Lebensdaten
1896 – 1981
Geburtsort
Berlin
Sterbeort
Zürich
Beruf/Funktion
Schriftsteller
Konfession
andere
Normdaten
GND: 118579983 | OGND | VIAF: 27068501
Namensvarianten
  • Merin, Walt (Pseudonym)
  • Glossator (Pseudonym)
  • Mehring, Walter
  • mehr

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Zitierweise

Mehring, Walter, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118579983.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Sigmar (1856–1915, isr., dann Dissident), Publizist, Redakteur d. „Ulk“ (satir. Beil. d. „Berliner Tagebl.“), Übers. franz. Lit. u. Vf. e. Verslehre, wegen e. krit. Gedichts z. Dreyfusaffäre 1900 drei Monate in Festungshaft (s. Brummer; Wi. 1914; DBJ I, Tl.; Kosch, Lit.-Lex.), S d. Siegfried, Grabsteinverfertiger u. Kunstmaler in Breslau, u. d. Bertha Schumann;
    M Hedwig Löwenstein (1866–1942 KZ Theresienstadt) aus Gnesen, Sängerin (als Hedwig Stein);
    1944 ( ca. 1964) Marie-Paule Tessier (1916–77), Malerin; kinderlos.

  • Biographie

    Im Elternhaus M.s verkehrten u. a. Heinrich Zille und der junge Lyonel Feininger. Schon vor dem (externen) Abitur am Wilhelms-Gymnasium 1914 hatte M. avantgardistische Künstler der Berliner Bohème kennengelernt, die sich im „Café des Westens“, dem sog. „Café Größenwahn“, trafen. Gleichfalls noch in dieser Zeit liegt die Bekanntschaft mitHerwarth Walden und seiner Zeitschrift „Der Sturm“, in der M. 1915 erste Gedichte in der Manier August Stramms veröffentlichte. Nach einigen Semestern Kunstgeschichtsstudium in Berlin und München wurde M. im Dezember 1916 zum Militär einberufen, jedoch (nach eigener Aussage) wegen Unzuverlässigkeit vorzeitig entlassen. Über Theodor Däubler lernte er George Grosz kennen, womit seine Abkehr vom „Sturm“-Kreis und die Hinwendung zum (auch politisch revolutionären) Berliner Dada begann. M., der zuerst Zeichner werden wollte, schrieb seit 1919 für Berliner Kabaretts Gedichte und Chansons, vor allem für Max Reinhardts „Schall und Rauch“ (in dem er selbst auftrat), für Rosa Valettis „Größenwahn“ und seit 1921 für Trude Hesterbergs „Wilde Bühne“. M.s Lyrik, die auch den jungen Brecht faszinierte, griff gängige Motive der antibürgerlichen Moderne seit Wedekind auf (die Großstadt als „Landschaft“, Dirnen und Vagabunden als asoziale Gegenentwürfe zum „satten Bürger“, Vaganten, Zirkus und Varieté), präsentierte sie jedoch, dadaistisch inspiriert und über Krieg und Konterrevolution empört, politisch und sprachlich unerhört radikal. Scharfe Kritik an Militarismus und Reaktion, an Mehrheitssozialdemokratie und früher NS-Bewegung verband sich mit der virtuosen Montage dissonanten Sprachmaterials (Berliner Dialekt, Ganovensprache, Militärjargon, Liturgieelemente). M.s Gedichte, teilweise im Jazz-Rhythmus, schockierten die Öffentlichkeit und riefen auch mehrfach die Justiz auf den Plan. Schon 1920 wurde ein Strafverfahren gegen M. eingeleitet, weil er mit dem Couplet „Der Coitus im Dreimädlerhaus“ sich der Verächtlichmachung der Reichswehr und der Verbreitung unsittlicher Schriften schuldig gemacht habe. M.s erste Buchveröffentlichung „Das politische Cabaret“ (1920) begründete seinen Ruhm, „Das Ketzerbrevier“ (1921) und „Wedding-Montmerte“ (1922), gleichfalls Gedichtbände, befestigten ihn.

    In den Jahren 1922-28 lebte M. überwiegend in Paris, 1920-24 schrieb er für „Die Weltbühne“, 1925-28 für „Das Tagebuch“ als Auslandskorrespondent. Nach Novellen und Übersetzungen (u. a. H. de Balzac, Trollatische Geschichten, 1924, in dessen „Gesammelten Werken“ des Rowohlt Verlags; E. Pottier, J. B. Clément, Französische Revolutionslieder, 1924) erschien 1927 der historisch-satirische Roman auf die Presse „Paris in Brand“. 1928 wählte M., der Mitglied der „Gruppe 1925“ und des PEN-Clubs geworden war, wieder Berlin als festen Wohnsitz. Dafür ausschlaggebend war seine enge Zusammenarbeit mit Erwin Piscator, die 1929 ihren Höhepunkt in der Uraufführung von M.s Komödie „Der Kaufmann von Berlin“ fand. M.s Stück um einen (mit Zügen von Shakespeares Shylock ausgestatteten) ostjüdischen Spekulanten im Berlin der Inflationszeit löste einen Sturm der Entrüstung aus und machte den Autor, Prototyp des „Asphaltliteraten“, endgültig bei den Nationalsozialisten verhaßt. 1929 erschienen „Die Gedichte, Lieder und Chansons“, der nächste Gedichtband „Arche Noah SOS“ (1931) ist schon stark von politischer Resignation geprägt. Am 27.2.1933, dem Tag des Reichstagsbrands, floh M., der rechtzeitig gewarnt worden war und seinerseits Ossietzky und Brecht vor der Verhaftung warnte, nach Paris. Dort erschienen 1934 sein Versband „Und Euch zum Trotz“ – einer der besten des Exils – und das anonym herausgegebene Buch „Naziführer sehen dich an“, an dem M. maßgeblich mitgearbeitet hatte. – 1934-38 lebte M. meist in Wien und schrieb regelmäßig für Leopold Schwarzschilds „Das Neue Tage-Buch“. 1935 erschien in Wien der satirische Roman „Müller, Chronik einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler“, in dem er an der Gestalt eines Oberlehrers und Parteigenossen mit Opportunismus, Untertanengeist und Rassenideologie abrechnete. Im selben Jahr wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen.

    Die Jahre 1931-41 waren für M. mehr noch als die vorhergehenden von Not und Entbehrung geprägt. Am Tag des Einmarschs der deutschen Truppen in Österreich floh er nach Paris. Dort lebte er in einem kleinen Hotel im Quartier Latin zusammen mit der Schauspielerin und Publizistin Hertha Pauli (1909–73, Schwester des Nobelpreisträgers für Physik Wolfgang Pauli) und zeitweise mit Ödön v. Horváth. Ein Stipendium der „American Guild for German Cultural Freedom“ half über die schlimmste materielle Not hinweg. Nach Kriegsbeginn wurde M. als „feindlicher Staatenloser“ im Camp de Falaise (Normandie) interniert. Im Februar 1940 wurde er von dort nach Paris entlassen. Als die deutschen Truppen am 14.6.1940 in Paris einmarschierten, floh M. mit Hertha Pauli in das noch unbesetzte Südfrankreich. Bereits im September 1940 wurde er – auf dem Weg von Marseille zur span. Grenze – in Perpignan erneut von der franz. Polizei verhaftet und im Emigrantenlager St. Cyprien interniert. Auf Intervention von Varian Fry vom amerikan. „Emergency Rescue Committee“ wurde M. aus dem Lager entlassen. Fry versteckte ihn in einem Hotel in Marseille, bis er Anfang 1941 in die USA einreisen konnte. Entscheidender literarischer Ertrag dieser drei „Unjahre“ sind seine zwölf „Briefe aus der Mitternacht“ in Gedichtform – ein erschütterndes Dokument der Exilsituation im allgemeinen und von M.s unerwiderter Liebe zu Hertha Pauli.

    Von Juni 1941 bis April 1942 lebte M. in Hollywood von Honoraren der Metro-Goldwyn-Mayer-Pictures. Danach ließ er sich in New York nieder, das bessere Verdienstmöglichkeiten bot. Doch die erste Buchpublikation dieser Jahre, der zweisprachige Gedichtband „No Road Back – Kein Weg zurück“ (1944), hatte kaum Resonanz. Artikel in „Der Aufbau“, „The Nation“ und „The New York Times“ sowie ein zeitweiliger Lehrauftrag in Princeton brachten wenig ein, so daß M. auf die Unterstützung von George Grosz angewiesen war. Allein die 1951 zuerst in engl. Übersetzung veröffentlichte Autobiographie „The Lost Library“ (1952 u. d. T. „Die verlorene Bibliothek, Autobiographie einer Kultur“) war ein Verkaufserfolg. In ihr hat M. assoziativ an die 1937 nach Wien transferierte, später endgültig verlorengegangene Bibliothek seines Vaters angeknüpft und der abendländischen Aufklärungskultur und -literatur ein gerade in seiner Skepsis bemerkenswertes Denkmal gesetzt.

    Im Februar 1953 verließ M., der amerikan. Staatsbürger geworden war, die USA und lebte danach zeitweise in Berlin, Hamburg und München. 1958 entschied er sich endgültig gegen eine „Heimkehr“ nach Deutschland und ließ sich in Ascona (Schweiz) nieder. Seine der selbst erlebten Zeit- und Kunstgeschichte gewidmeten Prosawerke dieser Jahre – „Paul Klee“ (1956), „Verrufene Malerei“ (1958) und „Berlin Dada“ (1959) – fanden nur wenige Leser. Gleiches gilt für die aus alten und neuen Gedichten zusammengesetzten Bände „Neues Ketzerbrevier“ (1962) und „Kleines Lumpenbrevier“ (1965). Ein Angebot des Aufbau-Verlags (Ost-Berlin) von 1962, seinen „Müller“-Roman neu aufzulegen, lehnte M. aus politischen Gründen ab. Von westdeutschen Verlagen sah er sich dagegen als „Operettenkomiker“ und „Vereinshumorist“ mißbraucht. Ein Versuch M.s, sich|1965 in München dauerhaft niederzulassen, scheiterte nach reichlich einem fahr. Auch ein zweiter Ansiedlungsversuch in München 1975 blieb Episode. Bis 1971 lebte M. abwechselnd in Ascona und München, danach vorwiegend in einem Zürcher Hotel. Ehrungen dieser Jahre konnten ihn nicht davon überzeugen, daß er ein wirklich anerkannter Autor war. Als persönliche Katastrophe erlebte er 1976 den Verlust eines 800-seitigen Prosamanuskripts mit dem Arbeitstitel „Topographie einer Hölle – Reportagen der Unter-Weltstädte“, das bei einer Krankenhausüberführung von München nach Zürich abhanden kam.

    Die seit 1978 erscheinende Werkausgabe (herausgegeben von Christoph Buchwald, bisher 11 Bände) zeigt M. verspätet in seiner hervorragenden Bedeutung als wohl entscheidenden Begründer des politisch-literarischen Kabaretts aus dem Geiste des Dada, als faszinierenden Großstadtlyriker, als satirischen Prosa-Autor von Rang, als authentischen Dokumentaristen des Exils, schließlich als Verfasser einer höchst originellen Version der Intellektuellen-Autobiographie.|

  • Auszeichnungen

    Mitgl. d. Dt. Ak. f. Sprache u. Dichtung in Darmstadt (1961), Fontane-Preis (1967), Prof.-Titel (Berlin 1976), Gr. Bundesverdienstkreuz (1977).

  • Werke

    Weitere W u. a. Einfach klassisch! Eine Orestie mit glückl. Ausgang, Puppenspiel, 1919;
    Europ. Nächte, Revue, 1924;
    In Menschenhaut, Aus Menschenhaut, Um Menschenhaut herum, Phantastika 1924 (Prosa);
    Westnordwestviertelwest od. üb. d. Technik d. Seereisens, Prosa, 1925;
    Algier od. Die 13 Oasenwunder, Reiseprosa, 1925;
    Die höll. Komödie, 1932 (Bühnen-Ms);
    Die Nacht d. Tyrannen, Roman, 1937;
    Timoshenko, Marshal of the Red Army, a Study, 1942 (Verfasserschaft v. M. bestritten);
    Der Zeitpuls fliegt, Chansons, Gedichte, Prosa, 1958;
    Morgenlied e. Gepäckträgers, Gedichte, 1959;
    Großes Ketzerbrevier, Die Kunst d. lyr. Fuge, 1974. – W-Verz.: P. Raabe, Die Autoren u. Bücher d. literar. Expressionismus, 1985, S. 322-25;
    L. Maas, Hdb. d. dt. Exilpresse 1933–45, III, 1981, S. 827. |

  • Nachlass

    Nachlaß: Berlin (West), Ak. d. Künste.

  • Literatur

    V. Fry, Surrender on Demand, 1945 (dt. 1986);
    H. Kesten, Meine Freunde, d. Poeten, 1959;
    K. Riha, Moritat, Song, Bänkelsang, 1965, S. 67-76;
    R. Greuner, Gegenspieler, Profile linksbürgerl, Publizisten, 1969, S. 193-221;
    H. Pauli, Der Riß d. Zeit geht durch mein Herz, 1970;
    J. Serke, Die verbrannten Dichter, 1977, S. 98-113 (L, P);
    Festschr. z. 85. Geb.tag W. M.s, hrsg. v. d. Ak. d. Künste Berlin (West), 1981 (W, L, P);
    W. Rösler, Topographie d. Hölle, in: Sinn u. Form 33, 1981, H. 5, S. 1100-19;
    Die Horen 27, 1982, Nr. 125;
    Text + Kritik, April 1983, H. 78 (W, L, P);
    G. Köpf, Heimat, Melancholie u. Totentanz, Skizzen z. W. M., in: Lit. f. Leser, 1983, S. 84-100;
    F. Hellberg, W. M., Schriftsteller zw. Kabarett u. Avantgarde, 1983 (W, L);
    F. Trapp, Dt. Lit. zw. d. Weltkriegen II, Lit. im Exil, 1983, S. 124-26, 157 f., 170, 186-88;
    G. Schirmers (Hrsg.), Dichter im Exil – W. M. 1896-1981, Eine Ausstellung d. Univ.bibl. Wuppertal u. Hagen, 1986 (P);
    Kindlers Lit.-Lex. XII, S. 10 738 (Das Ketzerbrevier), 11 038 (Die verlorene Bibliothek);
    BHdE II.

  • Autor/in

    Wolfgang Emmerich
  • Zitierweise

    Emmerich, Wolfgang, "Mehring, Walter" in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 626-628 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118579983.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA