudonym Vindex)" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 278-280 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz142902.html#ndbcontent