Lebensdaten
um 950 – 1022
Geburtsort
Nordostschweiz
Sterbeort
Sankt Gallen
Beruf/Funktion
Benediktinermönch in St. Gallen ; Übersetzer
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118588869 | OGND | VIAF: 57407160
Namensvarianten
  • Notker Teutonicus
  • Notker der Deutsche
  • Notker III.
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Zitierweise

Notker Labeo, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118588869.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    Aus Thurgau. Adelsgeschl., zu dem auch Burchard, 958-72 Abt v. St. G., d. Dichter Ekkehard|(Ekkehart) I. (um 910–73), Dekan v. St.G., Ekkehard II. ( 990), Dompropst in Mainz, Ekkehard III. ( wohl zu Beginn d. 11. Jh.) u. d. Chronist u. Dichter Ekkehard IV.(wohl um 980-um 1060), Mönch in St. G. (alle s. NDB IV) gehören.

  • Biographie

    N., der vor allem durch seine althochdeutschen Übersetzungen bekannt geworden ist, trat als Knabe in das St. Galler Kloster ein und leitete später die Klosterschule. Sein Discipulus und späterer Nachfolger Ekkehard IV. berichtet, daß N. „aus Liebe zu seinen Schülern“ als erster eine Reihe von schwierigen lat. Texten ins Althochdeutsche übersetzt und kommentiert habe. In einem Brief an Bischof Hugo von Sitten (ca. 1019/20) bezeichnet N. seine Übersetzungen als „eine fast unerhörte Sache“, die den Bischof wahrscheinlich abschrecke. Er rechtfertigt seine ungewöhnliche Tätigkeit damit, daß man in der eigenen Muttersprache viel schneller verstehen könne, was man in einer Fremdsprache (wie dem Lateinischen) nur mit Mühe lesen würde. Sein Übersetzungsverfahren baute auf der frühmittelalterlichen interlinearen Glossenpraxis auf, die er jedoch geschickt weiterentwickelte. Er vereinfachte das Latein seiner Vorlagen nach dem Prinzip der „ordo naturalis“ und verfertigte althochdeutsche Prosaübersetzungen, die seinen Schülern verständlicher waren, als die schwierigen lat. Originaltexte. Gleichzeitig integrierte er das Gedankengut mittelalterlicher Kommentatoren, wie z. B. des Remigius von Auxerre und Johannes Scottus, in seine Übersetzungen und Kommentare. So entstand ein fortlaufender lat.-althochdeutscher Mischtext, in dem das Althochdeutsche zusammen mit dem Lateinischen zur Kommunikations- und Wissenschaftssprache wurde.

    In dem genannten Brief an den Bischof zählte N. seine lat. Werke und Übersetzungen auf. Zum Kanon des Triviums gehörten N.s Übersetzung von Boethius' „De consolatione Philosophiae“ (Trost der Philosophie) und von Martianus Capellas „De nuptiis Philologiae et Mercurii“ (Die Hochzeit der Philologie und des Merkur) sowie die lat. Bearbeitungen der aristotelischen Schriften „De categoriis“ (Kategorien) und „De interpretatione“ (Hermeneutik) von Boethius; sodann die von N. selbst verfaßten Schriften „De rhetorica“ (Über die Redekunst), „De partibus logicae“ (Die Teile der Logik), „De definitione“ (Bruchstücke einer Logik), die „De syllogismis“ (Über die Schlüsse) und wahrscheinlich der „St. Galler Traktat“. Zum Studium Quadrivium dienten N.s lat. Schriften „De musica“ und „Computus“. Erhalten ist auch N.s Übersetzung des Psalters (mit den Cantica und katechetischen Teilen), die in der Folge eine weite Verbreitung außerhalb St. Gallens erfuhr. Alle anderen im Brief erwähnten Übersetzungen sind heute verschollen. So hat N. nach eigener Aussage Catos „Disticha“, Virgils „Bucolica“, die „Andria“ des Terenz, eine „Principia arithmetica“ (Boethius?), eine „De sancta trinitate“ (von Boethius oder Remigius von Auxerre?) und Gregors des Großen „Moralia in Iob“ übersetzt.

    N. war ein Meister der Volkssprache und hat sprachlich Unerhörtes geleistet. Er übersetzte als erster sehr komplizierte philosophische, rhetorische, logische und technische Begriffe und Ideen in seine alemannische Muttersprache. Dazu benötigte er neue althochdeutsche Wörter, um die schwierigen Inhalte und Gedanken der lat. Vorlagen auszudrücken. Gleichzeitig mußte er auch eine bis dahin nur mündlich gebrauchte Sprache schriftlich aufzeichnen, wodurch er zu einem bedeutenden Wegbereiter einer neuen landessprachlichen Schriftlichkeit wurde. Seine Werke sind uns in Handschriften aus dem 11. Jh. überliefert, die ein wohldurchdachtes orthographisches System aufweisen, besonders in Bezug auf Akzentuierung, Interpunktion und Anlaut. N.s Gesamtwerk enthält insgesamt ungefähr 7800 Lemmata und bildet somit das größte Corpus aus der Hand eines deutschen Autors vor 1100. Gestorben ist er am St. Peterstag an der Pest, die vom Heer Heinrichs II. aus Italien eingeschleppt worden war.

  • Werke

    W Ausgg.: Die Werke N.s d. Dt., hg. v. J. King u. P. Tax, Altdt. Textbibl., bisher 14 Bde., 1972-96;
    De interpretatione, Konkordanzen, Wortlisten u. Abdr. d. Textes nach St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 818, hg. v. E. S. Firchow, 1995;
    Categoriae, Konkordanzen, Wortlisten u. Abdr. d. Texte nach St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 818 u. 825, hg. v. ders., 1996.

  • Literatur

    Wörterbücher: N.-Wortschatz, hg. E. H. Sehrt u. W. K. Legner, 1955;
    E. H. Sehrt, N.-Glossar, 1962. – Bibliogrr.: E. S. Coleman, Bibliogr. zu N. III. v. St. Gallen, in: Germanic Studies in Honor of E. H. Sehrt, 1968, S. 61-76;
    E. S. Firchow, Bibliogr. zu N. III. v. St. Gallen: Zweiter Teil, in: Spectrum medii aevi, 1983, S. 91-110. – G. Ehrismann, Gesch. d. dt. Lit. bis z. Ausgang d. MA, I, 1932, S. 416-58;
    I. Schröbler, N. III. v. St. Gallen als Übersetzer u. Kommentator v. Boethius' De consolatione Philosophiae, 1953;
    St. Sonderegger, Althochdeutsch in St. Gallen, Ergebnisse u. Probleme d. ahd. Sprachüberlieferung in St. Gallen v. 8. bis ins 12. Jh., 1970;
    ders., Ahd. Sprache u. Lit., Eine Einf. in d. älteste Deutsch, Darst. u. Grammatik, ²1987;
    E. Hellgardt, N. des Dt. Brief an Bf. Hugo v. Sitten, Befund u. Deutung, in: FS H. Fromm, 1979, S. 169-92;
    ders., N. Teutonicus, Überlegungen z. Stand d. Forschung, in: PBB 108, 1986, S. 190-205 u. ebd. 109, 1987, S. 202-21;
    The St. Gall Tractate, A Rhetorical|Guide to Classroom Syntax, hg. u. übers. v. A. Grotans u. D. Porter, 1995;
    Vf.-Lex. d. MA²;
    BBKL;
    Lex. MA;
    TRE.

  • Autor/in

    Anna A. Grotans
  • Zitierweise

    Grotans, Anna, "Notker Labeo" in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 362-364 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118588869.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Notker Labeo, Mönch in St. Gallen, am 29. Juni 1022. Einer der vier Neffen Ekkehart's I. (und zwar wohl der dritte in der Reihe dem Alter nach), die durch jenen in das Kloster gebracht worden waren (s. A. D. B. V, 791), ist N., durch den nach der großen Lippe geschaffenen Beinamen von andern St. Galler Mönchen seines Namens unterschieden, der berühmteste Lehrer der St. Gallenschen Klosterschule gewesen. Vorzüglich in die Zeit seines Vetters, des jüngsten jener Neffen, des trefflichen Abtes Purchart II., seit 1001, scheint seine Wirksamkeit gefallen zu sein. Eine beim Heerzuge Kaiser Heinrichs II. nach Italien im Sommer 1022 verderblich wirkende Seuche war auch nach St. Gallen übertragen worden. Hier starben am 12. Juni der Klosterlehrer Erinbert, am 29. N., am 16. Juli der Klosterlehrer Ruodpert; am 17. Juli wurde in Italien, wol zwischen Siena und Lucca, Abt Purchart selbst dahingerafft. Aber das Kloster verlor in diesem Jahre überhaupt zehn seiner Angehörigen durch diese Heimsuchung. Der namhafteste Schüler Notker's, Ekkehart IV. (s. d. Art.). welcher selbst am Sterbelager des geliebten Lehrers stand, redet in einem Gedichte, das er in sein „Buch der Segnungen“ beim Feste des heiligen Otmar einreihte, von den letzten Lebensstunden des frommen Mönches: er habe öffentlich Beichte abgelegt und als schwerste Sünde bekannt, daß er als Jüngling einmal im Mönchsgewande einen Wolf erlegt habe, dann angeordnet, daß die Armen an sein Bett kommen und da speisen sollten (vgl. Mittheil. z. vaterländ. Gesch. d. hist. Ver. in St. Gallen, Heft XV/XVI, S. LXXXVIII, in diesen Versen: „Item de aliis“, sc. sincellitis amborum — der Heiligen Gallus und Otmar). Der „gelehrteste und gütigste Lehrer“, mit welcher Bezeichnung das Todtenbuch ihn aufführt, starb im Alter von siebzig Jahren. — Ekkehart sagt über N. in einer Glosse zu den schon erwähnten Versen, daß derselbe aus Liebe zu seinen Schülern mehrere Bücher deutsch ausgelegt habe, und hierin liegt geradezu Notker's literarische Bedeutung, die aber mit seiner Lehrthätigkeit auf das engste zusammenhing. Der Name Teutonicus scheint ihm von diesen eigenthümlich als Lehrbücher gestalteten Uebersetzungswerken schon bald nach seinem Tode gegeben worden zu sein. N. ertheilte in einem Briefe an den Bischof Hugo von Sitten (998—1017), der in J. Grimm's „Kleineren Schriften“, Bd. V, S. 190 und 191 von Neuem publicirt|worden ist, Auskunft über die Absicht, die ihn dabei leitete, und über die Zahl seiner Arbeiten. Er sagt in diesem Berichte, es sei zum Verständnisse gewisser Bücher kirchlichen Inhaltes, welche vorzüglich in den Schulen gelesen werden müßten, das Studium der freien Künste vorher nothwendig, und so habe er, um seinen Schülern den Zugang zu denselben zu erleichtern, etwas ganz Außergewöhnliches gewagt, nämlich die Uebersetzung des Lateinischen in die Landessprache, um zum Verständnisse der logischen oder rhetorischen Schriften des Aristoteles, des Cicero und anderer Classiker zu helfen. Solche „libri expositionum“ sind mit Recht, so wie sie sich als eine sonderbare Mischung beider Sprachen neben einander in dem gleichen Satze darstellen, als ein Weiterbauen auf der Grundlage des Glossenapparates hingestellt worden; denn der Charakter der Uebersetzung tritt hinter dem Bestreben, Erklärungen zu den übrigens mitunter durch N. etwas umgestalteten lateinischen Texten zu geben, dadurch den Schulvortrag zu verdeutlichen, in den Hintergrund zurück. N. theilt dem Bischof Hugo mit, er habe zuerst des Boethius De consolatione und De trinitate bearbeitet, dann verschiedenes Metrisches — Cato (die Sittensprüche). Vergil's Bucolica, die Andria des Terenz — folgen lassen, darauf die Nuptiae Philologiae (die beiden ersten Bücher des Martianus Capella), von Aristoteles die Kategorien und De interpretatione, ferner Principia Arithmeticae an die Hand genommen; diesem Allen schließen sich theologische Werke an: das Psalterium, mit Erklärung aus Augustinus, und Hiob, von dem jedoch erst der dritte Theil vollendet sei; außerdem habe er in lateinischer Sprache eine neue Rhetorik und einen neuen Computus, sowie einiges Weitere verfaßt. Ferner bezeugt Ekkehart IV. in jenen Versen, daß N. auch Gregors Moralia, die Auslegung zu Hiob, ins Deutsche übertrug, und daß das große Werk der Uebersetzung des Hiob von dem unermüdlich fleißigen Lehrer genau an seinem Sterbetage abgeschlossen worden sei. Von dem Psalterium und der Hiob-Uebersetzung ließ sich die Kaiserin Gisela, wahrscheinlich bei Anlaß ihres 1027 in St. Gallen gemachten Besuches, Abschriften anfertigen, und überhaupt wurden die Psalmen unter den von N. hinterlassenen Werken wohl am meisten verbreitet. Von den Arbeiten, welche sich N. selbst ausdrücklich zuschreibt, sind erhalten (abgesehen von den Psalmen und den übrigen psalterartigen Stücken des Alten und Neuen Testamentes) Boethius, De consolatione, Aristoteles' Kategorien und Hermeneutik, von Martianus Capella eben die zwei ersten Bücher, diese auf der Stiftsbibliothek von St. Gallen, ferner auf der Pariser Nationalbibliothek höchst wahrscheinlich der Computus, und zwar von N. seinem Schüler Ekkehart IV. (wenn so statt Erkenhart gesetzt werden darf) gewidmet. Mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit werden N. noch vier kleine Abhandlungen über Musik, die ältesten in deutscher Sprache, dann eine Abhandlung von den Theilen der Logik, eine ausführlichere über die Syllogismen, sowie eine Abhandlung von der Redekunst zugeschrieben, wovon die letzte, welche zahlreiche deutsche Beispiele, auch aus Volksliedern, eingereiht zeigt, vielleicht das von N. in seinem Briefe erwähnte Lehrbuch — die Rhetorik — ist. Von Notker's Wirkungen auf die Schule tritt das Meiste aus seinen Beziehungen zu Ekkehart IV. hervor. Dieser versichert, sein „Liber benedictionum“ (Codex Sangall. Nr. 393) sei dadurch entstanden, daß er zu seiner Freude unter den alten Schriften des Lehrers seine einst demselben eingelieferten Schulaufgaben, nämlich die lateinischen poetischen Pensen, sorgfältig aufbewahrt gefunden habe; danach wurden diese Proben der Verskunst gehörig umgearbeitet und zu einem Schulbuche zusammengestellt. Ferner zeigt der St. Galler Codex Nr. 621 des Orosius, aus dem 9. Jahrhundert, auf Geheiß Notker's eingefügte Correcturen von Elkeharts IV. Hand, und in dieser Handschrift stehen zugleich mitten im Texte, die einzigen zwei von N. selbst erhaltenen Zeilen. — Das, was N.|angeregt, fand jedenfalls zunächst in St. Gallen guten Boden; doch ist wohl nach seinem und seiner Mitlehrer Tode eher ein Rückschlag eingetreten, wie ja auch Ekkehart IV. noch 1022 St. Gallen auf einige Zeit verließ. Man darf also Notker's eigene Leistungen nicht dadurch einengen, daß man dem Lehrer gegenüber die Schule von Uebersetzern zu sehr betont. Wenigstens ist es auffallend, daß gerade bei Elkehart IV., demjenigen St. Galler, der uns in erster Linie die um N. versammelte Schule darstellt, der Eifer für das Deutsche sehr zurücktritt: der „barbarischen“ Sprache wird ein Anrecht auf gelehrten Gebrauch nicht zugestanden. Ueberhaupt hat St. Gallens Schule unter N. einen letzten Gipfel des Erblühens und des Ruhmes erreicht, der später nicht wieder gewonnen wurde.

    • Literatur

      Vgl. als neueste Bearbeitung des über N. vorliegenden Materiales in P. Gabr. Meier's Geschichte der Schule von St. Gallen im Mittelalter (Jahrbuch f. schweiz. Geschichte, Bd. X, 1885), S. 85—89. — Die germanistische Litteratur seit der Zeit, wo Hattemer (vgl. Bd. XI, S. 24) sich das Verdienst erwarb, in den „Denkmahlen des Mittelalters“. Bd. II und III, „St. Gallens altdeutsche Sprachschätze“ zuerst herausgegeben zu haben, verzeichnet Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, 2. Aufl., Bd. I, S. 27 u. 28.

  • Autor/in

    Meyer von Knonau.
  • Zitierweise

    Meyer von Knonau, "Notker Labeo" in: Allgemeine Deutsche Biographie 24 (1887), S. 39-41 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118588869.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA