Lebensdaten
um 1428 oder 1431 – 1496
Geburtsort
Stein bei Pforzheim
Sterbeort
Basel
Beruf/Funktion
Frühhumanist ; Theologe ; Kanonist
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 119011700 | OGND | VIAF: 106970261
Namensvarianten
  • Heynlin, Johannes
  • Hélin, Johannes
  • Hemlin, Johannes
  • mehr

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Zitierweise

Heynlin de Lapide, Johannes, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119011700.html [28.03.2024].

CC0

  • Biographie

    H. begann sein Studium in Erfurt (1446–48), setzte es fort in Leipzig (1448–52), wo er 1450 das Bakkalaureat der freien Künste erwarb, sein Erstlingswerk „Quaestiones in libros III Aristotelis de anima“ verfaßte und sich wohl unter dem Eindruck von Capistranos Predigten dem theologischen Studium zuwandte. Nach einem Studienjahr in Löwen (1453), der Hochburg des Realismus, immatrikulierte sich H. an der Universität Paris (1453/54), promovierte 1455 zum Magister der freien Künste, versah seit 1456 zwölfmal die Stelle eines Prokurators der deutschen Nation und die eines Rezeptors (1458/59) und wurde 1462 als Bakkalaureus der Theologie Mitglied der Sorbonne. Als Professor der Artistenfakultät hielt H. Vorlesungen über Aristoteles' Organon im Collegium Burgundiae, verfaßte Kommentare zur aristotelischen Philosophie, zu Porphyrios und Gilbert de la Porrée und vertrat, seinen Lehrern Lucas Desmoulin und Thomas von Courcelles entsprechend, den gemäßigten Realismus (universalia in re). Zugleich verkehrte H. mit seinem Freund Fichet im Pariser Humanistenkreis um Gregorio Tifernas, zu dem unter anderem Senilis und Robert Gaguin gehörten.

    1464 verließ H. zusammen mit Gesinnungsgenossen Paris, um an der jungen Universität Basel die via antiqua als gleichberechtigt neben der via moderna durchzusetzen, was 1465 zu neuen, von H. inspirierten Statuten der Artistenfakultät führte. Für seine Freunde ließ er den „Tractatus de arte solvendi importunas sophistarum argumentationes“ zurück. In Basel knüpfte sich die für später wichtige Beziehung zu Naukler, dem zukünftigen Kanzler der Universität Tübingen, an. Seine Schüler waren Geiler von Kaisersberg, Matthias von Gengenbach und Ulrich Surgant.

    Nachdem sein Ziel erreicht war, verließ H. Basel und hielt sich wohl in der Gutenberg-Fust-Schöfferschen Offizin in Mainz auf, um ab 1467 in Paris seine Lehr- und Lerntätigkeit wieder aufzunehmen. Er rückte 1468/70 zum Prior der Sorbonne und 1469 zum Rektor auf. Seine Rektoratsrede, im Ton ganz humanistisch gehalten, aber mit ihrer inhaltlichen Bestimmung, daß die Theologie Meisterin aller Künste sei, und ihrer deutlichen Absetzung gegenüber sophistischen Argumentationen, kennzeichnet H.s geistige Haltung als die eines Vertreters der einen Richtung der via antiqua, die den formalen Bestrebungen des Humanismus offen gegenüberstand. So befanden sich unter seinen Pariser Schülern Humanisten wie Reuchlin, Agricola, Wessel Gansfort und Johann Amerbach. Wenn sich H. auch an den Kämpfen gegen Heinrich von Zoemern und am vorübergehenden Verbot der via moderna in Paris beteiligte, so bildete doch seine bleibende Tat die Einrichtung der ersten Druckerei in Paris zusammen mit Fichet, nachdem Fusts Versuch 1462 mit einem Prozeß niedergeschlagen worden war. Aus dieser privaten Offizin gingen in Antiqua-Schrift Werke antiker Autoren (Cicero, Sallust, Valerius Maximus) und von Humanisten (Laurentius Valla, Bessarion, Fichet) hervor. Als Fichet dem Kardinal Bessarion auf dessen Propagandareise für einen Türkenkreuzzug folgte, trat auch H. vom Unternehmen zurück und überließ es seinem Schüler Windsberg. Ende 1474 verließ H. endgültig Paris, um in Basel als Leutpriester an Sankt Leonhard zu wirken, und Reuchlin, Agricola und Wessel Gansfort folgten ihm. Unter Ablehnung einer Dozentenstelle wandte sich H. von der reinen Gelehrsamkeit immer mehr ab, um mit tief mittelalterlicher Frömmigkeit und in volkstümlich anschaulicher Predigtweise, die von Geiler, Murner und Brant aufgegriffen wurde, seine Kräfte für die Reinigung der Kirche und die ethische Besserung des Menschen einzusetzen. So wurde H. auch als zugkräftiger und die Münsterkasse füllender Ablaßprediger nach Bern berufen (1476/78/80), wo er besonders 1480 nachhaltige Wirkung auf die obrigkeitlichen Sittenmandate erzielte, während Verhandlungen über seine Gewinnung als Leutpriester scheiterten.

    Schon 1476 war er in Urach in Beziehung zu Graf Eberhard getreten, was auch unter dem Einfluß von H.s Freund Naukler zu seiner Mitwirkung an der Gründung der Universität Tübingen führte wie im Frühjahr 1478 zu seiner endgültigen Übersiedlung nach Tübingen mit dem Doppelamt als Stadtpfarrer und Theologieprofessor. Schon im Herbst 1478 wurde er Rektor, aber vielleicht führten die zu scharfen Ausfälle des strengen Sittenpredigers H. gegen die Fürsten zu der überstürzten Abreise mitten im Sommersemester 1479 aus Tübingen.

    H. folgte dem Ruf des Markgraf Christoph von Baden, anknüpfend an das alte freundschaftliche Verhältnis zum zähringer Herrscherhaus, und versah in Baden-Baden die Stelle eines Kustos und Thesaurarius am Chorherrenstift, verbunden mit der Seelsorge im Zisterzienserinnenkloster Lichtental. Von Baden-Baden aus intensivierten sich die freundschaftlichen Beziehungen zu den oberrheinischen Humanisten Hochberg, Molitoris und Schott.

    Infolge von Spannungen mit seinen Kollegen nahm H. 1484 den Ruf als Münsterprediger nach Basel an. Wenn auch nicht mehr in engerer Bindung an die Universität, stand er doch als Haupt des Kreises in regem Austausch mit Männern wie Reuchlin, Brant, Geiler, Wimpfeling, Agricola, Trithemius, Gengenbach, Andlau, Celtis und Christoph von Utenheim. Besonders fruchtbar gestaltete sich seine Zusammenarbeit mit Johann Amerbach, in dessen Offizin er als Herausgeber, Berater und Korrektor wirkte, seine Pariser Tätigkeit fortsetzend. Nur verlagerte sich bezeichnenderweise das Schwergewicht auf kirchliche Schriften, wie Ausgabe der Bibel und Werke von Ambrosius, Augustin und Cassiodor und der Predigten Meffrets, denen H. eine Entgegnung vorausgehen ließ, in der er die Marienverehrung franziskanischer Prägung vertrat.

    H.s religiös moralisierende, mit mystischen und pessimistischen Neigungen durchsetzte Gesinnung fand 1487 ihren eklatanten Ausdruck in seinem Eintritt in die Basler Kartause, der er seine hervorragende Bibliothek von 283 Bänden schenkte. Auch in der Abgeschiedenheit ging H. seiner Schriftsteller-, Herausgeber- und Predigttätigkeit weiter nach, und sein „Resolutorium dubiorum circa celebrationem missarum occurentium“ fand weite Verbreitung, wie auch die Anzahl seiner Predigten auf 1410 anwuchs. Ähnliche Entwicklungen von wissenschaftlichem und humanistischem Ruhm zu mittelalterlicher Weltabkehr lassen sich auch bei Reuchlin, Agricola, Hochberg und Roth feststellen.

  • Werke

    (gedr.) Compendiosus de arte punctandi dialogus (zus. mit Gasparins Orthographia), 1470;
    Premonitio circa sermones de conceptione gloriose virginis Marie (zus. mit Meffrets Predigten), 1488;
    Resolutorium dubiorum circa celebrationem missarum ocurrentium, 1492;
    Kommentare z. Logik d. Aristoteles, d. Porphyrios u. d. Gilbert de la Porrée, Traktat de propositionibus exponibilibus u. de arte solvendi importunas sophisticarum argumentationum fallacias, 1495. -
    Mss. in Univ. bibl. Basel: Div. Kommentare zu Aristotelis de anima, 1452-59;
    Quaestiones in totam Aristotelis philosophiam naturalem, 1452-54;
    Disputationes;
    Epistola;
    Predigten, 5 Bde.;
    Reden;
    Vorlesungen. -
    Traktat üb. d. Ensisheimer Meteor, 1492 (unauffindbar).

  • Literatur

    ADB XII;
    M. Hoßfeld, J. H. aus Stein, in: Basler Zs. f. Gesch. u. Altertumskde. 6, 1907, 7, 1908;
    J. Haller, Die Anfänge d. Univ. Tübingen, 1927/29, bes. I, S. 19 ff., 129 ff., II, S. 5 ff., 43 ff.;
    H. v. Greyerz, Ablaßpredigten d. J. H., in: Archiv d. Hist. Ver. Bern 32, 1933;
    ders., Stud. z. Kulturgesch. d. Stadt Bern, ebd. 35, 1940, bes. S. 177 ff.;
    O. Trost, Der Geburtsort d. J. H., in: ZGORh NF 55, 1942;
    F. Landmann, Zur Gesch. d. oberelsäss. Predigt in d. Jugendzeit Geilers v. Kaysersberg, in: Archives de l'Eglise d'Alsace N. S. 1, 1946, 2, 1947/48, 3, 1949/50;
    F. Luchsinger, Der Basler Buchdruck als Vermittler ital. Geistes, in: Basler Btrr. z. Gesch. wiss. 45, 1953, bes. S. 11 ff.;
    J. Monfrin, Les lectures de G.|Fichet et de J. H. d'après le registre de prêt de la Bibl. de la Sorbonne, in: Bibl. d'Humanisme et Renaissance 17, 1955;
    E. Bonjour, Die Univ. Basel v. d. Anfängen b. z. Gegenwart, 1960, bes. S. 66 ff.;
    F. Sander, J. H. von Stein, in: Pforzheimer Gesch.bll. 1, 1961;
    Vf.-Lex. d. MA II, V.

  • Autor/in

    Piroska Máthé
  • Zitierweise

    Máthé, Piroska, "Heynlin de Lapide, Johannes" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 98-100 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119011700.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Heynlin: Johann H., genannt a Lapide, geb. wahrscheinlich um das J. 1425 (vielleicht doch in Stein bei Schaffhausen?), gest. in Basel am 12. März 1496, begegnet uns zum ersten Male als reiferer Student in Leipzig (1452); ob er dann 1461 in Freiburg i. Br. sich aufgehalten und dort die Magisterwürde erworben habe, kann bezweifelt werden. Gewiß ist, daß er vor 1464 bereits in Paris war und hierauf in den Jahren 1464 und 65 in Basel an der Artisten-Facultät als eifriger Vertreter der sogenannten Via antiqua eine lebhafte Bewegung hervorrief. Im J. 1466 ging er abermals nach Paris, wo er 1469 Rector der Universität war und bald darauf die theologische Doctorwürde und eine Professur an der Sorbonne erhielt. Er wirkte bei den strengen Maßregeln mit, welche dort 1473 gegen die Via moderna (die Nominalisten) ergriffen wurden, erwarb sich aber auch das Verdienst, daß er die ersten Buchdrucker, nämlich die sogenannten Alamanischen Brüder, nach Paris rief, wo auch Joh. Amerbach sein Schüler war. Nach Basel im J. 1474 zurückgekehrt, wirkte er nicht mehr an der Universität, sondern als sehr beliebter Prediger, nahm aber 1478 einen Ruf als Professor der Theologie nach Tübingen an, wo er im folgenden Jahre Rector war; auch begab er sich mehrmals zu vorübergehendem Aufenthalte (1477, 11.—20. März 1480 und infolge einer Berufung vom 7. April 1480 zum Leutpriester der Stadt nochmals in diesem Jahre) nach Bern, um ebenso, wie er in Basel gethan, durch Predigten die Sittenverderbniß zu bekämpfen. Dann übernahm er die Vorstandschaft des Chorherrenstiftes in Baden-Baden, von wo er 1484 als Canonicus und Prediger (am Münster) wieder nach Basel umsiedelte; seine letzten Lebensjahre seit 1487 verbrachte er in Zurückgezogenheit im dortigen Karthäuserkloster, welchem er eine Büchersammlung von 283 Bänden, auf 1000 Goldgulden geschätzt, zum Geschenke machte. Innig befreundet mit Amerbach, Geiler von Keysersberg, Sebastian Brant, gehörte er zu den vielen hervorragenden Männern, deren Auftreten damals in Südwestdeutschland den Anbruch einer neuen Zeit verkündete. — Gedruckt besitzen wir von H. „Libri artis logicae“, worin sich keine strenge Parteistellung, sondern gerade ein Syncretismus der älteren und der neueren Richtung kundgibt; andere Commentare zu aristotelischen Schriften und insbesondere die zahlreichen Predigten Heynlin's sind handschristlich in Basel vorhanden.

    • Literatur

      Fr. Fischer. Johannes Heynlin, Basel 1851 (ungenügend); hingegen eine gründliche Untersuchung bei Wilh. Vischer, Geschichte der Universität Basel. S. 158 ff. (über die logischen Streitigkeiten s. m. Gesch. d. Logik, Bd. IV, S. 186 ff. und 229). Blösch im Anzeiger s. Schweiz. Geschichte, 1880. Nr. 1.

  • Autor/in

    Prantl.
  • Zitierweise

    Prantl, Carl von, "Heynlin de Lapide, Johannes" in: Allgemeine Deutsche Biographie 12 (1880), S. 379 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119011700.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA