Lebensdaten
1882 – 1966
Geburtsort
Riga
Sterbeort
Vaihingen/Enz (Kreis Ludwigsburg)
Beruf/Funktion
Jurist
Konfession
lutherisch
Normdaten
GND: 101593481 | OGND | VIAF: 10217052
Namensvarianten
  • Tatarin-Tarnheyden, Edgar Adolf (seit 1923)
  • Tatarin, Edgar (bis 1923)
  • Tatarin-Tarnheyden, Edgar (seit 1923)
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Zitierweise

Tatarin-Tarnheyden, Edgar (seit 1923), Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd101593481.html [25.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus dt.balt. Fam.;
    V Theodor Tatarin (1853–1932, Kaufm., Geschäftsführer d. Riga`schen Commerzbank in Dünaburg (Daugavpils);
    M Magdalene Groschke (1861–1941;
    Riga 1911 Jane (eigtl. Johanna Nicoline) (1886–1973), Autorin v. Kinderbüchern u. Erzz. (s. M. Redlich, Lex. dt.balt. Lit.,|1989; Kürschner, Lit.-Kal., Nekr. 1971–1998), T d. Nicolai Wilhelm v. Klot (1852–1932, aus R., RA, Gutsbes., 1901 Stadtverordnetenpräs. in R., 1920 Dir. d. Balt. Zellulosefabrik in Sloka (Schlock), u. d. Ida Johanna Sophie Hartmann (1859–1951), aus R.R.;
    1 T Ida Eveline (Ps. Jane-Evelyn) (* 1912, Hermann Bergengruen, 1907–90, Dr. iur., Reg.dir. in Stuttgart, S d. Hermann Bergengruen, 1872–1919, Pfarrer, 1901 Insp. d. Stadtmission in R., 1907 Pastor d. dt. Stadtgde. in Wenden, Livland, 1915–18 n. Sibirien verbannt, s. BBKL I), Sängerin in Stuttgart;
    E Heidi Bergengruen (* 1940, Martin Mailänder, * 1936, Dr. phil., Physiker in Stuttgart).

  • Biographie

    T. besuchte die Nicolai-Realschule in Białystok, das humanistische Gymnasium in Wilna (Abitur 1899) und studierte anschließend in Dorpat-Jurjew, St. Petersburg und Genf Rechtswissenschaft. 1906 bestand er in St. Petersburg das jur. Staatsexamen und wurde im selben Jahr an der Univ. Jurjew bei Pjotr Pavlovič Pustoroslev (1854–1928) mit der strafrechtlichen Arbeit „Über den Versuch mit untauglichen Mitteln nach russ. Recht“ zum Dr. iur. promoviert. Kurzzeitig am Bezirksgericht Riga, war T. seit 1907 in Riga als Rechtsanwalt tätig, seit 1912 auch als Syndikus der Rigaer Kaufmannskammer. Während des 1. Weltkriegs floh er 1915 nach Schweden, von dort 1917 nach Deutschland. Als inzwischen „staatenloser Ausländer“ studierte T. in Berlin und Heidelberg Rechtswissenschaften; über seinen Berliner Lehrer Rudolf Stammler (1856–1938) kam er mit der Philosophie des Neukantianismus in Verbindung. 1919 wurde T. in Heidelberg bei Friedrich Karl Neubecker (1872–1923) mit einer rechtsvergleichenden Arbeit über russ.-balt. Erbrecht erneut promoviert. T. arbeitete als Schlichter in Marburg sowie ehrenamtlich im „Balt. Vertrauensrat“. 1922 habilitierte er sich in Marburg bei Johann Victor Bredt mit „Die Berufsstände, ihre Stellung im Staatsrecht und die dt. Wirtschaftsverfassung“ für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht und wurde im selben Jahr als Nachfolger von Felix Genzmer (1878–1959) nach Rostock auf das Ordinariat für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht, Rechts- und Staatsphilosophie, Verfassungsgeschichte und Politik berufen (Dekan 1924/25, 1930/31, 1940). Gleichzeitig wurde er in Mecklenburg-Schwerin eingebürgert.

    T. war Mitarbeiter der Werke „Handbuch des Deutschen Staatsrechts“ und „Die Grundrechte“. Fachlich positionierte er sich zunächst als Neukantianer und rezensierte aus dieser Position etwa „Verfassung und Verfassungsrecht“ von Rudolf Smend (1882–1975) kritisch; zunehmend vertrat T. ständestaatliche Vorstellungen und ergriff für die dt. Volksgruppe im Baltikum Partei. Nach 1933 radikalisierte T. diese Position (1934 SA-Mitglied), zunächst 1934 mit „Werdendes Staatsrecht“, in dem er einen „völkischen Rechtsstaat“ forderte. Auf Betreiben Carl Schmitts hielt T. 1936 auf der Berliner Tagung „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ der „Reichsgruppe Hochschullehrer“ des NS-Rechtswahrerbundes ein Referat über den „Einfluß des Judentums in Staatsrecht und Staatslehre“. Zur Druckfassung dieses Vortrags (1938) schrieb Schmitt ein Vor- und Nachwort. T. stellte hier einen „Gesamtzusammenhang“ zwischen „systematischer Unterhöhlung eines gesunden völkisch-dt. Staates“ und dem „Einbruch des jüd. Volkes“ her, den er personal v. a. an Friedrich Julius Stahl (1802–61) und Erich Kaufmann (1880–1972) festmachte. Teilweise widersprach T. damit seinen Veröffentlichungen vor 1933. 1941 wurde er, nach mehreren Aufnahmegesuchen, Mitglied der NSDAP. Zunehmend wurde T. aus der SS kritisiert, v. a. von Reinhard Höhn (1904–2000) und dessen Doktoranden Justus Beyer (1910–89), die ihm das „Fehlen einer konkreten Gemeinschaftsauffassung“ vorhielten. Seit 1940 beteiligte sich T. am „Kriegseinsatz der Dt. Geisteswissenschaft“ (Aktion Ritterbusch); in diesem Zusammenhang forschte er zum „franz. Volksbegriff“ und bemühte sich um eine Rezeption des franz. Rassentheoretikers Georges Vacher de Lapouge (1854–1936). Das Kriegsende verbrachte er ausgebombt in Bad Doberan.

    Im Juli 1945 zunächst aus dem Hochschuldienst entlassen, wurde T. im Nov. 1945 in Rostock verhaftet und von einem sowjet. Militärtribunal „wegen Verunglimpfung der UdSSR und deren Verbündeter“ zu zehn Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt; bis Dez. 1953 war T. in der Strafvollzugsanstalt Untermaßfeld (Kr. Meiningen) inhaftiert. Nach seiner Entlassung lebte T. zurückgezogen in Stuttgart und Vaihingen. In die Staatsrechtslehrervereinigung wurde er nicht wieder aufgenommen. Fanden vor 1933 T.s ständisch-korporativistisch geprägten Vorstellungen zum Wirtschaftsverwaltungs- und Arbeitsrecht aufgrund ihrer Originalität, ihrer Offenheit etwa zum Rätegedanken und einiger erhellender Sichtweisen breitere Aufmerksamkeit, wurde dies nach 1933 durch den offen zutage tretenden Antisemitismus dauerhaft überlagert. Einen besonderen Einfluß besaß T. nach 1933 nicht. Gleichwohl stellt sein „Einfluß des Judentums in Staatsrecht und Staatslehre“ einen Tiefpunkt der dt. Wissenschaft vom öffentlichen Recht dar.

  • Auszeichnungen

    A ksl. Hofrat (Rußland 1912);
    Mitgl. d. Vereinigung dt. Staatsrechtslehrer (1922–33).

  • Werke

    Die Legitimation d. Erben nach russ. u. balt. Recht unter Vergleichung mit d. dt. Bestimmungen d. BGB, Diss. Heidelberg 1921;
    Rechtsgutachten z. Frage d. Monopolstellung d. drei herrschenden Gewerkschaftsrichtungen, 1921;
    Staat u. Recht in ihrem begriffl. Verhältnis, in: FS Rudolf Stammler, 1926, S. 477–548;
    Rechtspositivismus u. modernes Naturrecht in ihrer methodolog. Berechtigung, in: Zs. f. öff. Recht, 1928, S. 22–44;
    Berufsverbände u. Wirtsch.demokratie, 1930;
    Rechtsstellung d. Abgeordneten, in: G. Anschütz u. R. Thoma (Hg.), Hdb. d. Dt. Staatsrechts, Bd. 1, 1930, S. 413–39;
    Die Verfügung über d. Staatsvermögen, ebd., Bd. 2, 1932, S. 417–35;
    Volksstaat oder Parteienstaat, 1931;
    Die Rechtsstellung d. Amtshptm. in Mecklenburg-Schwerin in verw.- u. staatspol. Beleuchtung, 1931;
    Die Enteignung d. dt. Doms zu Riga im Lichte d. modernen Staats-, Verw.- u. Völkerrechts unter Berücksichtigung d. kirchenrechtl. Grundlagen, 1931;
    Völkerrecht u. organ. Staatsauffassung, 1936;
    Ein franz. Seher europ. Zukunft, in: Europ. Revue, 1942, S. 362–69, franz. 2004;
    Qu: Nachlaß
    1944 vernichtet;
    einzelne Briefwechsel erhalten, u. a. mit Walter Jellinek, Paul Ritterbusch u. Friedrich Giese (BA Koblenz), Carl Schmitt (HStA Düsseldorf), Rudolf Smend (SUB Göttingen) u. Walther Schücking (Univ.- u. Landesbibl. Münster).

  • Literatur

    J. Beyer, Die Ständeideologie d. Systemzeit u. ihre Überwindung, 1941, S. 46–50;
    M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nat.soz. Recht, 1974, bes. S. 215;
    ders., Die Vereinigung d. Dt. Staatsrechtslehrer, in: Krit. Vj.schr. f. Gesetzgebung u. Rechtswiss. 80, 1997, S. 339–58;
    ders., Gesch. d. öff. Rechts in Dtld., Bd. 3, 1999, S. 170, 174, 291, 345 u. 385;
    J. Meinck, Weimarer Staatslehre u. NS, 1978, S. 94–97;
    U. Johnson, Jahrestage, Bd. 4, 1983, S. 1790;
    H. Hofmann, „Die dt. Rechtswiss. im Kampf gegen d. jüd. Geist“, in: Gesch. u. Kultur d. Judentums, 1988, S. 223–40;
    G. Rapp, Die Stellung d. Juden in d. nat.soz. Staatsrechtslehre, 1990, S. 79–83;
    F.-R. Hausmann, „Dt. Geisteswiss.“ im Zweiten Weltkrieg, Die „Aktion Ritterbusch“ (1940–1945), ³2007, S. 69, 75, 96 u. 310 f.;
    J. M. Hecht, Vacher de Lapouge and the Rise of Nazi Science, in: Journal of the Hist. of Ideas 2000, S. 285–304, bes. S. 301 ff.;
    P. Nolte, Die Ordnung d. dt. Ges., 2000, S. 174 f.;
    M. Buddrus u. S. Fritzlar, Die Professoren d. Univ. Rostock im Dritten Reich, 2007, S. 397 ff. (P);
    Ch. Hilger, Rechtsstaatsbegriffe im Dritten Reich, 2003, S. 167–78;
    N. Urban, Die Diätenfrage, 2003, S. 187–90;
    R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, S. 376;
    Der Große Brockhaus, 151935;
    Catalogus Professorum Marburgensis;
    Göppinger;
    Dt.balt. Biogr. Lex.

  • Porträts

    Photogr., um 1913 (Fam.bes.).

  • Autor/in

    Martin Otto
  • Zitierweise

    Otto, Martin, "Tatarin-Tarnheyden, Edgar" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 794-796 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd101593481.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA