Lebensdaten
1899 – 1959
Geburtsort
Wien
Sterbeort
New York
Beruf/Funktion
Soziologe ; Philosoph
Konfession
jüdisch
Normdaten
GND: 118611135 | OGND | VIAF: 34476467
Namensvarianten
  • Schutz, Alfred
  • Schütz, Alfred
  • Schutz, Alfred
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Zitierweise

Schütz, Alfred, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118611135.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Alfred (1873–99);
    Stief-V Otto (1874–1942), aus W., Prokurist e. Privatbank in W.;
    M Johanna Fiala (1873–1955), aus Böhmen, Strickerin, beide emigrierten 1941 in d. USA;
    Wien 1926 Ilse Heim (1902–90), aus W., S.s. Sekr., Malerin, emigrierte mit S. 1938 n. Frankreich u. 1939 in d. USA (s. W);
    1 S George F. (eigtl. Franz Georg) Schutz (* 1938), B. A., Musiker, Konzertmanager in New York, 1 T Evelyn (eigtl. Eva Elisabeth) Lang (* 1933), B. S., Computer Consultant, Managerin in New York.

  • Biographie

    S. besuchte das Esterhazy-Gymnasium in Wien und erwarb 1917 vorzeitig sein Reifezeugnis (Notmatura). Anschließend meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst und studierte seit 1918 Rechtswissenschaft, Ökonomie und Soziologie in Wien. 1921 neben den jur. Staatsprüfungen zum Dr. iur promoviert, trat er im selben Jahr eine Stellung als Sekretär bei der „Bankvereinigung“ in Wien an. 1927 wechselte er als Prokurist zum Bankhaus „Reitler & Co“, für das er in Wien, Paris und New York bis 1952 tätig war. In dieser Phase war S. stark geprägt von der v. a. von Carl Menger (1840–1921) begründeten sog.Österr. Schule der Nationalökonomie“; Friedrich v. Wieser (1851–1926) und Ludwig v. Mises (1881–1973), beide Schüler Mengers, waren neben den Rechtsphilosophen|Hans Kelsen (1881–1973) und Felix Kaufmann (1895–1949) S.s akademische Lehrer. Aus seiner regelmäßigen Teilnahme am Privatseminar von Mises sowie seiner Mitgliedschaft in einem intellektuellen Zirkel resultierten lebenslange Freundschaften, v. a. zu Eric(h) Voegelin (1901–85) und Fritz Machlup (1902–83).

    1932 erschien die erste große wissenschaftliche Arbeit, die einzige zu Lebzeiten erschienene Monographie S.s (Der sinnhafte Aufbau d. soz. Welt, Eine Einl. in d. verstehende Soziol.). Angeregt durch Max Webers „Verstehende Soziologie“ und Edmund Husserls „Phänomenologie“, arbeitete S. an einer philosophischen und anthropologischen Begründung der Sozialwissenschaften. Ausgangspunkt seiner Analyse des sozialen Handelns sind die „natürlichen Einstellungen“, d. h. die subjektiven Sinndeutungs- und Sinnsetzungsvorgänge der Menschen in ihrer Alltagswelt. In dieser Zeit hatte S. Kontakt auch zu Edmund Husserl (1859–1938), durch dessen „Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins“ (1928) er unmittelbaren Zugang zu dessen Denken und Sprache fand. 1932-37 hielt er sich wiederholt in Freiburg (Br.) bei Husserl auf, lehnte jedoch dessen Vorschlag, sein Assistent zu werden, ab.

    Während des dt. Einmarsches in Österreich 1938 arbeitete S. in Paris, wohin er seine Frau und Kinder nachkommen ließ. Hier entwickelte sich die nähere Bekanntschaft S.s zu Aron Gurwitsch (1901–73). Im Juli 1939 siedelte S. mit seiner Familie nach New York über, wo er seine Laufbahn als Wirtschaftsjurist bei der New Yorker Filiale der Bank Reitler & Co. fortsetzte. Über Marvin Faber (1901–80) und Dorion Cairns (1901–73), deren Bekanntschaft er bereits im Freiburger Husserl-Kreis gemacht hatte, fand S. Anschluß an die kleine Gruppe amerik. Phänomenologen. Er war 1939 Mitgründer der „International Phenomenological Society“ sowie seit 1940 Mitherausgeber der neugegründeten Zeitschrift „Philosophy and Phenomenological Research“. Während des Krieges engagierte sich S. auch als Berater des US-amerik. „Office of Strategic Services“. Eine volle akademische Lehrtätigkeit nahm er 1943 auf, zunächst als Lecturer für Soziologie an der „Graduate Faculty“ der „New School for Social Research“ in New York. 1944 Visiting Professor of Philosophy and Sociology und 1952 Full Professor of Sociology and Social Psychology, teilte er seit 1956 seine Lehrtätigkeit auf zwischen dem „Philosophy Department“ und dem „Sociology Department“. In dieser Zeit fand S. zunehmend Anschluß an die Philosophie des Pragmatismus der 1940er Jahre (William James, James Dewey) und an die entsprechenden Orientierungen in der Chicagoer Soziologie (Charles H. Cooley, George Herbert Mead). S.s grundlegende These ist, daß der Sinn, den Menschen der Wirklichkeit und ihrem Handeln zuschreiben, aus diesem Handeln selbst entsteht, d. h. aus dem Umgang mit Interaktionspartnern und Objekten.

    Über seine Lehrtätigkeit an der „New School“ übte S. starken Einfluß u. a. auf spätere Kollegen wie Peter Berger, Thomas Luckmann und Maurice Natanson aus. Krankheitsbedingt begann S. erst seit 1958 mit „Strukturen der Lebenswelt“, seinem Hauptwerk, das jedoch unvollendet blieb (2 Bde., 1975/84, mit Th. Luckmann). Der Einfluß des S.schen Werkes auf die Sozialwissenschaften begrenzte sich anfänglich auf einen kleinen Fachkreis. Mit der Aufarbeitung seines Nachlasses findet eine zunehmende Rezeption seiner Ideen, v. a. in den USA und Deutschland, statt, maßgeblich geprägt durch die Arbeiten einer phänomenologisch fundierten Wissenssoziologie. Spätestens seit den 1980er Jahren sind ursprünglich phänomenologische Begriffe (z. B. „Lebenswelt“) in großen Teilen der Soziologie, v. a. in der qualitativ ausgerichteten empirischen Sozialforschung, und vieler benachbarter Disziplinen geradezu „Mode“ geworden. Wichtige Schüler sind u. a. Harold Garfinkel, Erving Goffman und Aaron Cicourel.

  • Werke

    Weitere W Collected papers, hg. v. M. Natanson, A. Brodersen, Ilse Schutz, H. Wagner u. G. Psathas, 4 Bde., 1962-96;
    Reflections on the problem of relevante, hg. v. R. Zaner, 1970;
    Ges. Aufss., hg. v. M. Natanson, A. Brodersen u. Ilse Schutz, 3 Bde., 1971/72;
    The theory of social action, The correspundence of A. Schutz and Talcott Parsons, hg. v. R. Grathoff, 1978;
    Theorie d. Lebensformen, Frühe Mss. aus d. Bergson-Periode, hg. v. I. Srubar, 1981;
    Briefwechsel [mit A. Gurwitsch] 1939-1959, hg. v. R. Grathoff, 1985;
    Briefwechsel [mit E. Voegelin, L. Strauss u. A. Gurwitsch] über „Die neue Wiss. d. Pol.“, hg. v. P. J. Opitz, 1993;
    Eine Freundschaft, d. ein Leben ausgehalten hat, Briefwechsel 1938-1959 [mit E. Voegelin], hg. v. G. Wagner u. G. Weiss, 2004;
    A. S. Werkausg. (ASW), hg. v. R. Grathoff, H.-G. Soeffner, I. Srubar, bisher 9 Bde., 2003 ff.;
    |

  • Nachlass

    Nachlaß: Yale Univ., Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Univ. Konstanz, Soz.wiss. Archiv; – Bibl.: Waseda Univ. Tokyo, Dep. of Sociology, Alfred Schutz Archive.

  • Literatur

    A. Gurwitsch, in: Philosophy and Phenomenological Research 20, 1959, S. 141-43;
    H. Jonas, in: Social Research 26, 1959, S. 471-74;
    R. Zaner, Theory of Intersubjectivity, A. S., ebd. 28, 1961, S. 71-93;
    M. Natanson, Phenomenology and Typification, A Study in the Philosophy of A. S., ebd. 37, 1970,|S. 1-22;
    ders. (Hg.), Phenomenology and Social Reality, Essays in Memory of A. S., 1970;
    Th. Luckmann, in: Kölner Zs. f. Soziol. u. Soz.psychol. 13, 1961, S. 768-70;
    H. Schermann, Phänomenol. u. Soz.wiss., Die phänomenolog. Fundierung d. Wissenschaften b. A. S., 1965;
    A. Bodenstedt, Idealtypus u. soz. Wirklichkeit, A. S. u. sein Btr. z. „Verstehenden Soziol.“, in: Soz. Welt 17, 1966, S. 79-91;
    A. Zijderveld, The Problem of Adequacy, Reflections on S.s Contribution to the Methodology of Soc. Sciences, in: European Journal of Sociology 13, 1972, S. 176-90;
    R. Williame, Les fondements phénomenologiques de la sociologie compréhensive, A. S. et Max Weber, 1973;
    J. Weigert, A. S. on a Theory of Motivation, in: Pacific Sociological Review 1975, S. 83-102;
    R. Gorman, The Dual Vision, A. S. and the Myth of Phenomenological Soc. Science, 1976;
    B. R. Webb, The Presence of the Past, J. Dewey and A. S. on the Genesis and Organisation of Experience, 1976;
    R. Grathoff, in: D. Kaesler (Hg.), Klassiker d. soziolog. Denkens, II, 1978, S. 388-416;
    R. R. Cox, The Phenomenology of Relevance, A Critical Grounding of S.s Theory of the Life World, 1979;
    M. Sprondel u. R. Grathoff (Hg.), A. S. u. d. Idee d. Alltags in d. Soz.wiss., 1979;
    H. R. Wagner, A. S., An Intellectual Biogr., 1983;
    A. Amann, A. S. u. T. Parsons, Zur scheinbaren Folgenlosigkeit e. Briefwechsels, 1988: L. Embree, Wordly Phenomenology, The Continuing Influence of A. S. on North American Human Science, 1988;
    E. List u. I. Srubar (Hg.), A. S., Neue Btrr. z. Rezeption seines Werkes, 1988;
    I. Srubar, Kosmion, Die Genese d. pragmat. Lebenswelttheorie v. A. S. u. ihr anthropolog. Hintergrund, 1988;
    R. Grathoff, Milieu u. l.ebenswelt, 1989;
    T. Schwinn, Jenseits v. Subjektivismus u. Objektivismus, Max Weber, A. S. u. Talcott Parsons, 1993;
    F. Welz, Kritik d. Lebenswelt, Eine soziolog. Auseinandersetzung mit Edmund Husserl u. A. S., 1996;
    L. Embree (Hg.), Schutzian Social Science, 1999;
    M. Endreß, in: D. Kaesler (Hg.), Klassiker d. Soziol., I. ⁴2003 S. 334-52. ders., A. S., Der sinnhafte Aufbau d. soz. Welt, in: D. Kaesler u. L. Vogt (Hg.), Hauptwerke d. Soziol., 2000, S. 372-78;
    H.-G. Soeffner, A. S. u. Thomas Luckmann, Strukturen d. Lebenswelt, ebd., S. 379-86;
    M. Hanke, A. S., Einf., 2002;
    M. Barber, The Participating Citizen, A Biogr. of A. S., 2004;
    M. Endreß, G. Psathas u. H. Nasu (Hg.), Exploration of the Life-World, Continuing Dialogues with A. S., 2005;
    M. Endreß, A. S., 2006;
    BHdE II;
    BBKL;
    Internet:
    Alfred Schutz Archive, Dep. of Sociology, Waseda Univ. Tokyo (mit umfassender Bibliogr. ab 1932);
    50 Klassiker d. Soziol., Univ. Graz.

  • Porträts

    Foto (Abb. auf Internetseite d. Soz.wiss. Archivs d. Univ. Konstanz).

  • Autor/in

    Dirk Kaesler
  • Zitierweise

    Kaesler, Dirk, "Schütz, Alfred" in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 658-660 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118611135.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA