Lebensdaten
1891 – 1964
Geburtsort
Sankt Pölten
Sterbeort
Wien
Beruf/Funktion
österreichischer Bundeskanzler
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118743309 | OGND | VIAF: 17291653
Namensvarianten
  • Raab, Julius

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Zitierweise

Raab, Julius, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118743309.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Julius Peter (1854–1925), aus Niedermohrau b. Römerstadt (Österr. Schlesien), Baumeister u. Zimmermann in St. P., gerichtl. beeideter Schätzmeister, Mitarb. im Baubüro d. Architekten Heinrich Frhr. v. Ferstel, S d. Karl Joseph Abdon (* 1812), aus Klein-Mohrau (Österr.-Schlesien), Zeug- u. Drahthüttenwerksbes.;
    M Franziska (1859–1941), aus St. P., Erzieherin u. Sprachlehrerin, T d. Josef Wohlmeyer (1815–84), Stiftsmaurermeister in Lilienfeld;
    Om Johann Baptist Wohlmeyer, Baumeister, Gründer u. Obmann d. Landwirtschaftl. Genossenschaft St. P., christl.soz. Gde.rat in St. P., RR-Abg., Weggefährte Karl v. Vogelsangs u. Karl Luegers;
    B Heinrich (* 1893), Prof. an d. Lehrerbildungsanstalt in St. P., Bgm. ebd., Josef (* 1895), Maurermeister, Polier, Bauleiter;
    Melk 1923 Hermine Haumer, T e. Kaufm. in St. P.; kinderlos.

  • Biographie

    Nach dem Besuch des Benediktinerstiftsgymnasiums Seitenstetten studierte R. seit 1911 an der TH Wien Hoch- und Tiefbau und diente 1912/13 als einjährig Freiwilliger bei den Pionieren. Während des Kriegs zunächst an der russ. Front, kam er als Oberleutnant und Kommandant des Sappeur Baon II nach Italien. Im Juli 1920 absolvierte er die Erste Staatsprüfung, schloß das Studium aber nicht ab, sondern trat als Bau-Ingenieur in die Fa. Heinrich Wohlmeyer in St. Pölten ein.

    Bezirksparteisekretär der Christlichsozialen, vertrat R. seine Partei 1927-33 im Gemeinderat von St. Pölten, 1927-34 im Nationalrat. Bundeskanzler Ignaz Seipel setzte ihn als Vertrauensmann in der Landesführung der niederösterr. Heimwehr ein, zu dessen Landesführer er 1928 avancierte. Als sich die österr. Heimwehren mit dem Korneuburger Gelöbnis zu einem faschistischen Staatsaufbau bekannten, zog R. sich vom Heimatschutz zurück; im Dez. 1930 wurde er als Landesführer abgesetzt. Er gründete daraufhin eine auf der Bauernschaft basierende „Niederösterr. Heimwehr“, die im Okt. 1931 mit dem niederösterr. Heimatschutz wiedervereint wurde. Auch der Zusammenschluß mit den kath. Ostmärkischen Sturmscharen 1932 brachte nicht den erwarteten Erfolg gegen den aufkommenden Nationalsozialismus.

    1930 wurde R. zum Vizepräsidenten, am 8.1.1934 zum Präsidenten des Dt.-Österr. Gewerbebundes gewählt, einer ursprünglich überparteilichen Organisation, die er in eine christlichsoziale Standesorganisation, den Reichsgewerbebund, umwandelte und sich somit eine ansehnliche Hausmacht schuf. Während des autoritären Regimes war R. für den Aufbau der ständischen Organisation von Handel, Gewerbe und Industrie, v. a. für den Österr. Gewerbebund, ferner im Bundeswirtschaftsrat sowie im Bundestag (1934–38) tätig. Das Handelskammergesetz von 1937 gestaltete er maßgeblich mit. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (1897–1977) berief R. als Minister für Handel und Verkehr in sein Kabinett (Febr./März 1938). Nach dem „Anschluß“ verlor R. alle Ämter, erhielt Aufenthaltsverbot in St. Pölten und im Gau Niederdonau und wurde für „wehrunwürdig“ erklärt. Im übrigen schützte ihn Gauleiter Hugo Jury (1887–1945), der ehemalige Hausarzt der Familien Wohlmeyer-Raab, vor politischen Repressalien. R., der bei der Wiener Baufirma Kohlmayer im Straßenbau beschäftigt war, bot Verfolgten Schutz (z. B. Felix Hurdes, 1901–74) und setzte sich für Freunde ein (z. B. für seinen pol. Ziehsohn Leopold Figl, 1902–65, den ersten österr. Nachkriegskanzler).

    Der provisorischen Regierung Renner gehörte R. 1945 als Staatssekretär für öffentliche Bauten, Übergangswirtschaft und Wiederaufbau an. Nach den Wahlen vom 25.11.1945 legte die sowjet. Besatzungsmacht jedoch ihr Veto gegen seine Ernennung zum Handelsminister ein. R. wurde ÖVP-Parlamentsklubobmann (1945–53) und Präsident der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft (1945–53, 1961-64). Er prägte gemeinsam mit Gewerkschaftsführer Johann Böhm (1890–1957) das korporatistische System Österreichs (Lohn- u. Preisabkommen, paritätische Komm. u. Sozialpartnerschaft). Eine Fülle sozialpolitischer Maßnahmen, z. B. Familienlastenausgleich, Arbeitszeitverkürzung und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) sind mit seinem Namen verbunden.

    Im Juni 1951 löste R. Figl als Bundesparteiobmann der ÖVP ab, die er bis 1961 autoritär führte und für die er den Mittelstand gewann. Mit Finanzminister Reinhard Kamitz (1907–93) setzte er sich für eine freie und soziale Marktwirtschaft (Wettbewerbspol., Steuersenkungen u. Liberalisierung d. Außenhandels) mit stabilem und konvertiblem Schilling ein („Raab-Kamitz-Kurs“). 1953 wurde R. mit der Regierungsbildung beauftragt und übernahm das Amt des Bundeskanzlers. Daneben fungierte er als Volkspartei-Vorsitzender von Niederösterreich (1945–59), Wirtschaftsbundobmann und Nationalrat (beides 1945-64). Unter R., einem konservativen Katholiken mit deutlicher Neigung zur „Demokratur“, wandelte sich Österreich von einem Notversorgungs- zu einem Wohlfahrtsstaat (H. Riepl). Seine bedeutendste politische Leistung war im engen Zusammenspiel mit dem russophilen Diplomaten Norbert Bischoff (1894–1960) der Abschluß des österr. Staatsvertrags am 15.5.1955: R. hatte die Absicht der UdSSR erkannt, Österreich als einen Musterknaben gegenüber dem „Schwarzen Peter“ Deutschland darzustellen, und nutzte die sich daraus erwachsenden souveränitätspolitischen Möglichkeiten; in der Neutralität sah er zudem eine identitätsstiftende Funktion für sein Land. Die parteiintern kritisierte Koalitionstreue zur SPÖ, die verlorene Bundespräsidentenwahl des bürgerlichen Kandidaten Wolfgang Denk (1882–1970), sein Schlaganfall 1957 und die Wahlniederlage 1959 leiteten den politischen Niedergang R.s ein; am 11.4.1961 trat er als Bundeskanzler zurück. Die Niederlage bei der Bundespräsidentenwahl 1963, aus der Adolf Schärf|(1890-1965) als Sieger hervorging, bedeutete das endgültige Ende von R.s politischer Laufbahn.|

  • Auszeichnungen

    Ehren-Rr. d. Dt. Ordens (1957); Bayerischer Verdienstorden (1959); Ehrenbürger d. Stadt Wien (1967);
    nach R. wurden u. a. e. Stiftung, e. Archiv, e. Gedenkver. u. e. Medaille d. Österr. Wirtsch.bundes (1971) benannt.

  • Werke

    Verantwortung f. Österr., 1961;
    Selbstportrait e. Politikers, 1964.

  • Literatur

    L. Jedlicka, in: NÖB 16;
    ders. u. A. Staudinger, Vom alten z. neuen Österr., Fallstudien z. österr. Zeitgesch. 1900-1975, 1977, S. 451-71;
    L. Reichhold, in: Tausend J. Österr., Eine biogr. Chronik, hg. v. W. Pollak, 1974, S. 460-65;
    ders., Gesch. d. ÖVP, 1975;
    K. H. Ritschel, J. R., Der Staatsvertragskanzler, 1975;
    L. Hübner, J. R., Seine Tätigkeit in d. niederösterr. Heimwehr, Hausarbeit am Inst. f. Zeitgesch. d. Univ. Wien 1976 (ungedr.);
    B. Heinz (Hg.), J. R., Zum 90. Geb.tag, 1981 (P);
    H. Riepl, in: F. Weissensteiner u. E. Weinzierl (Hg.), Die österr. Bundeskanzler, 1983, S. 296-324 (P);
    W. Wiltschegg, Die Heimwehr, 1985;
    A. Brusatti u. G. Heindl (Hg.), J. R., Eine Biogr. in Einzeldarst., 1985 (P, S. 19-27: K. Gutkas, Die Vorfahren v. J. R.);
    G. Heindl, J. R. in Anekdote u. Karikatur, ²1988;
    G. Enderle-Burcel (unter Mitarbeit v. J. Kraus), Christl. – ständisch – autoritär, Mandatare im Ständestaat 1934-1938, Biogr. Hdb. d. Mitglieder d. Staatsrates, Bundeskulturrates u. Länderrates sowie d. BT, 1991;
    J. Kunz u. R. Prantner (Hg.), J. R., Ansichten e. Staatsvertragskanzlers, 1991;
    B. Wagner (Red.), J. R., Aussaat u. Ernte, 1992;
    H. Wohnout, Reg.diktatur od. Ständeparl.?, Gesetzgebung im autoritären Österr., 1993;
    P. Gerlich, in: H. Dachs, P. Gerlich u. W. C. Müller (Hg.), Die Politiker, Karrieren u. Wirken bedeutender Repräsentanten d. Zweiten Rep., 1995, S. 469-78;
    Th. Ninführ, J. R. in d. 1. Rep., Dok., 1999;
    M. Pape, Die Dtld.initiative d. österr. Bundeskanzlers J. R. im Frühj. 1958, in: VfZ 48, 2000, S. 281-318;
    ders., Ungleiche Brüder, Österr. u. Dtld. 1945-1965, 2000 (P);
    Hist. Lex. Wien;
    Staatslex.

  • Porträts

    Marmorbüste, Stift Seitenstetten;
    Denkmale, Wien gegenüber d. Parl., u. Linz, vor d. Gebäude d. Kammer d. gewerbl. Wirtsch. d. Landes Oberösterr.;
    Gedenksteine, Linz, vor d. Studentenheim in d. Julius-Raab-Straße, u. Völaus, vor d. Flughafengebäude;
    Gedenktafeln, Wien-Floridsdorf, am Eigentumswohnhaus, u. St. Pölten, Julius-Raab-Brunnen.

  • Autor/in

    Michael Gehler
  • Zitierweise

    Gehler, Michael, "Raab, Julius" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 51-53 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118743309.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA