Lebensdaten
1795 – 1877
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
preußischer Politiker ; Appellationsgerichtspräsident
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118690787 | OGND | VIAF: 74647355
Namensvarianten
  • Gerlach, Ernst Ludwig von
  • Gerlach, Ludwig von
  • Gerlach, Ernst Ludwig von
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Gerlach, Ludwig von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118690787.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    B Leopold (s. 1), Otto (s. 3);
    1) Trieglaff Auguste (1802–26), T d. Heinr. v. Oertzen, auf Trieglaff, Landrat, 2) Berlin 1828 Luise (1805–58), T d. Henning v. Blanckenburg, auf Zimmerhausen, u. d. Wilhelmine v. Mellin; Schwager Adolf v. Thadden ( 1882), auf Trieglaff, preuß. Politiker; kinderlos;
    N Moritz v. Blanckenburg ( 1888), Pol. (s. NDB II).

  • Biographie

    G. hatte denselben Bildungsweg wie seine älteren Brüder. Mit 15 Jahren 1810 in Berlin immatrikuliert, ging er 1811 nach Göttingen und 1812 nach Heidelberg, um Jura zu studieren neben klassischer und neuerer Literatur. Sieveking, Neander, Thorbecke, Brentano waren dort sein engster Umgang; letzterer ist sein Rivale im Ringen um Luise Hensel, die Dichterin geistlicher Lieder, geworden. Im Yorkschen Corps machte G. die Befreiungskriege mit, wurde dreimal verwundet und erhielt das EK. Für den Feldzug 1815 wurde er dem Blücherschen Hauptquartier zugeteilt und hatte täglichen Umgang mit Blücher, Gneisenau, Müffling, Pfuel und so weiter. Weitere Stationen seines Lebens sind „Maikäferei“, Jahns Turner, dann unter Einfluß A. von Thaddens, seines späteren Schwagers, die neupietistische Erweckungsbewegung. G. ist wohl die markanteste Erscheinung jener christlichen Jugendbewegung nach den Befreiungskriegen, der die Romantik und Schleiermacher nicht mehr gläubig genug waren und die darum im preußischen Neupietismus zur Idee der christlichen Bruderschaft vorstieß und sie auch lebensmäßig bewährte. Seltsamerweise hat der Impuls der Erweckungsbewegung ihn und manchen seiner Freunde in die Politik geführt, wo sie aber „von Individuellen zur Basileia, vom Pietismus zum Kirchentum“ vorstießen und endlich einen ganz hierarchisch-orthodoxen Kirchenbegriff vertraten. So fand er sich 1828 mit dem orthodoxen Lutheraner A. W. Hengstenberg bei der Gründung der Evangelischen Kirchenzeitung. 7 Jahre später schreibt er im Rückblick: „1819 und die folgenden Jahre wollten wir das Christentum herrnhutisch haben, in der stillen Kammer, unbekümmert um die, welche draußen sind. Jetzt soll das christliche Bewußtsein Kirche und Staat umfassen“. Mit F. J. Stahl vertrat er später die Forderung des „Christlichen Staates“, der „Reich und Staat aus Gottes Schöpfung und Geboten“ sein soll.

    G.s äußere Berufslaufbahn war inzwischen über diese Etappen gegangen: 1820 Assessor beim Oberlandesgericht zu Naumburg, 1829 Landesgerichtsdirektor in Halle, 1834 Nachfolger seines Bruders als Oberlandesgerichtspräsident in Frankfurt/Oder. 1842 wurde er zum Mitglied des Staatsrates ernannt und in die Savignysche Gesetzgebungskommission berufen, wo er außer Abgabe von Gutachten über das geplante Pressegericht Referent für die Reform des Ehescheidungsrechtes wurde. 1844 wurde der angesehene, wegen seiner Objektivität und unbeugsamen Gerechtigkeit auch bei politischen Gegnern beliebte Jurist Präsident des Oberlandes- und Appellationsgerichtes in Magdeburg, bis er 1874 wegen Beleidigung Bismarcks in seiner letzten Schrift „Die Civilehe und der Reichskanzler“ zu einer Geldstrafe verurteilt wurde und auf sein Ansuchen sang- und klanglos den Abschied erhielt.

    Die politischen Interessen G.s erwachten früh; stets aber hat er sich mehr als Mann der Kirche, deren politischen Öffentlichkeitsanspruch er vertrat, denn als Mann des Staates gefühlt, da sein ganzes politisches Denken durch ein institutionell-theokratisch verstandenes Christentum formiert wurde. Er erkannte daher zeitlebens auch in der von Interessen bestimmten Tagespolitik kein anderes Handeln als das nach der Idee und dem Gesetz des Gewissens an. Deshalb schwebte ihm vor, der „Christliche Staat“ solle mit der Kirche zusammen an der Formung des Gottesreiches arbeiten; in Konfliktsituationen hat er wegen ihres höheren Ranges die Freiheit der Kirche vom Staat und seinem drohenden Omnipotenzanspruch verfochten. Ebenso geht seine ökumenische Tendenz, Protestanten und Katholiken zu einer gemeinsamen konservativen Politik zu vereinigen, bis in seine Anfänge zurück. Nach dem Scheitern des unter diesem Aspekt gegründeten Berliner Politischen Wochenblatts am Kölner Kirchenstreit hat er derartige Versuche immer wieder unternommen (zum Beispiel Erfurter Konferenz 1860), bis er sich 1873 als bewußter Protestant von der Zentrumspartei (ohne ihr anzugehören) in den Preußischen Landtag und 1877 in den Reichstag wählen ließ, um diese ökumenische Position lebensmäßig zu realisieren. Nur die wenigsten seiner alten Freunde haben diesen Schritt noch verstehen können, der aber in der Situation des beginnenden Kulturkampfes nur mutig und konsequent war. Seine kirchenpolitische Leitlinie hat er einmal 1862 dem Historiker H. Leo gegenüber schön so formuliert: „Es ist ganz richtig, daß Evangelische Katholizität der Spezialberuf Preußens ist … Gerade indem man den Konfessionen Gerechtigkeit widerfahren läßt, neutralisiert und tilgt man ihre Einseitigkeit und Kraßheit. Dasselbe gilt von den Römern. Man muß den Lutheranern und Römern ihre Beschwerden, die sie so sehr lieb haben, zum Teil leidenschaftlich lieb, nehmen durch Gerechtigkeit; das ist der Weg zur Evangelischen Katholizität. Preußen akzentuiert die Konfessionen nicht, sondern erlaubt ihnen, sich zu akzentuieren“.

    Politisch ist G.s Bedeutung an die von ihm betriebene Gründung der Konservativen Partei Preußens und ihres Organs der „Neuen Preußischen Zeitung“ oder „Kreuz-Zeitung“ im Jahre 1848 geknüpft, deren „Rundschauer“ er durch viele Jahre (erst monatlich, dann vierteljährlich) gewesen ist. Hier hat er persönlichen Mut, sammelnde Kraft und organisatorisches Talent bewiesen, als es ihm galt, die konservativen Ideale seines Lebens zu fundamentieren und der Revolution die „Reaktion“ entgegenzusetzen. Seine praktische Einflußnahme auf die Politik ist meist über seinen Bruder Leopold erfolgt, mit dem er in allen wesentlichen Fragen konform ging. Als Haupt der äußersten Rechten und als Fraktionsführer in den Kammern (1849 Erste Kammer, 1850 Unionsparlament, 1851-58 Abgeordnetenhaus) ist es G. jedoch nicht gelungen, Konservative Partei und Regierung zu gemeinsamer Aktion zusammenzuführen, obwohl sein faktischer Einfluß zeitweise stärker war als der Manteuffels, zu dessen „Bürokratismus“ er kritisch stand. Die „kleine, aber mächtige Partei“ hat ihre Stärke nie voll ausgenutzt. Aus dem Empfinden, keine Kompromisse schließen zu können, hat G. sich der Verantwortung eines Ministeramtes stets entzogen, obwohl er bei geplanten Regierungsumbildungen mehrfach als Justizminister, Außenminister und einmal sogar als Ministerpräsident vorgesehen war. In der Außenpolitik fand seine dauernde heftige Polemik gegen Napoleon III. nicht immer den Beifall von König und Kabinett.

    Über Preußen hinaus hat er auf Verfassungsrevisionen in Hamburg und Anhalt im konservativen Sinne eingewirkt. Mit Beginn der Neuen Ära erlosch sein Einfluß, der ganz an die Regierung Friedrich Wilhelms IV. und an die Stellung seines Bruders gebunden war. Während der Konfliktzeit hat Bismarck sich auf G.s juristisches Gutachten gestützt, das zur Verschärfung des Konflikts mit den Liberalen beitrug. Der Krieg gegen Dänemark als Ausdruck des Verzichtes auf eine wirkliche Rechtslösung wurde ihm eine „große Gewissenserprobung“. Bei der Entwicklung der österreichischen Frage schieden sich seine Wege endgültig von denen Bismarcks. Der Krieg von 1866 erschien ihm als gegen den Sinn der deutschen Geschichte geführt und als Verrat an der Idee der Heiligen Allianz; durch die Annexion von Hannover, Nassau, Frankfurt und Kurhessen war für ihn die Streitfrage der Herzogtümer ganz in den Schatten gestellt. Mit der Annexionspolitik habe Bismarck gegen die 10 Gebote verstoßen und pseudopatriotische Gesinnungen in Preußen künstlich hochgepeitscht.

    So sehr der deutsch-französische Krieg und Napoleons, der „inkarnierten Revolution“, Sturz in sein Weltbild paßten, hat G. doch auch diesen großen Triumph am Ende negativ bewertet: Die Reichsgründung sei erkauft worden mit dem Ausschluß Österreichs aus Deutschland nach erfolgtem Bruderkampf. Mehr als ein Viertel deutschen Ländergebiets sei für das übrige Deutschland nunmehr staats- und völkerrechtlich Ausland geworden. Österreich werde zwangsläufig slawisiert und magyarisiert werden. Der Deutsche Bund sei durch widerrechtliche Sprengung geheiligter Vertragsverhältnisse zertrümmert worden. Die Krone habe durch die widerrechtliche Annexion fremden Besitztums ihre eigene Rechtsgrundlage untergraben. Die neue Bismarcksche Reichsverfassung beurteilte er füglich als eine bonapartistische Willkürschöpfung und den Kulturkampf, mit dem die politische Geschichte des 2. Reiches beginnen sollte, als folgerichtigen Ausdruck der Bismarckschen Zerstörung der auf die Rechtsidee bauenden konservativen Staatsgesinnung. Der Evangelischen Kirche moralische Zerrüttung sah er als Folge ihrer charakterlosen|Unterwerfung unter die Kulturkampfgesetze herannahen. – Den besorgten Vorwurf seines Jugendfreundes A. von Thadden, daß er sich mit solch kompromißloser Kritik doch ganz abseits in den Kassandrawinkel stelle, nahm er auf, obschon Kassandra eine „Heidin“ gewesen sei, indem er trübe bemerkte: „Sie weissagte bekanntlich richtig“.

    Da G. mit der Verschärfung des Kulturkampfes zufolge des Bündnisses Bismarcks mit den Nationalliberalen in seiner alten Partei keine Möglichkeiten mehr für eine echte „Politik aus dem Glauben“ sah – schon 1866 hatte er mit ihr und der Kreuz-Zeitung gebrochen –, trat er trotz mancher Kritik am demokratischen Klerikalismus zur katholischen Zentrumspartei über. Bismarck rechnete in seiner Landtagsrede vom 17.12.1873 mit dem alten Lehrmeister und Paten seines Sohnes Herbert („Onkel Ludwig“) ab und höhnte: „Da besitzt er nun endlich eine isolierte Säule, auf der kein anderer neben ihm Platz hat und wo er ganz sicher ist, die Unannehmlichkeit nicht zu erleben, daß jemand mit ihm gleicher Meinung ist“.

    G. als Gesamterscheinung wirkt in der Tat als „Doktrinär“ und als ein „Fanatiker des Prinzips“, der seine Weltanschauung letztlich nicht in die politische Praxis übersetzen konnte. Er hat seine weltanschaulichen Prinzipien auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens anzuwenden versucht und oft auch treffsichere Formulierungen gefunden. Den Nationalismus hat er mit Emphase abgelehnt, weil er an der älteren Reichsidee orientiert blieb und Deutschland in der Mannigfaltigkeit von Einzelstaaten nach ständischer Gliederung erhalten sehen wollte. Den negativen Freiheits- und abstrakten Gleichheitsglauben des Liberalismus hat er verworfen, weil er stets auf eine potenzierte Bürokratie hinauslaufen würde. Für die großen Wahrheiten des Liberalismus: Gewaltenteilung, Repräsentation, Pressefreiheit und so weiter ist er aber immer wieder als „positive christlich-germanische Freiheiten“ eingetreten, konkret zum Beispiel für die Gewissensfreiheit kirchlicher Dissenters wie der separierten Lutheraner, als sich keine liberale Stimme zu ihren Gunsten erhob. – Die Verfassung von 1850 hat er nach anfänglichen Reservationen letztlich bejaht.

    In der sozialen Frage war G. gegen jeden sozialen Eigennutz und gegen die Einmischung von Interessentengesichtspunkten in die Politik. So wandte er sich April 1858 bei der Behandlung der Zuckerrübenfrage im Landtag ohne Rücksicht auf seinen agrarischen pommerischen Wahlkreis gegen den Interessentenstandpunkt mit den Worten: „Der Junker wolle sich hier eine Sauce bereiten aus Schnaps und Konstitutionalismus“. Die Rede bezeichnete er selber in der Kreuz-Zeitung (9.4.1858) als seinen politischen „Grabgesang“; er wurde dann auch nicht wiedergewählt. Die Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen haben ihn aber immer nur weltanschaulich interessiert, soweit sie Betätigungsfelder christlicher Ethik sind. Die Eigenständigkeit der sozialen Probleme sah er überhaupt nicht, während die jüngere Generation der Sozialkonservativen unter Herrman Wagener bereits von den faktischen Veränderungen der Sozialstruktur im 19. Jahrhundert ihren Ausgang nahmen. Charakteristisch für G. ist sein stark ausgeprägtes Rechtsgefühl, das ihn gegen Bismarcks „Realpolitik“ protestieren ließ, „die sich losgemacht [habe] von den Geboten Gottes als der Quelle allen Rechtes und von der Wurzel des Staates“ (Annexionen, S. 3). Nur ein auf die Gebote Gottes gebauter „Christlicher Staat“ könne Gerechtigkeit und Freiheit garantieren, weshalb er gegen jeden Versuch protestierte, „das Königreich Gottes hinauszuverweisen aus dieser Welt nach jenseits der Wolken“ (Das neue Deutsche Reich, 1872, S. 16). Daher geißelte er die Interessenpolitik, die „selfish pettiness“ der Konservativen, die den Liberalen an Idealismus unterlegen wären. Schon im Revolutionsjahr 1848 rief er seinen Parteigängern zu: „Wir sollten der Revolution immer mit Rechtsideen, nie mit bloßen Ordnungs- und Sicherheitstendenzen entgegentreten“ (Kreuzzeitungsrundschau Oktober 1848). Die Konservativen sollen „eine Partei für das Recht, aber nicht für den Geldbeutel“ sein (Aufzeichnungen II, S. 174). Da ihm aber Rechtsordnung mit ständischer Gesellschaftsgliederung zusammenfiel, während sich die bürgerliche Gesellschaft des mittleren 19. Jahrhunderts bereits eindeutig nach Erwerbsarten und Besitzverhältnissen gliederte, mußte er in einen hoffnungslosen Widerspruch zum Zeitgeist geraten, der ihn auf die Dauer politisch unfruchtbar werden ließ.

    Alles in allem war G. ein weniger historisch als systematisch orientierter Geist, jedoch kein Mann der objektiven Wissenschaft; dazu war sein Hang zur Überspitzung und Konsequenzmacherei zu stark, schwelgte er doch förmlich in der Freude an gut formulierten Paradoxien. Im letzten muß er wohl als systematischer Theokrat gesehen werden, seines Zeichens wohl der einzige in der modernen Geschichte. Er glaubte an das Reich Gottes und betrachtete es als ein politisches System; er sah auf das Treiben des Tages und hielt ihm die ewigen Forderungen Gottes entgegen – als politische Parolen. Nur von dieser Erkenntnis aus erschließt sich|das Verständnis des Mannes und seines Wirkens. Jede nur politisch-historische Kritik versagt demgegenüber, weil es ihm um Metapolitisches ging, um etwas, das mehr als Geschichte ist.

  • Werke

    Aufzeichnungen aus s. Leben u. Wirken 1795-1877, 2 Bde., hrsg. v. Jak. v. Gerlach, 1903 (P; Edition ganz willkürlich u. unzulänglich ;
    sie wird demnächst ersetzt durch d. v. H. Diwald besorgte u. kommentierte Ed. d. Hist. Komm. b. d. Bayer. Ak. d. Wiss. „Tagebücher L. v. G.s 1848-66 u. Briefe an ihn“);
    Die pol. Rundschauen d. Kreuz-Ztg. 1848–56, 8 Bde.;
    Altersbriefe E. L. v. G.s an Adolf v. Thadden u. Mor. v. Blanckenburg, ed. G. Ritter, in: Dt. Revue 36, 1911;
    Napoleon III. 1859 (f. d. Kreuz-Ztg. bestimmte ungedr. Abhh. L. v. G.s nebst Briefen u. Tagebüchern Leopold v. G.s 1859-60), ed. H.-J. Schoeps, in: Zs. f. Rel.- u. Geistesgesch. 2, 1949/50, H. 2;
    H. W. J. Thiersch u. E. L. v. G., ebd. 8, 1956, H. 1 (mit Kommentar v. F. W. Kantzenbach);
    E. L. v. G. u. M. A. v. Bethmann-Hollweg, 2 Juristen u. Laientheologen in innerer Auseinandersetzung, ebd. 9, 1957, H. 3 (mit Kommentar v. dems.);
    L. v. G. u. C. F. v. Savigny, Briefe üb. Ehescheidungsrechtsreform, ed. H. Liermann u. H.-J. Schoeps, in: Nachrr. d. Ak. d. Wiss. Göttingen, Phil.-Hist. Kl., 1961, Nr. 14;
    37 weitere Broschüren, Jahresprogramme u. Sonderdrucke sowie 95 Zss.aufsätze sind bibliogr. nachgewiesen b. H.-J. Schoeps, Das Andere Preußen, ²1957, S. 353-59.

  • Literatur

    L (s. a. L z. Gesamtartikel) E. Jedele, Die kirchenpol. Anschauungen E. L. v. G.s, Diss. Tübingen 1910;
    M. Hesse, Die pol. Haltung L. v. G.s unter Bismarcks Min., 1862–77, Diss. Marburg 1912;
    G. Ritter, Die preuß. Konservativen u. Bismarcks dt. Pol. 1858–76, 1913;
    M. Wildgrube, Die pol. Theorien L. v. G.s, Diss. Heidelberg 1914;
    H. Rupprich, Brentano, Luise Hensel u. L. v. G., 1927;
    A. v. Martin, Autorität u. Freiheit in d. Gedankenwelt E. L. v. G.s, in: Archiv f. Kulturgesch., 1930;
    H. Herzfeld, in: Mitteldt. Lb. V, 1930, S. 275-97 (L, P);
    G. Kramer, Die Stellung d. Präs. L. v. G. z. pol. Katholizismus, Diss. Breslau 1931;
    H. Witte, Die pomm. Konservativen, 1936;
    ders., Vom Nachlaß L. v. G.s, in: Archiv f. Kulturgesch. 31, 1942, S. 137-62;
    W. Grundmann, Die Rechtsanschauung v. E. L. v. G., Diss. Tübingen 1953;
    K. Buchheim, Die Partei Gerlach-Stahl, in: Aus Gesch. u. Pol., Festschr. f. L. Bergsträsser, 1954.

  • Autor/in

    Hans-Joachim Schoeps
  • Zitierweise

    Schoeps, Hans-Joachim, "Gerlach, Ludwig von" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 296-299 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118690787.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Gerlach: Ernst Ludwig v. G., conservativer Publicist und preußischer Abgeordneter, geboren am 7. März 1795 in Berlin, starb am 16. Februar 1877 daselbst. Zweiter Sohn des späteren Präsidenten Leopold v. G. ( 1813, s. u.), evangelisch, studirte v. G. 1810—13 in Berlin, Göttingen und Heidelberg die Rechte, machte als freiwilliger Jäger die Befreiungskriege mit, aus welchen er verwundet, als Offizier und Inhaber des eisernen Kreuzes zurückkehrte, wurde 1823 Oberlandesgerichtsrath in Naumburg, machte sich in den 1830er Jahren in weiteren Kreisen bekannt als Mitarbeiter am „Politischen Wochenblatt“ zu Berlin, dem Organe des durch die Namen Graf Brandenburg, v. d. Gröben, v. Radowitz, Voß bekannten sog. Clubs der Wilhelmsstraße, welcher die Grundsätze der feudal-conservativen Partei in Preußen vertrat und die Umbildung des Staats in einen sog. „christlich-germanischen“ erstrebte. Gegenüber dem damals vorherrschenden Zuge der Zeit, insbesondere dem Verlangen nach constitutionellen Verfassungen, führte G. in jenem Blatte die Ansicht aus, daß politische Rechte nur den damaligen Ständen und den ständischen Körperschaften zuzugestehen seien. Gleichzeitig trat er, nachdem Pastor Jänicke an der böhmisch-lutherischen Gemeinde in Berlin den Grund zu seiner orthodoxen Richtung gelegt, in der Hengstenberg’schen Kirchenzeitung für gänzliche Trennung der Verfassung und Verwaltung der Kirche vom Staate auf. Im J. 1829 wurde er Director des Land- und Stadtgerichts in Halle, 1835 als Nachfolger seines verstorbenen Bruders Wilhelm, Vicepräsident des Oberlandesgerichts in Frankfurt a. O. Bald nachdem König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zur Regierung gelangt war, wurden hervorragende Männer der strengkirchlichen Partei mit einflußreichen Aemtern bekleidet; Geh. Legationsrath Eichhorn wurde zum Cultusminister, General v. Thile zum Cabinetsminister ernannt, Professor Stahl von Erlangen nach Berlin berufen. Da konnte es nicht fehlen, daß auch der publicistisch eifrige Genosse dieser Männer aus obigem Club, daß G. an eine einflußreiche Stelle gesetzt wurde, zumal er als das vollendete Muster eines theologischen Juristen galt, dessen die Anhänger der christlich-germanischen Staatsidee zur Verbreitung und Beliebtmachung ihrer Lehren bedurften. Mit Rücksicht auf ihn sagt in dieser Beziehung Walter ("Parlamentarische Größen"): „Bald muß der Mann des Rechts im Theologen aufgehen, bald umgekehrt; bald muß der rücksichtslose Fanatismus dem Jünger der Themis über alle zähen Bedenklichkeiten hinweghelfen, die im Buchstaben des Gesetzes liegen, bald muß die juristische Wortklauberei die Hindernisse beseitigen, welche das Princip des Christenthums aufthürmt.“ 1842 wurde G. mit dem Titel Oberjustizrath in das Justizministerium unter Savigny berufen, in welchem er bis 1844 beschäftigt war. Zu derselben Zeit war er als Mitglied des Staatsraths und der|Gesetzcommission thätig bei der Reform des preußischen Eherechts. 1844 wurde er zum ersten Präsidenten des Oberlandes- (späteren Appell-) Gerichts in Magdeburg ernannt, welche Stellung er 30 Jahre bekleidete. In Magdeburg trat er, in Gemeinschaft mit seinem Bruder, dem Consistorialrath Otto v. G. ( 24. October 1849 als Hofprediger in Berlin), dem Consistorialpräsidenten Göschel u. A. den Bestrebungen Uhlich's und der Lichtfreunde entschieden entgegen; er war sogar mit besonderer Rücksicht hierauf dahin versetzt. Im Uebrigen gab es auf dem Gebiete der Kirche wol keine ernste Zeitfrage, in welcher G. nicht mit Eifer den Kampf gegen die freisinnigen Bestrebungen, gegen „Revolution, Rationalismus und Unglauben“ lebhaft aufgenommen hätte. Die Aussichten der Partei v. Gerlach's waren 1846 glänzend; der König selbst hatte erklärt, er werde den Tag segnen, wo er das Kirchenregiment wieder in die rechten Hände zurückgeben könne. Als erster Versuch hierzu galt die 1846 berufene, unter Vorsitz des Cultusministers Eichhorn tagende evangelische Generalsynode, deren Mitglied G. war. Seine Partei ging in dieser Versammlung, welche die Kirchenverfassung bearbeiten sollte, darauf aus, ein für alle Male die Selbständigkeit der evangelischen Kirche und ihrer Symbole zu sichern; der endliche Sieg der Kirche über den Staat schien dann nicht ausbleiben zu können. Das J. 1848 brachte die der Gerlach’schen entgegengesetzte Richtung zur Herrschaft, aber schon bald war er unter den Ersten, welche den Gedanken an eine Reaction hochhielten. In Voraussicht derselben und behufs systematischer Ausbeutung der vielen Schwächen und Ausschreitungen, welche in Preußen die liberale Richtung in der Zeit der Bewegung sich zu Schulden kommen ließ, begründete er mit Anderen im Juni 1848 die feudal-conservative „Neue Preußische Zeitung“ in Berlin, welche, besonders unter dem Namen der Kreuzzeitung bekannt, immermehr der Mittelpunkt aller conservativen und reactionären Bestrebungen wurde. G. galt längere Zeit als die eigentliche Seele dieses Blattes und erregte in demselben Aufmerksamkeit namentlich durch seine Anfangs monatlichen, seit 1853 vierteljährlichen „Rundschauen“, eine pikante, von seinen Gegnern nicht selten als gehässig bezeichnete, von Bibelsprüchen wimmelnde Uebersicht über die Zeitereignisse. In der ersten dieser Rundschauen, am 21. Juni 1848, hatte sich G. für eine Verfassung und als Gegner jedes Absolutismus mit dem Bemerken erklärt: „Die ewige Basis alles Rechts, das „"von Gottes Gnaden"" schließt allen Absolutismus aus, indem es jedes Recht, als von oben, nicht von unten gegeben und gewahrt, unter den Schutz stellt, der es allein schützen kann. Die Verkörperung dieser Wahrheiten, das ist eben die Verfassung des Staats.“ Durch seine heftige Geltendmachung des Verlangens einer Umbildung des Staats nach altständischem Muster und in einen „christlichen Staat“ wurde Gerlach's Name für die liberalen Kreise unzertrennlich von allen unzeitgemäßen Bestrebungen. Als die conservativen Elemente Preußens sich schon etwas erstarkt fühlten, um die ersten Angriffe zu unternehmen, trat am 19. August 1848 in Berlin die unter dem Namen des Junkerparlaments bekannte „Generalversammlung des Vereins zur Wahrung der materiellen Interessen aller Classen des preußischen Volks“ zusammen, um die neue freisinnige Gesetzgebung zu bekämpfen, insbesondere eine Erhöhung der Grundsteuer und die Aufhebung der Feudallasten zu verhüten. In dieser Versammlung gehörte G. zu den entschiedensten Mitgliedern; er erklärte sich sogar gegen die vorgeschlagene Preisgebung einzelner Vorrechte, wie z. B. der Patrimonialgerichtsbarkeit. Mit der Ernennung des reactionären Ministeriums v. Pfuel-Eichmann war zum zweiten Male die Zeit gekommen, in welcher die Grundsätze Gerlach's im Staate zur Geltung gelangten. Die aus seinen Freunden bestehende Camarilla, welche auch in den Märztagen von 1848 dem Könige verhängnißvolle Rathschläge ertheilt haben soll, plante im October 1848, bestärkt durch die Maßlosigkeiten der preußischen Nationalversammlung, den Umsturz der politischen Neuerungen. Der Geist der Gerlach-Stahl’schen Richtung sprach schon ganz offen wieder aus den Worten, welche der König am 2. November 1848 an eine gegen die Ernennung des Ministeriums Brandenburg Einsprache erhebende Deputation von Abgeordneten der Nationalversammlung richtete. „So wahr Gott lebt!“ rief der durch Beschlüsse der letzteren gereizte, aber wieder vom Vollgefühle seiner Macht getragene König, „Sie sollen die ständische Gliederung wieder haben!“ Es war der Geist derselben Lehren, welcher sich in der Einsetzung des die Angelegenheiten der evangelischen Kirche als oberste Instanz leitenden Kirchenraths aussprach, welcher der deutschen Politik Manteuffel's zu Grunde lag und z. B. in den Worten der ministeriellen Schrift „Von Warschau bis Olmütz“ sich kundgab: „Der Congreß von Olmütz war eine mathematische Nothwendigkeit. Als unser König die Krone zurückwies, welche das allgemeine Stimmrecht ihm einbrachte, geschah der erste Schritt; der Congreß von Olmütz war nur der zweite, um Deutschland die Ruhe zu gewähren." Bezeichnend für Gerlach's kirchenpolitische Richtung ist besonders das unter seiner unmittelbaren Aufsicht verfaßte Buch von Rother „Die wahren Grundlagen der christlichen Kirchenverfassung". Es war darin das Verhältniß der Kirche zum Staat als der Grundstein des christlich-germanischen Glaubensbekenntnisses ausgesprochen. Hiernach sollte die Kirche „im Staate gefaßt sein“, aber nicht aus Nothwendigkeit, denn man verlange nicht von ihr. „selbst die Erinnerung aufzugeben, daß sie die freigeborene Tochter eines großen Königs ist“. Die Kirche sollte vorläusig auf ihre Befreiung vom Staate verzichten, um später den Staat nach ihren Symbolen umbilden zu können. Dem entsprechen die Reden und Anträge der Rechten bei den Verhandlungen der ersten Kammer über die betreffenden Artikel der Verfassung. In dieser Kammer führte G. seit 1849 einen heftigen Kampf gegen den Constitutionalismus und für Herstellung der Adelsvorrechte. Seine Kammerreden behandelten meist irgend ein Capitel für den „christlich-germanischen Staat“, ohne daß er sich um die vorliegende Frage viel kümmerte. Er pflegte gegen jeden vermittelnden Vorschlag zu stimmen, von welcher Seite dieser auch kommen mochte. G. überbrachte der Kammer eine Bittschrift aus Pommern um schleunigste Entfernung der in ihr sitzenden Theilnehmer am Steuerverweigerungsbeschluß der Nationalversammlung behufs ihrer gerichtlichen Verfolgung; er trat hier auch für die Aufrechthaltung der Lehne auf, ein Punkt, in welchem sich sogar Stahl von ihm trennte. Bei Berathung der Anträge, welche gegen die ohne vorherige Genehmigung der Volksvertretung erlassenen Verordnungen vom 2. und 3. Januar 1849 über die Organisation der Gerichte erlassen waren, ergriff G. in bemerkenswerther Weise das Wort; er meinte, andere Gesetze, z. B. über Suspension der Habeas-Corpus-Acte, die Entfernung der Abgeordneten, welche in der Nationalversammlung für Steuerverweigerung gestimmt, sowie der „Verführer der Landwehr“ aus den Richterämtern, wären viel nöthiger gewesen; das Volk in seiner Mehrheit verlange keineswegs die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und des eximirten Gerichtsstandes; Exemtion und Privilegien seien überhaupt etwas Natürliches und Nothwendiges. Die Mehrheit der Kammer war der Ansicht, daß man der Regierung nicht das Recht zugestehen dürfe, auf Grund des § 105 der Verfassung Verordnungen zu erlassen, welche den Rechtszustand der Bürger dauernd feststellen; kein Redner außer G. wagte eine andere Deutung des Paragraphen. Im April 1849 gab er in der Rundschau dem Könige den Rath, die deutsche Kaiserkrone nicht anzunehmen „aus den Händen der Deputation, behaftet mit dem Koth der Revolution und Usurpation, besudelt mit dem suspensiven Veto, in sich tragend die Zerreißung Deutschlands in zwei,|dann in viele Fetzen“. Für den 4. pommern’schen Wahlbezirk (Dramburg etc.) Mitglied des Volkshauses des Unionsparlamentes von 1850 zu Erfurt, trat G. hier nicht hervor. In den 1850er Jahren, der Blüthezeit der Reaction, entfaltete er eine große Thätigkeit, um in kirchlichen Versammlungen und Pastoralconserenzen, besonders in denen zu Gnadau und Trieglaff, sowie 1851—57 als Vertreter der Ritterschaft der Grafschaft Ruppin im brandenburgischen Provinziallandtage seine Ansichten zur Geltung zu bringen. Ebenso in der zweiten preußischen Kammer, welcher er von 1851—58 als Abgeordneter für den 3. Wahlkreis des Regierungsbezirks Köslin (Neustettin-Belgard-Schievelbein-Dramburg) als einer der Führer der äußersten Rechten oder des nach Graf Schlieffen und seit 1855 nach ihm selbst genannten, 41 Mitglieder zählenden Theiles der Kreuzzeitungspartei angehörte. Den größten Einfluß als Vorkämpfer der Reaction soll er durch seinen Bruder Leopold geübt haben, welcher als Generaladjutant und vortragender Rath im Kriegsministerium für persönliche Angelegenheiten zur nächsten Umgebung des Königs Friedrich Wilhelm IV. gehörte. Mit dem Beginne der Regentschaft des Prinzen von Preußen war Gerlach's Zeit vorbei. Es wurde hierdurch gerade die Richtung, welche er vertrat, und welche im Gefolge einer eigenthümlich einseitigen Politik den preußischen Staat zu der diplomatischen Niederlage von Olmütz, zur Unterwerfung unter den Bundestag und von der Führung der deutschen Angelegenheiten abgebracht hatte, von allem Einflusse entfernt. G. verschwand als handelnde Person und war nur noch in seinen Rundschauen der Kreuzzeitung zu bemerken, welche von der altconservativen Partei als Richtschnur der Handlungsweise angesehen wurden. Am 20. September 1861 nahm G. nebst v. Kleist-Retzow, v. Manteuffel, Wagener, Graf Eberhard zu Stollberg-Wernigerode, Schuhmacher Panse u. A. Theil an der großen conservativen Versammlung in Berlin, welche den „Preußischen Volksverein“ als Gegensatz zum deutschen Nationalverein gründete; es hat aber dieser Verein in Angelegenheiten der deutschen Frage nicht im entferntesten einen Einfluß wie der letztere Verein geübt, zumal sein Programm vorwiegend negativ war. In seinen politischen Ansichten ließ sich G. auch durch die Ereignisse von 1866 nicht beirren; er sprach laut seine Mißbilligung derselben aus und erklärte sich in der Kreuzzeitung sehr entschieden gegen die Politik des Grafen Bismarck, sowie über die durch dieselbe herbeigeführte Auflösung der conservativen Partei. Gegen die damalige Neugestaltung richtete er sich besonders in der Schrift: „Die Annexionen und der norddeutsche Bund“ (Berlin 1866); auch schrieb er damals eine Schrift über „Die Freiheits-Tendenzen unserer Zeit", 1869 „Die Vorschlagsliste“ und 1870 „Krieg und Bundesreform“, sowie „Deutschland um Neujahr 1870“. Als nach dem Ende des deutsch-französischen Kriegs der preußische Staat sich von den Folgen des hierarchischen Systems endlich zu befreien begann, erkannte ein großer Theil der Conservativen die Nothwendigkeit, ihre Ansichten und Ziele dem Gedanken der Staatsidee zu unterwerfen; ein kleiner Theil der Partei gedachte sich der neuen preußischen Kirchenpolitik entgegenzusetzen, er bewies aber nicht die unbeirrte Festigkeit, wie G. sie ungemindert bewahrte. Derselbe bekämpfte als Abgeordneter des 4. Kölner Bezirks Mühlheim-Sieg-Wipperfürth im Abgeordnetenhause, von fast gleichem Standpunkte wie die Ultramontanen, die Entwürfe der ersten kirchenpolitischen sog. Maigesetze. Infolge dessen sah er sich auch von den Conservativen getrennt und schloß sich nun als „Hospitant“ der clerikalen Centrumspartei an, welche auch am 15. Januar 1873 schon seine Wahl in jenem Bezirke bewirkt hatte. Bei Berathung des Gesetzentwurfs über Aenderung der Artikel 15 bis 18 der preußischen Verfassung ging G. am 31. Januar 1873 dem Cultusminister Falk zu Leibe; er wünschte von ihm ein specielles, die einzelnen Dogmen scharf präcisirendes Glaubensbekenntniß zu haben und fragte, ob die Staatsregierung noch an die Heilswahrheiten der christlichen Religion glaube, ein Verhalten Gerlach's, dem selbst der conservative Abgeordnete v. Brauchitsch für Wahrung der Staatsautorität entgegentrat. Bei Berathung des Gesetzentwurfs über die kirchliche Disciplinargewalt etc. sprach G. seine volle Sympathie für die römische Kirche aus und wollte im Syllabus durchaus nichts Verfängliches finden. Seinen heftigsten Angriff führte er am 17. December 1873 bei Berathung des Gesetzentwurfs über die Einführung der obligatorischen Civilehe. Er warf dem Fürsten Bismarck seinen Widerspruch mit einer von ihm vor 25 Jahren unter ganz anderen Umständen gehaltenen Rede vor. Der Fürst antwortete in einer zugleich die ganze Eigenthümlichkeit Gerlach's kennzeichnenden Weise: G. sei damals mit ihm in derselben Partei gewesen; öfter habe er selbst sich von der Richtigkeit von dessen Ansichten überzeugt und es habe dann geschienen, als ob er rasch mit ihm gleicher Ansicht geworden; allein, sobald G. dies wahrgenommen, sei es demselben unbequem erschienen, da er gern mit seiner Ansicht allein gestanden; es habe demselben weder die Zeit von 1848, noch das Ministerium Manteuffel, noch die sog. liberale Aera gefallen, eine positive Erklärung aber, wie er es denn eigentlich zu haben wünsche, hätte G. nie gegeben und nun stehe derselbe auf einer isolirten Säule. Er, Fürst Bismarck, halte ein Urtheil nicht ein Vierteljahrhundert fest, wenn er einsehe, daß er seine persönliche Ueberzeugung den Bedürfnissen des Staats unterordnen müsse, und es sei eine schlechte Ueberzeugungstreue, welche lieber den Staat zu Grunde gehen lasse. — Gerlach's Reden gegen die ersten kirchenpolitischen Gesetze sind unter dem Titel: „Fünf Reden über die Kirchengesetze im Winter und Frühjahr 1873“ nach den stenographischen Berichten in besonderer Ausgabe in Berlin erschienen. Bei Berathung des Gesetzentwurfs über die evangelische Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873 für die sechs östlichen Provinzen trat G. am 1. Mai 1874 im Abgeordnetenhause mit seiner zum fünften Male vorgetragenen Bitte an den Cultusminister Falk um Angabe seines persönlichen Glaubens auf; auch sprach er vom „omnipotenten Staate“, worauf v. Sybel u. A. erwiderten, dieser Staat sei dem impotenten Staate vorzuziehen, welcher die Niederlage von Olmütz im Gefolge gehabt. Bei seinem 50jährigen Dienstjubiläum wurde G. von der juristischen Facultät der Universität Halle zum Ehrendoctor ernannt. Im August 1874 wegen einer gegen die preußische Regierung gerichteten Flugschrift zu einer Geldstrafe gerichtlich verurtheilt, nahm er im September seine Entlassung aus dem Staatsdienste. Frei von allen Rücksichten auf die Regierung, trat er am 16. März 1875 im Abgeordnetenhause bei der ersten Berathung des sog. Sperrgesetzes ganz im ultramontanen Sinne auf. Er bezeichnete die Kirchenpolitik der Regierung als die größte Verfolgung der Kirche, welche jemals stattgefunden und meinte, es werde damit alle Religion abgeschafft. Auch bei dieser Gelegenheit traf der Vertreter der neueren Staatsidee mit dem unerschütterlichen Vertreter der früher herrschend gewesenen Anschauungen zusammen; Fürst Bismarck verbreitete sich gegen G. über „die falsche Anwendung des an sich richtigen Satzes, man solle Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Seinen politischen Standpunkt vertrat G. bis an sein Lebensende. Am 20. Januar 1877 war er im preußischen Abgeordnetenhause gegen den Gesetzentwurf über Errichtung einer Ruhmeshalle aufgetreten. Er meinte, es sei nicht der Zeitpunkt des Rühmens, sondern der der „nationalen Trauer und Buße“ wegen der „Religionsverfolgung“, wegen der „Abreißung eines Viertels von Deutschland“ und weil die deutsche Einheit durch Absetzung deutscher Fürsten erreicht sei; die preußischen Annexionen und der sog. Culturkampf ständen in unzertrennlicher Verbindung und hätten „die|traurigen Zustände der Gegenwart“ herbeigeführt, worauf der Abgeordnete Wehrenpfennig mit dem Hinweis entgegnete, daß G. mit seinen Freunden „während des traurigsten Jahrzehnts der preußischen Geschichte" daran gearbeitet habe, „die Tyrannei der Hierarchie über die Rechte der freien Bürger und über die Rechte des Staats" in einer Weise wie noch niemals in einem europäischen Staate geschehen, aufzurichten, daß aber jetzt „keine seiner Ideen irgend einen Boden mehr“ habe und er selbst nur als „eine Antiquität“ bewundert werde. G. erwiderte darauf nur, daß diese Darstellung seiner „früheren Stellung zur Regierung und zum Parlamente wesentlich unrichtig“ sei. Für die Berathung des Cultusetats hatte er sich am 16. Februar 1877 zum Worte gemeldet, welches ihm für den folgenden Tag zuzustehen schien; allein am Abend des 16. Februar wurde er auf der Schöneberger Brücke in Berlin umgefahren und starb am 18. Februar an den schweren Verletzungen. Pastor Knak hielt ihm in der Bethlehemskirche die Grabrede. Er wurde beerdigt auf dem alten Kirchhofe der Domgemeinde. Kinderlos, hatte er für die 1834 verwaisten Söhne seines ältesten Bruders Vatersstelle übernommen. In Gemeinschaft mit einem Neffen besaß er das Rittergut Rohrbeck in der Neumark.

    • Literatur

      Ad. Stahr, Die preuß. Revolution, Oldenb. 1850, S. 400; A. Walter, Parlamentarische Größen, Bd. 1, Berlin 1850, S. 1—17; Fd. Fischer, Ge schichte der preuß. Kammern vom 26. Febr. bis 27. April 1849, Berlin 1849, S. 164 u. 176; Ad. Wolff, Berliner Revolutionschronik, Bd. 3, Berlin 1854, S. 527; Von Warschau bis Olmütz, ein preuß. Geschichtsblatt, Berlin 1851, S. 22; H. V. v. Unruh, Erfahrungen aus den letzten drei Jahren, Magdeb. 1851, S. 183; Unsere Zeit (Neue Folge), 1877, I. S. 636; Neue Preuß. Zeitung Nr. 45 v. 23. Febr. 1877; Germania (Berl. Ztg.) Nr. 42 v. 21. Febr. 1877; L. Parisius, Deutschlands politische Parteien und das Ministerium Bismarck, Bd. 1 (Berlin 1878) S. 8. 10, 20, 41, 84, 117, 157; Das Jahr 1877 (Leipz. 1878), S. 9 ff.; N. Reichszeitung (Dresden) Nr. 42 v. 19. Febr. 1878.

  • Autor/in

    Wippermann.
  • Zitierweise

    Wippermann, Karl, "Gerlach, Ludwig von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 9 (1879), S. 9-14 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118690787.html#adbcontent

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