Lebensdaten
1748 – 1800
Geburtsort
Stettin
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Arzt ; Philosoph
Konfession
evangelisch?
Normdaten
GND: 117474460 | OGND | VIAF: 46802640
Namensvarianten
  • Sell, Christian Gottlieb
  • Selle, Christian Gottlieb
  • Sell, Christian Gottlieb
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Zitierweise

Selle, Christian Gottlieb, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117474460.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Jakob, Grobschmied in St.;
    M Lucretia Elisabeth Maschner;
    Stief-V Johann Caspar Köhler, Apotheker in B., bildete S. in Pharmazie aus;
    B Johann Jacob Sell (1754–1816), seit 1783 Prof. f. Gesch. u. Beredsamkeit am Gymn. in St., Rektor ebd., Hist. (s. ADB 33; Stettiner Lb.);
    1) 1778 Sophie Luise ( 1788), T d. Johann Friedrich Meckel v. Hemsbach (1714–74), Prof. d. Botanik, Anatomie u. Geburtshilfe in B., Leibarzt Friedrichs II., Kg. v. Preußen, Begründer e. anatom. Slg. (s. ADB 21), u. d. Charlotte Luise Camman, 2) 1792 Charlotte Constantia ( 1] N. N. Eimbcke), T d. Johann Friedrich Meckel v. Hemsbach (s. o.), 3) 1798 Charlotte Luise Wilhelmine Ulrike Dacke;
    3 S, 3 T aus 1) u. a. Juliane (1786–1828, Karl Ferdinand Langhans, 1781–1869, Architekt, Architekturschriftst., Baurat, s. NDB 13).

  • Biographie

    S. erhielt pharmazeutischen Unterricht bei seinem Stiefvater in Berlin und hörte daneben an der Universität med. Vorlesungen. Eine geplante Übersiedlung als Apothekengehilfe nach Karlskrona (Schweden) unterblieb, S. immatrikulierte sich 1766 als Student der Medizin und wurde zum begeisterten Anhänger des Embryologen und Physiologen Caspar Friedrich Wolff (1734–94). 1768 führte S. sein Medizinstudium in Göttingen fort, wo er u. a. die Vorlesungen des Physiologen und Anatomen Albrecht v. Haller (1708–77) besuchte. Von der galenischen Lehre der pathologischen Veränderungen der Körpersäfte als Grund vieler Krankheiten stark beeinflußt, wandte er später die daraus abgeleitete Behandlungsart, kranke Säfte durch ausleerende Medikamente zu beseitigen, häufig an. In Göttingen wie in Halle/Saale, seinem nächsten Studienort, beschäftigte sich S. besonders mit der Fieberlehre, die auch das Thema seiner med. Dissertation „Methodi febrium naturalis rudimenta“ (1770, erw. u. d. Titel Rudimenta pyretologiae methodicae, 1773, ³1789) bildete.

    1770 ließ sich S. als praktischer Arzt in Berlin nieder, seit 1778 war er an der Charité tätig. 1785 erhielt er die Berufung zum Leibarzt Kg. Friedrichs II. Die phil. Gespräche zwischen dem König und S. erlangten einen hohen Bekanntheitsgrad. Später behandelte S. auch Kg. Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III. Berühmt wurde auch S.s „Krankheitsgeschichte des Höchstseeligen Königs von Preußen Friedrich's des Zweyten Majestät“ (1786), eine wertvolle biographische Quelle zu Friedrich, den S. bis zu dessen Tod pflegte. 1795 erhielt S. den Auftrag, die im südl. Preußen ausgebrochene Typhusepidemie zu erforschen und zu bekämpfen. Nach seiner Rückkehr wurde er 1795 zum Geheimen Rat ernannt, 1798 zum Zweiten Direktor des Berliner „Collegium medicochirurgicum“.|Neben seiner praktischen Tätigkeit als Arzt verfaßte S. mehrere Schriften, z. B. 1777 die „Einleitung in das Studium der Natur- und Arzneywissenschaft“, eine Handreichung für Medizinstudenten über den Aufbau der Heilkunde, deren Spezialfächer sowie über die Pflichten des Arztes. Sehr erfolgreich wurde S.s „Medicina clinica“, ein Handbuch für die heilkundliche Praxis und Leitfaden für seine Vorlesungen (1781, ⁸1802, franz. 1787, ²1795). Als Gegner Kants schrieb er die „Grundsätze der reinen Philosophie“ (1788). 1789 unternahm S. eine Forschungsreise nach Paris, wo er die Anfänge der Franz. Revolution miterlebte, die ihn zu mehreren Schriften anregte, z. B. „Über Eigenthum“ (1799) und „Über Freiheit und Zwang“ (1799). Obwohl viele seiner Zeitgenossen in S. eher einen Philosophen als einen Heilkundigen sahen, war er als praktischer Arzt, Leibarzt und Autor bedeutender med. Schriften einer der einflußreichsten Mediziner seiner Zeit.

  • Auszeichnungen

    Mitgl. d. Ak. d. Wiss., Berlin (1786, 1797 Dir. d. phil. Kl.) u. Stockholm, d. Ges. d. Ärzte, London, d. Ges. d. Schweizer Ärzte u. d. Kollegiums d. Ärzte, Madrid.

  • Werke

    Weitere W Phil. Gespräche, 2 Bde., 1780, Neudr. 1974;
    Neue Beytrr. z. Natur- u. Arzneywiss., 3 Bde., 1782–86.

  • Literatur

    ADB 33;
    B. L. Luther, Das phil. Gedankengut d. Charité-Arztes C. G. S., 1991;
    A. Völker, C. G. S., d. letzte Leibarzt Friedrichs d. Gr., in: Zs. f. d. gesamte Innere Med. 47, 1992, S. 31–37;
    I. Gudden-Lüddeke, Chronik d. Stadt Stettin, 1993, S. 630 f.;
    dies., in: Ostdt. Gedenktage 2000, S. 223–27 (P);
    D. Rüster, Der ferne Kg., Friderizian. Miniaturen u. d. Ber. über Krankheit u. Tod Friedrichs II. v. s. Leibarzt C. G. S., 2008;
    Pogg. II;
    BLÄ;
    Pomm. Lb. III;
    Stettiner Lb. (P).

  • Autor/in

    Werner E. Gerabek
  • Zitierweise

    Gerabek, Werner E., "Selle, Christian Gottlieb" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 223-224 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117474460.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Selle: Christian Gottlieb S., Arzt und philosophischer Schriftsteller, hieß eigentlich Sell, schrieb sich aber wahrscheinlich des Wohlklanges wegen Selle. Er ist als Sohn eines Grobschmiedes am 7. October 1748 zu Stettin geboren und kam schon von seinem 6. Lebensjahre an, wo seine Wittwe gewordene Mutter sich mit einem Apotheker Koehler in Berlin verheirathete, nach Berlin, erlernte hier bei seinem Stiefvater gleichfalls die Pharmacie und sollte als Gehülfe bereits nach Karlskrona in Schweden auswandern, als der Zufall diese Absicht vereitelte und S. in Berlin bei seinem Vater weiter verblieb. Er erhielt von diesem die Erlaubniß, nebenher medicinische Vorlesungen an der Universität zu hören, entschloß sich dann zu einem regelmäßigen Studium der Heilkunde in Göttingen, wo er u. a. besonders Schüler von Schroeder war und sich speciell mit der Fieberlehre beschäftigte, die auch den Inhalt der Dissertation „Methodi febrium naturalis rudimenta“ bildet, auf Grund deren er 1770 in Halle die Doctorwürde erlangte. Eine Erweiterung dieser Arbeit führte zu der bekannten Schrift „Rudimenta pyretologiae methodicae“ (Berlin 1773, 3. Aufl. ebenda 1789), die S. wenige Jahre, nachdem er sich in Berlin als Arzt niedergelassen hatte, publicirte und die ihm neben einigen anderen schriftstellerischen|Arbeiten, einer Uebersetzung von Brocklesby's „Medicinischen und ökonomischen Beobachtungen zur Verbesserung der Kriegslazarethe“ (Berlin 1772) und Cadogan's Abhandlung „Von der Gicht“, wegen der darin documentirten Gelehrsamkeit und der Klarheit, mit der sie geschrieben war, einen bedeutenden Ruf verschaffte. Die genannte Arbeit erfuhr auch Uebersetzungen ins Französische (von Nauche, Paris 1802 und 1817, von Montblanc, Lyon 1802, von Clanet, Toulouse 1802). 1774 erlangte er auf Empfehlung des Dr. Stosch eine Stellung als ärztlicher Reisebegleiter der Braut des Großfürsten Paul, der Prinzessin von Darmstadt, nach St. Petersburg, wurde nach seiner Rückkehr Arzt des Fürstbischofs von Ermeland mit dem Aufenthalt in Heilsberg, gab aber dieses Amt 1777 auf und kehrte nach Berlin zurück, wo er seine ganze übrige Lebenszeit bis zu seinem am 9. November 1800 an der Schwindsucht erfolgten Tode zubrachte. Nur zweimal hatte er später Veranlassung, auf kürzere Zeit zum Theil aus amtlichen Gründen außerhalb Berlins zu verweilen. Auf Empfehlung des ihm befreundeten Leibarztes Muzel wurde S. trotz der Gegnerschaft von Cothenius zum Arzt an dem Charitékrankenhause ernannt, wo er eine ausgedehnte praktische Wirksamkeit entfaltete, die ihm zugleich das Material zu seinem berühmten, von 1781—1801 im ganzen achtmal aufgelegten, auch ins Französische (von Coray, Montpellier 1796) und ins Lateinische (von Curt Sprengel, Berlin 1797) übersetzten Werke lieferte: „Medicina clinica oder Handbuch der med. Praxis“ (sämmtliche 8 Auflagen in Berlin erschienen), sowie zu seinen weiteren „Neue Beyträge zur Natur- und Arzneywissenschaft“ (Th. 1, 2. 1782; Th. 3, 1786; französ. von Coray, Paris 1796) betitelten Arbeiten, die in der Geschichte unserer Wissenschaft besonders wegen der verdienstvollen Leistungen zur Lehre vom Kindbettfieber ein gewisses Andenken besitzen. Nach dem Tode Muzel's wurde S. sein Nachfolger als Leibarzt Friedrich's des Großen, den er bis zu seinem Tode behandelte. Die in dieser Eigenschaft verfaßte „Krankheitsgeschichte des hochstieligen Königs von Preußen Friedrichs II. Majestät“ (Berlin 1786) ist bekannt. Auch König Friedrich Wilhelm II. wählte S. zu seinem Arzte. 1780 machte er mit dem berühmten Naturforscher Prediger Herbst eine Reise nach Paris und wurde hier gerade Zeuge der Scenen der großen Revolution. 1795 bereiste er im Auftrage des Königs Südpreußen (im jetzigen Königreiche Polen), um die Ursachen der großen Mortalität in dieser Provinz und den Zustand der dortigen Hospitäler zu untersuchen, wofür er Titel und Rang eines Königlichen Geheimen Rathes erhielt. 1798 wurde er von König Friedrich Wilhelm III. zum zweiten Director des Collegium medico-chirurgicum ernannt. Seit 1786 war S. auch Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften und 10 Jahre lang Director der philosophischen Classe dieser Körperschaft. Die schriftstellerische Thätigkeit Selle's beschränkte sich nicht bloß auf die Heilkunde. Bekannt, wenn auch nicht gerade von derselben Bedeutung, sind seine philosophischen Arbeiten, in denen er sich als Gegner der damals gerade Aufsehen erregenden Kantschen Kritik der reinen Vernunft und von dessen transcendentalem Idealismus bekannte. Er schrieb: „Philosophische Gespräche“ (2 Theile, Berlin 1780), ferner „Grundsätze der reinen Philosophie“ (ebenda 1788), sowie eine Reihe von kleinen Abhandlungen, theils in der Berlinischen Monatsschrift (1783 bis 1790), theils in den Memoiren der Akademie der Wissenschaften. Auch seine „Urbegriffe von der Beschaffenheit, dem Ursprunge und Endzwecke der Natur“ (Berlin 1776) und „Einleitung in das Studium der Natur- und Arzneiwissenschaft“ (ebenda 1777, 2. Aufl. 1787, französisch von Coray, Montpellier 1795) enthalten zum Theil philosophische Betrachtungen. In rein medicinischer Beziehung sind noch erwähnenswerth die Uebersetzungen von Pott's „Chirurg. Wahrnehmungen“, von Janin's „Physiologische und Physicalischxe Abhandlung und Beobachtungen über das Auge“ (Berlin 1776), sowie von de la Roche's „Untersuchungen über die Natur und Behandlung des Kindbetterinnenfiebers“ (ebenda 1785), endlich ein Aufsatz über thierischen Magnetismus im Jahrgang 1789 der Berliner Monatsschrift. — Bemerkenswerth ist noch, daß S. ein großer Freund der englischen Sprache war. — Zu seinen Ehren las Merian an der Berliner Akademie der Wissenschaften nach Selle's Tode einen längeren „Eloge“. — S. war dreimal verheirathet, 1778—1792 mit einer Tochter des berühmten Anatomen Meckel, von 1792—1798 nach dem Tode der ersten Frau mit einer Schwester derselben und von 1798 ab mit einer geborenen Dacke, die ihn überlebte. Nur aus erster Ehe hatte S. Kinder, von denen eine Tochter an den berühmten Berliner Professor und Bibliothekar Buttmann verheirathet war.

    • Literatur

      Gurlt im Biograph. Lexikon hervorr. Aerztc etc. V, 356 und die daselbst genannten Quellen, ferner Sprengel's Versuch einer Geschichte der Arzneikunde, 3. Aufl. V, 439, 520, 540, 605 u. 678 u. Haeser's Lehrbuch der Geschichte 3. Aufl. II, 622.

  • Autor/in

    Pagel.
  • Zitierweise

    Pagel, Julius Leopold, "Selle, Christian Gottlieb" in: Allgemeine Deutsche Biographie 33 (1891), S. 682-684 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117474460.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA