Lebensdaten
1868 – 1933
Geburtsort
Büdesheim bei Bingen
Sterbeort
Locarno
Beruf/Funktion
Dichter
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 11853856X | OGND | VIAF: 46761592
Namensvarianten
  • George, Stefan Anton
  • George, Stefan
  • George, Stefan Anton
  • mehr

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Zitierweise

George, Stefan, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11853856X.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Stephan (1841–1907), Weinhändler, Gastwirt u. Weingutsbes. in Büdesheim u. Bingen, Stadtverordneter in Bingen, S d. Anton (1808–81), Küfer, Weinhändler u. Weingutsbes. in B. (Schneiders-S aus Roupeldange/Lothringen), u. d. Maria Anna Müller aus Büdesheim;
    M Eva (1841–1913), T d. Joh. Baptist Schmitt (1808–61), Mühlenbes. auf d. Neumühle b. Büdesheim, u. d. Mehlhändlers-T Ottilia Schmitt aus Bingen;
    Groß-Ov Stephan, Weingutsbes. u. Bgm. in Büdesheim, Landtagsabg.;
    B Frdr. Joh. Bapt. (1870–1925), Weinhändler;
    Schw Anna Maria Ottilie (1866–1938); ledig.

  • Biographie

    G.s Geburtsort war auch die Stätte seiner frühen Kindheit. Milieu und Atmosphäre des alten Winzerdorfes Büdesheim schildert die kleine Prosaskizze „Sonntage auf meinem Land IV“ (Gesamtausgabe [GA] XVII, 10). Von der katholischen Erziehung berichtet des Dichters „Kindlicher Kalender“ (GA XVII, 13), der das Jahr nach den Festen der Kirche gliedert. 1882-88 besuchte G. das Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt. Versuche einer eigenen Sprachfindung stehen im Zusammenhang mit dem wachsenden Interesse für fremde Sprachen und Dichtung. Der Gymnasiast lernte Italienisch, um Petrarca und Tasso lesen zu können, und Norwegisch, um Ibsens Drama „Catilina“ zu übersetzen. Mit Schulfreunden veröffentlichte er die Zeitschrift „Rosen und Disteln“ (1887). Hier erschienen die ersten Gedichte unter dem Pseudonym Edmond Delorme, später abgewandelt in Edmond Lorm. - Reisen nach London, in die Schweiz, nach Oberitalien und nach Paris wurden für die Entwicklung des jungen G. wesentlich. Briefe aus London zeigen erstmals die Kleinschreibung. In Paris lernte er 1889 durch Albert Saint-Paul den Dichter Stéphane Mallarmé kennen und die jungen Symbolisten, die Mallarmé als ihren „maître“ verehrten. G. nahm eine Zeitlang an den berühmten Dienstagabenden im Haus Mallarmés in der rue de Rome teil. Gleichzeitig begann er ein intensives Studium der französischen Literatur, das von den symbolistischen Freunden gelenkt wurde. Folgenreich war die Beschäftigung mit Baudelaire und den Dichtern des Parnasse. Die Bedeutung des 1. Pariser Aufenthaltes hat G. noch spät im Gedicht „Franken“ (GA VI/VII, 18) bezeugt.

    Im Wintersemester 1889/90 ließ er sich an der Berliner Universität immatrikulieren und belegte 3 Semester lang Vorlesungen und Übungen in den Fächern Romanistik, Anglistik, Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Nach dem Abbruch des Studiums begab er sich wieder auf Reisen. In Wien lernte er Hugo von Hofmannsthal kennen. Eine kurze stürmische Freundschaft mit hochgreifenden Plänen beendete Hofmannsthal gewaltsam, aber er blieb G. noch einige Zeit innerlich verbunden und übertrug ihm die Publikation der 1. Sammlung seiner Gedichte (Ausgewählte Gedichte, 1903). Der Briefwechsel der beiden Dichter gehört zu den bedeutendsten persönlichen Dokumenten der Zeit um die letzte Jahrhundertwende.

    Zusammen mit C. A. Klein begründete G. 1892 die „Blätter für die Kunst“, eine Zeitschrift für Dichtung mit bewußt begrenzter Auflage, die in 12 Folgen bis 1919 in unregelmäßigen Abständen erschien. Zum frühen Kreis der Mitarbeiter gehörten außer Hofmannsthal vor allem L. Andrian, P. Gérardy, M. Dauthendey, K. Wolfskehl, L. Klages, K. G. Vollmöller. Dazu kamen bald: Friedrich und Ernst Gundolf, L. Derleth, H. von Heiseler, L. Treuge, A. Schuler, W. Wenghöfer und Saladin Schmitt. Außer den Dichtern wurden im Anfang auch andere Künstler einbezogen, die Bildbeigaben oder Tonstücke lieferten. Seit 1897 übernahm der Maler Melchior Lechter die künstlerische Ausstattung der Bücher G.s. Eine geeignete Antiqua und die Handschrift des Dichters bildeten das Vorbild für die Stefan-George-Schrift, die seit der 3. Auflage des Gedichtbuches „Das Jahr der Seele“ verwendet wurde (1904). Ihre endgültige Form zeigt die „Gesamt-Ausgabe der Werke“ (GA). Auf einer Romreise im Jahre 1898 begegnete G. dem Verleger G. Bondi, der von diesem Zeitpunkt an alle Werke des Dichters und viele Bücher der Freunde verlegte.

    Lebenshaltung und dichterisches Schaffen bilden bei G. eine echte Einheit. Jedes Gedicht hat einen Bezug zum dichterisch verwirklichten Leben. Bezeichnend für die stete Wanderschaft ist das 2. Gedichtbuch „Pilgerfahrten“ (GA I), das G. später H. von Hofmannsthal widmete. Länger als einige Monate verweilte der Dichter nie an einem Ort. Oft wohnte er bei Freunden. Die bedeutungsvollen Fixpunkte seiner Reisen waren Bingen, Berlin, München, Heidelberg, Darmstadt, Marburg, Kiel und Basel. In Bingen lernte er Ida Coblenz kennen, die spätere Frau Richard Dehmels. Mit ihr verband ihn bis 1896 eine leidenschaftliche Freundschaft. Gedichte aus dem „Buch der Hängenden Gärten“ (GA III) und aus dem „Jahr der Seele“ (GA IV) geben in überpersönlich gültiger Umformung Zeugnis von dieser wohl einzigen Liebesbindung mit einer Frau.

    In München trat G. einige Zeit in nähere Beziehung zu der Gruppe der Kosmiker (Schuler, Klages, Wolfskehl). Zur gleichen Zeit lernte er dort Maximilian Kronberger kennen. Nach dem frühen Tode des geliebten Jünglings ehrte er ihn durch das „Gedenkbuch“ (1908) und durch den „Maximin“-Zyklus des „Siebenten Rings“ (GA VI/VII).

    Ein formendes Ereignis war die Wiederentdeckung Hölderlins durch G. und seine Schüler. An der 1. historisch-kritischen Hölderlin-Ausgabe, die Norbert von Hellingrath veranstaltete, nahm G. aktiven Anteil. Der „Hyperion“-Zyklus (GA IX, 13 ff.) feiert und deutet den vergessenen Dichter in einer Form, die sich bewußt von Hölderlins hymnischer Rede mitprägen läßt. Sichtbarer als in der Frühzeit erfüllte G. nun sein Dichtertum als einen pädagogischen und prophetischen Auftrag. Zu den bedrängenden Ereignissen des 1. Weltkrieges ergriff er das Wort in den Gedichten „Der Krieg“ (GA IX, 27) und „Der Dichter in Zeiten der Wirren“ (GA IX, 35). Der Kreis der Menschen, die auf die Stimme des Dichters hörten, wurde jetzt immer größer. Um äußeren Erfolg oder Anerkennung kümmerte sich G. jedoch nicht. Den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main, der ihm 1927 als erstem verliehen wurde, lehnte er ab. Einer dringlichen Bitte folgend, nahm er die Ehrung nachträglich an, aber ohne öffentliches Auftreten und ohne Dank. Den Geldbetrag verwendete er zur Förderung seines jungen Freundes Max Kommerell, der sich an der Universität Frankfurt habilitierte.

    Die erwählten jungen Menschen und Schüler - nur sie bilden den „George-Kreis“ - formte er zu einer selbstbewußten geistigen Gemeinschaft. Zu diesem Kreis des Dichters gehörten außer Wolfskehl und den Brüdern Gundolf vor allem: F. Wolters, B. Vallentin, K. Hildebrandt, R. Boehringer, E. Morwitz, L. Thormaehlen, E. Boehringer, W. Stein, J. Anton, M. Kommerell, E. Kantorowicz, Bernhard und Woldemar Graf von Uxkull-Gyllenband, die Brüder Alexander, Berthold und Claus Schenk Graf von Stauffenberg, F. Mehnert. K. J. Partsch und M. Stettler.

    Die politischen Ereignisse verfolgte G. auch nach dem Weltkrieg mit kritischer Aufmerksamkeit. Vor der pseudovölkischen Ideologie des Nationalsozialismus, vor dessen Chauvinismus und Demagogie warnte er seine Freunde frühzeitig, ohne freilich jeden einzelnen von einem zeitweiligen politischen Engagement in solcher Richtung abhalten zu können. Als man ihn 1933 zum Präsidenten einer neuen deutschen Akademie für Dichtung machen wollte, ließ er durch seinen Freund E. Morwitz die Absage überbringen. Ehrungen zum 65. Geburtstag wich er aus. Ende August begab er sich in die Schweiz. Dort starb er einige Monate später im Krankenhaus von Locarno. Freunde bestatteten ihn auf dem Friedhof in Minusio. R. Boehringer ist der Verwalter seines Nachlasses.

    G. besaß eine ungewöhnliche personale Ausstrahlung. Die überzeugende Einheit von Erscheinung und Wesen, der Zauber seines Wortes im Gespräch wie im Werk und die besondere Art, Gedichte zu lesen, haben immer von neuem Menschen in seinen Bann|gezogen, die ihn bewunderten, verehrten oder liebten und an seine dichterische Sendung glaubten. Noch ehe er sich durch bedeutende Werke ausgewiesen hatte, nahmen ihn die französischen Lyriker als Dichter in ihren Kreis auf. Hofmannsthal hat die erweckende Kraft G.s bezeugt, aber zugleich auch die gebieterische Gebärde und die oft unheimliche Gewalt: „Von seinen Worten, den unscheinbar leisen/Geht eine Herrschaft aus und ein Verführen/Er macht die leere Luft beengend kreisen/Und er kann töten, ohne zu berühren.“ In Zuneigung und Abwehr war G. gleichermaßen entschieden. Er wirkte durch Gedicht und Gespräch. Einige Gespräche sind aufgezeichnet und überliefert.

    Das dichterische Werk G.s erfüllt sich in der lyrischen Form. Seine Prosa ist indem schmalen Band „Tage und Taten“ (GA XVII) zusammengefaßt. Sie wird in ihrer Eigenart bestimmt durch den Willen des Lyrikers zur Kürze: Es sind impressionistische Skizzen, Briefe, Betrachtungen, Aphorismen und Lobreden. Auch Novelle und Roman hielt G. für zeitgemäße und bedeutende Kunstformen, aber er übte heftige Kritik an der modernen Neigung zur Reportage: „Man verwechselt heute kunst (literatur) mit berichterstatterei (reportage) zu welch letzter gattung die meisten unsrer erzählungen (sogenannte romane) gehören.“

    Die wenigen Versuche, ein Drama oder Spielszenen zu schreiben, sind Fragment geblieben („Manuel“ GA XVIII, 7 ff.). Ein Weihespiel („Die Aufnahme in den Orden“ GA XVIII, 61 ff.), ein Szenenbild mit Dialogtext („Die Herrin betet“ GA XVIII, 53 ff.) und einige späte Gesprächgedichte („Der Gehenkte“, „Der Mensch und der Drud“, „Gespräch des Herrn mit dem römischen Hauptmann“, „Der Brand des Tempels“ GA IX, 67 ff.) fügen sich ohne Zwang in das lyrische Gesamtwerk ein, da die Dialoge keine dramatische Struktur haben und weder eine Handlung noch ein Problem entfalten. Alle Stücke sind erweiterte Rollengedichte mit spruchhaften Pointen. Dabei gewinnt die Darstellung gegenbildlicher Daseinsformen eine besondere Bedeutung. Auch der frühe Plan einer „Bühne der Blätter für die Kunst“ wurde begrenzt, da G. das Theater seiner Zeit ganz ablehnte. Er forderte das Sprechen der Rollentexte mit nur sparsamen Gesten. Ort für Aufführungen und Lesungen dieser Art war das Zimmer oder das Atelier. Wenn auch der „Bühne“ G.s wenig Erfolg beschieden war, so ist doch seine Kritik des zeitgenössischen Theaters, vor allem der naturalistischen Illusionsbühne, gehört und zumal bei Hofmannsthal und im Expressionismus wirksam geworden.

    Das lyrische Werk beginnt mit den 3 Zyklen „Hymnen“ (1890), „Pilgerfahrten“ (1891), „Algabal“ (1892), die in der Gesamtausgabe zusammengefaßt wurden. In allen Gedichten ist die Begegnung mit den französischen Lyrikern bemerkbar. Im „Algabal“ kommt die eigene Art G.s klar und bestimmt zum Ausdruck. Gestalt und Reich des antiken Priesterkaisers Heliogabalus (218–22) werden zum Symbol für den exklusiven Künstler, der seinen eigenen Lebensbezirk gegen die Natur entwirft: „Mein garten bedarf nicht luft und nicht wärme./Der garten den ich mir selber erbaut“ (GA II, 96). Die „Bücher der Hirten und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten“ (1895) prägen Stoffe und Motive der abendländischen und morgenländischen Literatur um und zeigen G. bereits als Meister symbolistischer Technik. Widmungsgedichte an Freunde fügen sich den Zyklen ein. Diese Gattung kehrt in allen folgenden Gedichtbüchern wieder und bildet einen beachtlichen Teil des Gesamtwerks. Es bezeugt sich darin die fundierende Bedeutung des „Kreises“ für G.s Künstlertum und Schaffen. Breitere Anerkennung und ersten Ruhm errang der Dichter mit dem Buch „Das Jahr der Seele“ (1897), in dem er die Gestalt des traditionellen Naturgedichts in Deutschland entscheidend umformte. Seine Natur wurde hier real und sinnbildlich der Park, die vom Gartenkünstler kunstvoll organisierte und erstellte Landschaft. Bezeichnend, daß im Zyklus des Jahreslaufes der Herbst den Eingang bildet („Komm in den totgesagten park und schau“), jene Jahreszeit also, in der die Natur beim Absterben des Lebens eine künstlerisch erregende Farbenfülle gewinnt, während der Frühling fehlt. Der Bezug zu den Dingen und Vorgängen der Natur ist durch die Optik des Künstlers gebrochen. Auch später erscheint bei G. elementare Natur als Gegenwelt des Menschen. Vertraut und schön wird sie, wenn sie gehegt und beherrscht ist („Der Freund der Fluren“ GA V, 42). Wortprägungen und Bildtechnik der Gedichte im „Jahr der Seele“ lassen in der Neigung zur schmuckreichen Konstruktion bisweilen eine Beziehung zu Intentionen und Motiven des Jugendstils erkennen (An einer hohen blume welkem stiel - bronzebraunen laubes inselgruppen - Vom tore dessen eisen-lilien rosten/Entfliegen vögel zum verdeckten rasen). Doch zielt der Bildaufbau nicht auf Abstraktion. Zumal durch Farbigkeit und ruhige Bewegung gewinnen alle Metaphern und Symbolzeichen sinnliche Intensität, die anschauliche Vorstellungen schafft („Im freien viereck mit den gelben steinen/In dessen mitte sich die brunnen regen“ GA IV, 22). -|Die strenge Form mit einer einheitlich symmetrischen Gliederung kennzeichnet den „Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel“ (1899). Jeder zyklische Abschnitt, den der Titel nennt, besteht aus der gleichen Anzahl von Gedichten (24), die in Zweiergruppen geordnet sind, und jedes Gedicht hat 4 Strophen mit je 4 Versen, in denen als Maß der auftaktige Fünfheber vorherrscht. Ruhig und gemessen ist der Ton, und im Gleichmaß der Bewegung erhält jedes Wort volles Gewicht. Bedachtheit, Dichte und sentenzhafte Pointierung ordnen den Gedichttypus der lyrischen Grundform des Spruches zu. Die Metapher „Teppich des Lebens“ deutet hin auf eine kunstvolle und rätselhafte Ordnung des Seins. Im Gedicht erwachen die abstrakten Chiffren des Teppichs zum „schönen Leben“, das der Engel des „Vorspiels“ ankündigt. Den prächtigen Schmuck des Buches schuf Melchior Lechter. In seiner reichen Ausstattung mit Bildern, Umrahmungen und Zierbuchstaben, eingebunden in grünes, auf Holzdeckel gespanntes Leinen mit blauem Titelaufdruck, ist die 1. Ausgabe ein seltenes und bezeichnendes Musterstück für die Buchkunst des Jugendstils. Der über Wolken thronende Engel Lechters hat freilich mit der gedichteten Gestalt des „Vorspiels“ wenig gemein. G. objektiviert im Bild des nackten Engels sein dichterisches Ich, erhebt es zum gültigen Formgesetz und entwirft es sich selbst als „Führer und Ferge“ voraus.

    Mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit seines Dichterworts trat G. aus dem exklusiven Bezirk des Nur-Ästhetischen hinaus. Die Zeitgedichte, die den großen Zyklus „Der siebente Ring“ (1907) einleiten, bezeichnen diesen Standort. Durch Kritik und Hinweis auf große Vorbilder (Dante, Goethe, Nietzsche, Leo XIII.) gibt G. seinen Zeitgenossen Weisung. Dieses leitende und richtende Amt des Dichters bestimmt den Ton und Gehalt des ganzen Spätwerks, noch nicht freilich aller Gedichte des „Siebenten Rings“, in dem Bilder des kosmischen Treibens in München und die Vergottung „Maximins“ (Maximilian Kronberger) einen breiten Raum einnehmen. - „Der Stern des Bundes“ (1914) ist der formstrengste Zyklus G.s. Er enthält 100 spruchhafte Gedichte, die sich verteilen auf 3 Bücher mit je 30 Stücken, den Eingang (9) und den „Schlusschor“. Gereimt sind nur das letzte Gedicht des „Eingangs“, das 10. Gedicht eines jeden „Buches“ und die 4 letzten Verse des „Schlusschores“. Die durch den Reim hervorgehobenen Stücke bezeichnen das Ende einer gedanklichen und strukturellen Einheit. In den einzelnen Gedichten schwankt die Zahl der Verse zwischen 7 und 14, im ganzen Werk beträgt sie 1000. Die Sprüche geben Grundsätze des neuen Lebens, das G. erwecken möchte. Oft ist die Bauform des Gedichts durch Rede und Gegenrede oder durch Frage und Antwort bestimmt. Die Sprache ist spruchhaft knapp. Sie verzichtet auf reichen Bilderschmuck. Metaphern und Gleichnisse sind wie in biblischer Rede unmittelbar treffende Aussage: „Ich bin der Eine und bin Beide/Ich bin der zeuger bin der schooss/Ich bin der degen und die scheide/Ich bin das opfer bin der stoss/Ich bin die sicht und bin der seher …“ (GA VIII, 27). An die Stelle des Engels aus dem „Vorspiel“ ist die Gottgestalt Maximins getreten. Sie ist Symbol für die Ermächtigung zum lebenspendenden und gebietenden Wort: „Wir schaun nicht mehr auf landes starre/Den wald von giftigem wind ergraut/Den grund geborsten durch die darre/Das fahl-gebrannte gras und kraut./Auf höhen ward ein quell entspündet/Und frische inseln blühn versteckt:/Das neue wort von dir verkündet/Das neue volk von dir erweckt.“ (GA VIII, 91).

    Alle Gedichte, die nach 1913 entstanden sind, faßte G. in seinem letzten Buch „Das neue Reich“ (1928) zusammen; freilich fügte er auch einzelne ältere Stücke ein und bekräftigte damit noch einmal, daß nicht die zufällige Chronologie, sondern das künstlerische Baugesetz und das Sinngefüge die Gestalt der Gedichtbücher bestimmen. Zeitgedichte bilden den Hauptteil des Buches: die Dichtungen in den Wirren des 1. Weltkrieges, die Versgespräche, die „Sprüche an die Lebenden“ und die „Sprüche an die Toten“. Am Anfang aber stehen Oden mit zeitübergreifenden Themen: „Goethes letzte Nacht in Italien“, „Hyperion“, „An die Kinder des Meeres“. Auch die 12 „Lieder“ am Ende formen Begebenheiten oder Begegnungen zum zeitlosen Ereignis. Es sind Stücke letzter Meisterschaft. Motiv, Bild und Sprache sind einfach wie im Volkslied, aber jedes „Lied“ ist ein Gebilde hoher Kunst. Eines unter ihnen - „Das Wort“ - gibt ein gültiges Gleichnis für G.s Dichtertum und spricht aus, welches Wissen ihn zum Werk gedrängt hat: „Kein ding sei wo das wort gebricht“.

    Neben das eigene dichterische Werk tritt eine Fülle von Übertragungen und Umdichtungen. „Les Fleurs du Mal“ von Baudelaire, große Teile der „Divina Commedia“ von Dante und die Sonette Shakespeares sind zwar eigenwillig, aber meisterhaft in die deutsche Sprache übertragen. Hinzu kommen zahlreiche Gedichte der französischen Lehrer und Freunde|- Verlaine, Mallarmé, Rimbaud, De Régnier, F. Vielé-Griffin - und anderer europäischer Lyriker, deren Gedichte G. für wertvoll hielt: D'Annunzio, Rolicz-Lieder, D. G. Rossetti, Swinburne, Dowson, J. P. Jacobsen, Kloos, Verwey, Verhaeren. Zusammen mit den Auswahlbänden deutscher Dichtung (Jean Paul. Ein Stundenbuch für seine Verehrer. - Goethe. - Das Jahrhundert Goethes. - Alle herausgegeben mit K. Wolfskehl) lassen die Umdichtungen seine Absicht erkennen, die große dichterische Tradition Europas im Bewußtsein zu halten und sie zu verknüpfen mit bedeutenden Werken seiner Zeit.

    Das zyklische Schaffensprinzip, die Kunstgesinnung und die Selbstermächtigung zum weltformenden Wort rücken G.s Gestalt in den Zusammenhang der großen europäischen Lyrik der letzten Jahrhundertwende. Die Orientierung an einzelnen großen Vorbildern und deren immer neue Wirkung auf sein eigenes Werk verbindet dieses freilich noch fest mit den überkommenen Formen dichterischen Sprechens. In dieser Mitte zwischen Überlieferung und Neuanfang liegt auch seine Kritik an der die Zeit beherrschenden Idee des „Fortschritts“. Richtmaß für die Wertung politischer, gesellschaftlicher oder technischer Errungenschaften ist ihm der geistige Rang des handelnden oder betroffenen Menschen. Sein Gedicht, so glaubte G., werde in einer Zeit der Krise des menschlichen Geistes Weisung zu einer rechten Ordnung der Wirklichkeit geben.

    Die Wirkung G.s auf das geistige und kulturelle Leben in Deutschland war bedeutend. Sie ging nicht nur aus von seiner Dichtung, sondern auch von der Arbeit und den Werken der erwählten Freunde und Schüler, die ihrerseits junge Menschen in den Umkreis des Dichters führten. G. selbst ist niemals öffentlich aufgetreten und hat auch nicht in irgendeiner Form öffentlich Stellung genommen zu Fragen des Tages. Hofmannsthals Bitte, einen offenen Brief zur Vermeidung eines deutsch-englischen Krieges zu unterzeichnen, lehnte G. schroff ab. Auch das Zeitgedicht „Der Krieg“ war zunächst für Freunde im Felde bestimmt und erschien in einer begrenzten Anzahl von Exemplaren. Erst die 2. Auflage wurde in einigen Zeitungen und Zeitschriften angezeigt.

    Schon vor dem 1. Weltkrieg hatten F. Gundolf und F. Wolters das „Jahrbuch für die geistige Bewegung“ (3 Jahrgänge, 1910–12) herausgegeben, das wegweisende und kritische Aufsätze zu Fragen der Literatur und Kunst, der Philosophie und Geschichte enthielt. Bezeichnend für die Eigenart des „Jahrbuchs“ sind die Themen wichtiger Abhandlungen: „Die Blätter für die Kunst und die neuste Literatur“ (Wolfskehl), „Das Bild G.s“ (F. Gundolf), „Über Stil“, „Die Philosophie H. Bergsons“ (E. Gundolf), „Gestalt“ (Wolters), „Zur Kritik des Fortschritts“ (Vallentin), „Hellas und Wilamowitz, Zum Ethos der Tragödie“ (K. Hildebrandt), „Theater und Zeitgeist“ (Kahler), „Form und Kultus“ (Thiersch), „Über Hersagen von Gedichten“ (R. Boehringer).

    Im Kreis und Umkreis G.s ist der Beruf des Hochschullehrers vorherrschend. Der Dichter selbst soll manche seiner Schüler auf dieses Amt des Forschers, Lehrers und Erziehers hingewiesen haben. So ergab sich bald eine weitreichende Wirkung unter der akademischen Jugend. In den Geisteswissenschaften bildete die Georgeschule eine neue Methode der wissenschaftlichen Darstellung und Deutung aus. Große Gestalten der politischen Geschichte, der Philosophie, der Dichtung und Kunst bestimmen nach dieser Auffassung nicht nur Wesen und Geist einer Epoche, sondern den Gang der Menschheitsgeschichte und die Höhe der Kultur überhaupt. Richtungweisend sind Gundolfs literarhistorische Darstellungen. Die Werke der anderen berühmten G.-Schüler bestätigen die Einheit der Blickrichtung und zeigen das Maß der Wirkung: M. Kommerell: „Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik“ (1928). „Jean Paul“ (1933). H. Friedemann: „Platon. Seine Gestalt“ (1914). A. von Blumenthal: „Griechische Vorbilder“ (1921). „Aischylos“ (1924). E. Salin: „Platon und die griechische Utopie“ (1921). „Civitas Dei“ (1926). K. Hildebrandt: „Wagner und Nietzsche. Ihr Kampf gegen das 19. Jahrhundert“ (1924). „Platon. Der Kampf des Geistes um die Macht“ (1933). W. Stein: „Raffael“ (1923). „Holbein“ (1929). B. Vallentin: „Napoleon“ (1923). E. Kantorowicz: „Kaiser Friedrich II.“ (1927). In diese Reihe rückt auch die Nietzsche-Deutung von E. Bertram: „Nietzsche. Versuch einer Mythologie“ (1918). - Gegen die mit diesen Werken begründete Methode der Geschichtswissenschaften erhob sich freilich bald heftige Kritik. Man tadelte die Stilisierung, Monumentalisierung und Heroisierung, die der historischen Wahrheit nicht entspreche. Es bleibt aber als Verdienst die oft geniale Schau, die eine bedeutende Gestalt der Geschichte im Bewußtsein der Zeit zu neuem Leben erweckte.

    G.s Sicht eines „Neuen Reiches“ ist oft mißdeutet worden. Er hatte nicht die Absicht, im politischen Raum mit politischen Mitteln zu wirken, und hat nicht selten seine Freunde vor unbedachter politischer Aktion und nationalem Hochmut gewarnt. Als Wolters zu Beginn des 1. Weltkrieges die Stunde gekommen glaubte, unter der Fahne G.s den Krieg zu einem heiligen Krieg zu erklären, um durch ihn das „Reich“ zu verwirklichen, wäre es beinahe zum Bruch zwischen dem Dichter und seinem Gefolgsmann gekommen. G. verwahrte sich gegen die Verwechslung seines geistigen Kampfes mit dem politischen Kampf des nationalen deutschen Machtstaates. Im Blick auf den Krieg schrieb er im März 1917 an Wolters: „In dem rast ein altes jahrhundert sich zu end. Ein neues wird vielleicht durch ihn vorgestossen: aber das ist nicht durch das innere wesen des krieges wie heut alle ,geister von draussen‘ noch meinen. Man vergesse nie: der krieg so beendet wie man vorigen dezember wollte wäre eine grausige komödie gewesen und die anständigen Deutschen (mit ganz wenigen ausnahmen) hätten sich hängen müssen.“ Und etwa 1 Jahr später ließ er Wolters durch Gundolf schreiben: „Das geistige Reich hatte und hat mit und ohne sieg die ganze welt zum feind.“ Streng genommen schließt der späte G. genau wie der junge alles nur Gesellschaftliche und Politische aus seinem Bezirk aus. Ihm geht es allein um einen Staat des Geistes: um das geistige Reich des schönen Lebens. Nur mittelbar kann von diesem „Staat“ auch das politische Geschehen gelenkt werden. Wenn jedoch Claus von Stauffenberg 1944 gegen den Wahn und Ungeist Hitlers zur Tat schritt, um Deutschland vor völliger Vernichtung zu bewahren, so durfte er der Zustimmung seines toten Meisters gewiß sein, der gegen solchen Feind den Schutz der Waffe gefordert hatte: „Ihr sollt den dolch im lorbeerstrausse tragen“ (GA VIII, 92).

  • Werke

    Gesamt-Ausg. (GA) d. Werke, endgültige Fassung, 18 Bde. in 15, 1927-34; Erstausgg. b.
    Landmann, s. L;
    Werke in Einzelausgg. (Nachdr. d. GA), 1948-50;
    Werke, hrsg. v. R. Boehringer, 2 Bde., 1958;
    Ausw. v. F. Wolters, 1930;
    Ausw., hrsg. v. R. Boehringer, 1960 (Reclam);
    Bll. f. d. Kunst, hrsg. v. C. A. Klein, 1892-1919;
    Bll. f. d. Kunst, e. Auslese, 3 Bde., 1899-1909;
    Briefwechsel zw. G. u. Hofmannsthal, hrsg. v. R. Boehringer, 1938, ²1958;
    Briefe an S. Lepsius, in: S. Lepsius, Gesch. e. Freundschaft, 1935 (P);
    Briefwechsel zw. G. u. F. Gundolf, hrsg. v. R. Boehringer, 1962;
    ders., Mein Bild v. St. G., 1951 (P, Briefe);
    ders., Ewiger Augenblick (Gespräche), 1945;
    E. Salin, Um St. G., ²1954 (erweitert) (Briefe);
    K. Breysig, St. G., Gespräche, Dokumente, Amsterdam 1960;
    Maximin, e. Gedenkbuch, hrsg. v. St. G., 1907;
    A. Verwey, Mijn Verhouding tot St. G. Herinneringen uit de J. 1895-1928, Santpoort 1934 (Abb. d. Doppelportraits Verwey-G. v. Toorop 1901);
    B. Vallentin, Gespräche mit St. G., Amsterdam 1961;
    L. Thormaehlen, Erinnerungen an St. G., hrsg. v. W. Greischel, 1962 (P). - Zahlr. Vertonungen, u. a. v. C. Ansorge, Cl. v. Franckenstein, A. Knab, A. Schönberg (op. 10, 1921: GA VI/VII, 122, 148;
    op. 15, 1914: GA III, 103-12 [Schallplatte Decca DL 53006];
    op. 14, 1920: GA IV, 27), A. v. Webern (op. 2, 1921: GA IV, 109;
    op. 3, 1921: GA VI/VII, 157-61;
    op. 4, zw. 1921 u. 1923: GA III, 74, IV, 14, 30, 118, VI/VII, 126 [op. 2 u. 4: Columbia K 4 L - 232 Nr. 1;
    op. 3 u. 4: Philipps L 09414-17 L]), E. J. Wellesz (op. 21, 1917: GA II, 48, V, 68, 80, 81, 85);
    ausführl. Verz. b. Landmann, s. L.

  • Literatur

    P. Landmann, St. G. u. s. Kreis, e. Bibliogr., 1960 (P). - L. Klages, St. G., 1902;
    F. Gundolf, G., 1920;
    Revue d'Allemagne, Paris Nov., Dec. 1928 (St. G. gewidmetes Heft);
    F. Wolters, St. G. u. d. Bll. f. d. Kunst, 1930 (P);
    C. David, St. G., son oeuvre poétique, Lyon 1952;
    E. Morwitz, Kommentar zu d. Werk St. G.s, 1960;
    H. J. Linke, Das Kultische in d. Dichtung St. G.s u. s. Schule, 1960;
    K. Hildebrandt, Das Werk St. G.s, 1960;
    P. G. Klussmann, St. G., zum Selbstverständnis d. Kunst u. d. Dichters in d. Moderne, 1961 (mit Bibliogr.);
    C. V. Bock, Wort-Konkordanz z. Werke St. G.s, Amsterdam 1963. - Zur Geneal.: W. Föhl, Die Ahnen St. G.s, in: Festschr. z. 25j. Bestehen d. Westdt. Ges. f. Familienkde., Köln 1913–38, 1938, S. 85 ff.;
    A. Ph. Brück, Die Fam. G. in Bingen u. Büdesheim, in: Kath. Kirchenkal. d. Pfarreien Bingen u. Bingen-Büdesheim 17, 1933.

  • Porträts

    Holzschn. (Profil nach links) v. R. Lepsius, Bildnisköpfe in Holz, Bronze u. Stuck v. L. Thormaehlen, A. Zschokke, F. Mehnert (alle St. G.-Stiftung, Bebenhausen);
    Gem. v. Sabine Lepsius (Frankfurt/M., Städel;
    Foto Marburg);
    Kohlezeichnung v. L. Samberger (Original noch nicht gefunden), Abb. in: H. Wilm, L. Samberger, ein dt. Bildnismaler, 1940;
    - Verz. d. Gem., Zeichnungen u. Bildnisse wird durch die St.-G.-Stiftung Bebenhausen vorbereitet.

  • Autor/in

    Paul Gerhard Klussmann
  • Zitierweise

    Klussmann, Paul Gerhard, "George, Stefan" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 236-241 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11853856X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA