Lebensdaten
1906 – 1984
Geburtsort
Köthen (Anhalt)
Sterbeort
Las Condes, Santiago de Chile
Beruf/Funktion
SS-Offizier ; Nationalsozialist ; Marineoffizier
Konfession
evangelisch-lutherisch, seit 1938 „gottgläubig“
Normdaten
GND: 124999794 | OGND | VIAF: 23510919
Namensvarianten
  • Rauff, Hermann Julius Walther
  • Rauff, Walther
  • Rauff, Hermann Julius Walther
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Rauff, Walther, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd124999794.html [18.04.2024].

CC0

  • Der SS-Funktionär Walther Rauff war von 1941 bis 1943 hauptverantwortlich für die Entwicklung und den Betrieb der Gaswagen, in denen hunderttausende überwiegend jüdische Menschen ermordet wurden. Nach 1945 im südamerikanischen Exil lebend, gehörte er zeitweise zu den weltweit meistgesuchten NS-Verbrechern und arbeitete von 1959 bis 1962 von dort aus für den Bundesnachrichtendienst. Dank der Protektion führender chilenischer Politiker wurde er für seine Verbrechen nie juristisch zur Verantwortung gezogen.

    Lebensdaten

    Geboren am 19. Juni 1906 in Köthen (Anhalt)
    Gestorben am 14. Mai 1984 in Las Condes, Santiago de Chile
    Grabstätte Cementerio General in Santiago de Chile
    Konfession evangelisch-lutherisch, seit 1938 „gottgläubig“
    Walther Rauff (InC)
    Walther Rauff (InC)
  • Lebenslauf

    19. Juni 1906 - Köthen (Anhalt)

    1907 - Magdeburg

    Übersiedlung

    1915 - 1924 - Magdeburg

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    Bismarckschule (Reform-Realgymnasium)

    1924 - 1937

    Marinelaufbahn, Spezialisierung im Minenräumwesen (1928 Leutnant zur See, 1930 Oberleutnant zur See, 1935 Kapitänleutnant)

    Reichsmarine

    1937 - 1945

    Mitglied

    NSDAP

    1938 - 1945

    Mitglied (1944 SS-Standartenführer)

    SS

    1938 - 1940 - Berlin

    Referent der Zentralabteilung u. a. für Mobilmachungsfragen

    Hauptamt des Sicherheitsdienstes (SD) der SS

    1940 - 1941 - Kanalküste

    Kriegsdienst (1941 Korvettenkapitän)

    38. Minensuchflottille

    1940 - 1943 - Berlin

    Leiter der Abteilung für technische Angelegenheiten; u. a. verantwortlich für Entwicklung und Betrieb der Gaswagen

    Reichssicherheitshauptamt (RSHA)

    1942 - 1943 - Tunis (Tunesien)

    Kommandeur eines SS-Einsatzkommandos für den Nahen und Mittleren Osten

    1943 - 1945 - Mailand

    Chef von Sicherheitspolizei und SD „Oberitalien-West“

    1945 - 1946 - Florenz; Rimini

    Verhaftung und Internierung

    1946 - 1948 - Rom

    untergetaucht in Italien

    1948 - 1949 - Damaskus (Syrien)

    Militär- und Geheimdienstberater

    1949 - Quito (Ecuador)

    Flucht

    1950 - 1958 - Quito

    Handelsvertreter

    u. a. Opel und Bayer AG

    1958 - 1984 - Punta Arenas (Santiago de Chile)

    Chilenisches Exil

    1959 - 1962 - Chile

    Mitarbeiter

    Bundesnachrichtendienst

    1962 - 1963 - Santiago de Chile

    bundesdeutsches Auslieferungsersuchen an Chile, Festnahme und Haft

    April 1963 - Santiago de Chile

    Ablehnung des Auslieferungsersuchens

    Oberster Gerichtshof

    1963 - 1972 - Punta Arenas (Chile)

