Lebensdaten
1906 – 1999
Geburtsort
Egern (Oberbayern)
Sterbeort
Grünwald bei München
Beruf/Funktion
Schriftstellerin
Konfession
jüdisch
Namensvarianten
  • Jockisch, Grete (seit 1960)
  • Dispeker, Margarete Elisabeth (geborene)
  • Weil, Grete (verheiratete)
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Zitierweise

Weil, Grete (verheiratete), Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/sfz139824.html [27.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus Tuchhändlerfam. in M.;
    V Siegfried Dispeker (1865–1937), Dr. iur., RA in M., 2. Vors. d. Anwaltskammer ebd., Mitgl. d. Vorstands d. jüd. Gde., GJR (s. Biogr. Gedenkbuch Münchner Juden), S d. Sigmund, Kaufm. in M., u. d. Doris Lehmaier;
    M Isabella (Bella) Goldschmidt (1875–1961), aus M., emigrierte 1938 n. Amsterdam, lebte zuletzt in Lugano (Tessin);
    1 B Friedrich Siegmund Dispeker (1895–1985), Syndikus, emigrierte n. London, 1 Schw (früh †);
    1) Rottach (Oberbayern) 1932 Edgar (1908–41 KZ Mauthausen), Dr. phil., Dramaturg, Geschäftsführer e. pharm. Fabr. in Amsterdam, S d. Richard Weil (1875–1941), aus Ingenheim, Apotheker, Pharm.fabr. in Frankfurt/M., u. d. Paula Hochstetter (Hochstädter?) (1885–1970), 2) Frankfurt/M. 1961 Walter Jockisch (1907–70), aus Arolsen, Opernregisseur (s. Theaterlex. Schweiz);
    kinderlos;
    Ur-Gvv d. 1. Ehemanns Julius Weil (1843–1920), Großgrundbes., 1. Vorstand d. isr. Kulturgde. in Ingelheim;
    Schwager Hans Joseph Weil (1906–69), Dr. med., Arzt in Frankfurt/M., emigrierte über d. Schweiz in d. USA.

  • Biographie

    W. wuchs in München und am Tegernsee auf. Ihr großbürgerliches Elternhaus war weniger vom Judentum als von der dt. Bildungstradition geprägt. Zu ihren Jugendfreunden| zählte Klaus Mann (1906–49). W. besuchte bis 1922 die St.-Anna-Schule in München und erhielt 1929 an der Musterschule in Frankfurt/M. ihr externes Abitur. Anschließend studierte sie Germanistik in Frankfurt/M., Berlin, Paris und München. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten stellte W. die Arbeit an ihrer Dissertation sowie die schon in Jugendjahren begonnene schriftstellerische Tätigkeit ein und ließ sich in München zur Photographin ausbilden. Ende 1935 folgte sie ihrem Mann Edgar ins Exil nach Amsterdam, wo dieser eine Niederlassung der pharmazeutischen Fabrik seines Vaters führte. W. übernahm ein Photoatelier; neben üblichen Auftragsarbeiten machte sie Porträtphotographien von Bruno Walter (1876–1962) und Franz Werfel (1890–1945). 1941 wurde Edgar Weil verhaftet und im KZ Mauthausen ermordet; W. entging der Deportation durch ihre Arbeit für den Jüd. Rat, der im Auftrag der dt. Besatzer den Abtransport der Juden mitorganisierte. Im Sept. 1943 tauchte sie unter und nahm in ihrem Versteck die literarische Arbeit wieder auf mit dem Ziel, „Zeugnis abzulegen“.

    Ende 1947 ging W. von Amsterdam zurück nach Deutschland und lebte in Darmstadt, Stuttgart, Berlin, Hannover und Frankfurt/M. mit ihrem Jugendfreund, dem Opernregisseur Walter Jockisch, zusammen. Nach Musiktheaterarbeiten, u. a. mit Hans Werner Henze (1926–2012) (Boulevard Solitude, 1951, ²2000), übersetzte W. seit 1958 für den Limes Verlag engl. und amerik. Prosa. 1963 erschien ihr Roman „Tramhalte Beethovenstraat“, in dem W. erstmals den Konflikt thematisierte zwischen dem Wunsch, als Zeugin des Holocaust zu sprechen, und der Einsicht, weder das Erlebte in Worte fassen noch die dauernde Konfrontation mit den eigenen Erinnerungen ertragen zu können. Auch in den nach einer Reise entstandenen Amerika-Erzählungen „Happy, sagte der Onkel“ (1968) reflektierte W. die dauernde Gegenwart der Vergangenheit. Obwohl sie in Martin Gregor-Dellin (1926–88) einen begeisterten Rezensenten fand, interessierten sich lange Zeit nur wenige Leser für ihre differenzierte Auseinandersetzung mit der Shoah.

    1974 übersiedelte W. von Frankfurt/M. nach Grünwald bei München. Der literarische Durchbruch gelang ihr 1980 mit dem Roman „Meine Schwester Antigone“. W. schilderte einen Tag Ende der 1970er Jahre und fand in der assoziativen Verschränkung von Wahrnehmungs- und Erinnerungsfragmenten ihren radikal subjektiven Prosastil. Sie nutzte die eigene Biographie, v. a. die Erfahrung der Verfolgung, als Material, sprach aber auch erstmals ihr zweites großes Thema an, den Prozeß des Älterwerdens. 1983 setzte sich W. in dem Roman „Generationen“ erneut mit der Alters- und der Verfolgungsthematik auseinander. 1986 suchte sie in „Der Brautpreis“ eine positive Definition des eigenen Judentums. Den Gedanken, daß sie „als Jüdin“ nur „erfahren habe, was Leiden bedeutet“, führte W. 1992 in sechs Prosatexten weiter, die das Thema „Spätfolgen“ variieren. In Abgrenzung zu den KZ-Überlebenden Primo Levi (1919–87) und Jean Améry (1912–78) beanspruchte sie für sich nicht mehr die Rolle einer Zeitzeugin, sie begriff sich nur noch als „Zeugin des Schmerzes“. Nach ihrem späten literarischen Durchbruch erreichte W. v. a. in den 1990er Jahren eine breite Leserschaft. Die subtil differenzierende Auseinandersetzung mit den Themen Judentum und Shoah sowie die einfühlsame Darstellung der Altersthematik bleiben gerade in W.s literarischer Gestaltung des autobiographischen Materials aktuell.

  • Auszeichnungen

    |Mitgl. d. PEN-Zentrum Dtld. (1979);
    Wilhelmine-Lübke-Preis d. Kuratoriums Dt. Altershilfe (1980);
    Tukan-Preis d. Stadt München (1983);
    Geschwister-Scholl-Preis (1988);
    Medaille „München leuchtet“ in Gold (1993);
    Carl-Zuckmayer-Medaille d. Landes Rheinland-Pfalz (1995);
    Bayer. Verdienstorden (1996).

  • Werke

    Weitere W Erlebnis e. Reise (Erz., 1932), in: Erlebnis e. Reise, Drei Begegnungen, 1999, S. 5–74;
    Weihnachtslegende 1943 (Theaterstück), in: Das gefesselte Theater, 1945, S. 5–25;
    Ans Ende d. Welt, 1949, ²1962 (Erz.);
    Die Witwe v. Ephesos, Pantomime n. e. antiken Novelle, [1951] (Text z. Musik v. W. Fortner);
    Leb ich denn, wenn andere leben, 1998 (Autobiogr., P);
    Grammophon (Prosafragmente, um 1984), in: S. Schönborn (Red.), 2009 (s. L), S. 3–9;
    Übers.: David Walker, Schott. Intermezzo, 1959;
    Maude Hutchins, Noels Tageb., 1960;
    Lawrence Durell, Groddeck, 1961;
    Thomas Buchanan, Das Einhorn, 1963;
    John Hawkes, Die Leimrute, 1964;
    Jeroen Brouwers, Versunkenes Rot, 1984;
    Bibliogr.: M. Heuwinkel, in: S. Schönborn (Red.), 2009 (s. L), S. 103–12;
    Nachlaß: Monacensia, Stadtbibl. München.

  • Literatur

    |T. Daum u. D. Lamping (Bearb.), G. W., 1996;
    U. Meyer, „Neinsagen, d. einzige unzerstörbare Freiheit“, Das Werk d. Schriftst. G. W., 1996;
    C. Giese, Das Ich im lit. Werk v. G. W. u. Klaus Mann, Zwei autobiogr. Gesamtkonzepte, 1997;
    L. Exner, Land meiner Mörder, Land meiner Sprache, Die Schriftst. G. W., 1998 (P);
    St. Braese, Die andere Erinnerung, Jüd. Autoren in d. westdt. Nachkriegslit., 2002;
    P. R. Bos, German-Jewish Literature in the Wake of the Holocaust, G. W., Ruth Klüger, and the Politics of Address, 2005;
    J. Sayner, „To write against Forgetting“, G. W.s „Leb ich denn, wenn andere leben“, in: J. Sayner, Women without a Past? German Autobiographical Writings and Fascism, 2007, S. 301–35;
    T. W. Kniesche, Trauer als „amerik. Flirt“, G. W.s Texte über Amerika, in: ders., Projektionen v. Amerika, Die USA in d. dt.-jüd. Lit. d. 20. Jh., 2008, S. 98–131;
    H. Häntzschel, Ein Puppenspiel mit d. Tod, G. W., „Weihnachtslegende 1943“, in: G. Goetzinger u. I. Hansen-Schaberg (Hg.), „Bretterwelten“, Frauen auf, vor u. hinter d. Bühne, o. J. [2008], S. 147–63;
    S. Schönborn (Red.), G. W., text + kritik, H. 182, April 2009 (P);
    M. Mattson, G. W., The Costs of Abstract Principles, in: dies., Mapping Morality in Postwar German Women’s Fiction, Christa Wolf, Ingeborg Drewitz, and G. W., 2010, S. 142–84;
    R. Wall, Lex. Schriftstellerinnen 1933–45, 2004 (P);
    BHdE II;
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    Lex. Gegenwartslit.;
    Metzler Autorinnen Lex. (P);
    Metzler Lex. dt.-jüd. Lit. (P);
    Munzinger.

  • Porträts

    |Selbstporträt, Photogr., 1938, Abb. in: G. W., Leb ich denn, …, 1998 (s. W), S. 176;
    Selbstporträt, Photogr., 1939, Abb. in: L. Exner, 1998 (s. L), S. 38;
    Photogr. v. I. Ohlbaum, 1981, Abb. in: S. Schönborn (Red.), 2009 (s. L), Umschlag;
    Photogr. v. H. Koelbl, 1987, Abb. in: dies., Jüd. Portraits, 1998, S. 361;
    Photogrr. v. St. Moses, 1995, Abb. in: L. Exner, 1998 (s. L), S. 113 f., u. in: ders., Die Monogr., hg. v. U. Pohlmann u. M. Harder, 2002, S. 119.

  • Autor/in

    Lisbeth Exner
  • Zitierweise

    Exner, Lisbeth, "Weil, Grete" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 614-616 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz139824.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA