Wiesenthal, Simon
- Lebensdaten
- 1908 – 2005
- Geburtsort
- Buczacz (Galizien)
- Sterbeort
- Wien
- Beruf/Funktion
- Publizist ; Architekt ; Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien ; Musiker ; Schriftsteller ; Journalist
- Konfession
- jüdisch
- Normdaten
- GND: 118632655 | OGND | VIAF: 111280467
- Namensvarianten
-
- Wiesenthal, Szymon
- Wiesenthal, Simon
- Wiesenthal, Szymon
- Wîsenṭal, Šimôn
- Wiesenthal, S.
- Vizental', Simon
- Kukin, Mischka
- Визенталь, Симон
- Cukin, Mischka
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Wiesenthal, Simon (Szymon)
| Publizist, Architekt, Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, * 31.12.1908 Buczacz (Galizien), † 20.9.2005 Wien, ⚰Herzlia (Israel). (jüdisch)
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Genealogie
V →Asher Hensel (Gregor Hans) (1878–1915 ⚔), aus Skala (Galizien), Vertr. e. Zuckerraffinerie, S d. David, wanderte in d. USA aus (?);
M Rosa (1879 – n. 1942, in Belzec ermordet, ⚭ 2] 1926 →Isaak [Eisig] Halperin, Inh. e. Ziegelfabr. in Dolina, vom sowjet. Geheimdienst 1940 verschleppt), T d. Joel Rapp u. d. Mindel N. N.;
B Hillel (1910–23);
– ⚭ 1936 →Cyla (Tarnname Irene Kowalska) (1908–2003), lebte 1942 in Warschau, z. Zwangsarbeit im Rheinland (s. New York Times v. 12.11.2003; P), T d. Eliezer Müller u. d. Paika Dyck;
1 T Pauline (Paulinka) Rosa (* 1946, ⚭ Gerard Kreisberg), Dr.;
E →Racheli Kreisberg-Greenblatt, Ph. D., Biol., Touristenführerin in Israel, Vf. e. Fam.gesch. (s. L);
Schwager Max Müller;
Verwandter d. Ehefrau →Sig(is)mund (Schlomo) Freud (1856–1939), Med., Begründer d. Psychoanalyse (s. NDB V). -
Biographie
W.s Mutter flüchtete 1914 mit ihren Kindern vor den in Galizien eindringenden russ. Truppen und kehrte 1917 in das nun poln. Buczacz zurück, wo W. das Gymnasium besuchte. Der Matura 1928 folgte ein Architekturstudium an der Dt. TH Prag, nachdem W. wegen Diskriminierung jüd. Studierender an der Univ. Lemberg nicht zugelassen worden war. Gleichwohl erhielt er hier 1932 das Diplom und war anschließend als Architekt tätig. Aufgrund einer Arbeit für ein Lungensanatorium erfolgte 1939 die Anerkennung als Bauingenieur. Nach der sowjet. Besetzung von Buczacz 1939 übernahm er diverse Arbeiten in der Sowjetunion. Der Zwangsarbeit nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion und der Verbringung in das Lemberger Ghetto 1941 folgten Festnahme, Fluchtversuche und ein Leidensweg durch mehrere – seinen Angaben zufolge elf–Konzentrationslager. W.s Biographen weisen in diesem Zusammenhang auf Ungereimtheiten in seinen Darstellungen hin, die sie auf seine Vorliebe zu erzählen und auf Schuldgefühle, überlebt zu haben, zurückführen. Stark geschwächt und unterernährt wurde W. im Mai 1945 aus dem KZ Mauthausen befreit; seine Ehefrau überlebte dank gefälschter Papiere.
Nachdem W. in Linz der US-Besatzungsmacht geholfen hatte, SS-Männer aufzuspüren, gründete er 1947 die „Jüdische Historische Dokumentation“, die Beweismittel zu NS-Tätern an Gerichte weiterleitete, aber wegen mangelnder Ressourcen und Desinteresses maßgeblicher Stellen 1954 aufgelöst wurde. 1961 nahm W. in Wien diese Tätigkeit wieder auf: zuerst im Rahmen der Isr. Kultusgemeinde, nach Zerwürfnissen mit dieser im Büro des von ihm gegründeten „Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes“. Dank seiner Arbeit konnten der Polizist →Karl Silberbauer (1911–1972), der →Anne Frank (1929–1945) verhaftet hatte, →Franz Stangl (1908–1971), Kommandant von Treblinka, →Hermine Braunsteiner-Ryan (1919–1999), KZ-Aufseherin in Ravensbrück, und →Franz Murer (1912–1994), der ‚Schlächter von Vilnius‘, ausfindig gemacht bzw. vor Gericht gestellt werden. W.s Rolle bei der Aufspürung von →Adolf Eichmann (1906–1962) war vergleichsweise unbedeutend.
W., seit 1953 österr. Staatsbürger, sah sich als Patriot, wurde aber in Österreich bis in die 1980er Jahre nicht nur von rechtextremen Kreisen diffamiert. 1982 entging er nur knapp einem von einer Gruppe dt. Neonazis verübten Bombenanschlag. Gegen die Verzögerungen der Ermittlungen der österr. Staatsanwaltschaften bei der Strafverfolgung von NS-Tätern verfaßte er mehrere Memoranden. 1975 kam es zwischen Bundeskanzler →Bruno Kreisky (1911–1990) und W. im Zusammenhang mit der SS-Vergangenheit des FPÖ-Vorsitzenden und Koalitionspartners →Friedrich Peter (1921–2005) zum Konflikt. Kreisky bezichtigte W. der Kollaboration mit der Gestapo und wurde 1990 wegen Verleumdung verurteilt. 1986 wurde bekannt, daß der Präsidentschaftskandidat der ÖVP, →Kurt Waldheim (1918–2007), Mitglied der SA gewesen war und falsche Angaben zu seiner Tätigkeit in Griechenland während des 2. Weltkriegs gemacht hatte. W. – der ÖVP nahestehend – nahm Waldheim zunächst in Schutz.
Über seine Ermittlungstätigkeit berichtete W., der sich literarisch eher erfolglos versuchte, in mehreren, in zahlreiche Fremdsprachen übersetzten und vielfach neuaufgelegten Dokumentarbüchern, v. a. seinen Erinnerungen „Recht, nicht Rache“ (1988). 1969 gab er die Antworten verschiedener Persön|lichkeiten auf seine Frage „1942. Sie sind ein KZ-Häftling. Ein sterbender SS-Soldat bittet Sie um Vergebung. Was tun Sie?“ unter dem Titel „Die Sonnenblume“ heraus. In seinem Werk „Segel der Hoffnung, Die geheime Mission des →Christoph Columbus“ (1972) versuchte er erfolglos zu belegen, daß Columbus Jude und der Antrieb für seine Entdeckungsfahrten die Suche nach einer Heimat für verfolgte Juden gewesen sei.
In seinen letzten Lebensjahren protestierte W. gegen aktuelle Menschenrechtsverletzungen und setzte sich für die Anerkennung der NS-Verbrechen an Sinti und Roma ein. Zu israel. Menschenrechtsverletzungen gegen die Palästinenser schwieg er, erhob aber seine Stimme zum Schutz der Muslime in Bosnien.
Vehement plädierte er für die Errichtung eines Wiener Mahnmals für die Opfer des Holocaust, das von der brit. Künstlerin →Rachel Whiteread gestaltet und im Sept. 2000 enthüllt wurde. Das 2009 gegründete und von W. mitkonzipierte „Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien“ (VWI, darin seit 2017 „Die Zukunft des Erinnerns, Museum Simon Wiesenthal“), in dem auch das „Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes“ mit W.s Archiv untergebracht ist, widmet sich der Erforschung, Dokumentation und Vermittlung von Fragen zu Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Holocaust. Bereits 1977 war von Rabbi →Marvin Hier und anderen in Los Angeles das „Simon Wiesenthal Center“ zur Erforschung des Holocaust eingerichtet und 1993 um das „Museum of Tolerance“ erweitert worden. W.s Leben wurde 1989 unter der Regie von →Bryan Gibson verfilmt (Murderers Among Us, The S. W. Story, dt. Recht, nicht Rache, Hauptrolle B. Kingsley). Seine bedeutende Briefmarkensammlung wurde 2006 im Auktionshaus Köhler in Wiesbaden versteigert.
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Auszeichnungen
|u. a. Ehrenzeichen f. Verdienste um d. Befreiung Österr. (1977);
Commendatore della Repubblica Italiana (1979);
Congressional Gold Medal (1980);
Gr. BVK (1985);
Erasmuspreis (1992);
Ehrenpreis d. österr. Buchhandels f. Toleranz in Denken u. Handeln (1995);
Ehrenbürger d. Stadt Wien (1995);
Presidential Medal of Freedom, v. US-Präs. Bill Clinton (2000);
Knight Commander of the Order of the British Empire (2004);
Gr. Goldenes Ehrenzeichen f. Verdienste um d. Rep. Österr. (2005);
18 Ehrendoktorwürden, u. a. Dr. phil. h. c. (Wien 1990, Krakau 1994, Ramat Gan 1999);
– S. W. Lectures d. Wiener W. Inst. f. Holocaust-Stud. (VWI), d. Dok.archiv d. österr. Widerstandes u. d. Inst. f. Zeitgesch. d. Univ. Wien (seit 2007). -
Werke
Weitere W KZ Mauthausen, Bild u. Wort, 1946;
Großmufti, Großagent d. Achse, Tatsachenber. mit 24 Photogrr., 1947;
Ich jagte Eichmann, Tatsachenber., 1961;
Verjährung?, 200 Persönlichkeiten d. öff. Lebens sagen Nein, Eine Dok., 1965 (Hg.);
Doch d. Mörder leben, 1967;
Krystyna, Die Tragödie d. poln. Widerstands, 1986;
S. W. im Gespräch mit Guido Knopp, in: Jüd. Lebenswege, hg. v. K. B. Schnelting, 1987, S. 71–153;
Flucht vor d. Schicksal, 1988;
Denn sie wußten, was sie tun, 1995;
– Briefe: Die Korr. d. zwei Nazi-Forscher Tuviah Friedman u. S. W., 2 T., 2005;
– Nachlaß u. Qu: Wiener W. Inst. f. Holocaust-Stud. (VWI);
Yad Vashem Archives, Jerusalem;
S. W. Center, Los Angeles. -
Literatur
L W. Grabowski, Angriff auf d. Dok.zentrum d. B. J. V. N. u. S. W. u. d. Reaktion aus aller Welt, um 1970;
I. Etzersdorfer, James Bond oder Don Quichotte, S. W.s Kampf gegen d. Lüge u. Verdrängung, 1992;
M. Sporrer u. H. Steiner (Hg.), S. W., Ein unbequemer Zeitgenosse, 1992;
H. Pick, S. W., Eine Biogr., 1996 (P);
L. S. Jeffrey, S. W., Tracking Down Nazi Criminals, 1997 (P);
I. Noble, Nazi Hunter S. W., 1997;
G. Walters, Hunting Evil, 2009;
T. Segev, S. W., Die Biogr., 2010 (P);
Jüd. Mus. Wien (Hg.), W. in Wien, Ausst.kat., 2015;
Racheli Kreisberg, My Grandfather S. W., A Family Story to be Never Yet Told, in: S:I.M.O.N., Shoah: Intervention. Methods. Documentation 4, 2017, H. 1, S. 146–65;
Enc. Jud. 1971 (P in Suppl.bd.);
Biogr. Judaica Bohemiae;
Hdb. österr. Autoren jüd. Herkunft;
Personenlex. Drittes Reich;
Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
–Dok.filme u. a.: I have never forgotten you, The Life and Legacy of S. W., USA 2006 (Regie: R. Trank). -
Porträts
|Ölgem. n. e. Photogr. „S. W. mit Cyla Wiesenthal“ v. P. Schunter, 1972 (Wiener W. Inst. f. Holocaust-Stud.);
Photogr. v. H. Koelbl, Abb. in: dies., Jüd. Portraits, 1998, S. 377;
Sonderbriefmarke, Gemeinschaftsausg. d. österr. u. israel. Post (2010). -
Autor/in
Béla Rásky -
Zitierweise
Rásky, Béla, "Wiesenthal, Simon (Szymon)" in: Neue Deutsche Biographie 28 (2024), S. 103-104 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118632655.html#ndbcontent