    Manager eines Fang- und Verarbeitungsbetriebs für Königskrabben

    1973 - 1984 - Punta Arenas; Santiago de Chile

    Protektion durch die Junta Augusto Pinochets (1915–2006), seit 1978 Rentner

    14. Mai 1984 - Las Condes, Santiago de Chile
  • Genealogie

    Vater Otto Rauff 1873–1936 aus Berlin, Bankprokurist
    Großvater väterlicherseits Wilhelm Rauff 1848–1894 aus Berlin; Kaufmann
    Großmutter väterlicherseits Gertrud Rauff, geb. Hildebrand 1848–1909 aus Berlin; Hausfrau
    Mutter Anna Rauff, geb. Bauermeister 1874–1943 aus Hannover; Hausfrau
    Großvater mütterlicherseits August Bauermeister 1835–1884 aus Braunschweig; Kaufmann
    Großmutter mütterlicherseits Johanna Bauermeister, geb. Scharnweber 1845–1912 aus Berlin; Hausfrau
    Bruder Ernst August Rauff 1899–1933
    Schwester Ilse Rauff 1902–1978
    1. Heirat 16.5.1934 in Königsberg (Preußen, heute Kaliningrad, Russland)
    Ehefrau Charlotte Rauff, geb. Borbe aus Königsberg
    Schwiegervater Hermann Borbe Verkaufsdirektor einer Brauerei
    Scheidung 11.10.1937
    2. Heirat 18.6.1938 in Berlin
    Ehefrau Edith Rauff, geb. Richter 1898–1961 nach dem Tod ihres ersten Mannes 1928 von 1931 bis 1937 in 2. Ehe verh. mit dem jüdischen Rechtsanwalt Richard Glogauer
    Schwiegervater Richard Richter 1873–1906
    Schwiegermutter Margarethe Richter, geb. Schulze 1873–1937
    Sohn Alfred (Alf) Jürgen Rauff 1938–2008
    Kinder ein weiterer Sohn
    Diese Grafik wurde automatisch erzeugt und bietet nur einen Ausschnitt der Angaben zur Genealogie.

    Rauff, Walther (1906 – 1984)

    • Vater

      Otto Rauff

      1873–1936

      aus Berlin, Bankprokurist

      • Großvater väterlicherseits

        Wilhelm Rauff

        1848–1894

        aus Berlin; Kaufmann

      • Großmutter väterlicherseits

        Gertrud Rauff

        1848–1909

        aus Berlin; Hausfrau

    • Mutter

      Anna Rauff

      1874–1943

      aus Hannover; Hausfrau

      • Großvater mütterlicherseits

        August Bauermeister

        1835–1884

        aus Braunschweig; Kaufmann

      • Großmutter mütterlicherseits

        Johanna Bauermeister

        1845–1912

        aus Berlin; Hausfrau

    • Bruder

      Ernst August Rauff

      1899–1933

    • Schwester

      Ilse Rauff

      1902–1978

    • 1.·Heirat

      in

      Königsberg (Preußen, heute Kaliningrad, Russland)

      • Ehefrau

        Charlotte Rauff

        aus Königsberg

    • 2.·Heirat

      in

      Berlin

      • Ehefrau

        Charlotte Rauff

        aus Königsberg

  • Biografie

    Marine-Laufbahn und Karriere bei der SS

    Aus einem gutbürgerlichen, konservativ-deutschnational orientierten Elternhaus stammend, legte Rauff 1924 sein Abitur in Magdeburg ab und begann anschließend eine Laufbahn als Offiziersanwärter bei der Marine, wo er sich im Bereich des Minenräumwesens spezialisierte. Gefördert von seinem Vorgesetzten, dem späteren Inspekteur der Bundesmarine Friedrich Ruge (1894–1985), erhielt er seit 1932 das Kommando über Schiffe, zwischenzeitlich wechselte er als Ausbildungsoffizier an die Minenräumschule in Kiel. 1935 erreichte Rauff in der nationalsozialistischen Kriegsmarine den Rang eines Kapitänleutnants. Hinweise darauf, dass er zu dieser Zeit überzeugter NS-Anhänger war, sind nicht bekannt. Im Mai 1937 wurde er Mitglied der NSDAP.

    Eine außereheliche Affäre und die daraus resultierende Scheidung von seiner ersten Frau zwangen Rauff Ende 1937, die Marine zu verlassen. Anfang Januar 1938 fand er in Berlin Anstellung im Hauptamt des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, wo der Chef von Sicherheitspolizei und SD, Reinhard Heydrich (1904–1942), zu seinem wichtigsten Förderer wurde. Heydrich betraute Rauff mit zunehmend verantwortungsvollen Aufgaben und ernannte ihn im Frühjahr 1940 zum Leiter der Abteilung für technische Angelegenheiten (Abteilung II D) in der mittlerweile Reichssicherheitshauptamt (RSHA) genannten Behörde.

    Täter im Holocaust

    Im RSHA war Rauff hauptverantwortlich für die im Herbst 1941 beginnende Entwicklung und den Einsatz der Gaswagen – auf Lastwagen montierten mobilen Gaskammern, die für die Ermordung der jüdischen Bevölkerung und anderer erklärter Feinde des Regimes gebaut wurden. Er leitete die Verteilung der Tötungsgeräte und sorgte für deren technische Optimierung. Der erste Einsatz der Fahrzeuge erfolgte im November 1941 bei der Einsatzgruppe C in der besetzten Ukraine, in den folgenden Wochen und Monaten wurden weitere Fahrzeuge an die SS-Einsatzgruppen und für das im „Warthegau“ entstehende Vernichtungslager Kulmhof ausgeliefert. Die wenigen erhaltenen Dokumente belegen Rauffs persönlichen Einsatz als Organisator des Massenmords. In den unter seiner Verantwortung gebauten Gaswagen wurden bis 1944 in etwa 400 000 Menschen meist jüdischer Herkunft v. a. in Ost- und Mittelosteuropa ermordet.

    Nach der Ermordung Heydrichs verließ Rauff im Sommer 1942 das Berliner RSHA und wurde zum Leiter eines für den Nahen Osten vorgesehenen SS-Kommandos ernannt. Offenbar beabsichtigte die NS-Führung begleitend zur Militäroffensive in Nordafrika durch Feldmarschall Erwin Rommel (1891–1944) eine Ausweitung des Holocaust nach Ägypten und in das angrenzende Palästina, die unter Rauffs Kommando organisiert werden sollte. Diese Pläne waren nach der Niederlage von Rommels Panzerarmee gegen die britische 8. Armee an der Front beim ägyptischen El Alamein jedoch obsolet.

    Im November 1942 traf Rauff mit seinem SS-Kommando in Tunesien ein, wo er als Chef von Sicherheitspolizei und SD v. a. die von individuellem Terror, gesellschaftlicher Isolierung, Zwangsarbeit und ökonomischer Ausbeutung geprägte NS-Besatzungspolitik gegen die dortige jüdische Minderheit organisierte. Seit Herbst 1943 in gleicher Funktion in der norditalienischen Industrieregion um Mailand, Turin und Genua tätig, ließ Rauff hunderte Juden in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportieren und mit brutalen Mitteln die italienische Widerstandsbewegung bekämpfen. Als letzter NS-Kommandant der Großregion wurde er am 30. April 1945 in seinem Mailänder Hauptquartier von US-Truppen gefangengenommen und in ein in Florenz errichtetes britisches Verhörzentrum überstellt.

    Flucht und Exil

    Ende 1946 konnte Rauff aus der Haft fliehen und, geschützt von der katholischen Kirche, zwei Jahre lang zuerst in einem Benediktinerkloster und anschließend in einem kirchlichen Waisenhaus in Rom untertauchen. Anschließend war er in Damaskus als Geheimdienst- und Militärberater für die syrische Regierung tätig. Nach der Niederlage 1948 gegen den neu gegründeten Staat Israel zeigten arabische Machthaber der Region großes Interesse an der Expertise ehemaliger NS-Funktionäre. Rauff war mit direktem Zugang zu Präsident Husni az-Za'im (1897–1949) wesentlich an der Reorganisation des syrischen Geheimdienstes und der Armee und damit am Kampf gegen Israel beteiligt. Im September 1949 musste er nach einem Staatsstreich das Land verlassen und erreichte Ende des Jahres mit seiner Familie Ecuador, wo er seit 1950 als Vertreter für westdeutsche Konzerne wie Opel, Bayer, Stinnes und Schwarzkopf tätig wurde.

    In der ecuadorianischen Hauptstadt Quito lernte Rauff Ende der 1950er Jahre Angehörige einer chilenischen Militärmission kennen, darunter den späteren Diktator Augusto Pinochet (1915–2006). 1959 zog er nach Chile, wo er auf Empfehlung der ehemaligen RSHA-Funktionäre Wilhelm Beisner (1911–1980) und Rudolf Oebsger-Röder (1912–1992) für den Bundesnachrichtendienst (BND) angeworben wurde. Rauff erhielt den Auftrag, ein v. a. gegen Kuba gerichtetes Spionagenetz aufzubauen, reiste trotz Haftbefehls zweimal zu BND-Schulungen in die Bundesrepublik und erhielt drei Jahre lang Lohnzahlungen von insgesamt mehr als 70 000 D-Mark für sich und seine ebenfalls angeworbenen Söhne. Rauff gelang es jedoch zu keiner Zeit, bedeutende nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu liefern.

    Anfang Januar 1963 beendete der BND die Spionageverbindung, nachdem ein bundesdeutscher Auslieferungsantrag an die chilenischen Behörden publik wurde. Rauff wurde von den chilenischen Behörden vorübergehend inhaftiert, doch im Frühjahr 1963 lehnte der Oberste Gerichtshof in Santiago de Chile das Auslieferungsgesuch wegen einer nach chilenischem Recht erfolgten Verjährung der Anklagepunkte endgültig ab. Dass sich Rauff und der sozialistische, chilenische Präsident Salvador Allende (1908–1973) seit Jahren persönlich kannten, war der Öffentlichkeit unbekannt.

    Nach dem Militärputsch Pinochets im September 1973 schützten Rauff seine persönlichen Kontakte zu Pinochet und anderen chilenischen Generälen gegen alle juristischen Ahndungsversuche. So blieben in den frühen 1980er Jahren auch die Initiativen der Ermittler Simon Wiesenthal (1908–2005) und Beate Klarsfeld (geb. 1939), die eine international wahrgenommene Kampagne zu Rauffs Auslieferung organisierten, erfolglos.

  • Auszeichnungen

    1936 Olympia-Ehrenzeichen 2. Klasse
    1940 Eisernes Kreuz 2. Klasse
    1944 Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse mit Schwertern
  • Quellen

    Nachlass:

    Privatbesitz. (Korrespondenz)

    Weitere Archivmaterialien:

    Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Bestand BDC (SS-Offiziersakte und Heiratsunterlagen des Rasse- und Siedlungshauptamts); R 58 (Reichssicherheitshauptamt, Aktensplitter).

    Bundesarchiv, Koblenz, B 206, Nr. 2008 u. 2009. (Rauff als Quelle des Bundesnachrichtendienstes, 2 Bde.)

    Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 83, 404, 953 u. 954 sowie AV 12775 bis 12777. (Akten zum Auslieferungsersuchen an Chile)

    Imperial War Museum, Duxford (Großbritannien), EDS, AL 1821. (Einsatzkommando Sipo und SD Tunesien)

  • Literatur

    Mathias Beer, Die Entwicklung der Gaswagen beim Mord an den Juden, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 35 (1987), S. 403–417. (Onlineressource)

    Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, 2002.

    Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, 2006.

    Ingo Kletten, Eine lange Nachgeschichte. Der Fall des SS-Standartenführers Walther Rauff nach 1945 in Chile, in: Nürnberger Menschenrechtszentrum, 2008. (Onlineressource)

    Martin Cüppers, Immer davongekommen. Wie sich Walther Rauff erfolgreich seinen Richtern entzog, in: Klaus-Michael Mallmann/Andrej Angrick (Hg.), Die Gestapo nach 1945. Karrieren, Konflikte, Konstruktionen, 2009, S. 71–89.

    Susanne Katharina Raidt, Die transnationale Karriere eines „staatlich geprüften Kriegsverbrechers“. Der Fall Walther Rauff, 1938–1963, in: Zeitschrift für Genozidforschung 11 (2010), S. 76–108.

    Heinz Schneppen, Walther Rauff. Organisator der Gaswagenmorde. Eine Biografie, 2011.

    Martin Cüppers, Walther Rauff – in deutschen Diensten. Vom Naziverbrecher zum BND-Spion, 2013.

    Peter Hammerschmidt, Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste, 2014.

  • Onlineressourcen

  • Porträts

    Fotografien, 1933–1977, Abbildungen in: Martin Cüppers, Walther Rauff – in deutschen Diensten. Vom Naziverbrecher zum BND-Spion, 2013, S. 61, 81, 201, 315 u. 361.

  • Autor/in

    Martin Cüppers (Ludwigsburg)

  • Zitierweise

    Cüppers, Martin, „Rauff, Walther“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/124999794.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA