Lebensdaten
1893 – 1976
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Den Haag
Beruf/Funktion
Physiker ; Mathematiker ; technischer Berater
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 117300780 | OGND | VIAF: 64780420
Namensvarianten
  • Weissenberg, Carl
  • Weissenberg, Karl
  • Weissenberg, Carl

Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Weissenberg, Karl, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117300780.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Heinrich (1860 / 70–1912, bis 1899 jüd.), aus W., ltd. Angest. in W. u. Guatemala, S d. Leon (1823–1909), aus Bielitz (Bielsko-Biała, Schlesien), u. d. Bertha Schäffer, aus W.;
    M Irene (Irma) (1866–1942), T d. Moriz Wiener u. d. Theresia Felix (um 1842–68), aus Trebitsch (Třebíč , Mähren);
    B Eugen (Eugene Henry) (1892–1969), Dr. med., Arzt, zuletzt in Santa Barbara (Kalifornien);
    1) Berlin 1929 Helene (Lena) Kühn, 2) 1967 Adolphine Fientje Mees-Seebohm (1904–93, 1] 1930–51 Leendert F. C. Mees, 1902–90, Arzt in D. H., Anthroposoph, Schriftst., Publ.), aus Schleswig-Holstein, Märchenforscherin, Anthroposophin, T d. Richard Seebohm (1866–1934), Oberstlt. im (schleswig-holstein.) Füsilier-Rgt. Kgn. Nr. 86 d. preuß. Heeres, kommandiert z. Gen.stab in Berlin, später Lehrer an d. Kriegsschule in Potsdam, danach Leiter d. Fichte-Schiller-Zweiges d. Anthroposoph. Ges. in Jena, u. d. Adelheid v. Zastrow (* 1877).

  • Biographie

    W. besuchte Schulen in Österreich, Frankreich und Deutschland. Nach dem Abitur an der Oberrealschule in Frankfurt/M. 1910 studierte er Mathematik mit den Nebenfächern Physik und Chemie an der Univ. Wien. 1914 begann W. den Militärdienst als „Einjährig-Freiwilliger“, 1915–19 war er Landsturm-Ingenieur-Leutnant, abkommandiert als Assistent der Zentral-Röntgenstation des Allgemeinen Krankenhauses in Wien unter Guido Holzknecht (1872–1931). Dort führte er theoretische und experimentelle Untersuchungen zur Röntgentechnik durch. Vorübergehend beurlaubt, wurde W. 1917 an der Univ. Jena in Mathematik bei Robert Haußner (1863–1948) zum Dr. phil. promoviert, dessen Assistent er 1919 wurde. 1920–21 war er am neugegründeten Institut für Angewandte Mathematik der Univ. Berlin Hilfsassistent des Institutsdirektors Richard v. Mises (1883–1953).

    1921 lud Reginald Oliver Herzog (1878–1938), Direktor des neuen KWI für Faserstoffchemie in Berlin-Dahlem, W. ein, als sein Assistent zu arbeiten. Herzog ließ Faserstoffe und Drähte mit neuen physikalischen Methoden analysieren, insbesondere mit Röntgenverfahren. Bei Herzog arbeiteten auch Michael Polanyi(1881–1976), Herman Mark (1895–1992), Rudolf Brill (1899–1989) und Otto Kratky (1902–95).

    W.s 1924 an der Univ. Berlin eingereichte Habilitationsschrift für Physik behandelte den theoretischen Zusammenhang zwischen Kristallstruktur und chemischer Konstitution. Als Pionier der Röntgenstrukturanalyse entwickelte er das nach ihm benannte Röntgengoniometer für Drehkristallaufnahmen, mit dem erstmals räumliche Kristallstrukturen auf einem Röntgenfilm adäquat dargestellt wurden. Das ermöglichte die Strukturanalyse von Proteinen, Nukleinsäuren und Enzymen, was W.s weltweites Renommee begründete.

    Nach der Ernennung zum Privatdozenten an der Univ. Berlin erhielt W. 1924 einen Vertrag als Wissenschaftlicher Berater und Gastforscher in den Ks.-Wilhelm-Instituten für physikalische Chemie und Elektrochemie, für Metallforschung und für Faserstoffchemie. 1926 folgte eine Assistentenstelle am KWI für Physik. Er arbeitete an Röntgenstrukturanalysen, an der Deformation von Gelen und Gallerten, und mit Unterstützung von Bruno Rabinowitsch (Bruno R. Roberts, 1903–68) an Verfahren zur Veredelung von Kunstseiden. Auf Antrag der KWI-Direktoren Max v. Laue (1879–1960), Fritz Haber (1868–1934) und Herzog wurde W. 1929 nach Albert Einstein (1879–1955) und Laue zum dritten Wissenschaftlichen Mitglied des KWI für Physik ernannt.

    Der vielfältig einsetzbare W. arbeitete bis 1933 mit Zeitverträgen für die KWG. Daneben beriet er Industrieunternehmen wie die „Siemens & Halske AG“, die „I. G. Farbenindustrie AG“ und die „Deutsche Rhodiaceta AG“.

    Bereits 1929 dehnte er sein Arbeitsgebiet auf die Rheologie aus. 1932 wurde er zum nichtbeamteten ao. Professor für Physik der Univ. Berlin ernannt, doch entzog man W. im Sept. 1933 aufgrund der Bestimmungen des NS-Berufsbeamtengesetzes wegen seiner jüd. Herkunft die Lehrbefugnis. Bereits im März 1933 hatte er erfahren, daß seine Anstellung am KWI für Physik aus vorgeblich finanziellen Gründen nicht verlängert wird.

    W. emigrierte nach Paris und war dort bis 1934 Gastprofessor für physikalische Chemie| an der Sorbonne, dann in Großbritannien als Gastforscher an der Southampton Univ., der er später als Honorary Associate verbunden blieb, und 1937–38 wohl wieder als wissenschaftlicher Berater in Paris. Da der 1939 gestellte Einbürgerungsantrag in Großbritannien erst 1946 bewilligt wurde, folgte bei Kriegsbeginn die Internierung als „Enemy Alien“. 1940 aus dem Internierungslager entlassen, arbeitete W. bis 1948 als Verbindungsoffizier des Shirley Institutes der British Cotton Research Association in Manchester, zudem 1943–46 als Scientific Advisor des am Imperial College der Univ. of London angesiedelten Petroleum Warfare Departments. 1948–50 war W. Leiter der Mathematischen Abteilung der Rayon Research Association in Manchester, 1950–58 in Harwell, London und Cambridge Senior Scientific Advisor, später Consultant des für alle militärischen Beschaffungsvorgänge zuständigen Ministry of Supply. Seit 1958 war W. als Industrieberater in Großbritannien und den USA tätig, so für Gillette Industries, Sangamo Controls Ltd., Shell, Dupont und American Oil. Er hatte Professuren für Civil Engineering and Engineering Mechanics 1962 an der Columbia Univ. in New York und für Anatomie an der Univ. of South Carolina in Chapel Hill. W. war aktiver Freimaurer und wollte nie nach Deutschland zurückkehren. Er setzte sich 1969 in Den Haag zur Ruhe.

    W. konstruierte seit 1943 am Shirley Institute das nach ihm benannte Rheogoniometer, mit dem die Spannungen in fließenden Medien experimentell bestimmt werden können. Er interpretierte einen nach ihm benannten strömungsmechanischen Effekt als erster korrekt, die Kennzahl für den relativen Einfluß der Fluidelastizität bei Strömungsprozessen in der Nähe einer stationären Schichtenströmung ist nach ihm benannt (W.-Zahl). Wie sein Röntgengoniometer wurde auch das Rheogoniometer kommerziell angeboten und weltweit verbreitet. W. ist heute bekannt wegen seiner experimentellen und instrumentellen Arbeiten auf dem Gebiet der Röntgenstrukturanalyse und der Rheologie, doch arbeitete er auch theoretisch, insbesondere zur Vereinigung von Vorstellungen der Atom-, Quanten- und Gruppentheorie. Neuere Untersuchungen legen nahe, daß diese Erkenntnisse Eugene Wigner (1902–95) beeinflußten, der sich nach seiner Anstellung bei W. 1926 mit gruppentheoretischen Betrachtungen befaßte.

  • Auszeichnungen

    |Silberne Medaille d. Roten Kreuzes;
    Mitgl. d. Inst. of Physics u. d. Physical Soc. in London, d. New York Ac. of Science u. d. World Ac. of Arts and Science;
    Honorary Physicist Royal South Hants Hospital in Southampton;
    Duddell Medal;
    Preis d. London Physical Soc. f. d. Röntgengoniometer (1946);
    Life Member d. Royal Institution in London;
    korr. Mitgl. d. Puerto Rican Ac. of Arts and Science;
    Life Governor of the Royal Hospital and Home for Incurables in London;
    Ehrenmitgl. d. British Soc. of Rheology, d. European Soc. of Microcirculation u. d. British Soc. of Microcirculation;
    W.-Award d. European Soc. of Rheology (seit 1998, zweij.).

  • Werke

    |Zur speziellen techn. Strahlenmessung, in: Fortschritte auf d. Gebiet d. Röntgenstrahlen 23, 1915, S. 257–67 (mit G. Holzknecht);
    Dosis u. Flächenenergie, ebd., S. 526–32;
    Die Algebra e. hyperkomplexen Zahlensystems mit vier Einheiten, 1917 (Diss.);
    Über d. Entwicklung d. Drehkristallverfahrens, in: Zs. f. Physik 23, 1924, S. 337–40 (mit M. Polanyi u. E. Schiebold);
    Ein neues Röntgengoniometer, ebd., S. 229–38;
    Kristallbau u. chem. Konstitution, I.-III. Mitt., ebd. 34, 1925, S. 406–52 (zus.gefaßt als Habil.schr. u. d. T. Kristallbau u. chem. Konstitution, in: Zs. f. Elektrochemie 31, 1925, S. 530–36);
    Zur Molekulartheorie d. Kristalle, in: Zs. f. physikal. Chemie 134, 1928, S. 329–583;
    Die Mechanik deformierbarer Körper, in: Abhh. d. Preuß. Ak. d Wiss., Phys.-Math. Kl., Sonderh. 2, 1931;
    Report of the Gen. Conference of the British Rheologists’ Club, 1946;
    A Continuum Theory of Rheological Phenomena, in: Nature 159, 1947, S. 310 f.;
    Specification of a Rheological Phenomena by Means of a Rheogoniometer, in: Proceedings of the Internat. Congress on Rheology Amsterdam 1948, Bd. 1, 1949, S. 29–46.

  • Literatur

    |J. Harris (Hg.), The K. W. 80th Birthday Celebration Essays, 1973 (vollst. W-Verz., P);
    ders., in: Nature 261 v. 27. 5. 1976, S. 353 (Abdr., in: Rheologica Acta 15, 1976, H. 6, S. 281 f. mit e. Notiz d. Schwagers) (P);
    Karl Weissenberg, A Lifetime in Physics or the Apprenticeship of a Physics Worker, in: Physics Bull. 25, 1974, S. 17–20 (P);
    M. Chayut, Foundations of Chemistry 3, 2001, S. 55–78, hier S. 63–69 (P);
    R. Rürup u. M. Schüring, Schicksale u. Karrieren, 2008, S. 355–59 (P);
    T. McLeish, Molecular Polymeric Matter, W., Astbury and the Pleasure of Being Wrong, in: Rheologica Acta 47, 2008, S. 479–89;
    A. Borrelli, The Emergence of Selection Rules and their Encounter with Group Theory 1913–1927, in: Studies in Hist. and Philosophy of Modern Physics 40, 2009, S. 327–37;
    Pogg. VI u. VIIa;
    Kürschner 1931;
    Who’s Who in British Science 1953;
    Qu Archiv d. MPG u. d. HU;
    Churchill Archives Centre, Cambridge;
    Interview v. J. J. Bohning u. J. L. Sturchio mit H. Mark am 18. 3. u. 20. 6. 1986, Chemical Heritage Foundation, Center for Oral Hist., Philadelphia (Oral Hist. Transcript # 0030, S. 5–7).

  • Autor/in

    Thomas Steinhauser
  • Zitierweise

    Steinhauser, Thomas, "Weissenberg, Karl" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 703-704 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117300780.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA