Lebensdaten
1909 – 1982
Geburtsort
Weidenau/Sieg
Sterbeort
Marburg/Lahn
Beruf/Funktion
Kinder- und Jugendpsychiater
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118619764 | OGND | VIAF: 265969423
Namensvarianten
  • Stutte, Hermann
  • Stutte, H.

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Zitierweise

Stutte, Hermann, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118619764.html [20.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich Wilhelm Friedrich (1860–1932), Kaufm.;
    M Wilhelmine Vitt (1869–1942);
    1938 Marie-Luise Thraum (1909–2003), Kinder- u. Jugendpsychiaterin; 2 S.

  • Biographie

    S. wuchs als sechstes Kind eines Kaufmanns in einem pietistischen Umfeld auf. Nach dem Abitur studierte er seit 1928 Medizin in Freiburg, Bonn, Königsberg, Paris, Frankfurt/M., München und Gießen. Hier legte er 1933 das Staatsexamen ab, wurde 1934 approbiert und 1935 bei Robert Sommer (1864–1937) über „Experimentelle Untersuchungen über Simulation von Zittern der Finger“ promoviert. Seine ärztliche Weiterbildung absolvierte S. in Gießen und seit 1936 in Tübingen, wo er seit 1938 das „Klinische Jugendheim“ der Universitätsnervenklinik leitete. Nach einem Einsatz als Truppenarzt und einem Lazarettaufenthalt kehrte S. bereits Ende 1940 aus bislang ungeklärten Gründen nach Tübingen zurück, wo er sich 1944 für Psychiatrie und Neurologie habilitierte. Als der Psychiater Werner Villinger (1887–1961), seit Anfang 1945 kommissarischer Direktor der Tübinger Klinik, 1946 einen Ruf nach Marburg erhielt, folgte ihm S. dorthin. Seit 1947 leitete S. die neu errichtete kinderpsychiatrische Abteilung. 1950 zum apl. Professor ernannt, erhielt S. 1954 ein Extraordinariat für Kinder- und Jugendpsychiatrie, das 1963 in ein Ordinariat umgewandelt wurde. 1977 emeritiert, behielt er die Klinikleitung bis 1979.

    Während seiner mehr als 30 Jahre umfassenden Marburger Amtszeit plante S. nicht nur die erste selbständige kinder- und jugendpsychiatrische Universitätsklinik in Deutschland, die 1958 eröffnet wurde, sondern übernahm auch zahlreiche leitende Funktionen in Institutionen der Jugend- und Behindertenfürsorge. S. zählt zu den Gründungsmitgliedern sowohl der dt. als auch der europ. Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Außerdem war er 1958 Mitbegründer des Vereins „Lebenshilfe e. V.“ und gehörte den Herausgebergremien u. a. der „Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie“ sowie der „Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform“ an.

    S. gilt als einer der maßgeblichen Begründer der modernen Kinder- und Jugendpsychiatrie, der ihre Etablierung als med. Disziplin nach 1945 durchsetzte und die hierfür notwendigen akademischen und klinischen Strukturen schuf. Seine wissenschaftlichen Arbeiten erstreckten sich sowohl auf typische neurologische und psychische Krankheiten des Kindes- und Jugendalters als auch auf die zugehörigen Grenzgebiete, wie Forensik, Sozialpsychiatrie, Entwicklungspsychologie und Jugendforschung.

    Umstritten sind allerdings S.s Haltung zur und seine Aktivitäten während der NS-Herrschaft. Als Stipendiat der „Kerkhoff-Stiftung“ wirkte er seit 1935 an Forschungen zur Gestaltung der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Sinne der Rassenhygiene mit. Seine daraus entstandene Habilitationsschrift „Über Schicksal, Persönlichkeit und Sippe ehemaliger Fürsorgezöglinge“ (1943) gilt als verschollen. Der NSDAP gehörte S. seit 1937 an; in einem Entnazifierungsverfahren wurde er 1948 als „Mitläufer“ eingestuft. Veröffentlichungen S.s enthalten bis in die 1950er Jahre teilweise eine Terminologie der sozialen Ausgrenzung, z. B. seine „Grenzen der Sozialpädagogik“ (1958). S. bildet somit ein Beispiel für jene dt. Mediziner, die sich nach 1945 zweifellos große Verdienste um den Aufbau ihrer Fachgebiete erwarben, in deren Tätigkeit aber zugleich Konzepte und akademische Netzwerke aus der Zeit des Nationalsozialismus fortwirkten, ohne daß dies offengelegt oder kritisch reflektiert wurde.

  • Auszeichnungen

    A Heinrich-Hoffmann-Medaille d. Dt. Ges. f. Kinder- u. Jugendpsychiatrie (1971);
    Ehrenpräs. d. Union Europ. Pädopsychiater (1975–1982);
    Dr. h. c. (Marburg 1976);
    Dr. jur. h. c. (Göttingen 1977);
    Ehrennadel d. Stadt Marburg (1979).

  • Werke

    u. a. Psychosen d. Kindesalters, 1969;
    Vernachlässigte Kinder, 1969;
    Charakteropathien nach frühkindl. Hirnschäden, 1970.

  • Literatur

    L. Pongratz (Hg.), Psychiatrie in Selbstdarst., 1977, S. 394–421;
    H. Remschmidt, in: Nervenarzt 53, 1982, S. 491 f. (P);
    W. Schäfer, „Sichtung, Siebung u. Lenkung“, Konzepte Marburger Wissenschaftler z. Bekämpfung v. Jugendverwahrlosung, in: Marburg in d. Nachkriegsjahren, hg. v. B. Hafeneger, 1998, S. 253–313;
    M. Holtkamp, Werner Villinger, 2002, S. 117–21;
    R. Castell u. a., Gesch. d. Kinder- u. Jugendpsychiatrie in Dtld., 2003, S. 304–|28 u. 488–94;
    C. Rexroth u. a., H. S., Die Bibliogr., 2003;
    Personenlex. Drittes Reich;
    Nassau. Biogr.

  • Autor/in

    Matthias M. Weber
  • Zitierweise

    Weber, Matthias M., "Stutte, Hermann" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 658-659 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118619764.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA