Feyerabend, Paul

Lebensdaten
1924 – 1994
Geburtsort
Wien
Sterbeort
Genolier (Kanton Waadt)
Beruf/Funktion
Philosoph
Konfession
römisch-katholisch
Normdaten
GND: 118532812 | OGND | VIAF
Namensvarianten

  • Feyerabend, Paul Karl
  • Feyerabend, Paul
  • Feyerabend, Paul Karl
  • Feyerabend, Paul Carl

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Zitierweise

Feyerabend, Paul, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118532812.html [02.10.2025].

CC0

  • Feyerabend, Paul Karl

    1924 – 1994

    Philosoph

    Der österreichische Philosoph Paul K. Feyerabend war einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Nach seiner Promotion in Wien 1951 lehrte er in Bristol (England), später drei Jahrzehnte an der University of California in Berkeley (USA) und zudem in den 1980er Jahren an der ETH Zürich. Allgemeine Bekanntheit erlangte er v. a. durch seinen Band „Against Method. Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge“ (1975), in dem er den „Methodenzwang“ der etablierten Wissenschaftsphilosophie scharf kritisierte.

    Lebensdaten

    Geboren am 13. Januar 1924 in Wien
    Gestorben am 11. Februar 1974 in Genolier (Kanton Waadt)
    Grabstätte Zentralfriedhof in Wien
    Konfession römisch-katholisch
    Paul K. Feyerabend (InC)
    Paul K. Feyerabend (InC)
  • 13. Januar 1924 - Wien

    1930 - 1942 - Wien

    Schulbesuch (Abschluss: Matura)

    Volksschule für Knaben und Mädchen, Hackengasse 11–13; seit 1934 Robert-Hamerling-Realgymnasium

    10.4.1942 - 28.11.1942 - Zweibrücken (Pfalz); Quélern-en-Bas bei Roscanvel (Departement Finistére, Frankreich)

    Reichsarbeitsdienst

    1942 - 1945 - u. a. Kroatien; Sowjetunion

    Kriegsdienst (zuletzt Leutnant); Verwundung

    Wehrmacht

    1945 - 1946 - Bad Warmbrunn (heute Cieplice Śląskie-Zdrój, Polen); Weimar; Apolda bei Weimar

    Rekonvaleszenz

    Reformlazarett

    1946 - 1946 - Weimar

    Studium der Theaterproduktion, Theatergeschichte und des Gesangs

    Staatliche Hochschule für Musik

    1946 - Wien

    Rückkehr; Studium der Geschichtswissenschaft, Physik und Philosophie

    Universität

    1948 - Alpbach (Tirol)

    erster Besuch; Bekanntschaft mit Karl R. Popper (1902–1994)

    Europäisches Forum

    1949 - Wien

    Universität

    1949 - 1952 - Wien

    Gründer; Mitglied

    Kraft Kreis (studentischer Zusammenschluss) an der Universität

    1951 - Wien

    Promotion (Dr. phil.)

    Universität

    1951 - Kopenhagen; Stockholm; Oslo

    Aufbaustudium in Wissenschaftsphilosophie

    Universität

    1952 - 1953 - London

    Stipendiat des British Council bei Popper

    London School of Economics (LSE)

    1953 - 1955 - Wien

    Rückkehr; Assistent Arthur Paps (1921–1959)

    Universität

    1955 - 1958 - Bristol (England)

    Lecturer für Philosophie

    Universität

    1957 - Minneapolis (Minnesota, USA)

    Besuch

    Minnesota Center for the Philosophy of Science

    1958 - 1989 - Berkeley (Kalifornien, USA)

    Gastprofessor; seit 1959 Permanent Professor für Philosophie

    University of California

    1967 - 1967 - London

    Gastprofessor

    LSE

    1968 - 1968 - Berlin-West

    Gastprofessor

    Freie Universität

    1969 - 1969 - New Haven (Connecticut, USA)

    Gastprofessor

    Yale University

    1972 - 1972 - Auckland (Neuseeland)

    Gastprofessor

    University

    1974 - 1974 - Auckland

    Gastprofessor

    University

    1974 - 1975 - Falmer (England)

    Gastprofessor

    University of Sussex

    1977 - 1977 - Kassel

    Gastprofessor

    Universität

    1979 - 1990 - Zürich

    Gastprofessor; seit 1980 50%-Professur (Sommersemester)

    ETH

    11. Februar 1974 - Genolier (Kanton Waadt)

    Feyerabend wuchs in Wien auf und besuchte hier das Realgymnasium. Nach der Matura 1942 leistete er Reichsarbeitsdienst, ehe er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Eine schwere Verwundung führte 1945 zu einer lebenslangen Lähmung seines Körpers hüftabwärts. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs studierte Feyerabend Theaterproduktion, Theatergeschichte und Gesang an der Staatlichen Hochschule für Musik in Weimar, 1946 wechselte er zum Studium der Geschichtswissenschaft, Physik und Astronomie an die Universität Wien. 1951 wurde er bei dem Philosophen Viktor Kraft (1880–1975) mit der Arbeit „Zur Theorie der Basissätze“ zum Dr. phil. promoviert und absolvierte anschließend ein kurzes Aufbaustudium in Wissenschaftsphilosophie in Kopenhagen, Stockholm und Oslo.

    1952 ging Feyerabend nach England, um bei Karl R. Popper (1902–1994) an der London School of Economics zu arbeiten; seine hauptsächlichen Interessensgebiete waren Ludwig Wittgensteins (1889–1951) Philosophie und die Quantenmechanik. 1955 nahm er eine Dozentenstelle für Philosophie an der Universität Bristol (England) an. 1958 folgte er einer Einladung als Gastprofessor an die University of California in Berkeley (USA), wo er im folgenden Jahr eine unbefristete Professur für Philosophie erhielt. Unterbrochen von mehreren Gastprofessuren lehrte er hier bis 1990 sowie von 1980 bis 1990 jeweils im Sommersemester an der ETH Zürich.

    Frühe Bekanntheit erlangte Feyerabend mit Arbeiten zur Philosophie der Quantenmechanik. Er war einer der ersten Philosophen, die sich mit Niels Bohrs (1885–1962) Begriff der Komplementarität auseinandersetzten. Feyerabends frühe Kritik an gängigen Sichtweisen in der Wissenschaftsphilosophie war nicht von historischen Studien inspiriert, sondern eher eine abstrakte Diskussion im Geiste des Wiener Kreises, ergänzt durch Poppersche Ideen. In seinem wichtigsten und einflussreichen Aufsatz dieser Zeit, „Explanation, Reduction, and Empiricism“ (1962), stellte Feyerabend sein Konzept der Inkommensurabilität als Waffe gegen verschiedene Versionen des Reduktionismus vor. In anderen Aufsätzen der 1960er Jahre vertrat er die Idee einer Proliferation von Theorien als einzig wirksamem Gegenmittel gegen Dogmatismus, da nur so maximale Kritik an wissenschaftlichen Theorien gewährleistet werden könne.

    Über die Wissenschaftsphilosophie hinaus bekannt wurde Feyerabend durch sein Buch „Against Method. Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge“ (1975), das vielfach aufgelegt und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Die Studie besteht aus einem erkenntnistheoretischen Teil und einem Teil, in dem Feyerabend daraus politische Konsequenzen zog. Der erste Teil wurde größtenteils entgegen Feyerabends Intention als These gelesen, dass es in den Wissenschaften keinerlei Beschränkungen für wissenschaftliches Verhalten gäbe; sein Slogan „anything goes“ schien das zu sagen, wobei Feyerabend stattdessen damit zum Ausdruck bringen wollte, dass jede wissenschaftliche Regel mit Ausnahmen zu rechnen habe, wovon nur die leere Regel „anything goes“ ausgenommen sei. Obwohl auch andere Autoren wie Thomas S. Kuhn (1922–1996) in „The Structure of Scientific Revolutions (1962) die Nichtexistenz absolut verbindlicher wissenschaftlicher Regeln behauptet hatten, war Feyerabend derjenige, der dies mit der größten Wirkung tat: Er griff v. a. den Verlust an Konkretheit an, der seiner Meinung durch jeden abstrakten Ansatz impliziert ist. Dass „Against Method“ z. T. anders interpretiert wurde als von Feyerabend intendiert, führte zu scharfen Entgegnungen von dessen Seite.

    Die Konsequenzen seiner erkenntnistheoretischen Ansichten ergaben sich für Feyerabend aus dem Verlust jeglicher Unterscheidungsmerkmale der Wissenschaften. Da es keine qualitative Abgrenzung der Wissenschaften von anderen Traditionen gebe und alle Traditionen in einem liberalen Staat die gleichen Rechte haben sollten, gebe es keinen Grund, warum die Wissenschaft im Vergleich zu anderen Traditionen einen Sonderstatus in der Gesellschaft haben solle. Wie in den Wissenschaften, in denen er den Pluralismus der Theorien propagierte, verlangte seine Vision einer freien Gesellschaft ein friedliches Zusammenleben einer Vielzahl von Kulturen.

    Feyerabend entwickelte diese Vorstellungen in zwei seiner nachfolgenden Bücher weiter, in „Science in a Free Society“ (1978) und „Farewell to Reason“ (1987). Insbesondere in Letzterem diskutierte er ausführlich seine Ideen zu kultureller Vielfalt und kulturellem Wandel und plädierte für den Relativismus als „Versuch, das Phänomen der kulturellen Vielfalt zu verstehen“. In seinen letzten Jahren versuchte er, eine umfassendere Weltsicht zu entwickeln, in der Kulturen nie statisch sind oder sich leicht voneinander trennen lassen. In dieser Sichtweise ist die Realität immer kulturspezifisch und reagiert auf die Ansätze und Einstellungen der Beobachter.

    Feyerabend zählt zu den umstrittensten Persönlichkeiten der Wissenschaftsphilosophie des 20. Jahrhunderts. Von einigen Wissenschaftlern, die selbst der etablierten Wissenschaft überwiegend kritisch gegenüberstanden, wie Rupert Sheldrake (geb. 1942) und Brian David Josephson (geb. 1940), wurde Feyerabend gelobt. Andere verurteilten ihn z. B. als „schlimmsten Feind der Wissenschaft“, so Theo Theocharis und Michalis Psimopoulos („Where science has gone wrong“, in: Nature 329, 1987, S. 595–598). Von manchen für sein Eintreten für Menschlichkeit und Unabhängigkeit geschätzt, lehnten ihn andere wegen seines Relativismus und seiner harschen, teils beleidigenden Kritik, u. a. an Popper, Kuhn und Joseph Agassi (1927–2023), ab. Als umstrittener Hochschullehrer zog Feyerabend ein großes Publikum an und entfachte lebhafte und kontroverse Diskussionen. Dennoch hatte er keine Schüler im engeren Sinn und äußerte sich mehrfach negativ über akademische Abhängigkeitsverhältnisse.

    1944 Eisernes Kreuz II. Klasse
    1945 Verwundetenabzeichen in Schwarz mit Besitzzeugnis
    1970 Dr. h. c., Loyala Universität, Chicago (Illinois, USA)
    2006 Paul K. Feyerabend Foundation (weiterführende Informationen)

    Nachlass:

    Philosophisches Archiv der Universität Konstanz.

    Monografien:

    Zur Theorie der Basissätze, 1951. (Diss. phil.)

    Against Method. Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge, 1975, 3. durchgesehene, erg. Aufl. 1993, dt. u. d. T. Wider den Methodenzwang 1976, portugies. 1977, niederl. 1977, schwed. 1977, franz. 1979, ital. 1979, span. 1981, japan. 1981, griech. 1983, türk. 1989, chines. 1996, russ. 2007.

    Science in a Free Society, 1978, ital. 1987 (nur T. 2); chines. 1990, türk. 1991 u. 1999, Thai 2006 (nur T. 2).

    Realism, Rationalism, and Scientific Method (Philosophical Papers, Bd. 1), 1981, franz. 2005.

    Problems of Empiricism (Philosophical Papers, Bd. 2), 1981.

    Wissenschaft als Kunst, 1984, franz. 2003.

    Farewell to Reason, 1987, franz. 1989, türk. 1995.

    Three Dialogues on Knowledge, 1991.

    The Conquest of Abundance. A Tale of Abstraction Versus the Richness of Being, hg. v. Bert Terpstra, 1999.

    Knowledge, Science and Relativism (Philosophical Papers, Bd. 3), hg. v. John Preston, 1999, chines. 2006.

    Naturphilosophie, hg. v. Helmut Heit/Eric Oberheim, 2009, span. 2013, franz. 2014, engl. 2016.

    The Tyranny of Science, hg. v. Eric Oberheim, 2011, ital. 1996, dt. 1998, span. 1999, franz. 2014, portugies. 2016, pers. 2020.

    Physics and Philosophy (Philosophical Papers, Bd. 4), hg. v. Stefano Gattei/Joseph Agassi, 2016.

    Historische Wurzeln moderner Probleme. Vorlesung an der ETH Zürich 1985, hg. v. Michael Hagner/Michael Hampe, 2023.

    Aufsatz:

    Explanation, Reduction and Empiricism, in: Herbert Feigl/Grover Maxwell (Hg.), Scientific Explanation, Space and Time, 1962, S. 28–97.

    Autobiografie:

    Killing Time. The Autobiography of Paul Feyerabend, 1995.

    Bibliografien:

    Matteo Collodel, The Works of Paul K. Feyerabend. (Onlineressource)

    Hans Peter Dürr (Hg.), Versuchungen. Aufsätze zur Philosophie Paul Feyerabends, 2 Bde., 1981.

    Gonzalo Munévar (Hg.), Beyond Reason. Essays on the Philosophy of Paul Feyerabend, 1991.

    John Preston, Feyerabend. Philosophy, Science and Society, 1997.

    Paul Hoyningen-Huene, Paul K. Feyerabend, in: Journal for General Philosophy of Science 28 (1997), H. 1, 1–18. (Nachruf)

    John Preston/Gonzalo Munévar/David Lamb (Hg.), The Worst Enemy of Science? Essays in Memory of Paul Feyerabend, 2000.

    Robert P. Farrell, Feyerabend and Scientific Values. Tightrope-Walking Rationality, 2003.

    Eric Oberheim, Feyerabend’s Philosophy, 2007.

    Ian James Kidd/Matthew Brown (Hg.), Reappraising Feyerabend. Studies in History and Philosophy of Science (Part A) 57 (2016), Special Issue.

    Karim Bschir/Jamie Shaw (Hg.), Interpreting Feyerabend. Critical Essays, 2021.

    Stefano Gattei/Roberta Corvi (Hg.), Feyerabend in Dialogue. Critical Essays, 2024.

  • Autor/in

    Paul Hoyningen-Huene (Zürich)

  • Zitierweise

    Hoyningen-Huene, Paul, „Feyerabend, Paul“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.10.2025, URL: https://www.deutsche-biographie.de/118532812.html#dbocontent

    CC-BY-NC-SA