Dates of Life
1806 – 1856
Place of birth
Bayreuth
Place of death
Berlin
Occupation
Philosoph
Religious Denomination
evangelisch
Authority Data
GND: 118618261 | OGND | VIAF: 51780445
Alternate Names
  • Schmidt, Johann Caspar (eigentlich)
  • Schmidt, Kaspar (eigentlich)
  • Stirner, Max (Pseudonym)
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Citation

Stirner, Max (Pseudonym), Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118618261.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogy

    V Albrecht Christian Heinrich Schmidt (1769–1807), Blasinstrumentenmacher aus Ansbach, S d. Johann Georg, Herrendiener, u. d. Sophia Elisabetha Götz;
    Stief-V seit 1809 Heinrich Ballerstedt († 1837), Provisor oder Apotheker;
    M Sophia Eleonora (1778–1859), T d. Johann Reinlein (um 1709–83), Postbote in Erlangen-Neustadt, u. d. Louise Margaretha Kasperitz ( 1] Georg Wolfgang Sticht, um 1745–71, Strumpfwirkermeister in Erlangen-Neustadt);
    Tante-v Annamarie Schmidt (1766–1835, Martin Sticht, aus E., Strumpfmacher in Bayreuth);
    1 Schw (früh †);
    1) 1837 Agnes Clara Kunigunde Burtz (1815–38), 2) 1843 1846 Marie Wilhelmine (1818–1902), T d. Helmuth Ludwig Dä(h)nhardt, Apotheker, u. d. Maria Brünger; kinderlos.

  • Biographical Presentation

    S. wuchs nach dem Tod des Vaters 1810–18 bei Mutter und Stiefvater in Kulm (Westpreußen) und seit 1818 bei seinem Paten Martin Sticht in Bayreuth auf. Im Anschluß an die lat. Vorbereitungsschule und das Gymnasium studierte er seit 1826 Philologie und ev. Theologie an der Univ. Berlin, u. a. bei August Boeckh, Carl und Heinrich Ritter, Schleiermacher und Hegel. 1828 ging er für ein Semester nach Erlangen, 1829 auf eine längere Deutschlandreise. 1830 und 1831 hielt er sich in Kulm und Königsberg auf. Nach Erhalt der bedingten gymnasialen Lehrbefähigung 1835 und dem Referendariat an der Berliner kgl. Realschule 1835/36 wurde S. nicht in den Staatsdienst übernommen. 1839–44 war er Lehrer an einer Berliner Privatschule für höhere Töchter. 1841–48 arbeitete er für einige Zeitschriften (u. a. Karl Gutzkows „Telegraph f. Dtld.“), 1842 war er Korrespondent der „Rheinischen Zeitung“ und der „Leipziger Allgemeinen Zeitung“. Seit 1841 gehörte S. zu den „Freien“, einem linkshegelianisch-libertinistischem Debattierzirkel in Berlin, nahm an der 1848/49er Bewegung aber wohl keinen äußeren Anteil. Versuche, seinen Lebensunterhalt dauerhaft zu sichern (durch Publikationsprojekte, 1845 durch eine Milchhandlung), scheiterten, führten 1846 zu einem öffentlichen Kreditaufruf und brachten ihn 1853/54 zwei Mal in Schuldhaft, bis er 1854 ein kleines Erbe antrat.

    In seiner einzigen Monographie „Der Einzige und sein Eigenthum“ (1844, auf 1845 vordatiert; hg. v. P. Lauterbach, 1893; hg. v. J. H. Mackay, 1911, ²1928; hg. v. A. Ruest, 1924; hg. v. H. G. Helms, 1968, ³1970; hg. v. A. Meyer, 1972, 2008; hg. v. B. Kast, 2009), die in vielen dt. Ländern verboten wurde, vertrat S. einen radikalen Egoismus, der den systematischen Endpunkt der neuzeitlichen Ich-Zentriertheit markiert. Der natürliche Egoismus aller solle total, offen und kraftvoll sein. Nicht der Mensch sei das Maß aller Dinge, sondern das bedingungslose, selbstherrliche Ich. Alle Autorität und Hierarchie, alles geistig „Höhere“ müsse überwunden werden, um der Tyrannei der Ideenheiligung und dem Phrasenterror zu entkommen und statt eines von Ideen Besessenen ein „Eigner“ zu sein. Diesem ist nach S. alles erlaubt und geboten; Ziel ist ein immoralistischer Hedonismus: Eigenheit statt Freiheit, Lebensgenuß statt Wahrheit, loser Verein statt Gesellschaft.

    S. ist eine Umbruchfigur: Rigoros beendete er Überlebtes (Dt. Idealismus) von Innen heraus und bereitete den Boden für Neues (Nietzsche, Freud, Existenzialismus). Sein Buch ist in seiner Entstehung Ausdruck radikaler Strömungen des preuß. Vormärz, in seinem Gehalt (des klassisch formulierten Radikalegoismus) ebenso zeitlos wie in seiner Praxis- und Theoriefähigkeit (Selbstwiderspruch) fraglich. Nach anfänglicher Beachtung und klandestinem Einfluß begann seine eigentliche Rezeption 1889 mit John Henry|Mackay (1864–1933), die sich 1918–32 teils zum Kult steigerte. Mit seiner Radikalität löste das Werk heftige und unterschiedlichste Reaktionen aus: Es wurde als literarischer Individualanarchismus, provokanter Nihilismus, kulturloser Utopismus, exzentrische Kleinbürgerideologie, zynische Karikatur, atavistischer Biologismus, literarisch-philosophisches Experiment oder gar Protofaschismus (miß)verstanden. S. – in der Rezeption als Psychopath wie als Genie bezeichnet – regte auch Schriftsteller und bildende Künstler, wie Fjodor Dostojewski, André Breton, B. Traven, Arno Holz, Ernst Jünger und Wilhelm Jordan, an.

  • Awards

    A M.-S.-Archiv (Leipzig, seit 1994);
    M.-S.-Ges. (seit 2002);
    – Neue Btrr. z. S.forsch. 1–4 (1920–24);
    S.-Studien (1994–97);
    Zs. „Der Einzige“ (1998–2006;
    seit 2008 als Jb.).

  • Works

    Weitere W u. a. Gesch. d. Reaction, 1852, Neudr. 1967;
    Das unwahre Prinzip unserer Erziehung oder d. Humanismus u. Realismus, 1842, Nachdr. 1911, hg. v. W. Storrer 1926, dass. mit Nachw. v. K. Swassjan, 1997;
    Kleinere Schrr. u. seine Entgegnungen auf d. Kritik seines Werkes „Der Einzige u. sein Eigenthum“, 1898, ²1914, Neudr. 1976;
    S.brevier, Die Staerke d. Einsamen, 1906;
    Parerga, Kritiken, Repliken, 1986;
    Recensenten S.s, Die Kritik u. d. Anti Kritik, 2003;
    Überss.:
    Die Nat.ökonomen d. Franzosen u. Engländer, 8 Bde., 1845–47 (Bd. 1–4: J. B. Say, Ausführl. Lehrb. d. prakt. pol. Ökonomie;
    Bd. 5–8: A. Smith, Unterss. über d. Wesen u. d. Ursachen d. Nat.reichtums);
    Bibliogr.:
    H. G. Helms, 1966 (s. L),S. 507–600;
    H. Schmidt, Qu.lex. z. dt. Lit.gesch. 30, 2002, S. 279–87;
    Internetseiten d. M.-S.-Ges.

  • Literature

    ADB 36;
    J. H. Mackay, M. S., 1898, ³1914, Neudr.1977 (P, L);
    H. Schultheiß, S., 1906, ²1922, Neudr.1998;
    R. Hirsch, in: Zs. f. Rel.- u. Geistesgesch. 9, 1957, S. 246–57;
    H. G. Helms, Die Ideol. d. anonymen Ges., 1966;
    R. W. K. Paterson, The Nihilistic Egoist M. S., 1971, Neudr. 1993;
    W. Schneiders, Der Standpunkt d. Egozentrismus, in: Studi internazionali di filosofia 4, 1972, S. 121–44;
    B. Kast, Die Thematik d. „Eigners“ in d. Philos. M. S.s, 1979 (L);
    W. Eßbach, Gegenzüge, 1982 (L);
    P. Suren, M. S. über Nutzen u. Schaden d. Wahrheit, 1991 (L);
    A. Kühn, Soziol. u. Humanist. Psychol., 1993, S. 43–115;
    B. A. Laska, Ein heimlicher Hit, 1994;
    ders., Ein dauerhafter Dissident, 1996;
    ders., „Katechon“ u. „Anarch“, 1997;
    J. Knoblauch u. P. Peterson (Hg.), Ich hab'Mein Sach'auf Nichts gestellt, 1996;
    E. Rudolph, in: H. Diefenbacher (Hg.), Anarchismus, 1996, S. 24–33;
    A. Schaefer, Macht u. Protest, ²1997;
    R. Engert, Silvio Gesell u. M. S., 1998;
    F. Ferrante, L`unico giornalista, 1998;
    E. Ferri, La cittá degli unici, 2001;
    M. S.s Der Einzige u. sein Eigentum im Spiegel d. zeitgenöss. dt. Kritik, 2001;
    A. Negri, Il filosofo e il lattaio, 2005;
    S. Newman, Power and Politics in Poststructuralist Thought, 2005;
    C.-F. Geyer, in: Neue Zs. f. Systemat. Theol. u. Rel.philos. 48, 2006, S. 253–81;
    G. Penzo, M. S., 2006;
    J.-C. Wolf, Egoismus v. unten gegen Bevormundung v. oben, ²2008 (L);
    P. Jordens, M. S., 2008;
    B. Kast u. G.-L. Lueken (Hg.), Zur Aktualität d. Philos. M. S.s, 2008;
    F. Andolfi, Il non uomo non é un mostro, 2009;
    Die Kritik S.s u. d. Kritik an S., hg. v. B. Kast, 2009;
    A. Stulpe, Gesichter d. Einzigen, M. S. u. d. Anatomie moderner Individualität, 2010;
    Ll. Franken IV, 1930, S. 443–54;
    W. Buhl, Fränk. Klassiker, 1971 (P);
    Killy;
    Kosch, Lit. Lex.³ (W, L);
    Demokrat. Wege (P);
    BBKL X

    (W, L); LThK2+3; RGG1–4; Ziegenfuß; Gr. Werklex. d. Philos.; Metzler Philosophen Lex.; Enz. Philos. Wiss.theorie.

  • Portraits

    zwei Zeichnungen v. F. Engels, Nov. 1842 (Abb. in: Marx/Engels, Werke, Bd. 27, 1963, n. S. 400) u. 1892 (Abb. in: Marx/Engels, Werke, Bd. 38, 1968, S. 43), beide im Staatl. Archiv f. Sozial- u. Pol.gesch., Moskau;
    e. weitere Zeichnung (R. Engert, Das Bildnis M. S.s, 1931), d. immer noch reproduziert wird, hat sich als Porträt v. Franz Liszt herausgestellt (s. H. Sveistrup, S.s drei Egoismen, 1932, ²1983, S. 99).

  • Author

    Rainer A. Bast
  • Citation

    Bast, Rainer A., "Stirner, Max" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 25 359-360 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118618261.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographical Presentation

    Stirner: Max St. (Pseudonym), mit seinem wahren Namen Johann Caspar Schmidt, wurde am 25. October 1806 als Sohn eines Instrumentenmachers in Baireuth geboren, besuchte 1818—1825 das Gymnasium seiner Vaterstadt und widmete sich, nach gut bestandenem Abiturientenexamen, an den Universitäten in Berlin, Erlangen und Königsberg dem Studium der Theologie und Philologie. Er übernahm sodann in Berlin, nachdem er kurze Zeit Gymnasiallehrer gewesen war, eine Lehrerstelle an einer höheren Töchterschule, gab jedoch diese Stellung bald wieder auf, um als Privatgelehrter und Journalist wissenschaftliche und schriftstellerische Arbeiten zu betreiben. Nach einem sehr still und im Kampfe mit der Noth geführten Leben starb er in Berlin am 26. Juni 1856. — Sein litterarisches Hauptwerk ist die extreme Schrift „Der Einzige und sein Eigenthum“ (Leipzig 1845), die in der aufgeregten vormärzlichen Zeit ein meteorartiges Aufsehen gemacht und vorübergehend lebhafte Polemik hervorgerufen hat. Dazu kommen von größeren Publicationen die Uebersetzungen von Say's Lehrbuch der praktischen politischen Oekonomie (4 Bde., Leipzig 1845—46) und von Smith's Untersuchungen über den Nationalreichthum (2 Bde., Leipzig 1846); ferner eine „Geschichte der Reaction“ (2 Bde., Berlin 1852).

    Was das einst vielbesprochene Buch „Der Einzige und sein Eigenthum“ betrifft, so hat es, bei seinem gewaltsam paradoxen, die Moralgesetze im Interesse eines unbeschränkten Egoismus aufhebenden Standpunkt, begreiflicherweise sehr verschiedene Beurtheilungen erfahren. Während es von einigen als muthwillige Persiflage und Parodie der Religionsphilosophie Ludw. Feuerbach's aufgefaßt wurde, erschien es anderen als durchaus ernsthaft gemeinte Ausgeburt einer krankhaft gesteigerten und zugleich sophistischen Oppositionssucht. In sehr lebendigem, farbenreichen und leidenschaftlichen Stil geschrieben, theilt es mit Ludw. Feuerbach die entschiedene Verwerfung aller Theologie, geht aber hierüber noch weit hinaus, bis zu der mit cynischer Offenheit gepredigten Lehre, daß Recht, Sittlichkeit, Gesellschaft und Staat, überhaupt alle angeblich höheren Interessen und über den Häuptern der Individuen schwebenden Mächte, sich dem Willen der concreten Einzelperson zu fügen hätten. Pflichten, Gesetze, moralische und rechtliche Gebote, sofern sie von außen als höhere Autorität an das individuelle Ich herantreten und Unterwerfung verlangen, sind für diese auf rücksichtslose Emancipation des Individuums abzielende Theorie des Egoismus, nichts weiter als fixe Ideen und unmotivirte, nur dem Schwächling zwingend erscheinende Einschränkungen der angeborenen individuellen Freiheit. „Findet man“, sagt St., „das Haupterforderniß des Menschen in der Frömmigkeit, so entsteht das religiöse Pfaffenthum; sieht man es in der Sittlichkeit, so erhebt das sittliche Pfaffenthum sein Haupt. Mensch und Gerechtigkeit sind Ideen, Gespenster. Eine freie Grisette|gegen tausend in der Tugend grau gewordene Jungfern!" Das (objective) Recht ist „ein Sparren"; die von Ludw. Feuerbach an Stelle des transcendenten Gottesbegriffs auf den Thron erhobene Gattungsidee des Menschen ist, wie überhaupt alles, was sich über den individuellen Egoismus des souveränen Ich erheben will, ein Hirngespinnst und „Spuk". „Mir, dem Egoisten, liegt das Wohl dieser „menschlichen Gesellschaft“ nicht am Herzen, Ich opfere ihr nichts, Ich benutze sie nur; um sie aber vollständig benutzen zu können, verwandle Ich sie vielmehr in mein Eigenthum und mein Geschöpf, d. h. Ich vernichte sie und bilde an ihrer Stelle den Verein von Egoisten.“

    Diese, an den Sophisten Kallikles bei Plato erinnernden Paradoxieen, entwickelt St. mit jener zugleich tumultuarischen und spielenden Dialektik, die, in junghegelianischen Kreisen allgemein üblich, zum damaligen Modeton gehörte. Sein höchst willkürliches Umspringen mit psychologischen und ethischen Begriffen, sowie mit culturgeschichtlichen Thatsachen und Zuständen artet vielfach in buntschillernde Wortspielerei aus. Begreiflich wird das sonderbare Buch aus dem energischen Bedürfniß nach Abwehr des auf freidenkenden Geistern jener Zeit schwer lastenden polizeilichen und politischen Druckes; einem Abwehrbedürfniß, welches sich bei St. bis zu dem Grade gesteigert hatte, daß er auch die von communistischen Starkgeistern, wie Proudhon, für „Socialpflicht“ erklärte und geforderte Unterordnung des Einzelnen unter das Gemeinwohl, als unerträglichen Zwang empfand. Daß das Buch jedenfalls den relativen Werth eines Zeichens der Zeit besitzt, wird sich kaum bestreiten lassen.

  • Author

    O. Liebmann.
  • Citation

    Liebmann, Otto, "Stirner, Max" in: Allgemeine Deutsche Biographie 36 (1893), S. 258-259 [online version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118618261.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA