Lebensdaten
1883 – 1917
Geburtsort
Mainz
Sterbeort
bei Diksmuide (Belgien)
Beruf/Funktion
Philosoph
Konfession
mehrkonfessionell
Normdaten
GND: 118816438 | OGND | VIAF: 76445005
Namensvarianten
  • Reinach, Adolf
  • Reinach, Adolph

Objekt/Werk(nachweise)

Verknüpfungen

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Reinach, Adolf, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118816438.html [19.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Wilhelm Markus (1849–1931), Fabrikbes. in M., S d. Hermann (1825–1906), Weinhändler, Ehrenbürger v. M. (s. L), u. d. Pauline Feist (1830–56);
    M Pauline Eugenie (1851–1932), T d. Kaufm. Heinrich Hirschhorn u. d. Fanny Büding;
    B Heinrich (1888- n. 1939), RA, zuletzt in Brasilien;
    Schw Pauline (Klostername Augustina) ( 1977), seit 1924 kath. Ordensfrau;
    1912 Anna (1884–1953), T d. Albert Stettenheimer (1850–1900), Kaufm. in Stuttgart, u. d. Clara Weil (1863–1921); kinderlos.

  • Biographie

    Die Platonlektüre auf dem Mainzer Gymnasium veranlaßte R., neben dem jur. Brotstudium (l. Jur. Staatsexamen in Tübingen 1907) seit 1901 in München bei Theodor Lipps (1851–1914) v. a. Philosophie zu studieren. Zu dessen Schülerkreis gehörig, der seit 1902 unter Führung Johannes Dauberts (1877–1947) fast ausnahmslos zur neuen Phänomenologie Edmund Husserls (1859–1938) überging, schloß R. sich besonders eng an Daubert an, dessen ontologischen Realismus und Interesse für logische und sprachphil. Probleme er übernahm und weiterentwickelte. Nach seiner Promotion „Über den Ursachenbegriff im geltenden Strafrecht“ (1904) bei Lipps studierte R. mit Daubert 1905 ein Semester bei Husserl in Göttingen, wo er sich 1909 mit einer (verlorenen) Arbeit „Wesen und Systematik des Urteils“ habilitierte. Bis 1914 prägte er dort als glänzender Lehrer die Schule der „Göttinger Phänomenologie“ (darunter Hedwig Conrad-Martius, Jean Hering, Dietrich v. Hildebrand, Roman Ingarden, Paul Kluckhohn, Alexandre Koyré, Hans Lipps, Edith Stein) einheitlich im Sinne seines phänomenologischen Realismus. Seit Aug. 1914 als Kriegsfreiwilliger an der Front, fiel R. als Batterieführer während einer Patrouille.

    Mit Husserl teilte R. die Auffassung von der Gegenstandsbezogenheit („Intentionalität“) aller psychischen Akte, wobei Wahrnehmungsakte auf Dinge (wie z. B. „A“) gerichtet sind, Urteilsakte dagegen auf Sachverhalte („das [Nicht]-Sein von A“ bzw. „daß A [nicht] ist“). Mit Daubert hielt er Sachverhalte für einmalig in der Welt vorkommend, während die Urteile über sie beliebig wiederholbar sind. Wahre positive oder negative Urteile geben nach R. bestehenden positiven oder negativen Sachverhalten Ausdruck, falsche Urteile dagegen nichtbestehenden Sachverhalten. Verhältnisse von Grund und Folge spielen nicht zwischen den Dingen („A ist nicht Grund oder Folge von B“), sondern zwischen Sachverhalten („daß A [nicht] ist, kann|Grund oder Folge dafür sein, daß B [nicht] ist“). Sofern die Logik es mit der Form korrekter Begründungszusammenhänge zu tun hat, stützt sie sich also nicht auf Begriffe von Dingen, sondern auf Sachverhalte. Auch die sog. logischen Modalitäten wie Wahrscheinlichkeit, Notwendigkeit oder Möglichkeit sind keine Eigenschaften von Dingen, sondern kommen nur Sachverhalten zu („es gibt kein mögl. Ding, wohl aber ist es möglich, daß ein Ding [nicht] ist“).

    Um erkennende Akte wie Wahrnehmen und Urteilen vollziehen zu können, ist es notwendig, diese Akte auch sprachlich auszudrücken. Anders ist dies bei Akten wie Befehlen, Versprechen oder Fragen. Um sie vollziehen zu können, ist es unentbehrlich, daß sie einer zweiten Person gegenüber sprachlich ausgedrückt und von ihr vernommen werden. Solche „sozialen Akte“ lassen sich also nur im Sprechen vollziehen. Aufgrund dieser Einsicht entwickelte R. eine umfassende Theorie der Sprechakte und ihrer verschiedenen Modifikationen. Gleich R.s Sachverhaltstheorie ist auch diese Lehre erst in neuerer Zeit vor dem Hintergrund vergleichbarer späterer Entwicklungen in der angelsächs. Philosophie (Ludwig Wittgenstein, John L. Austin) in ihrer Bedeutung erkannt worden, wogegen sein Realismus nicht nur in Deutschland, sondern über Ingarden auch in Polen und über Hildebrand in den USA bis heute fortwirkt.

  • Werke

    u. a. Zur Theorie d. negativen Urteils, in: Münchener Phil. Abhh., 1911, S. 196-254 (engl. 1981, 1982);
    Die aprior. Grundlagen d. bürgerl. Rechtes, 1913, 1953 (span. 1934, engl. 1983, ital. 1990);
    Über Phänomenol., in: Ges. Schrr., 1921, S. 379-405, ²1951 (japan. 1928, engl. 1966, 1969, span. 1986);
    Sämtl. Werke, hg. v. K. Schuhmann u. B. Smith, 1989.

  • Literatur

    E. Avé-Lallemant, Die Nachlässe d. Münchener Phänomenologen in d. Bayer. Staatsbibl., 1975, S. 171-80 (P);
    W. Balzer, Lb. vergessener Mainzer Persönlichkeiten, 1984, S. 95-101 (P, auch zu Hermann);
    A. Burkhardt, Soziale Akte u. Textillokutionen, 1986;
    K. Mulligan (Hg.), Speech Act and Sachverhalt, 1987 (W.-Verz.; P) ;
    J. M. DuBois, Judgment and Sachverhalt, 1995;
    Ziegenfuß;
    Enc. Jud. 1971;
    BBKL.

  • Autor/in

    Karl Schuhmann
  • Zitierweise

    Schuhmann, Karl, "Reinach, Adolf" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 343-344 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118816438.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA