Scheidt, Walter

Dates of Life
1895 – 1976
Place of birth
Weiler im Allgäu
Place of death
Lindenberg im Allgäu
Occupation
Anthropologe ; Rassenbiologe ; Schriftsteller
Religious Denomination
unbekannt
Authority Data
GND: 117194093 | OGND | VIAF: 54919669
Alternate Names

  • Scheidt, Karl Walter
  • Gierer, Berchtold / Pseudonym
  • Scheidt, Walter
  • Scheidt, Karl Walter
  • Gierer, Berchtold / Pseudonym
  • Gierer, Berchtold
  • Scheidt, W.
  • Scheidt, Walther
  • Scheidt, Carl Walter
  • scheidt, karl walther

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Citation

Scheidt, Walter, Index entry in: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117194093.html [01.07.2025].

CC0

  • Scheidt, Karl Walter

    Pseudonym: Berchtold Gierer

    1895 – 1976

    Anthropologe, Rassenbiologe, Schriftsteller

    Walter Scheidt war Mitinitiator eines der größten rassenkundlichen Forschungsprojekte im Deutschen Reich der Zwischenkriegszeit. Als Professor für Rassen- und Kulturbiologie an der Universität Hamburg geriet er seit 1933 mit der NS-Rassenpolitik in Konflikt, sodass Scheidt fälschlicherweise und bisweilen bis heute trotz seiner völkischen und eugenischen Positionen weithin als unbelasteter Wissenschaftler gilt.

    Dates of Life

    Geboren am 27. Juli 1895 in Weiler im Allgäu
    Gestorben am 9. August 1976 in Lindenberg im Allgäu
    Konfession katholisch; später konfessionslos
    Walter Scheidt, Museum am Rothenbaum (MARKK) (InC)
    Walter Scheidt, Museum am Rothenbaum (MARKK) (InC)
  • 27. Juli 1895 - Weiler im Allgäu

    - Kempten

    Schulbesuch (Abschluss: Abitur)

    humanistisches Gymnasium

    - München

    Studium der Humanmedizin und der Naturwissenschaften

    Universität

    1914 - 1918

    Kriegsdienst

    4. Bayerisches Feldartillerie-Regiment

    1920 - München

    Promotion

    Universität

    April 1921 - September 1924 - München

    Assistent

    Anthropologisches Institut der Universität

    - 1923 - München

    Habilitation für Anthropologie; Privatdozent

    Universität

    Oktober 1924 - Oktober 1933 - Hamburg

    wissenschaftlicher Hilfsarbeiter; seit April 1930 Kustos

    Museum für Völkerkunde

    November 1933 - 1963 - Hamburg

    ordentlicher Professor für Rassen- und Kulturbiologie; seit 1945 ordentlicher Professor für Anthropologie und Leiter des Instituts für Anthropologie

    Universität

    1965 - 1965 - Hamburg

    Lehrstuhlvertreter für Anthropologie und Übergangsleiter

    Institut für Anthropologie der Universität

    9. August 1976 - Lindenberg im Allgäu

    Nach dem Abitur an einem humanistischen Gymnasium in Kempten begann Scheidt ein Studium der Medizin sowie naturwissenschaftlicher Fächer an der Universität München und nahm von 1914 bis 1918 u. a. im 4. Bayerischen Feldartillerie-Regiment am Ersten Weltkrieg teil. 1920 wurde er bei Rudolf Martin (1864–1925) promoviert, arbeitete seit 1921 als Assistent am Anthropologischen Institut der Universität und habilitierte sich 1923 mit einer Studie zu den „Rassen“ der jüngeren Steinzeit für Anthropologie. Im Gegensatz zu Martin wandte sich Scheidt zu Beginn der 1920er Jahre von der physischen Anthropologie ab und arbeitete zur sog. Rassenbiologie. Er folgte damit einem Paradigmenwechsel anthropologischer Forschung, wonach nicht mehr die Suche nach überzeitlichen Typen in anthropometrischen Messreihen im Vordergrund stand, sondern die Vererbung physischer und psychischer Merkmale, die als Ausdruck von „Rassen“ galten. In Anlehnung an Eugen Fischers (1874–1967) 1913 erschienene Studie über die „Rehobother Bastards“ verstand Scheidt die „Erblehre“ als Verknüpfung genealogischer, bevölkerungshistorischer und anthropometrischer Aufnahmen. Bereits zu dieser Zeit war Scheidt auf eine Breitenwirkung seiner Forschung und ihres (bevölkerungs-)politischen Gehalts bedacht. So publizierte er 1923 eine „Einführung in die naturwissenschaftliche Familienkunde“, die auch als Anleitung zu eigenständigen genealogischen Aufnahmen angelegt war.

    Im Oktober 1924 folgte Scheidt auf Otto Reche (1879–1966) als Leiter der Anthropologischen Abteilung am Hamburger Völkerkundemuseum. Für eine Studie über die Bevölkerung der Elbinsel Finkenwerder entwickelte Scheidt eine wegweisende Methodik rassenbiologischer Forschung, auf die sich Fischer 1928 berief, als er mit Scheidt sowie führenden Fachvertretern wie Otto Aichel (1871–1935), Theodor Mollison (1874–1952) und Reche ein großangelegtes Forschungsprojekt bei der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft beantragte. Die Ergebnisse dieser anthropologischen Studien erschienen seit 1929 in der Reihe „Deutsche Rassekunde“, zu der auch Scheidt einige Bände beitrug, u. a. zur ländlichen Bevölkerung am Bodensee sowie zur niedersächsichen Landbevölkerung. In den 1920er Jahren nahm Scheidt eine führende Stellung im Fach ein, wovon u. a. die von ihm initiierte und von 1926 bis August 1927 als Schriftleiter betreute Zeitschrift „Volk und Rasse“ zeugt. Scheidts innovative Konzeption der „Rassenkundlichen Schausammlung“ zum 50jährigen Bestehen des Hamburger Museums für Völkerkunde 1928 sollte anhand von Schautafeln, Exponaten wie Schädeln und Fotografien Rassentheorien, Grundlagen der Vererbung und Eugenik anschaulich vermitteln und war die erste ihrer Art in einem deutschen Museum.

    Der Wechsel des Instituts, an dem Scheidt arbeitete, an die Universität Hamburg 1933 war für ihn mit der Berufung zum ordentlichen Professor für Rassen- und Kulturbiologie verbunden. Während der 1930er Jahre geriet er in das wissenschaftliche und politische Abseits, da sich sein Verhältnis zu führenden Stellen nationalsozialistischer Rassenpolitik verschlechterte. So kritisierte Scheidt 1933 in seinen Schriften vorherrschende „Rassenkonzepte“ und damit auch Hans F. K. Günther (1891–1968), einen der bekanntesten Vertreter der „nordischen Rassenlehre“. Scheidts Kritik richtete sich etwa gegen sog. „Rassensysteme“, die seiner Meinung nach Menschen primär anhand äußerlicher Merkmale in Gruppen einteilten, anstatt „Rasse“ im Sinne der „Erblehre“ als Ausleseprozess zu verstehen. Scheidts institutionelle Distanz zum Nationalsozialismus – er war als Ausnahme unter den deutschen Anthropologen kein Mitglied der NSDAP – ist jedoch nicht als kritische Distanz zu dessen politischen Zielen zu interpretieren. Vielmehr waren Scheidts politische Forderungen – die gesamte deutsche Bevölkerung „erbbiologisch“ zu durchleuchten und zu selektieren – bisweilen radikaler als jene anderer Anthropologen. So regte er etwa den Aufbau eines reichsweiten Archivs mit bevölkerungsbiologischen Daten an.

    Um seine Forschung breitenwirksam zu vermitteln, konzipierte Scheidt u. a. rassenkundliche Fortbildungsveranstaltungen für Hamburger Richter. Während er im „Dritten Reich“ nur wenige Fachtexte publizierte, veröffentlichte er zwischen 1938 und 1949 unter dem Pseudonym Berchtold Gierer eine Reihe von Romanen. Seine historische Erzählung „Geschlechter am See“ (1941), die hohe Auflagen erreichte, fügte sich in die antimodernen Tendenzen nationalsozialistischer Literatur ein und kann als literarische Codierung des eugenischen und rassistischen Denkens Scheidts verstanden werden.

    Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs behielt Scheidt seinen Lehrstuhl mit neuer Denomination und wurde Direktor des 1945 umbenannten Instituts für Anthropologie an der Universität Hamburg. Die Publikationen seiner neurophysiologischen und psychologischen Forschung erschienen fast ausschließlich im Selbstverlag des Instituts und erfuhren seitens der Fachwelt kaum Beachtung. Im September 1963 wurde Scheidt emeritiert, vertrat aber den Lehrstuhl für Anthropologie noch bis 1965.

    1941 Wilhelm-Raabe-Preis der Stadt Braunschweig für den Roman „Geschlechter am See“

    Nachlass:

    nicht bekannt.

    Weitere Archivmaterialien:

    Staatsarchiv Hamburg, 361–6_IV 1184 (Personalakte) u. 364–5 I K.20.01.379. (Institut für Anthropologie)

    Dokumentenarchiv des MARKK Museum am Rothenbaum, Hamburg, 101–1, Nr. 779–978. (Akten der Anthropologischen Abteilung des Hamburger Völkerkundemuseums)

    Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, R 4901/25365 (Personalakte) u. R 9361–V/10657. (Sammlung Berlin Document Center)

    Monografien und Herausgeberschaften:

    Einführung in die naturwissenschaftliche Familienkunde (Familienanthropologie), 1923.

    Walter Scheidt/Ernst Wahle/Gero von Merhart/Richard Thurnwald (Hg.), Allgemeine Rassenkunde als Einführung in das Studium der Menschenrassen, 1925.

    Rassenforschung. Eine Einführung in rassenkundliche Methoden, 1927.

    Walter Scheidt/Hinrich Wriede, Die Elbinsel Finkenwärder, 1927.

    Wilhelm Klenck/Walter Scheidt, Geestbauern im Elb-Weser-Mündungsgebiet (Börde Lamstedt), 1929.

    Lebensgesetze der Kultur. Biologische Betrachtungen zum „Problem der Generation“ in der Geistesgeschichte, 1929.

    Physiognomische Studien an niedersächsischen und oberschwäbischen Landbevölkerungen, 1931.

    Alemannische Bauern in reichenauischen Herrschaftsgebieten am Bodensee, 1931.

    Bevölkerungsbiologie der Elbinsel Finkenwärder vom dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart, 1932.

    Die Lebensgeschichte eines Volkes. Einführung in die rassenbiologische und kulturbiologische Forschung, 1934.

    Aufsätze:

    Volk und Rasse. Einführung in den Arbeitsplan der Zeitschrift, in: Volk und Rasse 1 (1926), S. 1–6.

    Rassenkunde, Völkerkunde und Völkerbiologische Forschungs- und Lehraufgaben, in: Georg Thilenius (Hg.), Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen des Hamburgischen Museums für Völkerkunde, Hamburg, 1928, S. 75–109.

    Volkstumskundliche Forschung in deutschen Landgemeinden, in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 21 (1929), S. 129–191.

    Die rassischen Verhältnisse in Nordeuropa nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung, in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 28 (1930), S. 1–197.

    Ein bevölkerungsbiologisches Reichsarchiv. Anregungen und Fragen für Verwaltungsbeamte, in: Allgemeines Statistisches Archiv 22 (1932), S. 561–568.

    Rassenbiologie in der Schule, in: Die deutsche Schule 37 (1933), S. 634–641.

    Staatliche Gesundheitsfürsorge. Ein Vorschlag, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 59 (1933), S. 1867–1869.

    Praktische Rassenhygiene, in: Die deutsche Schule 38 (1934), S. 59–66.

    Kulturbiologie und Rassenpsychologie, in: Archiv für Bevölkerungswissenschaft und Bevölkerungspolitik 5 (1935), S. 8–20.

    Belletristische Schriften:

    Die Geige. Roman, 1938. (unter dem Pseudonym Berchtold Gierer)

    Geschlechter am See. Roman, 1940. (unter dem Pseudonym Berchtold Gierer)

    Im Tross der Reiter. Roman, 1949. (unter dem Pseudonym Berchtold Gierer)

    Christian Hünemörder, Biologie und Rassenbiologie in Hamburg 1933 bis 1945, in: Eckart Krause/Ludwig Huber/Holger Fischer (Hg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933–1945, 1991, S. 1155–1196.

    Andrew D. Evans, Race Made Visible. The Transformation of Museum Exhibits in Early-Twentieth-Century German Anthropology, in: German Studies Review 31 (2008), H. 1, S. 87–108.

    Bernd Gausemeier, Auf der „Brücke zwischen Natur- und Geschichtswissenschaft“. Ottokar Lorenz und die Erfindung der Genealogie um 1900, in: Florence Vienne/Christina Brandt (Hg.), Wissensobjekt Mensch. Humanwissenschaftliche Praktiken im 20. Jahrhundert, 2008, S. 137–164.

    Thomas Etzemüller, Auf der Suche nach dem nordischen Menschen. Die deutsche Rassenanthropologie in der modernen Welt, 2015.

    Jürgen Schlumbohm, Family Reconstitution Before Family Reconstitution. Historical Demography in the Context of Racial Science and Racial Policy, in: Annales de démographie historique 136 (2018), S. 213–248.

    Simon Raschke, Walter Scheidt. Der elitäre „Rassenkundler“, in: Rolf Düsterberg (Hg.), Dichter für das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie, 2022, S. 261–294.

    Philipp Kröger, „Rasse“ als globaler Datenstrom. Die Hamburger Anthropologie des 20. Jahrhunderts als Ausgangspunkt einer Datengeschichte der Rassifizierung, in: NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 31 (2023), S. 387–420.

    Fotografie, 1930, Museum am Rothenbaum (MARKK), Hamburg

  • Author

    Philipp Kröger (Siegen) / Mats Lassen (Hagen)

  • Citation

    Kröger, Philipp / Lassen, Mats, „Scheidt, Walter“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.07.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/117194093.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA