Dates of Life
1801 – 1873
Place of birth
Dresden
Place of death
Pillnitz
Occupation
König von Sachsen
Religious Denomination
katholisch
Authority Data
GND: 118712322 | OGND | VIAF: 78619265
Alternate Names
  • Johann
  • Johann I. von Sachsen
  • Johann von Sachsen
  • more

Relations

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Citation

Johann I., Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118712322.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogy

    V Prinz Maximilian (1759–1838), S d. Kf. Friedrich Christian v. S. ( 1763, s. NDB V);
    M Caroline (1770–1804), T d. Hzg. Ferdinand I. v. Parma (1751–1802) u. d. Erzhzgn. Maria Amalia;
    Ov Kg. Friedrich August I. v. S. ( 1827, s. NDB V);
    B Kg. Friedrich August II. v. S. ( 1854, s. NDB V);
    - Dresden 1822 Amalia Auguste (1801–77), T d. Kg. Maximilian I. Joseph v. Bayern ( 1825);
    3 S, 6 T, u. a. Kg. Albert v. S. ( 1902, s. NDB I), Kg. Georg v. S. ( 1904, s. NDB VI).

  • Biographical Presentation

    Nach unruhevollen Jahren der Kindheit während der napoleonischen Kriege war J.s Jugendzeit bis ins 20. Lebensjahr mit der Vorbereitung auf den Soldatenberuf ausgefüllt, der seinem ganzen Wesen jedoch nicht entsprach. Der ihm 1822 verliehene Generalsrang ist ebenso formal aufzufassen wie die 1840 vorgesehene Übertragung des Kommandos über das IX. Bundeskorps. Eine Italienreise 1821/22 sprach seine Veranlagung wesentlich eindrücklicher an. In dem bewußten Bemühen um eine feste Lebensaufgabe entschied er sich für die Beschäftigung mit der Rechts- und Staatswissenschaft, der Staatsverwaltung und der Geschichte und somit für den zivilen Bereich öffentlicher Wirksamkeit, wie sie ihm als Prinzen der Sekundogenitur geboten war. In passiver Teilnahme an Kollegiensitzungen (Kriegsverwaltungskammer, Appellationsgericht) bildeten sich sein Sinn für das Recht, sein Festhalten am Bestehenden, sein Fleiß im Kleinen, sein ernstes Pflichtbewußtsein aus. Gewisse idealistisch-liberalisierende Neigungen stießen sich an routinemäßiger Verwaltungskleinarbeit. 1822 erhielt J. Sitz und Stimme im Geh. Finanzkollegium, 1825 wurde er dessen Vizepräsident.

    Unterdessen pflegte er seine klassischen Sprachstudien und dichtete im klassischen Griechisch. Seit der Italienreise kam das Italienische hinzu, er widmete sich dem Werk Dantes und veröffentlichte unter dem Pseudonym Philalethes 1828 eine Teilübersetzung des „Inferno“. 1833, 1840 und 1849 folgten die 3 Teile der Göttlichen Komödie in mustergültiger Übersetzung, deren immer neue Ausgaben ihn noch als König beschäftigt haben. Das von Frankreich 1829 ausgegangene Angebot der griech. Krone lehnte J. ab. Die sächs. Verfassungsbewegung von 1830 forderte ihn zu politischem Einsatz; er übernahm das Generalkommando über alle Kommunalgarden, die er von Organen der bürgerlichen Bewegung zu politisch neutralen örtlichen Polizeiorganen zu machen bestrebt war, wurde Mitglied des Geh. Rates und wirkte vor allem persönlich engagiert an der Ausarbeitung der Verfassung von 1831 mit, zu deren liberal-konstitutionellem Geist er ein positives Verhältnis hatte. Während der ihm 1831 übertragene Vorsitz im sächs. Staatsrat bedeutungslos blieb, entfaltete er als Mitglied der 1. Kammer eine rege Tätigkeit bei der Beratung der Gesetze, setzte sich für eine Politik liberaler Reformen ohne Überstürzung ein, stellte aber doch als ein im Ganzen Konservativer das „Recht höher als Zweckmäßigkeit“ auch dort, wo der Fortschritt eine Entscheidung für die Zweckmäßigkeit erfordert hätte. Während er in der 1. Kammer durch geistvolle Reden, Gründlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Rechtlichkeit hervorragte, geriet er im Zuge der notwendigen politischen Äußerungen in den unbegründeten Verdacht, ein Reaktionär und ein ultramontan gesinnter Feind der in Sachsen herrschenden luth. Kirche zu sein. Er war zwar ein strenger Katholik mit tiefer, ungekünstelter Frömmigkeit, stand aber als verantwortungsbewußter Christ dem ev. Bekenntnis seines Landes in Loyalität und sichtlicher Toleranz gegenüber. Der bei einer Inspektion der Kommunalgarde in Leipzig 1845 entstandene, von J. mit wenig Geschick parierte Tumult nährte die konfessionelle Spannung um seine Person. In der Revolution von 1848 und namentlich beim Dresdener Maiaufstand 1849 hielt er sich zurück. Nach der Auflösung der I. Kammer führte er ein privater Gelehrsamkeit gewidmetes Leben. Studien über Aristoteles, Thukydides und Sophokles beschäftigten ihn, er ließ sich über Chemie unterrichten, gehörte 1852 zu den Begründern des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine und führte auch den Vorsitz im Sächs. Altertumsverein. Seit dem Tode des Vaters 1838 war er Besitzer des Sekundogeniturvermögens, darüber hinaus Eigentümer der Rittergüter Jahnishausen und Weesenstein, auf denen er sich oft aufhielt.|Nach dem plötzlichen Tod seines Bruders Friedrich August II., auf den er einen nicht unbeträchtlichen Einfluß gehabt hatte, folgte er 1854 im Königsamt, das er als auferlegte Pflicht und von seinem Gottesgnadentum überzeugt ohne System- oder Personalwechsel fortführte. Im Volke war er zu dieser Zeit recht unbeliebt; er galt als politisch reaktionär, während seine tatsächliche Haltung besser als konservativ-liberal zu bezeichnen wäre. Tiefes ethisches Verantwortungsgefühl ist ihm ebensowenig abzusprechen wie ein von romantischem Geist getragenes Nationalbewußtsein und eine ehrliche gesamtdeutsche Gesinnung, um deretwillen er zum Verzicht auf Souveränitätsrechte bereit war. Als Ideal schwebte ihm ein durch die Regierungen zu schaffender deutscher Bundesstaat unter Einschluß Österreichs vor, Pläne zur Bundesreform beschäftigten ihn immer wieder, und beim Frankfurter Fürstentag 1863 hat er sich unermüdlich, sachverständig und mit gutem Willen für einen Erfolg eingesetzt, wenn es ihm auch nicht gelang, Wilhelm I. gegen Bismarcks Widerstand zur Teilnahme zu bewegen. Zu den Hohenzollern hatte er im Gegensatz zur traditionollen sächs. Politik ein gutes Verhältnis, die enge Freundschaft zu seinem Schwager Friedrich Wilhelm IV. übertrug sich auch auf dessen Bruder, und die Annäherung an Preußen gehörte zu den Grundlinien seiner Außenpolitik, deren tatsächliche Gestaltung er jedoch seinem Minister Beust überließ. Mit Enttäuschung und Resignation, in seinem Rechtsgefühl tief verletzt, hat er die preuß. Politik gegenüber Sachsen seit 1864 hingenommen, die Sachsen im Kriege 1866 an die Seite Österreichs geführt hat. Er verließ mit der Armee sein Land, hielt sich in Prag und Wien auf und kehrte als der verehrte, schicksalsgeprüfte Landesherr von dem ihm in gleicher Verbitterung gegen Preußen und Bismarck verbundenen Volke stürmisch empfangen zurück. Den Eintritt in den Norddeutschen Bund vollzog er den unausweichlichen Gegebenheiten entsprechend und ordnete sich in die neuen Verhältnisse ohne Freude und Begeisterung, aber korrekt und mit ehrlichem Bemühen ein. Er vertraute der Politik Bismarcks, der ihn auch als den in Deutschland angesehenen „Nestor der deutschen Fürsten“ respektierte. Nach den Erfolgen im Krieg gegen Frankreich 1870 hat J. in freudigem nationalen Empfinden seine guten Dienste in der Kaiserfrage namentlich in Richtung auf Ludwig II von Bayern eingesetzt, war dann allerdings über sein Unbeteiligtsein am Zustandekommen der Reichsverfassung enttäuscht. Seit 1871 ließen Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit spürbar nach.

    Die 2 Jahrzehnte seines Königtums hat J. mit intensiver Regierungsarbeit und vielen Reisen durch das Land ausgefüllt. Für den Wert des wirtschaftenden Volkes hatte er offene Augen, er achtete die Meinung der großen Menge, ohne sie überzubewerten. Für die gerade in Sachsen wichtig werdenden sozialen Fragen hat der geborene Aristokrat und klassische Humanist mit seiner patriarchalischen Grundhaltung keinen Blick und kein Verständnis gezeigt. Im Umgang mit Untergebenen und dem Volke fehlte es ihm an Natürlichkeit. Unter seinen fürstl. Standesgenossen galt er mit seinen reichen Geistesgaben als „der Gelehrte“ und „der Jurist“, wegen seiner lehrhaften Art auch als „der Professor“. Ein genialer Mensch war er nicht, aber mit seiner sensitiven Natur und seiner stoischen Gelassenheit erwies er sich oft als vermittelnder Meister der Verhandlungen. Er war ein typischer Vertreter des sächs. Königtums des 19. Jh., das zunehmend Amtscharakter annahm und in seiner zivilen, geistig kultivierten, von Rechtsbewußtsein getragenen Art die Fähigkeit zu zeitgemäßer Umformung im Sinne des engl. und skandinav. Königtums in sich trug.

  • Works

    Aus d. Nachlaß d. Kg. J. v. S., hrsg. v. J. Petzholdt, 1880;
    Proklamationen, Reden, Ansprachen u. Briefe d. Kg. J. a. d. Zeit s. Regierung, veröff. v. dems., 1880;
    Dichtungen d. Kg. J. v. S., hrsg. v. Carola, Königinwitwe v. S. (Schwieger-T), 1902;
    Briefwechsel zw. Kg. J. v. S. u. d. Königen Friedrich Wilhelm IV. u. Wilhelm I. v. Preußen, hrsg. v. Johann Georg, Hzg. zu Sachsen, u. H. Ermisch, 1911;
    Briefwechsel Kg. J.s v. S. mit G. Ticknor, hrsg. v. Johann Georg, Hzg. zu Sachsen (E), 1920;
    Lebenserinnerungen d. Kg. J. v. S., Eigene Aufzeichnungen d. Königs üb. d. J. 1801-54, hrsg. v. H. Kretzschmar, 1958.

  • Literature

    ADB 14;
    J. P. v. Falkenstein, J. Kg. v. S., 1878;
    H. Kretzschmar, Das sächs. Königtum im 19. Jh., in: HZ 170, 1950;
    ders., Die Zeit Kg. J.s v. Sachsen 1854–73, Mit Briefen u. Dokumenten, in: Berr. üb d. Verhh. d. Sächs. Ak. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-Hist. Kl. 105, H. 4, 1960;
    Albert, Hzg. zu Sachsen, Die Entwicklung d. Gewerbegesetzgebung in Sachsen 1814–61, Diss. München 1970. -
    R. Bemmann, Bibliogr. d. sächs. Gesch. I, 1918 (f. alle sächs. Fürsten).

  • Portraits

    Ölgem. v. C. Vogel v. Vogelstein, 1832 (Dresden, Gem.gal. Neue Meister d. Staatl. Kunstslgg.);
    v. F. Gonne, 1855 (ebd., Schloß Georgenbau);
    v. Ph. A. Gliemann, 1862 (Leipzig, Univ.-bibl.), Abb. in: J. L. Sponsel, Fürstenbildnisse a. d. Hause Wettin, 1906;
    Reiterdenkmal v. E. Rietschel, 1882 (Dresden, Theaterplatz).

  • Author

    Karlheinz Blaschke
  • Citation

    Blaschke, Karlheinz, "Johann I." in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 528-529 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118712322.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographical Presentation

    Johann, König von Sachsen. Geboren am 12. December 1801 zu Dresden, ward ihm die Mutter Karoline geb. Prinzessin von Parma, Enkelin der Maria Theresia, als er noch nicht das dritte Lebensjahr erreicht hatte, entrissen, so daß ihm nicht einmal eine klare Erinnerung an sie geblieben ist. Prinz J. Nepomuk Maria Joseph Anton hatte noch sechs Geschwister: Maria Amalia, geb. 10. August 1794 (s. Bd. I. S. 385); Maria, geb. 27. April 1796, vermählt mit dem Großherzog von Toscana, Ferdinand III.; Friedrich August, geb. 18. Mai 1797; Clemens, geb. 1. Mai 1798; Maria Anna, geb. 15. November 1799, vermählt mit dem damaligen Erbgroßherzog von Toscana, Leopold II., und Josepha, geb. 6. December 1803, vermählt mit Ferdinand VII., König von Spanien. Die Ehe des Prinzen Maximilian, des Vaters des Prinzen J., jüngeren Bruders des Kurfürsten und nachmaligen Königs Friedrich August des Gerechten (s. Bd. VII. S. 786), sowie des Prinzen und späteren Königs Anton des Gütigen, war eine überaus glückliche gewesen und so auch sein ganzes Familienleben ein nach allen Seiten hin befriedigendes. Der Vater Max war anspruchslos; voll echter Herzensfrömmigkeit widmete er sich ganz der Familie, und wenn es ihm auch an tiefer wissenschaftlicher Bildung fehlen mochte, so interessirte er sich doch für Geschichte, Sprache und Musik lebhaft, und legte bei der Erziehung den Hauptwerth auf eine gründlich religiöse, kindliche Herzensbildung. Die Sorgen und Mühen des Vaters wurden aber auch durch die herzliche Gegenliebe und das unbedingte Vertrauen seiner Kinder belohnt. Abgesehen von einer Menge Einzelheiten, die man als Beleg dafür anführen könnte, sei nur das Urtheil des Prinzen über diese Erziehung hier erwähnt. Des Vaters Lehre, sagt der Prinz, und seinem Beispiele danke ich einen festen Anker, der, auch entgegengesetzter Strömungen ungeachtet, mir durch das Leben ein Haltepunkt geblieben; das Beste, was in mir ist, kommt von ihm! In Verbindung hiermit steht auch die Charakteristik der Geschwister, welche der Prinz J. selbst niedergeschrieben hat. „Eine schöne Lichtseite meiner Kindheit“, sagte er, „war der Kreis meiner Geschwister, die mich umgaben. Wir waren drei Brüder und vier Schwestern, die fast immer mit einander waren und sich gegenseitig innig liebten. Die innige Freundschaft, die uns verband, ist im ganzen Leben geblieben; es kann ja keine zuverlässigere Neigung geben, als die, welche in den frühesten Kinderjahren ihren Ursprung hat. Als dem Vorletzten unter den Geschwistern stand mir in jenen süßesten Lebensjahren meine jüngste Schwester Josephe am nächsten; sie hatte etwas Anlage zum Bizarren und war nicht leicht zu erziehen, doch überwog in den späteren Lebensjahren auch bei ihr die gute Grundlage. Geist- und phantasiereich waren besonders meine Schwester Amalie und Maria Anna, später Gemahlin des Großherzogs Leopold, und mein ältester Bruder Friedrich August. Meine Schwester Maria, später Gemahlin des Großherzogs Ferdinand von Toscana, zeichnete sich besonders durch klaren praktischen Verstand und Fleiß aus. Am wenigsten hervorragenden Geistes war vielleicht mein zweiter Bruder Clemens, er hatte aber ein gutes treffliches Herz“. Ueberlegt man nun, daß, neben diesem schönen Familienkreise, Prinz Anton und seine Gemahlin Therese, die Tochter Kaiser Leopolds II., die Tante Marianne, Schwester des Prinzen Max, und endlich das Oberhaupt Aller, der ehrwürdige Friedrich August, standen und mittelbar sowol als unmittelbar ihren Einfluß auf die geistige und sittliche Ausbildung des jungen Prinzen ausübten, so muß man ja allerdings sagen, daß selten glücklichere Verhältnisse zusammentreffen konnten, einen begabten jungen Mann in seinem Streben nach Bildung und Veredelung zu fördern; wenn auch freilich die gar zu strenge Etiquette, die peinliche und kleinliche Sorge für Erhaltung des äußerlichen monarchischen Ansehens und die Monotonie des Lebens am|Hofe überhaupt mit der Lebendigkeit eines jugendlichen frischen Mannes, wie Prinz J. war, nicht nur in Widerspruch standen, sondern auch denselben nur gar zu leicht zum Durchbrechen der zu eng gehaltenen Schranken auffordern mochten. Für gute Lehrer war zwar im allgemeinen wohl gesorgt; jedoch abgesehen von dem allerersten Unterrichte, welchen in der Geschichte, Geographie und Religion der Vater selbst ertheilte, können doch eigentlich nur einige Lehrer als solche bezeichnet werden, welche mächtigen und dauernden Einfluß auf den Prinzen geübt haben. Die durch die kriegerischen Verhältnisse 1809 veranlaßte Entfernung des Hofes von Dresden, namentlich der längere Aufenthalt des Prinzen in Prag, wohin sich die königliche Familie während der Gefangenschaft des Königs Friedrich August 1813—15 zurückgezogen hatte, waren nicht geeignet, den Prinzen in den Studien vorwärts zu bringen und ihn an ein geregeltes Leben zu gewöhnen. Dennoch gelang es dem General v. Forell, aus einem alten Geschlechte aus dem Canton Freiburg stammend, dem Frhrn. v. Wessenberg, Bruder des bekannten Generalvicars von Constanz, dem Abbé de Silvestre, dem Pater Löffler, dem nachmaligen Bischof Mauermann und vor allen dem als trefflichen Juristen bewährten und überhaupt vorzüglich durchgebildeten Hofrath Dr. Stübel, dem Prinzen diejenige Vorbildung zu geben, auf deren Basis er durch eigenes Studium in den Staatswissenschaften, in der Philologie, Geschichte und Jurisprudenz die Bildung erreichte, durch die er sich als Prinz und als König eine so hervorragende Stellung erwarb. Bewandert in den Classikern der Römer, sowie Griechen, in deren Studium er sich durch den Hofrath Böttiger und den tüchtigen Philologen und späteren Conrector Sillig hatte einführen lassen, liebte er vorzugsweise Homer und Horaz; von beiden konnte er viele und längere Stellen auswendig. Auch betrieb er die Lectüre des griechischen neuen Testamentes mit besonderem Eifer und vermochte, wo es sich um den Beweis einer Behauptung handelte, die wichtigsten Sätze daraus ohne weiteres in der Ursprache zu citiren. Sein Gedächtniß, seine rasche Auffassungsgabe, seine Klarheit, mit der er stets auf den Grund der ihm vorliegenden Frage zu kommen suchte, war bewundernswerth, und die Bescheidenheit, die ihn auch bei der entschiedensten Anerkennung, welche ihm zu Theil ward, nie verließ, machte ihn wahrhaft liebenswürdig. Ueber den Prinzen und seinen älteren Bruder Friedrich August hat der bekannte Gelehrte, Professor Förster, das Beste gesagt, was man sagen kann. In beiden Fürsten sei ein seltener Verein geistiger Kräfte, edler Gesinnungen, freisinniger Ansichten und eine lebendige Theilnahme für Jegliches, es gehöre in das Reich des Wissens, der Kunst, der Poesie oder betreffe den Zustand der Zeit mit ihren Vorzügen oder Gebrechen, für das innere, wie für das äußere Leben sei ihr Herz und Auge offen, und noch nie sei er aus ihrer Nähe geschieden, ohne daß er Veranlassung zu neuer Verehrung gefunden habe. Wie sehr dem Prinzen daran gelegen war, seine Kenntnisse durch den Umgang mit ausgezeichneten Männern zu erweitern, zeigte die in damaliger Zeit ganz außergewöhnliche Einrichtung, daß er von Zeit zu Zeit, ohne alle Prätension und absehend von jeder Hofetiquette, Abends eine Zahl geistreicher gelehrter Männer um sich versammelte, lediglich zu geistiger Unterhaltung; insonderheit war diese Abendgesellschaft auch in späterer Zeit von großer Wichtigkeit für die Dante-Arbeiten des Prinzen in Rücksicht auf die Uebersetzung und Erklärung der Divina Commedia. Hierzu waren ja die umfassendsten Vorstudien nöthig, für welche dann ein Verkehr mit Männern, wie Ammon, Förster, Breuer u. A., jedenfalls fruchtbringend sein mußte. Daß die von dem Prinzen unternommenen verschiedenen Reisen auf seine Ausbildung von außerordentlichem Einflusse gewesen, ist selbstverständlich; die Begleiter auf diesen Reisen sorgten dafür, daß der Prinz alles sah, was ihm nützlich sein konnte,|seine Stellung machte es ihm leicht, bedeutende Menschen kennen zu lernen und seine Talente unterstützten ihn dabei, um die gemachten Bekanntschaften in der rechten Weise für sich zu verwerthen. Von ganz besonderer Wichtigkeit für das Leben des Prinzen war seine erste Reise nach Italien 1821—22; theils weil der Prinz auf dieser Reise durch das zufällige Auffinden einer Ausgabe des Dante bei einem Antiquare in Pavia auf diesen Dichter speciell aufmerksam wurde und dadurch die erste Anregung zur Aufnahme seiner großen und hochverdienstlichen, überall als ausgezeichnet anerkannten Dante-Arbeit erhielt; theils weil auf dieser Reise sein Bruder Clemens starb, und dieser Todesfall zur völligen Veränderung der vom Prinzen für seine Zukunft gefaßten Pläne Veranlassung gab; theils endlich, weil der Prinz auf dieser Reise sein künftiges häusliches Glück begründete, indem er bei der Rückkehr aus Italien in München seine künftige Gemahlin Amalia, die Tochter des Königs Maximilian Joseph von Bayern, kennen und innig lieben lernte. Ein segensreicherer Ehebund, als zwischen dem Prinzen und der Prinzessin Amalia, kann kaum gedacht werden. Die Gemahlin, ein Muster edler Weiblichkeit und von tief religiöser Frömmigkeit, dabei von der Natur gar lieblich gestaltet, mit einer seltenen Bildung des Geistes begabt, stand unter allen Verhältnissen und in den vielen Fällen harter Prüfung ihrem Gemahl als mitfühlende und Helfende Genossin, als treu sorgende Mutter des Landes, wie der eigenen Kinder zur Seite.

    Mit seiner Vermählung (21. November 1822) beginnt für den Prinzen ein arbeitsames und geregeltes Leben: mit der ganzen Energie seines Geistes nimmt er früher begonnene Studien wieder auf, um so manches, was er bisher bei seinem zerstreuten Leben versäumt haben mochte, nachzuholen. Mit erneutem Eifer betreibt er das Griechische und sucht mit voller Sicherheit selbst den Geist der Classiker kennen zu lernen. Im Besitze inzwischen erlangter gründlicherer Kenntniß der italienischen Sprache, verfolgt er mit voller Hingebung die früher begonnenen Dantearbeiten, und angefeuert durch den großen Beifall, den seine Uebersetzung und Erklärung des ersten Theiles der Divina Commedia, der Hölle, in engeren Kreisen gefunden, ruht er nicht, bis er auch die beiden noch übrigen Theile bewältigt hat und im Stande ist, das gesammte Dantewerk auf allgemeinen Wunsch der Oeffentlichkeit zu übergeben. Seine aus drei Bänden bestehende Danteausgabe ward 1849 beendigt. Vor allen aber faßt er, hauptsächlich auf den Rath seines älteren Bruders den Entschluß, den vorher liebgewonnenen Gedanken an eine rein militärische Stellung aufzugeben und sich im wesentlichen dem eigentlichen praktischen Staatsleben zu widmen. Das damalige Finanzcollegium, unter Leitung des ausgezeichneten Präsidenten v. Manteuffel stehend, bot hierzu vortreffliche Gelegenheit, weil nach damaliger Verfassung fast alle Zweige der Verwaltung dort zusammenflossen. Der Briefwechsel zwischen dem Prinzen und Manteuffel über die Stellung des ersteren im Collegium gibt ebenso Zeugniß von dem lebendigen Streben und von der Bescheidenheit des Prinzen, wie auch von dem richtigen Takt und der trefflichen Leitung Manteuffel's. Noch finden sich in den Acten des Finanzministeriums in allen Abtheilungen vielfache Spuren nicht nur des unverdrossenen Fleißes des Prinzen selbst in scheinbaren Kleinigkeiten, sondern auch von seiner treffenden Auffassung aller Vorkommnisse. Jedermann, der mit ihm in Berührung kam, erkannte schon damals den unbefangenen klaren praktischen Blick, mit dem der Prinz Verhältnisse und Gegenstände auffaßte, er fand eben auch an dem Gewöhnlichen, was man nur gar zu oft als langweilig bezeichnet, das wichtigste heraus; er schöpfte dabei aus dem Umgange mit seinen lieben Classikern der alten Welt das frische lebendige Interesse für die neue Zeit. Rom und Athen benutzte er, so zu sagen, wie einen Spiegel, in welchem ihm die Gegenwart deutlich erschien|und doch auch von einem poetischen Hauche umgeben sich darstellte. Sein Abgang aus dem Finanzcollegium, in dem er zuletzt eine Abtheilung vollständig dirigirt hatte, war ehrenvoll für ihn, wie für das Collegium; die Worte der Dankbarkeit, die der Prinz dem Collegium und insbesondere dessen seitherigem Präsidenten v. Manteuffel aussprach, sowie der freudigen Anerkennung, mit denen er zugleich den an Manteuffel's Stelle neu eintretenden Präsidenten v. Zeschau begrüßte, waren ergreifend.

    Neun Kinder entsprossen, nach nahezu fünfjährigem vergeblichen Hoffen, der glücklichen Ehe: Maria, geb. 22. Januar 1827; Albert, geb. 23. April 1828; Elisabeth, geb. 4. Februar 1830; Ernst, geb. 5. April 1831; Georg, geb. 8. August 1832; Sidonia, geb. 16. August 1834; Anna, geb. 4. Januar 1836; Margaretha, geb. 24. Mai 1840; Sophia, geb. 15. März 1845. Leider wollte das Geschick, daß von diesen neun Kindern nicht weniger als sechs in der Blüthe ihrer Jugend den glücklichen Eltern durch den Tod entrissen werden sollten. Bewundernswerth war der fromme und gottergebene Sinn, mit welchem die Eltern diese trüben Ereignisse zu tragen wußten. Da Zeigte sich eben der tief religiöse Grund beider Gatten, sie trösteten einander durch stille Ergebung in Gottes Fügungen und vergaßen nicht, dabei Gott zu danken für die seligen Stunden, die ihnen die Abgeschiedenen während ihres Lebens bereitet hatten, und für die Freude, welche ihnen durch die Ueberlebenden zu Theil geworden und die auch ferner noch zu erleben in Aussicht stand. Den Prinzen nach solchen Trauerfällen zu sehen und zu sprechen, wie es dem Verfasser dieser Zeilen möglich ward, gehört zu dem Ergreifendsten und Schönsten, was man erleben kann. —

    In dem verhängnißvollen J. 1830, mit dem des Prinzen Abgang aus dem Finanzcollegium und sein Eintritt in den Geheimen Rath, die damalige oberste Berathungsbehörde, nahezu zusammenfällt, beginnt die Zeit seines eigentlich praktischen Lebens. Ueberall sah man damals den Prinzen seinem Bruder Friedrich August, dem Prinz-Mitregenten, mit seinem praktischen und unbefangenen Blick rathend und helfend zur Seite stehen: man findet ihn an der Spitze der neu errichteten Communalgarde, die dazu bestimmt war, Ruhe und Ordnung in den unzufriedenen, aufgeregten Städten zu erhalten; man findet ihn aber auch da, wo es galt, wirklich vorhandene Schäden in den städtischen Verwaltungen aufzudecken, und weit entfernt sie irgendwie zu beschönigen, mit Entschiedenheit auf Reformen zu dringen, mißliebige und durch schlechte Verwaltung anrüchig gewordene Personen zu beseitigen und überhaupt auf Mittel zu sinnen, um die bedenklichen öffentlichen Zustände zu bessern. An der Spitze der zur Aufrechterhaltung der Ruhe niedergesetzten Commission war es der Prinz, der die neugewählten Commun-Repräsentanten, jetzt Stadtverordnete, in Dresden einführte. Wie wenig es auch der beschränkte Raum dieser Blätter gestattet, auf Details einzugehen, so wird es doch in mehrfacher Hinsicht von Interesse sein, hier den jungen Prinzen, der wenigstens in einer solchen Weise noch nicht öffentlich aufgetreten war, sprechen zu hören. Er sagte: „Im Namen und Auftrage der zu Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe verordneten Commission habe ich Ihnen feierlichst zu eröffnen, daß Sie künftigen Sonntag (31. Octbr.) als an einem für die große Mehrzahl unter Ihnen auch in anderer Hinsicht wichtigen Tag (dem Reformationsfest, welches bekanntlich in Sachsen als Fest kirchlich gefeiert wird), durch eine gottesdienstliche Handlung in Ihren neuen bedeutungsvollen Beruf eingeführt werden sollen. Mit freudiger Ueberzeugung darf ich es sagen: die Bürger und Einwohner dieser Stadt haben auch bei der Wahl ihrer Vertreter den trefflichen Geist bewährt, der sie in der verhängnißvollen Zeit ausgezeichnet hat. An Ihnen ist es jetzt, dem in Sie gesetzten Vertrauen durch Eifer für das Wohl der Stadt, durch Mäßigung und Pflichttreue zu entsprechen. Sie werden, ich hoffe es mit Zuversicht, besonders bei dem wichtigen Werke der neu zu begründenden Städteordnung, sich weder durch veraltete Vorurtheile, noch durch blinde Neuerungssucht, noch durch den Strom halbwahrer Meinungen hinreißen lassen. Sie werden dem Mißbrauche muthig entgegentreten, wo er sich auch finde, das Vertrauen zu der Obrigkeit, ohne das kein gedeihliches Wirken möglich ist, zu befestigen suchen und sich so des Beifalles der oberen Landesbehörden, des Beifalles aller Gutgesinnten und, was Ihnen mehr als alles sein muß, des Beifalles Ihres eigenen Gewissens versichern. Das ist meine Ermahnung an Sie als Vorsitzender einer Behörde, die an ihr Werk jetzt den Schlußstein zu legen glaubt, mein Wunsch, als Prinz des königlichen Hauses und meine Bitte als ein wahrhaft an Ihrem Wohle theilnehmender Mitbürger“.

    Bekanntlich stammt auch aus dieser Zeit die Verfassungsurkunde des Königreichs Sachsen vom 4. September 1831. Unbeschadet der großen Verdienste der damaligen Minister und sonstigen Staatsbeamten um diese Verfassung, darf wol behauptet werden, daß die wichtigsten folgereichsten Bestimmungen derselben dem klaren und unbefangenen Blicke des Prinzen J. zu verdanken sind, der Hand in Hand mit seinem Bruder, dem Prinzen-Mitregenten Friedrich August, muthig und fest den revolutionären Gesinnungen entgegentrat, aber ebenso muthig und fest den gemäßigten Fortschritt und die wahre Freiheit gegen die engherzigen Ansichten, die damals noch einen großen Theil der Beamtenwelt und der Aristokratie beherrschten, vertheidigte. In einer inneren Geschichte der sächsischen Verfassung wird der Name des Prinzen J. obenan stehen müssen. Sein Princip, überall an das historisch Hergebrachte möglichst anzuschließen, allgemeine, dem Volke zwar schön klingende, aber unpraktische oder wenigstens schwer ausführbare Gesetze fern zu halten und nur die bestimmte Zusicherung künftig zu erlassender, aber erst noch zu prüfender Gesetze in die Verfassungsurkunde aufzunehmen, in unbefangener und zugleich zarter Weise die seither bestandenen Vorrechte einzelner Klassen in Folge des constitutionellen Princips zu beseitigen und Mittel und Wege zu finden, Conflicte zwischen den beiden Kammern in angemessener Weise zur Erledigung zu bringen, zeigt sich allenthalben, wenn man die auf die Entstehung unserer Verfassung bezüglichen Protocolle durchgeht. Des Prinzen unbeugsame Gerechtigkeit, verbunden mit thunlichster Milde in der Form, sicherten ihm das unbedingteste Vertrauen, welches er namentlich auch als Mitglied der ersten Kammer zu einer Zeit genoß, wo unsere gesammte Gesetzgebung umgestaltet und in dessen Folge eine Menge alte Anschauungen und sogenannte Rechte beseitigt werden mußten. Was der Prinz in dieser Beziehung bei den Verhandlungen in der eisten Kammer geleistet hat, ist allbekannt: seine Referate über das damalige neue Criminalgesetzbuch, über die Patrimonialgerichtsbarkeit, über die Ehegesetzgebung, über die Judenemancipation, über die Nothwendigkeit, für unsere Kunstschätze besser als bisher zu sorgen, und über eine Menge andere, mehr oder minder wichtige Fragen des öffentlichen Rechts, sind epochemachend, und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß des Prinzen Urtheile in der Mehrzahl der Fälle maßgebend und entscheidend gewesen sind. Die gedruckt vorliegenden Landtagsacten und Mittheilungen geben darüber hinreichende Auskunft. Neben der Uebersetzung und Erklärung der Divina Commedia des Dante hat der Prinz in der Zeit bis er den Thron bestieg, aber zugleich auch eine große Menge poetischer Arbeiten geliefert, Gelegenheitsgedichte zu den verschiedensten Geburtstagen seiner Familie, kleine dramatische Arbeiten, Uebersetzungen horazischer Oden etc., auf welche er zwar selbst in seiner großen Bescheidenheit wenig Werth legte, die aber von lebendiger Auffassung, von großer Formgewandtheit|und insbesondere von dem edlen sittlichen Wesen Zeugniß geben, welches ihn durchdrungen hatte.

    Seit Gott dem Prinzen Kinder geschenkt hatte, zeigte sich derselbe der dadurch ihm auferlegten Pflichten voll bewußt; mit dem gewissenhaftesten Ernste strebte er danach, die Erziehung seiner Kinder zu leiten, und sowie er seinen Töchtern in verschiedenen Beziehungen, z. B. in den Fächern der Geschichte und Geographie, selbst Lehrer wurde, so sorgte er, daß die Söhne nicht nur gründlich unterrichtet, sondern auch wahrhaft erzogen würden, und zwar mit Rücksicht auf die verschiedenen Verhältnisse, in die ein nicht vorherzusehendes Geschick sie bringen könne. Es soll hier nicht weiter die Rede davon sein, in welchem Grade ihm dies gelungen ist. Man weiß sehr gut, daß nicht alles der Erziehung zuzuschreiben ist, daß dabei natürliche Anlagen, besondere Verhältnisse und sonstige glückliche Umstände mitwirken, um so erfreuliche Resultate herbeizuführen, aber unleugbar ist doch auch das große Verdienst des Prinzen J., daß er, unbeirrt durch vielfache Schwierigkeiten und Widersprüche selbst von maßgebender Seite, die richtigen Männer für die Ausführung seiner Anschauungen zu wühlen und diese Anschauungen selbst in so klarer geistvoller Weise mitzutheilen verstanden hat, daß die Erzieher, ohne sich gebunden zu fühlen, oder mit ihrer eigenen Ueberzeugung in Conflict zu kommen, nach denselben Zielen und auf gleicher Basis ihr Werk zu vollführen im Stande gewesen sind. „Mein Sohn“, sagt der Prinz, „soll, das wird mein ernstliches Bestreben sein, echte, feste, positive Religionsgrundfähe als Offenbarungsgläubiger haben; bis zu diesem Punkte erfordere ich die Mitwirkung seines künftigen Erziehers, auch wenn er einer anderen Consession zugethan ist“. (Bekanntlich war der Erzieher, Geheimrath v. Langenn, der evangelischen Confession zugethan.) „Mein Sohn soll aber ferner auch, ohne allen Widerwillen gegen fremde Confessionsverwandte, ganz und fest seiner Confession angehören; in dieser Beziehung erwarte ich von der Gewissenhaftigkeit eines Erziehers, daß er nicht nur selbst aller störenden Einwirkung sich enthalten, sondern auch dergleichen Störungen von anderen Seiten zu verhüten sich bemühen werde etc. Die Stellung des Erziehers dem Religionslehrer gegenüber denke ich mir dabei ungefähr, wie die des Staates zur Kirche, wie das jus circa sacra zum jus in sacra etc. In moralischer Hinsicht sind mir das Halten auf strenge Sittenreinheit und Erweckung für alles Gute, Schöne, Tüchtige und Ehrwürdige nebst Gewöhnung an Selbstbeherrschung jeder Art die ersten Erfordernisse. In politischer Hinsicht wünsche ich keinen Widerwillen gegen die bestehende Ordnung der Dinge im Vaterlande, aber ebensowenig ein Hingeben an die hohlen Theorien der Zeit, sondern ein Festhalten an den alten guten Grundsätzen, welche die bürgerlichen Einrichtungen an eine höhere Weltordnung anknüpfen. Ueberhaupt glaube ich, der Erzieher muß den ganzen Menschen unter Berücksichtigung seiner Individualität harmonisch zu entwickeln suchen, also den Geist wie den Körper, das Gemüth wie den Verstand. Zu den Studien wünsche ich meinen Sohn mit dem größten Ernste angehalten zu sehen, bin aber dabei der Ueberzeugung, daß der Zweck derselben mindestens ebenso sehr die Gewöhnung an Fleiß und Ordnung und die Uebung der geistigen Kräfte als die Erlernung der Gegenstände selbst ist. Ich würde daher jede Ueberlastung des jugendlichen Geistes mit Lehrstunden, worunter die Gesundheit des Körpers oder die Frische des Gemüths leiden könnte, nie für angemessen halten können“. Der nämliche Geist des Prinzen spricht sich auch aus in den Vorsätzen, die er faßte, als im J. 1837 sein Vater, der Prinz Max durch den Tod ihm entrissen ward, wenn er sagt: „Der Tod eines Vaters ist stets eine Begebenheit, deren Eindruck sich in gewisser Hinsicht mit keinem anderen vergleichen läßt, es ist, als ob der Mensch sich in seinen Wurzeln losgerissen fühle. Tröstlich war freilich die tiefe Frömmigkeit und reine Tugend, welche uns zu ihm als einem Heiligen aufblicken ließ“. Und nun sagt er ferner: „Ich will demüthig glauben und stets denken, daß der menschliche Verstand nicht alles begreifen kann. Ich will meine Berufspflichten erfüllen, die kleinen wie die großen, um Gottes willen. Fleiß und Treue will ich an jede Arbeit wenden, die selbst aufgegebene, wie die auferlegte. Ich will mich hüten vor der nahen Gelegenheit zu unreinen Gedanken nach besten Kräften. Ich will meine Zunge im Zaume halten, daß ich meinem Nächsten nicht schade, noch dem Hange zum Lächerlichen die Liebe opfere. Ich will besonders die Verhältnisse der mir näher Stehenden im Auge behalten und durch kein unbesonnenes Wort dieselben stören.“

    Im J. 1838 unternahm der Prinz eine Reise durch ganz Italien, nach welcher er sich schon längst, obwol seither vergeblich, gesehnt hatte; diese Reise sowol als verschiedene andere in den Jahren darauf noch folgende Ereignisse — wie des Prinzen Reise nach Wien zur Inspection des k. k. österreichischen Bundescontingentes (1841); der Tod seiner Schwiegermutter, der Königin Karoline von Baiern (1841); die unruhigen gegen den Prinzen gerichteten Auftritte einer aufgeregten Menge in Leipzig (1845); der Tod seines Sohnes Ernst (1847) — machten auf des Prinzen Gemüth einen tiefer gehenden Eindruck; er sagt darüber selbst: „Diese Zeit bildete gewissermaßen einen Abschnitt in meinem Leben und wir traten in das verhängnißvolle Jahr 1848 ein, ohne Ahnung von dem, was es uns Neues bringen werde“. Und allerdings brachte eben dieses Jahr nicht nur für den Prinzen und für Sachsen überhaupt die trübsten Tage, sondern auch für des Prinzen treuesten und wärmsten Freund, den König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., dessen Handlungen und Schicksale den Prinzen schwer bekümmerten. Die Rede, mit welcher der Prinz am Schlusse des außerordentlichen Landtags 1848 von seiner seitherigen langjährigen, ausgezeichneten ständischen Wirksamkeit Abschied nahm, ist so bedeutungsvoll, daß wir es uns nicht versagen können, sie in diese kurz gefaßte Lebensbeschreibung mit aufzunehmen: „Gestatten Sie mir in dieser ernsten feierlichen schwermüthigen Stunde, einige Worte noch an Sie zu richten, von dieser Stelle aus, wo meine Stimme so oft in Ihr Ohr geklungen und stets freundliche Aufnahme gefunden hat. Was man auch über unsere Wirksamkeit urtheilen mag, unser Gewissen sagt uns, daß wir mit ruhigem und reinem Bewußtsein aus diesem Saale scheiden können. Eingedenk unseres Eides haben wir stets bei unseren Verhandlungen das unzertrennliche Wohl des Königs und des Vaterlandes unverrückt vor Augen gehabt. Treue gegen unseren vielgeliebten und hochverehrten König, Treue gegen die beschworene Verfassung, warme Liebe für das theure Vaterland und ein hohes Gefühl für Recht, das waren stets die Leitsterne unseres Pfades; auch Opfer, die das gemeinsame Vaterland erheischte, haben wir nicht gescheut, und noch in den letzten Tagen unserer Wirksamkeit haben Viele unter uns das höchste Opfer, was der Mann bringen kann, das Opfer seiner Ueberzeugung, ernst und besonnen auf dem Altare des Vaterlandes niedergelegt. Und was soll ich sagen von den inneren Verhältnissen unserer Kammer? Freundliches, collegialisches Entgegenkommen, gegenseitiges Zutrauen, strenge und eifrige Pflichterfüllung, parlamentarischer Anstand und Takt haben stets in diesem Saale geherrscht. Das Lob müssen selbst unsere Gegner uns angedeihen lassen etc. Aber mit unserer ständischen Wirksamkeit hat unsere Wirksamkeit überhaupt nicht auch aufgehört; in den amtlichen Verhältnissen, in dem Kreise des Privatlebens, in den wir zurückkehren, wird sich noch Gelegenheit genug finden. Das, was wir waren und fest in der Brust tragen, zu bewähren, und dieser Wirkungskreis wird kein segensloser sein. Und sollte Einer von uns wieder berufen werden,|öffentlich zu wirken, gewiß, er wird die Stimme des Vaterlandes, soweit es seine Verhältnisse gestatten, nicht überhören, denn gegen das Vaterland, auch wenn es uns bisweilen mißkennt, darf der echte Vaterlandsfreund nie Groll im Herzen tragen, ihm muß er bis zum letzten Athemzuge Gut und Blut, Kraft und Fähigkeit weihen. Und gewiß, das ist Ihrer Aller Gesinnung etc.“

    Bis zur Wiederherstellung der in Folge der Ereignisse von 1848 aufgelösten Kammern, welche dem sogenannten Unverstandslandtage sich anschloß, verwendete der Prinz seine ganze Mußezeit zur Fortsetzung seiner Arbeiten über Dante, sowie zu Studien altclassischer Schriftsteller. Auch beschäftigte er sich damals noch eifrig mit Nationalökonomie und Chemie, dabei hoffend, daß er Gelegenheit haben werde, letztere Wissenschaft namentlich auf seinen Gütern Jahnishausen und Weesenstein praktisch verwerthen zu können; und es mag hierbei nur daran erinnert werden, daß die landwirthschaftlichen Vereine, denen der Prinz selbst als Vorbild dienen konnte, ihre volle Bewunderung über dessen reiche und selbst ins Detail gehende Kenntnisse der gesammten Landwirthschaft aussprechen mußten. Ueberhaupt fand sich kaum ein wissenschaftlicher Gegenstand, dem der Prinz, wenn er sich mit demselben einmal beschäftigte, nicht ein praktisches Element abzugewinnen gewußt hätte. Und wie er mit allen hervorragenderen litterarischen Erzeugnissen der Neuzeit sich vertraut zu machen suchte und sich daraus mittels seines wirklich eminenten Talentes, zu lesen und das Gelesene zu behalten, sowie seiner fast wunderbaren Geschicklichkeit die Stunden auszunutzen, binnen kurzem so viel anzueignen wußte, wozu Andere Jahre nöthig gehabt hätten, so vergaß er doch auch nie, die „alte Zeit“ mit Fleiß zu studiren und sich mit den Alterthümern zu beschäftigen, um von ihnen aus die Kulturfortschritte zur Neuzeit zu verfolgen. Daher schreibt sich auch sein besonderes Interesse und seine wirksame Thätigkeit für die deutschen und die sächsischen Alterthumsvereine, in denen noch jetzt sein Name und seine Thätigkeit hervorgehoben zu werden pflegt. Das Germanische Museum, dem er von Anfang an die größte Theilnahme widmete, nennt auch noch heute seinen Namen mit dankbarer Ehrerbietung.

    Des Prinzen älterer Bruder, König Friedrich August, starb bekanntlich am 9. August 1854. War dessen Hintritt zwar in ganz anderer Weise und in anderem Umfange von entscheidendem Einflusse auf den Prinzen, als der Tod seines Bruders Clemens im J. 1821, so verdienen doch beide Todesfälle hier gleichzeitig erwähnt zu werden. Denn wie der Tod des Bruders Clemens den Bestrebungen des Prinzen eine andere ernste Richtung gab, ihn gewissermaßen so recht ins Innere hineinführte, ihm die Nothwendigkeit nahe legte, die sorgenlose, seither der Wissenschaft und Kunst vorzugsweise gewidmete Lebensweise aufzugeben, sich zu fragen, welchem Beruf er sich eigentlich zu widmen gedenke, und somit die herrlichen Früchte wissenschaftlicher Arbeit, ernster Theilnahme an allen, den Staat mittelbar oder unmittelbar betreffenden Fragen zur Folge hatte; so war auch der Tod des älteren Bruders Friedrich August in doppelter Hinsicht für den Prinzen von tiefgehendem Einfluß. Kam es nämlich einestheils darauf an, daß der Prinz sich nicht durch die ganz plötzlich über ihn kommenden Sorgen, in Verbindung mit dem natürlichen Schmerz über den Verlust des mit ihm innigst verbundenen Bruders, erdrücken ließ, sondern seine künftige Stellung klar erfaßte und den Schmerz zu bewältigen verstand, so galt es anderentheils, daß er in allen seinen Maßnahmen um so vorsichtiger zu Werke gehen mußte, je überraschender ihm und dem ganzen Lande der Tod des Bruders gekommen und je weniger es ihm unbekannt geblieben war, daß die Liebe des Volkes zu seinem verstorbenen Bruder und das Vertrauen zu ihm ebenso fest stand, wie ein gewisses Mißtrauen, wenigstens eines Theiles des Volkes, gegen|ihn selbst; denn wenn auch des Prinzen Talent und große Gelehrsamkeit allgemein anerkannt waren, so stand er doch bei sehr Vielen im Lande in dem Geruche confessioneller Schroffheit und ultramontaner Gesinnung — eine Meinung, die man auch noch festhielt, trotzdem daß der Prinz durch die Wahl eines evangelischen Erziehers für seine Söhne und so manche andere Handlungen von dem Gegentheile den entschiedenen Beweis gegeben hatte.

    Die Nachricht von dem plötzlichen Tode des geliebten Bruders hatte auf den Prinzen und nunmehrigen König einen tiefen Eindruck gemacht; leider war aber dieser Fall gewissermaßen nur das Vorspiel der vielen und schweren Prüfungen, die ihn in der ganzen Zeit seiner Regierung bis zum Tode treffen sollten. Zwar gab diese Zeit dem König die beste Gelegenheit, seine ganze sittliche Kraft, seinen hohen Rechtlichkeitssinn, seine großartige Vaterlandsliebe und sein treues Festhalten an gegebenen Zusagen, mit einem Worte, den in ihm verkörperten sächsischen Geist der Treue, Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe unwiderleglich und offen kund zu thun; sie war aber freilich auch darauf von Einfluß, daß der jugendliche poetische Hauch, der sonst des Königs ganzes Denken und Handeln durchdrungen hatte, mehr oder weniger seine alte Kraft verlor. Der Ernst der Zeit, die mehrfachen trüben Erfahrungen im öffentlichen und die schmerzlichen Ereignisse im Familienleben hatten die Poesie und das Ideale zurückgedrängt und den König mehr als früher auf die nur allzu rauhe Wirklichkeit hingewiesen. Man findet daher auch in dieser Zeit den König weit seltener, als früher, mit poetischen Arbeiten beschäftigt; dagegen traten jetzt ernste und auf das praktische gerichtete Studien und legislatorische Arbeiten in den Vordergrund. Die gesammten staatlichen Verhältnisse erheischten in allen Zweigen der Gesetzgebung die sorgfältigste Prüfung und oft auch Vergleichungen mit den Gesetzgebungen anderer Länder. Dies und die speciellen Regierungsarbeiten ließen dem Könige kaum noch zu etwas Anderem Zeit, obwol er es liebte, den einen oder anderen Classiker in seiner unmittelbaren Nähe zu haben, um mit deren Lectüre die Zwischenzeit zwischen Vorträgen der Minister oder sonst eine freie halbe Stunde auszufüllen und den Geist gewissermaßen aufzufrischen. Außer der officiellen Bekanntmachung, durch welche das Ableben des Königs Friedrich August und sein eigener Regierungsantritt zur Kenntniß des Landes gebracht wurde, erließ der König J. noch nachstehenden von ihm selbst verfaßten Aufruf: „An Meine Sachsen! Eine unerwartete, schwere Prüfung hat uns der Allerhöchste auferlegt. Trauernd stehen wir gemeinschaftlich an dem Grabe des besten Fürsten. Mit tiefbewegtem Herzen, aber im Vertrauen auf die Hilfe des Allmächtigen und mit dem festen Vorsatze ergreife Ich die Zügel der Regierung, in seinem Sinne und Geiste fortzuwalten, in dem Geiste jener Gerechtigkeit und Milde, jener Umsicht und Festigkeit, jener treuen Liebe zu seinem Volke, die sein Andenken stets in Segen erhalten werden. Kommt auch Ihr Mir mit Vertrauen und Liebe entgegen, so wird das alte Band, das die Sachsen und seine Fürsten seit Jahrhunderten umschlingt, auch uns innig vereinen“.

    Die schleswig-holsteinische Angelegenheit, die Reorganisationsfrage der Bundesversammlung und der Krieg von 1866 wurden für den König die Quelle vielfacher geistiger sowol als gemächlicher und selbst körperlicher Aufregung und Erschütterung. Mit dem dabei von den beiden Großmächten Preußen und Oesterreich eingeschlagenen Verfahren konnte er seine Ueberzeugung nicht in Einklang bringen. Insonderheit stand der Ausgang der schleswig-holsteinischen Frage mit seiner juristischen Ueberzeugung, zu der er nach den umfänglichsten Studien gelangt war, daß nämlich unter gewissen Modificationen der Herzog Friedrich von Augustenburg zur Uebernahme der Regierung des Landes berechtigt sei, durchaus in Widerspruch. Es ist hier nicht der Ort, näher auf|diese Angelegenheit einzugehen. Jedenfalls muß aber erwähnt werden, daß der König seine Ansicht über die Rechtsfragen, welcher ja eine Zeit lang selbst Preußen beigetreten war, bis ans Ende festgehalten hat, und darin zwar durch die Macht der Verhältnisse, aber nicht durch staatswissenschaftliche und rechtliche Gründe widerlegt worden ist. Einen Beweis davon, wie der König seine Ueberzeugung den gegebenen Verhältnissen unterzuordnen wußte, gab er damals, als am 7. December 1863 der Bundestag Beschluß faßte, die Exekution Schleswig-Holsteins den Sachsen mit zu übertragen, späterhin aber Sachsen ersuchte, seine Truppen zurückzuziehen. Obwol dies mit der Auffassung des Königs sowol als den früheren Erklärungen des Bundestages in Widerspruch stand, so ordnete er doch unverzüglich, weil er dem Bundestage Treue und Gehorsam schuldig war, den Rückzug seiner Truppen an. In einer noch wichtigeren Angelegenheit trat der König mitwirkend auf. Die fort und fort sich kund gebende Feindschaft zwischen Preußen und Oesterreich, die immer fester sich gründende Ueberzeugung, daß ein Krieg bevorstehe, bei welchem Sachsen seiner politischen und geographischen Lage wegen in große Verlegenheiten kommen mußte, die mannigfachen früheren Erfahrungen, wie sehr Preußen einer Annexion Sachsens zugeneigt sei, ließ es als unerläßlich erscheinen, die Stände des Landes zusammenzuberufen, um ihnen die Sachlage darzulegen und sie aufzufordern, die etwa erforderlichen Mittel zu gewähren. Die Ansichten, von denen der König bei Beurtheilung der Sachlage nach den in der schleswig-holsteinischen Sache gemachten Erfahrungen ausging, hat er damals in verschiedenen Aufsätzen, um sich selbst ganz klar zu werden, niedergeschrieben. Sie gingen im wesentlichen dahin: es müsse der in den J. 1814 und 1815 durch die europäischen Mächte neu begründete Rechtszustand aufrecht erhalten werden, es müßten die Völker darnach streben, nationale Staatengebilde auf der Grundlage constitutioneller Verfassungen herzustellen, man müsse die Basis festhalten, wie einerseits keine Territorialvergrößerungen zu begehren, so auch andererseits keine Umsturzversuche im Innern zu dulden, sondern überall die Principien gesetzlicher Freiheit festzuhalten. Gewiß sei dieses Streben — war des Königs Ansicht — an sich als ein preiswürdiges zu betrachten, aber es sei auch nicht in Abrede zu stellen, daß insofern ein unrichtiger Weg eingeschlagen worden, als man, neben der Erhaltung der äußeren Ruhe, dem wahren Bedürfniß der Völker, ebenso wie dem berechtigten Fortschritte zu wenig Rechnung getragen, reformatorische Maßregeln mit revolutionären verwechselt und die Regierungen selbst da in Schutz genommen habe, wo weder die gesunde Politik, noch das Recht auf ihrer Seite gestanden. Dies war insbesondere auch in Deutschland der Fall. Für die äußere Ordnung ward zwar durch das Zusammenhalten Preußens und Oesterreichs in dem freilich etwas lockeren Bunde gesorgt, aber es ward weder auf die Fortbildung und Befestigung des Bundes, noch auf die Ausführung des größten Theiles der in der Bundesacte angekündigten Verbesserungen Bedacht genommen, sondern nur einseitig dynastische Politik getrieben. Es werden dann im weiteren Verlaufe der Niederschrift des Königs die Revolution in Frankreich 1830 und der belgische Aufstand erwähnt und theilweise geschildert, es wird der großartigen Schöpfung des Zollvereins gedacht, aber im Gegensatz dazu hervorgehoben, daß dadurch die obgedachte einseitige Richtung nicht verlassen, vielmehr das constitutionelle Princip in Preußen und Oesterreich zurückgewiesen, dagegen nur in einigen Mittelstaaten und kleineren Staaten angenommen worden sei. Der König sucht ferner nachzuweisen, wie auf solche Weise die Februarrevolution in Deutschland reichen Stoff gefunden und wie endlich selbst die bekannten Dresdener Conferenzen nur dahin geführt haben, daß man allseitig genöthigt gewesen sei, auf die alte Bundesverfassung zurückzugreifen. Er erwähnt dann noch kurz die|zwischen Preußen und Oesterreich entstandene Mißstimmung, schildert die Entstehung der Idee des Majorisirens in Preußen, den Vorschlag zur Revision der Bundesverfassung in einer nicht auf Umsturz, sondern auf Fortbildung derselben berechneten Weise, stellt die mannigfachen Bedenken auf, die auf der einen oder anderen Seite gegen einen Reorganisationsvorschlag sich erheben würden, und schließt mit dem Gedanken: man müsse vor der Hand auf alle möglichen Gesichtspunkte, die bei der Erneuerung der Verfassung des Bundes in Betracht kommen könnten, aufmerksam machen, bis die Angelegenheit zu einem ministeriellen oder Fürstencongreß reif sei. Ueberall tritt in diesen Bemerkungen des Königs strenges Rechtsgefühl, sowie seine Gewissenhaftigkeit den Bundespflichten gegenüber in den Vordergrund, ebenso wie es sein vor allen dringender Wunsch ist, wirklich berechtigten Forderungen des Volkes entgegenzukommen, damit, wie er selbst sagt, das Volk sich überzeuge, es sei den Regierungen Ernst, das Versprochene zu halten.

    Im J. 1863 wurde der Frankfurter Fürstentag abgehalten. Es ist bekannt, daß der König keine Anstrengung und Mühe scheute, einen günstigen Erfolg desselben herbeizuführen, es ist aber auch bekannt, welche, durch menschliche Kraft wol kaum zu bewältigende Hindernisse sich ihm dabei entgegenstellten; mit Recht konnte der König am Schlusse sagen,: „Ich habe Meine Pflicht gethan und muß nun dem Allmächtigen das Weitere anheimstellen, aber Meine Bundestreue will Ich halten“. Daß den König seine wahrheitsliebende Treue in den sogenannten deutschen Krieg verwickelte, hat ihn freilich tief geschmerzt, aber erhebend war für ihn doch dabei die Anerkennung, die selbst der damalige Feind ihm und seinen Truppen zollte, sowie vor allem die treue Anhänglichkeit seines Volkes an sein Haus. Sein Innerstes enthüllte der König in der Thronrede, mit der er am 28. Mai 1866 den im Angesicht des drohenden Krieges nothwendig gewordenen außerordentlichen Landtag eröffnete, wo er sagt: „In einer verhängnißvollen Zeit habe Ich Sie heute um Mich versammelt, wo Verwickelungen zwischen den deutschen Großmächten Deutschland mit einem blutigen inneren Kampfe bedrohen. Es konnte nicht Aufgabe der dabei unbetheiligten Staaten Deutschlands sein, für einen der streitenden Theile Partei nehmend, mit demselben Verbindungen einzugehen, sondern nur auf Erhaltung des bundesverfassungsmäßigen Landfriedens hinzuwirken, und die Streitfragen auf bundesrechtlichem Wege der Entscheidung zuzuführen. Dieser Aufgabe, die noch jetzt das Ziel Meines Strebens bleibt, habe Ich Mich in Vereinigung mit mehreren Meiner deutschen Mitverbündeten, Baiern an der Spitze, nach Kräften zu unterziehen gesucht. Dazu war es aber unerläßlich, einige Vorkehrungen zu treffen, um unsere Wehrkraft unversehrt dem Bunde zur Verfügung stellen zu können. Wegen dieser Vorkehrungen mit militärischen Maßregeln bedroht, habe Ich den Bund in versöhnlichem und friedlichem Sinne um seine Vermittelung angegangen, aber nunmehr auch zugleich Mein Heer unter die Waffen gerufen, um von keinem unvorhergesehenen Angriffe überrascht werden zu können; denn auch der Mindermächtige würde sich entehren, wenn er unberechtigten Drohungen nicht mit männlichem Muthe entgegenträte etc. Meiner oft bethätigten Ueberzeugung gemäß werde Ich auch mit Freuden bereit sein, zu einer dem wahren Bedürfnisse Deutschlands entsprechenden, auf dem Wege des Rechts und unter Theilnahme von Vertretern der Nation ins Leben zu rufenden Reform der Bundesverfassung die Hand zu bieten. Das Zustandekommen eines solchen Werkes, für das auch gegenseitige Opfer nicht zu scheuen sind, wird uns am besten gegen die Rückkehr so trauriger Verhältnisse schützen etc.“

    Als nun aber trotzdem und unmittelbar nach Schluß des Landtags am 15. Juni Preußen gegen Sachsen den Krieg erklärte, verkündete der König, man|darf wol sagen, mit edlem Zorne seinen treuen Sachsen Folgendes: „Ein ungerechtfertigter Angriff nöthigt Mich, die Waffen zu ergreifen. Sachsen! Weil wir treu zur Sache des Rechts eines Bruderstammes standen, weil wir festhielten an dem Bande, welches das große Deutsche Vaterland umschlingt, weil wir bundeswidrigen Forderungen uns nicht fügten, werden wir feindlich behandelt etc. Bin Ich auch für den Augenblick genöthigt, der Uebermacht zu weichen und Mich von Euch zu trennen, so bleibe Ich doch in der Mitte Meines tapferen Heeres, wo Ich Mich immer noch in Sachsen fühlen werde, und hoffe, wenn der Himmel unsere Waffen segnet, bald zu Euch zurückzukehren etc. Mit Gott für das Recht! Das sei unser Wahlspruch!“

    Ehe der König an der Spitze seiner Armee das Land verließ, hatte er noch durch Einsetzung einer besonderen Commission dafür gesorgt, daß, unbeschadet der Wirksamkeit der einzelnen Ministerien, die Regierungsgewalt in seinem Namen ausgeübt würde, und es war dieser ganz von des Königs eigener Initiative ausgegangenen Maßregel vorzugsweise zu danken, daß auch während der Occupation des Landes durch den damaligen Feind die Regierungsangelegenheiten ihren ungestörten Fortgang hatten, so daß selbst dem Feind die Sicherheit und Ruhe des Geschäftsganges, die Treue und Unbeugsamkeit der Behörden und das Vertrauen des Volkes auf König und Regierung Respect einflößte und ihn von eigentlichen feindseligen Maßregeln, insofern sie nicht der nothwendige Ausfluß des Kriegszustandes waren, abhielt.

    Als der König am 26. October 1866 zurückkam, rief er seinen Sachsen zu: „Nach langer schmerzlicher Trennung, nach einer verhängnißvollen Zeit, kehre Ich heute in Euere Mitte zurück. Ich weiß, was Ihr erlitten und getragen habt, und habe es mit Euch im tiefsten Herzen gefühlt. Ich weiß aber auch, mit welcher festen Treue Ihr unter allen Prüfungen zu Euerem angestammten Fürsten gestanden seid. Dieser Gedanke war, nächst dem Vertrauen auf Gott, Mein bester Trost in den Stunden der Trübsal, die der unerforschliche Rath der Vorsehung über Mich und Euch geschickt hat, er giebt Mir neuen Muth, mein schweres Tagewerk wieder zu beginnen etc. Mit derselben Treue, mit der Ich zu dem alten Bunde gestanden bin, werde Ich auch an der neuen Verbindung, in die Ich jetzt getreten, halten und, soweit es in Meinen Kräften steht, Alles anwenden, um dieselbe, wie für unser engeres, so auch für unser weiteres Vaterland möglichst segensreich werden zu lassen.“ Je fester der König nach Beendigung des deutschen Krieges auf einen dauernden Frieden gehofft hatte, desto mächtiger ward er von dem deutsch-französischen Kriege ergriffen. Die ganze politische Lage der Dinge und die persönlichen Interessen an dem Kriege, an welchem seine tapfere Armee und an ihrer Spitze seine Söhne Theil nahmen, erfüllten ihn durch und durch. Mitten in solcher ernsten Zeit vergaß er aber ebenso wenig, wie in den derselben vorangegangenen Jahren, wo sein Blick durch die vorher erwähnten Ereignisse vielfach nach außen gelenkt worden war, seiner Pflicht, auch die inneren Angelegenheiten des Landes mit sorgsamem Auge zu verfolgen, und versäumte insbesondere nicht, den Bildungsanstalten und vor allen der Landesuniversität seine volle Aufmerksamkeit zu widmen; hatte er ja die Universität, der er, schon im Vorgefühl seines zum Tode führenden Leidens, noch im J. 1872 einen längeren Besuch abgestattet, von jeher vorzüglich geliebt, ja als die schönste Perle in seiner Krone bezeichnet. Mit freudigem Herzen schloß er sich dem allseitig geäußerten Wunsche an, in dem Könige von Preußen den Deutschen Kaiser anzuerkennen, und gab seiner Freude noch besonders dadurch Ausdruck, daß er durch einen eigenen Abgesandten dem Kaiser, der noch in Versailles weilte, die Decoration seines Heinrichsordens — des ersten militärischen Ordens Sachsens — in besonderer Weise nach genauer Vorschrift für den Kaiser decorirt und also als einziges Exemplar, überreichen ließ, eine Auszeichnung, die von dem Deutschen Kaiser mit herzlichem Dank und in wohlwollendster Weise anerkannt wurde. Im J. 1872 genoß der König noch das seltene Glück, sein goldenes Ehejubiläum am 10. November unter Theilnahme fast aller Fürsten und in wahrhaft erhebender, die ganze Liebe des Volkes deutlich kund gebender Freudigkeit zu begehen.

    Ein Herzübel, das sich schon seit längerer Zeit vorbereitet hatte, veranlaßte den König, als es sich fühlbarer machte, in demselben Jahre zu einem längeren Aufenthalt in Riva am Gardasee, sowie im Jahr darauf zu einer Badereise nach Ems, von welcher letzterer er aber ohne nennenswerthen Erfolg zurückkehrte; vielmehr sah er sich nach seiner Zurückkunft von schwereren Leiden, die er allerdings als echter Christ mit frommer Ergebung zu ertragen wußte, hart bedrängt und endlich an das Zimmer und Lager gefesselt. Aber auch während seiner Krankheit beschäftigte er sich nicht nur mit der Reichsgesetzgebung und mit den mannigfachen Versuchen, die Reichsverfassung weiter zu entwickeln, sondern fuhr auch in der gewohnten Weise fort, die für die Vorlage an die Stände bearbeiteten Gesetzgebungsgegenstände den sorgfältigsten Prüfungen zu unterwerfen und seine eingehenden und treffenden Bemerkungen hinzuzufügen. Er hatte ja bei seinen früheren und späteren oft wiederholten Reisen im Lande das Leben und die Bedürfnisse der Gemeinden kennen gelernt, und sich einen praktischen Blick angeeignet, mit welchem er insbesondere auch die neuen Versuche, die Gemeinden durch Uebertragung einer größeren Selbstverwaltung an größere Selbständigkeit zu gewöhnen, prüfte; und es ist wesentlich seiner Weisheit mit zu verdanken, daß gerade in Sachsen das viel verschrieene und vielgepriesene Selfgovernment gar trefflich sich bewährte, weil dabei das rechte Maß gehalten worden ist. Selbst die theilweise erfolgte Trennung der Schule von der Kirche, die eigentlich seinen Ansichten widerstrebte, hatte er so zu gestalten gewußt, daß die von manchen Seiten geltend gemachten Nachtheile durch die Vortheile offenbar überwogen worden waren.

    Am 29. October 1873 erlöste ein sanfter Tod den Unvergeßlichen von seinen Leiden. Seine Gemahlin, die Königin, die ihn mit treuer Liebe und nicht von seinem Lager weichend gepflegt, seine geliebte Tochter, die Herzogin von Genua, sein Sohn Albert, der Erbe seines Thrones und seines edlen Sinnes, und sein zweiter Sohn Georg, der Führer des 12. Armeecorps, betrauerten mit dem gesammten Volke den Heimgang des geliebten Gatten, Vaters und Königs; aber auch die Fürsten Deutschlands insgesammt, der Kaiser an der Spitze, thaten es kund, daß sie wußten, was sie an diesem Fürsten gehabt und verloren hatten.

  • Author

    v. Falkenstein.
  • Citation

    Falkenstein, von, "Johann I." in: Allgemeine Deutsche Biographie 14 (1881), S. 387-399 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118712322.html#adbcontent

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