Dates of Life
1568 – 1630
Place of birth
Bernburg
Place of death
Bernburg (Saale)
Occupation
Fürst von Anhalt-Bernburg ; pfälzisch-evangelischer Staatsmann
Religious Denomination
mehrkonfessionell
Authority Data
GND: 119118416 | OGND | VIAF: 72197154
Alternate Names
  • Christian I. von Anhalt
  • Christian I.
  • Christian I. von Anhalt
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Genealogical Section (NDB)

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Citation

Christian I., Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119118416.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogy

    V Joachim Ernst (1536–86), Fürst v. Anhalt;
    M Agnes (1540–69), T des Gf. Wolfg. v. Barby; 15 Geschwister, u. a. Agnes Hedw. (1573–1616, Kurfürst August v. Sachsen ( 1586, s. NDB I);
    Lorbach 2.7.1595 Anna (1579–1626), T des Gf. Arnold v. Bentheim-Tecklenburg (1562–1606, s. NDB II*);
    6 S, 10 T, u. a. Christian II. (1599–1656), Fürst v. Anhalt-Bernburg (s. ADB IV).

  • Biographical Presentation

    Ch. erhielt eine sorgfältige Erziehung im Geist eines Luthertums, das zwischen der orthodoxen Richtung und der großzügigeren, später immer mehr zum Calvinismus hin tendierenden Auffassung der Anhänger Melanchthons in vielem die Mitte zu halten suchte, im wesentlichen aber melanchthonianisch war. Sie vermittelte dem schon früh durch Liebenswürdigkeit, Intelligenz und geistige Beweglichkeit auffallenden Ch. eine tiefgehende und vielgestaltige Bildung, wie sie uns bei einigen Fürsten der Epoche begegnet, in der Ch. aber die Mehrzahl seiner Standesgenossen weit übertraf: Er wurde mit den humanistischen Disziplinen gründlich vertraut gemacht, so daß er die lateinische Sprache fließend beherrschte und für alle Interessen und Liebhabereien der Humanisten stets einen warmen Sinn zeigte. Ferner sprach und schrieb Ch. Französisch und Italienisch. Er wurde zu einem Meister aller ritterlichen Künste der Zeit. Auch in der Kameralistik und Kriegskunst erhielt er eingehende Unterweisung.

    Die Kleinheit seines anfänglich zudem noch stark verschuldeten Erbes - bei der Landesteilung von 1603 fiel ihm zu selbständiger Regierung das Bernburger Gebiet zu -, seine hohe, nach großen Entfaltungsmöglichkeiten strebende Begabung und ein für das Zeitalter charakteristischer, bei ihm stark entwickelter ruheloser Abenteurersinn veranlaßten ihn, in fremde Dienste zu treten. Solche suchte er nicht beim Kaiser, obwohl Ch. schon 1577 am Hofe Rudolfs II. eingeführt worden war und von diesem mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem bereits 1583 dadurch, daß er sich einer kaiserlichen Gesandtschaft nach Konstantinopel anschließen durfte. Vielmehr wurden für Ch.s weiteren Lebensweg entscheidend längere Aufenthalte, die er 1586 und in den folgenden Jahren bei seinen Verwandten in Dresden nahm. Hier wurde er endgültig gewonnen für die während des letzten Viertels des 16. Jahrhunderts in Deutschland innerhalb des katholischen wie des evangelischen Lagers, soweit letzteres den Calvinismus bekannte oder von ihm beeinflußt war, immer fühlbarer werdende Ansicht, daß der im Augsburger Religionsfrieden gefundene Ausgleich nicht länger Bestand haben könne und man es auf einen neuerlichen Entscheidungskampf werde ankommen lassen müssen, der ganz Europa umfassen sollte. Es war eine Auffassung, zu deren vielleicht bedeutendstem und entschiedenstem Vertreter Ch. innerhalb des deutschen Protestantismus in den folgenden Jahrzehnten wurde. Besonders stark beeinflußte ihn in Dresden hierbei der sächsische Kanzler Nikolaus Crell.

    1591 wurde Ch. als Generalleutnant des von Crell und dem Administrator von Kur-Pfalz Johann Kasimir zustandegebrachten großen Aktionsbundes deutscher evangelischer Reichsstände damit betraut, das Heer von 15 000 Mann zu führen, das König Heinrich IV. von Frankreich zu Hilfe kam. Das Unternehmen dauerte infolge der baldigen Auflösung des Bündnisses zwar nur bis Sommer 1592 an, war aber trotzdem für Heinrichs Operationen und das spätere Zusammengehen zwischen Frankreich und der von Ch. geführten Union von nicht geringer Bedeutung. Ch. persönlich brachte es die Freundschaft des Bourbonen ein, der ihm in vielem zum unerreichten Vorbild wurde, ebenso wie andererseits der hugenottische Calvinismus für seine Weiterentwicklung entscheidende Bedeutung gewann. 1592 trat Ch. zum Calvinismus über und zeigte sich - im Gegensatz zu Heinrich IV. - lebenslang von tiefer Gläubigkeit erfüllt. 1605 machte er den Calvinismus auch in seinem Fürstentum zum offiziellen Bekenntnis.

    Anschließend an den Feldzug in Frankreich übernahm Ch. den Befehl über die protestantischen Truppen im Krieg um das Straßburger Bistum, den er im wesentlichen glücklich bis zu dem Waffenstillstand von Februar 1593 führte. 1594 hielt er sich neuerdings am Kaiserhof in Prag auf, lehnte aber ein ihm von Rudolf II. angetragenes Kommando im Türkenkrieg ab. Statt dessen trat er 1595 als Statthalter der Oberpfalz mit Residenz in Amberg in kurpfälzische Dienste. Hier beschränkte sich seine Tätigkeit bald nicht mehr auf sein Statthalteramt. Vielmehr gewann er von Jahr zu Jahr größeren Einfluß auf das gesamte pfälzische Staatswesen und wurde zum eigentlichen Leiter der pfälzischen Politik, da Kurfürst Friedrich IV. (bis 1610) und später der zunächst noch unmündige Friedrich V. und auch dessen Vormund, Herzog Johann von Pfalz-Zweibrücken, sich in stärkstem Maß von ihm führen ließen, und da er auch die oberste Regierungsbehörde des Geheimen Rates allmählich hinter sich brachte; der seit dem Tod des Administrators Johann Kasimir (1592) die pfälzische Politik so gut wie selbständig geleitet hatte.

    Dies gelang Ch. um so leichter, als er die bisherige pfälzische Politik, wie sie im wesentlichen seit etwa 1560 im Gang war, konsequent fortsetzte, und mit der Mehrzahl der Geheimen Räte harmonierte. Auch sorgte er in der Folge dafür, daß in der pfälzischen Regierung Männer wie Ludwig Camerarius immer mehr Einfluß gewannen, die in besonderem Maß sein Vertrauen besaßen. Mit den Geheimen Räten stimmte Ch. in seiner feingeistigen Bildung und in der Überzeugung überein, daß es notwendig sei, die konfessionelle Idee zum beherrschenden Moment der Politik zu machen. Auch strebten die Geheimen Räte wie Ch. nach einem energischen Vorgehen gegen die wachsende Macht der katholischen Partei, allerdings ohne daß sie dabei Bündnisse mit auswärtigen Mächten eingehen und es auf einen großen europäischen Krieg ankommen lassen wollten. Es war dies eine Einschränkung, die bereits 1599 zum Mißerfolg führte und gegen die Ch. von vornherein so skeptisch war, daß er es ablehnte, gegen die ins Reich eingebrochenen Spanier den Oberbefehl zu übernehmen.

    Deshalb konnte er schon 1600 durchsetzen, daß die pfälzische Politik gegenüber der vorgängigen vergleichsweise beschränkten und schwerfälligen Richtung des Geheimratskollegiums wieder in die kühneren Bahnen Johann Kasimirs zurückzulenken begann. Vor allem wurden mit dem Ziel eines Kriegsbündnisses neuerdings Beziehungen zu den Gegnern Habsburgs in Westeuropa angeknüpft, als ersten zu den Niederlanden (Darlehen von 1600 und 1602, Subsidien- und Allianzvertrag von 1605), darauf auch zu König Heinrich IV. Bei Verhandlungen, die Ch. 1606 am französischen Hof führte, sagte ihm Heinrich französische Unterstützung für den Bund der deutschen evangelischen Reichsstände zu, den die pfälzische Politik anstrebte. Im Reich sah sich Ch. zwar durch den später tatsächlich verwirklichten Wunsch, im Falle des Todes von Friedrich IV. für Friedrich V. einen calvinistischen Vormund zu erhalten, zunächst zu einer gewissen Rücksichtnahme auf den Kaiser veranlaßt. Trotzdem steigerte sich die schon früher betriebene pfälzische Reichspolitik bis zu der Konsequenz, daß auf Abstellung der konfessionellen Beschwerden vor Erledigung der übrigen Fragen unbedingt bestanden wurde. Das führte dazu, daß Kur-Pfalz bei den Deputationsverhandlungen von 1601 die oberste Rechtspflege im Reich lahmlegte und 1608 den Reichstag sprengte. Gleichzeitig trat Ch., vor allem seit 1606, mit den gegen die Habsburger frondierenden böhmischen (Peter Wok von Rosenberg) und österreichischen Ständen in Beziehung mit dem Ziel, sie in ihrem Widerstand zu bestärken, selbst leitenden Einfluß auf denselben zu gewinnen und die habsburgische Haus- und Kaisermacht unter den streitenden Mitgliedern der Familie aufzuteilen und zu schmälern (Konferenz von Wittingau 1608 zwischen Ch., Rosenberg und Georg Erasmus von Tschernembl, Ch.s Gesandtschaft nach Prag 1609). Schließlich gelang es unter Ch.s Leitung der pfälzischen Politik 1608, ihr altes Ziel zu verwirklichen und unter dem Direktorat von Kur-Pfalz eine feste, über die bisherigen Abmachungen weit hinausgehende „Union“ evangelischer Reichsstände zuwege zu bringen. Nur der Schmalkaldische Bund konnte sich an Größe und Dauerhaftigkeit in der Geschichte des protestantischen Deutschland mit der Union messen, die von vornherein die Mitglieder zu Zahlungen verpflichtete, die für einen großen Krieg zwar nicht ausreichten, aber immerhin eine beachtliche Höhe erreichten und hinfort für ein sehr energisches Vorgehen gegen die katholische Partei einen wertvollen Rückhalt boten.

    Bei dieser ganzen Tätigkeit zeichnete sich Ch. durch ein seltenes Maß von bezwingender Liebenswürdigkeit und wendigster Geschmeidigkeit aus, was ihn, verbunden mit der ihm eigenen hohen Bildung und Religiosität, von vielen anderen Persönlichkeiten unterschied, die wie er das für die Zeit charakteristische abenteuerliche Moment in Deutschland repräsentierten. Er hob sich unter anderem hierin sehr deutlich von dem Administrator Johann Kasimir ab, mit dem Ch. im übrigen gemein hatte, als „Agitator des europäischen Umsturzes“ (M. Ritter) gelten zu können und in dessen politischen Stil er in vieler Hinsicht zurückgelenkt hatte. Das Grobe und Laute, das Johann Kasimir auszeichnete, fehlte Ch.. Er lehnte die in seiner Zeit gängigen wüsten Trinkgelage ab und führte ein mäßiges Leben und eine vorbildliche Ehe. Bei ihm nahm das Abenteuerliche einen kultivierteren und eleganteren Zug an. Vorhanden aber blieb es in starkem Maß. Es äußerte sich neben anderem in einer gefährlichen Freude an der reinen Intrigue und einer Neigung, sein ganzes Leben wie ein großes Spiel zu betrachten. Auch fehlte Ch. trotz seiner übrigen Gläubigkeit ein tieferes Verantwortungsbewußtsein. Überhaupt war es ein Kennzeichen seiner Persönlichkeit und machte zum Teil den Glanz seiner Erscheinung aus, daß sich in ihr in seltener Vielfalt sehr verschiedene Momente vereinigten. Damit wieder hing eine, wenn Ch. an seinem Hauptziel auch mit Konsequenz festhielt, große Sprunghaftigkeit und Vielgeschäftigkeit zusammen, die es nicht lassen konnte, jede in den Bereich des Möglichen kommende Gelegenheit zu ergreifen, ohne doch die Kraft zu besitzen, das Begonnene auch wirklich durchzuführen. Hierbei freilich kam Ch. dem Wesen eines großen Staatsmannes sehr viel näher als Johann Kasimir. Hatte dieser oft fast wie ein Freibeuter gewirkt, so besaßen die Maßnahmen Ch.s ungleich größeres Format. Sie reichten weiter, waren größer konzipiert und in ihrer Wirkung sehr viel nachhaltiger. Sie machten Ch. auf zwei Jahrzehnte zum anerkannten Führer der protestantischen Aktionspartei im Reich, der an Einfluß ihm sonst in manchem ähnliche Persönlichkeiten wie Moritz von Hessen weit übertraf und mit seinem Handeln die Entwicklung der europäischen Geschichte auf ein halbes Jahrhundert in entscheidender Weise formen half.

    Seit 1608 wurde hierbei besonders deutlich, wie sehr Ch. die bisherige Zielsetzung der pfälzischen Politik steigerte. Immer näher führte er sie an einen großen europäischen Krieg heran, der die habsburgisch-katholische Partei zu Boden werfen und der evangelischen Sache den Sieg und damit die endgültige Sicherung ihres Bestandes erbringen sollte. Neben diesem Hauptziel und in enger Verbindung mit ihm machte sich bei Ch. von Jahr zu Jahr mehr das Anliegen geltend, der Pfalz einen dauernden Platz im Konzert der europäischen Mächte zu sichern und dem Kurfürsten königliches Ansehen und königliche Macht zu verschaffen. In die akut gewordene Jülicher Erbfrage griff Ch. 1609 energisch ein, um die Unierten zu Meistern der Jülicher Lande zu machen. Auf einer neuerlichen Gesandtschaftsreise nach Frankreich im Winter von 1609/10 und anschließend in Den Haag einigte sich Ch. mit Heinrich IV. über ein gemeinsames militärisches Vorgehen von Frankreich und der Union in Jülich-Cleve. Darüber hinaus faßten beide Fürsten den Plan, den bevorstehenden Waffengang zu einem großen europäischen Entscheidungskampf gegen die habsburgischen Mächte zu erweitern, in dem die Niederlande, England und Savoyen sich dem französisch-unierten Vorgehen anschließen sollten, ein Plan, der infolge von Heinrichs Ermordung (1610) nicht zur Ausführung kam. Deshalb läßt sich nicht sagen, ob es Ch. gelungen wäre, gegenüber dem ihm zweifellos stark überlegenen Heinrich IV. die Interessen und die Selbständigkeit von Pfalz und Union zu behaupten, und ob 1610, unter den im Vergleich mit 1618 sehr viel günstigeren Voraussetzungen, ein großer Krieg zum Erfolg geführt hätte.

    So endete der jülich-clevische Streitfall 1614 mit einem Kompromiß, und Ch. suchte, nachdem Frankreich ausgefallen war, neben den Niederlanden (neue Defensivallianz von 1613) bei England Anlehnung, indem er 1612 für die Union ein Verteidigungsbündnis und 1613 die Heirat zwischen Kurfürst Friedrich V. und der englischen Prinzessin Elisabeth zustandebrachte. Die Verbindung verschaffte der Pfalz zwar zunächst nicht den erhofften mächtigen außenpolitischen Rückhalt, erwies sich aber später in der Notzeit des 30jährigen Krieges als die Rettung für die Dynastie der pfälzischen Wittelsbacher. Ferner half sie, ebenso wie die gleichzeitig einsetzende erhöhte Prachtentfaltung, die allerdings angesichts der politischen Verpflichtungen die Mittel der Pfalz weit überstieg, dem Heidelberger Hof einen neuen, königlichen Glanz zu verleihen. Dieses Anliegen wurde gleichermaßen durch den unter Ch. Einfluß immer stärker werdenden französisch-höfischen Lebensstil gefördert, der die alten Gewohnheiten des patriarchalisch-humanistischen deutschen Fürstenstaates in Heidelberg abzulösen begann. Dieser neue Lebensstil stand bei Ch. noch hauptsächlich unter konfessionellem Zeichen. Doch erstarkte er bereits so weit, daß er später, während des 30jährigen Krieges, als dynastisch-höfische Tendenz im Gegenspiel zu der religiösen große Bedeutung gewinnen konnte für die ideologische Weiterentwicklung innerhalb der protestantischen Partei.

    Auf die Versuche des kaiserlichen Ministers Melchior Klesl, in letzter Stunde doch noch zu einer Befriedung der Konfessionsparteien zu gelangen und die oberste Rechtspflege im|Reich wieder in Gang zu bringen, ging Ch. ebensowenig wie die katholische Aktionspartei ein. Vielmehr ließ er auch den Reichstag von 1613 scheitern und verstärkte neuerdings die Beziehungen zu den böhmischen und österreichischen Ständen, zunächst mit dem Ziel, die Nachfolge Ferdinands von Steiermark im Reich ebenso wie in Böhmen und Österreich - hier zugunsten eines anderen Habsburgers - zu verhindern. Als dies 1617 mißlungen war, begann Ch. in einer zwar sehr gewundenen und undurchsichtig-intriganten, ja zuletzt zögernden, aber im Grunde doch zielstrebigen Weise, am Sturz der Habsburger in Böhmen und der Wahl Kurfürst Friedrichs V. zum böhmischen König zu arbeiten. Die Wahl erfolgte im August 1619. Sie konnte eine Zeit lang als höchste Erfüllung von Ch.s altem Streben erscheinen, der Pfalz einen wirklich gefestigten Platz unter den bedeutenden Mächten Europas zu verschaffen. Gleichzeitig aber wurde sie der Anlaß zu dem großen Entscheidungskampf für die evangelische Sache, dem Ch. schon lange zugestrebt war. Und dieser Kampf begann, ohne daß die Pfalz, wie 1610, über den notwendigen Bündnisrückhalt verfügte. Die Abmachungen mit England und den Niederlanden erwiesen sich infolge ihres defensiven Charakters als wenig wirksam, und auch die Union versagte ihre Hilfe, obwohl sich eine solche bei einem geschickteren und kraftvolleren Vorgehen Ch.s vielleicht hätte gewinnen lassen (J. Müller). Ebenso vermochte Ch. den böhmischen Ständen gegenüber nicht, die pfälzische Macht wirklich zu festigen und sie zu ausreichenden Widerstandsmaßnahmen zu vermögen. Ch.s Verhalten während der pfälzischen Herrschaft in Böhmen offenbarte endgültig, daß ihm bei aller Größe und Konsequenz der Konzeption doch die nötige Stetigkeit, das Verantwortungsbewußtsein und der erforderliche Sinn für das Mögliche fehlten, um ihn zum wirklich großen Staatsmann werden zu lassen. Angesichts der relativ geringen Mittel von Kur-Pfalz wäre ein solcher aber in besonderem Maß nötig gewesen, um das gesteckte Ziel zu erreichen. So hingegen standen das weitgespannte pfälzische Streben bei gleichzeitigem Fehlen der materiellen Voraussetzungen und das Vage und Spielerische in Ch.s Persönlichkeit in einem sich gegenseitig steigernden Wechselverhältnis, und für den deutschen Protestantismus wurde es zum Schicksal, daß ihm wie zur Zeit des Schmalkaldischen Bundes so auch am Vorabend und zu Beginn des 30jährigen Krieges ein wahrhaft großer Staatsmann als Führer fehlte.

    Ferner ergab sich, während Ch. 1619 und 1620 als Kommandierender der pfälzisch-böhmischen Truppen zum ersten Mal vor bedeutende strategische Aufgaben gestellt war, daß denselben sein bisheriges Feldherrenansehen nicht standhielt. Ch. unterlag am Weißen Berg bei Prag im November 1620. Er gab darauf, obwohl die Niederlage keineswegs vernichtend war, erstaunlich rasch das Spiel verloren und offenbarte eine bemerkenswert geringe Vitalität des Widerstandes, so daß 1620 tatsächlich die gesamte pfälzische Herrschaft in Böhmen zusammenbrach.

    Anscheinend, ohne daß es zu einem Zerwürfnis mit Friedrich V. oder seinen bisherigen Mitarbeitern gekommen wäre, trennte sich Ch. anfangs 1621 von der pfälzisch-evangelischen Sache, noch bevor diese wirklich verloren war. In die Reichsacht erklärt, ging er über Stade im Sommer 1621 nach Schweden, vielleicht in der sich nicht erfüllenden Hoffnung, hier eine neue Beschäftigung zu finden, und wandte sich im April 1622 nach Flensburg. Hier blieb er bis Frühjahr 1624. Im Einklang mit der Sprunghaftigkeit, mit der er das böhmische Unternehmen fallen gelassen hatte, bereitete er von Flensburg aus seine Unterwerfung unter den Kaiser vor, die im Sommer 1624 in Wien erfolgte und ihm die Lösung von der Reichsacht einbrachte. Der Schritt führte zu einer Kontroverse mit seinem bisherigen Vertrauten L. Camerarius, die deutlich zeigte, wie viel stärker als bei vielen anderen pfälzischen Politikern bei Ch. bei aller gleichzeitigen, die Fähigkeiten der pfälzischen Geheimen Räte überragenden Größe seiner Persönlichkeit und Leistung das verspielt-abenteuerliche Moment war, das ihn sein Lebenswerk in der Stunde höchster Not, noch bevor es wirklich verloren war, wie eine Liebhaberei aufgeben ließ.

    Nach der Aussöhnung mit dem Kaiser kehrte Ch. in sein Fürstentum zurück, das bisher sein Amtmann Curt von Börstell nach seinen Weisungen verwaltet hatte. Von der großen Politik hielt er sich hinfort fern. Auch ein ihm offenbar gemachtes Anerbieten Wallensteins, in kaiserliche Dienste zu treten, scheint er abgelehnt zu haben.

  • Literature

    ADB III;
    A. Gindely, Rudolf II. u. s. Zeit, 2 Bde., Prag 1862-65;
    ders., Gesch. d. 30j. Krieges I, ebd. 1869;
    J. Krebs, Ch. v. A. u. d. kurpfälz. Pol. am Beginn d. 30j. Krieges, 1872;
    ders., Die Schlacht am Weißen Berge b. Prag, 1879;
    M. Ritter, Gesch. d. Dt. Union, 2 Bde., Schaffhausen 1867 bis 1873;
    ders., Pol. u. Gesch. d. Union z. Zt. d. Ausgangs Rudolfs II. u. d. Anfänge d. Kaisers Matthias, in: Abhh. d. Bayer. Ak. d. Wiss., 1880;
    ders., Dt. Gesch. im Za. d. Gegenref. u. d. 30jähr. Krieges, II u. III, 1895/1908;
    ders., Die pfälz. Pol. u. d. böhm. Königswahl, in: HZ 79, 1897, S. 239 bis 283;
    J. Müller, Reichsstädt. Pol. in d. letzten Zeiten d. Union, in: MIÖG 33, 1912, S. 483-514, 633-80;
    H. G. Uflacker, Ch. I. v. A. u. Peter Wok|v. Rosenberg, Diss. München 1926;
    A. Tecke, Die kurpfälz. Pol. u. d. Ausbruch d. 30jähr. Krieges, 1931;
    A. van Schelven, Der Generalstab d. pol. Calvinismus in Zentraleuropa zu Beginn d. 30jähr. Krieges, in: Archiv f. Ref.gesch., Jg. 36, 1939;
    J. G. Weiß, Die Vorgesch. d. böhm. Abenteuers Frdr.s V. v. d. Pfalz, in: ZGORh 92, 1940, S. 383 bis 492;
    H. Sturmberger, Gg. Erasmus Tschernembl, = F z. Gesch. Oberösterr. 3, Linz 1953;
    F. H. Schubert, Die pfälz. Exilregierung im 30jähr. Krieg, in: ZGORh 102, 1954, S. 575-680;
    ders., Ludw. Camerarius, = Münchener Histor. Stud., Abt. Neuere Gesch., Bd. 1, 1955.

  • Portraits

    Kupf. v. L. Kilian, Abb. in: W. v. Seidlitz, Allg. Hist. Porträtwerk, 1885.

  • Author

    Friedrich Hermann Schubert
  • Citation

    Schubert, Friedrich Hermann, "Christian I." in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 221-225 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119118416.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographical Presentation

    Christian I., Fürst von Anhalt, war der zweite Sohn des Fürsten Joachim Ernst aus dessen erster Ehe mit der Gräfin Agnes von Barby und am 11. Mai 1568 zu Bernburg geboren, 1630. Gleich allen seinen Geschwistern genoß er eine treffliche und sorgfältige Erziehung, welche durch den Verkehr mit der großen Welt und früh unternommene vielfache Reisen vervollständigt wurde. Lateinisch, Französisch und Italienisch sprach und schrieb er wie seine Muttersprache, und in der Kriegskunst der damaligen Zeit ward er ebenso gründlich unterwiesen wie in den ritterlichen Künsten, die damals noch immer ein Ruhm und eine Zierde der Fürsten und des hohen Adels waren. Im 9. Jahre seines Alters nahm ihn sein Vater mit nach Breslau, wo er der Huldigung beiwohnte, welche die schlesischen Stände 1577 dem Kaiser Rudolf II. leisteten, und kaum 14 Jahre alt, ging er zu demselben Kaiser nach Wien, um sich einer Gesandtschaft desselben an den türkischen Sultan Soliman anzuschließen. Kaiser Rudolf fand großes Gefallen an dem jungen Fürsten, „der sich beides in Gebehrden und Worten also wohl und bescheiden wußte zu schicken“, und als Ch. damals von den Kinderpocken befallen wurde, verzögerte der Kaiser um seinetwillen den Abgang der Gesandtschaft bis nach seiner Genesung. Ueber Komorn, Ofen, Wardein, Belgrad, Sophia und Adrianopel ging die Reise nach Konstantinopel, der Fürst wie seine Begleiter in ungarischer Tracht. Ch. hatte nicht nur bei dem Sultan Audienz, sondern dieser zeigte ihm auch in eigener Person die kaiserlichen Schätze und führte ihn in den großherrlichen Gärten umher. Am 18. October 1583 war Ch. wohlbehalten wieder in Dessau. In den folgenden Jahren hielt er sich meistentheils an dem kursächsischen Hofe auf, wo es damals unter dem Kurfürsten Christian I. toll genug herging. Aber in der Seele des jungen Fürsten war zu viel elastischer Stahl, als daß sie in dem wüsten Zecherthum, welches den Dresdener Hof weit und breit verrufen machte, hätte untergehen können.|Schon eine kurze Reise, die er 1588 nach Italien unternahm, riß ihn daraus empor. Dann aber ward er, kaum 23 Jahre alt, durch den Kurfürsten von Sachsen und die Königin Elisabeth von England dem Könige Heinrich von Navarra zum Führer des Heeres empfohlen, welches für letzteren damals in Deutschland geworben wurde. An der Spitze von etwa 16000 Mann zog er i. J. 1591 dem Könige zu Hülfe. Diese Unternehmung war für seine Zukunft entscheidend. Zwar der Kriegsruhm war mäßig, obgleich sich Ch. bei verschiedenen Gelegenheiten durch persönliche Tapferkeit hervorthat: ja Heinrich war nicht einmal im Stande, dem Fürsten die bedeutenden Werbekosten zurückzuerstatten, so daß von dieser Zeit her das Haus Anhalt an die Krone Frankreich eine ab und zu vergebens geltend gemachte Schuldforderung (ursprünglich von 1073449 Kronen) hatte. Aber Fürst Ch. trat hier zuerst mit dem Navarrer in persönlichen Verkehr und wurde von dessen Persönlichkeit für alle Zeiten gewonnen. Heinrich soll daran gedacht haben, ihn mit seiner einzigen Schwester, der geistreichen und hochgebildeten Katharina von Bourbon, zu vermählen. Wie dem auch sei, jedenfalls kam der anhaltische Fürst auf diesem Feldzuge mit französischer Sitte, Politik und dem Hugenottenthum in so nahe Berührung, daß er ganz und gar für die in diesen Kreisen herrschenden Ansichten eingenommen wurde. Er trat zum Calvinismus über, und ihm folgte in diesem Abfall von der lutherischen Kirche alsbald sein ganzes Haus. Von der französischen Heerfahrt nach Deutschland zurückgekehrt, übernahm er in der Straßburger Bischofsfehde (1592) den ihm angetragenen Oberbefehl über das Heer der protestantischen Partei. Auch in diesem Kriege zeichnete er sich durch persönlichen Muth aus. In einem Treffen bei Molzheim gerieth er in große persönliche Gefahr; ein feindlicher Obrist schoß sein Pistol in nächster Nähe auf ihn ab. Mit den Worten „er müsse näher herzukommen, wenn er ihn treffen wolle“ streckte ihn der Fürst durch einen glücklichen Schuß todt zu Boden. Nach der Beendigung des Krieges lebte er dann einige Zeit unthätig zu Hause: den Antrag des Kaisers Rudolf, in seine Dienste zu treten, um sich gegen die Türken verwenden zu lassen, lehnte er ab. Vielmehr wurde er, schon längst mit den calvinistischen Fürsten und Herren in Deutschland, den Pfälzern, dem Landgrafen Moritz von Hessen, den Dohna's und Wittgenstein's, im engsten Verkehr, jetzt durch den Kurfürsten Friedrich IV. für pfälzische Dienste gewonnen. Im J. 1595 ward ihm die Statthalterschaft in der Oberpfalz übertragen, und in demselben Jahre vermählte er sich (2. Juli) mit Anna, der Tochter des Grafen Arnold von Bentheim, welche ihn noch mehr in den Kreis der französisch-oranischen Bildung und Geistesrichtung hineinzog. Von nun an wurde er der Mittelpunkt der pfälzischen Politik und der Leiter der ganzen reformirten Partei. Ehrgeizig, gewandt, von unermüdlicher Arbeitskraft und reich an geistigen Hülfsmitteln, war er ein vollendeter Diplomat der damaligen Zeit. Seine ausgedehnten verwandtschaftlichen Verbindungen mit fast allen protestantischen Fürstenfamilien Deutschlands, die Stellung seines Hauses, die nahen Beziehungen desselben zu dem französischen Könige schienen ihn kaum weniger als seine persönlichen Eigenschaften zu einer großen politischen Rolle zu bestimmen. Der Kurfürst schenkte ihm ein unbedingtes Vertrauen, die geheimsten Verhandlungen gingen durch seine Hände: in seiner Kanzlei zu Amberg — kann man sagen — liefen die Fäden zusammen, an denen damals das Geschick Europa's gesponnen wurde. Um die Beziehungen zu Frankreich zu erhalten und zu pflegen, gab es keine passendere Persönlichkeit als ihn, dem der König so sehr zu Danke verpflichtet war; mit den Häusern Brandenburg, Sachsen, Holstein, Hessen und Schlesien erleichterten die verwandtschaftlichen Bande, durch die er mit ihnen verknüpft war, den Verkehr. Mit den Niederländern, den Protestanten in Oesterreich, Ungarn, Böhmen und Mähren|stand er im vertrautesten Briefwechsel. Die Tschernemble, Zirotin, Budowa versorgten ihn aufs reichlichste mit Nachrichten über alles, was am Hofe der österreichischen Fürsten geschah und was sich in den von ihnen beherrschten Ländern zutrug oder vorbereitete. Zu Wien, Prag, Venedig und Turin hatte er seine geheimen Agenten. Eine Correspondenz von ungeheurer Ausdehnung ward von ihm geführt: sie gewährt einen Blick in die geheimsten Beweggründe, die den damaligen politischen Constellationen zu Grunde lagen. Im J. 1606 kam zum ersten Male der Plan, eine Union der protestantischen Fürsten zu bilden, um bei etwaigen Vorkommnissen gerüstet zu sein, zur Sprache. Die Verhandlungen leitete Fürst Ch. von Anhalt. Im Sommer 1606 ging er im Auftrage des Kurfürsten von der Pfalz nach Paris, um hier persönlich mit Heinrich IV. zu verhandeln. Diese Besprechungen drehten sich hauptsächlich um die Gründung eines Bundes der reformirten und lutherischen Fürsten zum Zweck eines, wenn es sein müßte, bewaffneten Widerstandes im Falle von Uebergriffen der katholischen Partei. Heinrich erbot sich, zur Durchführung des gemeinsamen Zweckes in die künftige Bundescasse zwei Drittheile von dem zu zahlen, was die übrigen Bundesglieder zusammen aufbringen würden. Der Bund oder, wie man die Vereinigung von Anfang an nannte, die Union sollte vor allen die beiden Kurfürsten von Pfalz und Brandenburg, den Herzog von Würtemberg, den Landgrafen von Hessen und sonst so viele Fürsten umfassen, wie zu gewinnen sein würden. Nach seiner Zurückkunft gewann Fürst Ch. zunächst den Herzog von Würtemberg für seine Ideen und Pläne, welche bei der notorischen Unfähigkeit Rudolfs II. die Ersetzung desselben durch den damaligen Hoch- und Deutschmeister, den Erzherzog Maximilian, in Aussicht nahmen. Zugleich verhandelte er eifrigst theils mit den deutschen Kurfürsten, theils mit den österreichischen Ständen, namentlich dem protestantischen Theile derselben. Mit dem letzten Sprossen des reichen und hochberühmten Geschlechtes der Rosenberge in Böhmen, Peter Wok, der zum Protestantismus übergetreten war, unterhielt er von Amberg aus einen steten und lebhaften Verkehr, welcher unter dem Scheine alchymistischer und genealogischer Liebhabereien sehr ernste und weitschauende Ziele verfolgte. Dennoch kam damals die angestrebte Union nicht zu Stande. Erst als sich später die zwischen dem Kaiser Rudolf und seinem Bruder Matthias ausgebrochenen Mißhelligkeiten zu einem förmlichen Bruche erweiterten, gelang es dem Fürsten, seine lange gehegten Pläne ins Leben zu rufen. Schon drohten die Dinge in Oesterreich einen Verlauf zu nehmen, welcher die Intervention des deutschen Reiches nöthig machen konnte, und durch die Hinweisung auf diese Eventualität glückte es dem Fürsten Ch. endlich, das unter dem Namen der Union bekannte Bündniß der protestantischen Stände zu Stande zu bringen. Die Vergewaltigung, welche gerade damals die Reichsstadt Donauwörth von Seiten des katholischen Herzogs Maximilian von Baiern erfuhr, beschleunigte den Abschluß der dahin zielenden Verhandlungen. Am 11. Mai 1608 kamen zu Ahausen bei Nördlingen der Herzog von Würtemberg, die Pfalzgrafen Philipp Ludwig und Wolfgang Wilhelm von Neuburg, die Markgrafen von Ansbach, Kulmbach und Baden, endlich Fürst Ch. von Anhalt, welcher auch Kur-Pfalz vertrat, mit ihren vertrautesten Räthen zusammen und unterzeichneten wenige Tage später (15. Mai) das merkwürdige Bündniß, welches auf die Geschicke Deutschlands und Europa's einen so tief greifenden Einfluß ausüben sollte. Wie Ch. zu diesem Bunde die eigentliche treibende Kraft, die „Sirene“ gewesen, der die Anderen folgten, wie er alle Verhandlungen zum Zweck seines Abschlusses geführt und die Verfassung desselben eigenhändig entworfen hatte, so war er es auch, der, sobald der Abschluß zu Stande gekommen, ein Einschreiten seitens der Union in Oesterreich betrieb. Er berechnete die dazu nöthige Streitmacht|auf 10000 Mann zu Fuß und 2500 Reiter. Es ist einleuchtend, daß, wenn es damals zu einer derartigen Unternehmung gekommen wäre, der Protestantismus nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Mitteleuropa einen leichten und vielleicht für alle Zeiten entscheidenden Sieg erfochten haben würde. Allein der Friedensschluß, der alsbald zwischen Rudolf und Matthias erfolgte, vereitelte die Ausführung dieser weit blickenden und klug berechneten politischen Pläne. In den folgenden Jahren finden wir Ch. in ununterbrochener rastloser Thätigkeit, die Union, das Kind seiner politischen Anstrengungen, großzuziehen, sie zu befestigen und zu erweitern. Venetianische Dienste, welche ihm damals angeboten wurden, schlug er aus. Fast auf allen Unionstagen war er zugegen und leitete er die Geschäfte. Er war unablässig bemüht, dem Bunde in Deutschland neue Theilnehmer zu gewinnen, ihn über Oesterreich, Ungarn und Mähren auszudehnen und sogar Venedig in ihn hineinzuziehen. Durch die fortdauernden österreichischen Wirren und dann durch den ausbrechenden jülichschen Erbfolgestreit ward er außerdem in beständiger politischer und diplomatischer Thätigkeit erhalten. In Bezug auf jene und, veranlaßt durch die vielfältigen Klagen über des Kaisers Unthätigkeit in Sachen des Reiches, übernahm er i. J. 1609 im Auftrage der zu Schwäbisch-Hall versammelten Unionsfürsten eine Gesandtschaft an Rudolf II., bei welcher Gelegenheit er diesen durch sein schroffes Auftreten und seine offen ausgesprochene Drohung, „daß, wenn der Kaiser seine Pflichten gegen das Reich nicht besser erfülle, man mit dem Degen in der Faust auf jeden Unterdrücker ohne weitere Umstände losgehen werde“, in nicht geringen Schrecken versetzte. Diese Drohung sollte bald bis zu einem gewissen Grade zur Wahrheit werden. Der Streit um das jülichsche Erbe, zu einer brennenden politischen Frage herangewachsen, schien ganz Europa in einen großen Krieg stürzen zu müssen. Fürst Ch. eilte im Auftrage der unionistischen Fürsten nach Frankreich, um sich und seinen Verbündeten die Hülfe Heinrichs IV. zu sichern. Dann verhandelte er mit Moritz von Oranien und übernahm als Generallieutenant der Union den Oberbefehl über das Heer der verbündeten Fürsten, während Heinrich IV. sich anschickte, die spanischen Niederlande von Frankreich her anzugreifen. Allein durch des Königs gewaltsamen und plötzlichen Tod sank die jülichsche Angelegenheit, die einen Augenblick eine allgemeine Conflagration herbeizuführen gedroht hatte, alsbald wieder zu einer ausschließlich deutschen Angelegenheit herab. Ch. von Anhalt, seit dem Tode Friedrichs IV. von der Pfalz (9. Sept. 1610) und der Nachfolge des jungen eitelen und unerfahrenen Friedrichs V. mehr noch als zuvor der eigentliche Leiter der pfälzischen Politik, kehrte nach einigen über den Erzherzog Leopold von Oesterreich erfochtenen Waffenerfolgen, da der Krieg sich bald in unbedeutende Unternehmungen auflöste und zuletzt ganz einschlief, zu seiner gewohnten Thätigkeit nach Amberg zurück, wo er in den folgenden Jahren vergleichsweise ruhig lebte, aber fortwährend für die Interessen der Union nach Kräften wirkte. Den Oberbefehl über 12000 Mann zu Fuß und 4000 Reiter in Deutschland zu werbender Truppen, den ihm i. J. 1617 Ludwig XIII. von Frankreich anbot, schlug er in Erinnerung seiner früheren in französischem Dienste gemachten bösen Erfahrungen aus.

    Erst die böhmische Erhebung, mit welcher der große deutsche Krieg begann, sollte ihm wieder ein ausgedehnteres Feld der Thätigkeit eröffnen. Noch einmal war ihm bestimmt, eine hervorragende Rolle in den Angelegenheiten Deutschlands und Europa's zu spielen. Aber er scheiterte auch hier, trotz aller diplomatischen und militärischen Begabung, an der Ungunst der Verhältnisse und der Ueberlegenheit der Gegner. Durch die Unfähigkeit des Königs, die Eifersucht und Widersetzlichkeit der böhmischen Generale, endlich durch den Mangel an Geld in seinen Operationen vielfach durchkreuzt und gehindert, sah sich Ch., welchem man|den Oberbefehl über das böhmische Heer übertragen hatte, auf den Höhen vor Prag zu einer Entscheidungsschlacht gedrängt, welche mit einem Schlage allen hochfligenden Plänen der pfälzischen Politik und seinem eigenen langjährigen und unermüdlichen Streben ein Ziel setzte.

    Seine politische Rolle war damit ausgespielt. Mit zerschossenen Kleidern und ohne Hut hatte er sich am Tage der Schlacht nach Prag gerettet, schon am folgenden Morgen verließ er mit dem Könige die Stadt. Vom Kaiser am 22. Januar 1621 geächtet, begab er sich anfangs nach Stade und ging später, während seine Brüder den von ihm besessenen Theil des anhaltischen Landes in Verwaltung nahmen, zu dem Könige Gustav Adolf von Schweden. Aber auch hier war seines Bleibens nicht lange. Endlich fand er in Dänemark eine Zuflucht bei dem Könige Christian IV., der ihm gestattete, in Flensburg so lange mit seiner Familie in stiller Zurückgezogenheit zu leben, bis die Schritte, die man von verschiedenen Seiten zu seinen Gunsten beim Kaiser gethan, zu einem für ihn glücklichen Ergebniß geführt haben würden. Ch. verdankte die Zurücknahme der kaiserlichen Acht und die Gewährung sicheren Geleites vorzüglich den Bemühungen seines gleichnamigen Sohnes, welcher bei Prag in spanische Gefangenschaft gerathen war und sich des Kaisers Gunst in hohem Maße erworben hatte. Zu Anfang d. J. 1624 eilte er jetzt nach Wien, wo am 16. Juni seine völlige Aussöhnung mit dem Kaiser erfolgte. Seit dieser Zeit hat er sich völlig aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und ausschließlich der Verwaltung des Bernburger Landestheiles gelebt, welcher ihm bei der im J. 1603 stattgehabten Erbtheilung mit seinen Brüdern zugefallen war. So lange er in pfälzischen Diensten stand, hatte er das Land durch seinen Amtmann Curt von Börstell, mit welchem er von Amberg aus in lebhaftem Briefwechsel stand, verwalten lassen. Jetzt nahm er dessen Regierung selbst in die Hand, zumal er seit dem Tode seines älteren Bruders Johann Georg von Dessau (14. Mai 1618) Senior des Hauses geworden war. Während des niedersächsischen Krieges, der bekanntlich auch Anhalt in furchtbarer Weise heimsuchte, bemühte er sich nicht ohne Erfolg, dem schwer geprüften Lande die Drangsale und das Elend, welches die kämpfenden Heere über dasselbe verhängten, zu erleichtern. Bei seinen alten Verbindungen gelang es ihm mehr als einmal, namentlich die Forderungen der kaiserlichen Generale zu ermäßigen. Besonders stand er mit dem gefürchteten Wallenstein auf einem freundschaftlichen Fuße. Dieser bot ihm i. J. 1629 sogar kaiserliche Dienste an, allein Ch. lehnte höflich ab und ließ sich von dem allmächtigen Manne nur ein Empfehlungsschreiben an den Kaiser geben, welches ihm eine Kammerherrnstelle mit nicht unbedeutendem Gehalte eintrug. So sehr hatten sich die Verhältnisse seit jenem Versuche, dem österreichischen Erzherzoge die Krone von Böhmen zu entreißen, geändert. Es war eine schlagende Illustration zu Christians Wahlspruch: „Perenne sub polo nil“. Längere Zeit schon kränkelnd, erlag Ch. von Anhalt am 17. April 1630 einer Brustkrankheit. Von den 6 Söhnen und 10 Töchtern, die ihm seine in Glück und Trübsal erprobte Gattin geboren hatte, überlebten ihn nur zwei Töchter und drei Söhne, von denen der älteste, wie der Vater Christian geheißen, ihm in der Regierung des Bernburger Landes folgte. In dem Erbbegräbnisse der von ihm gestifteten älteren Bernburger Linie, in der Schloßkirche zu Bernburg, liegt er begraben. Seine Bedeutung als Staatsmann, Diplomat und Militär kann hier nicht eingehend gewürdigt werden: jedenfalls gehört er zu den hervorragendsten Erscheinungen seiner Zeit, freilich mehr hervorragend durch das, was er erstrebt, als durch das, was er vollbracht hat.

    • Literature

      Aeltere Litteratur: Beckmann, Historie des Fürstenthums Anhalt; Lenz, Becmannus enucleatus; Bertram-Krause, Gesch. des Fürstenth. Anhalt. —|Neuere: Gindely, Rudolf II.; Ritter, Gesch. der deutschen Union; derselbe, Briefe und Actenstücke zur Gesch. des 30jährigen Krieges I; Krebs, Christian von Anhalt und die kurpfälzische Politik.

  • Author

    v. Heinemann.
  • Citation

    Heinemann, Otto von, "Christian I." in: Allgemeine Deutsche Biographie 4 (1876), S. 145-150 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119118416.html#adbcontent

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