Lebensdaten
1902 – 1944
Geburtsort
Münsingen (Schwäbische Alb)
Sterbeort
Marburg/Lahn
Beruf/Funktion
Literaturhistoriker
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 11856501X | OGND | VIAF: 71402487
Namensvarianten
  • Kommerell, Max
  • Commerell, Max

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Zitierweise

Kommerell, Max, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11856501X.html [28.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Eugen (1854–1936), Dr. med., Medizinalrat, Oberamtsarzt v. Cannstatt-Waiblingen, S d. Ferdinand (1818–72), Dr. phil., Prof. u. Vorstand d. Realschule, Univ.prof. in Tübingen, Vf.Lehrb. d. Stereometrie“ (1865, ⁹1905 hrsg. v. Viktor Kommerell; s. Tübinger Bll. 1922/24, S. 30), u. d. Julie Steudel;
    M Julie (1860–1912), T d. Landgerichtsrats Ernst Kleinmann in Ellwangen u. d. Julie Roller;
    Ov Viktor (1866–1948), Oberstudiendir., Honorarprof. f. Math. in Tübingen (s. Pogg. V-VII a); Vt 2. Grades Karl (s. 1);
    - 1) München 1931 ( 1936) Eva (* 1905), T d. Walther F. Otto ( 1958), Altphilol. u. Philosoph u. d. Margarethe Flörcke, 2) Frankfurt/Main 1938 Erika (* 1900), T d. Carl Frank u. d. Helene Klumpp;
    1 T aus 1), 1 T aus 2).

  • Biographie

    K., der zu Ende seiner Schulzeit unter dem Eindruck der Männerbund-Ideen H. Blühers stand und sich für die Verwirklichung der Schul-Reform G. Wynekens engagierte, begann im Wintersemester 1919/20 in Tübingen das Studium der Philologie, Philosophie und Geschichte mit dem Ziel, Gymnasiallehrer zu werden, wechselte jedoch bereits im Sommersemester 1920 nach Heidelberg, wo er bald unter den Einfluß Gundolfs und des George-Kreises geriet. Zum Wintersemester 1921/22 ging K. nach Marburg, wo er durch den Historiker Fr. Wolters, einen der ältesten Vertrauten Georges und „überragenden ‚Politiker' des Kreises“ (I. Jens), in frühchristliche Kultur, Jean Paul und Rousseau eingewiesen wurde. Im Hause von Wolters lernte K. Hans Anton ( 1930), mit dem er intime Freundschaft schloß, und Stefan George kennen, der ihm jetzt auch persönsich „Führer, Vorbild“ wurde. George unterwies die „Dioskuren“ K. und Anton in seinen Denk- und Lebensritualen, regelte ihr Leben in allen Einzelheiten und zog sie zu Dienern seines „Staates“ heran. 1924-29 war das Leben K.s von dem herrischen Zugriff Georges bestimmt, der ihn liebte und aus dem Kreis der übrigen Jünger heraushob, indem er ihn zuweilen mit dem Namen „Maxim“ belegte; er hat den „Meister“ in dieser Zeit als „intimer Vertrauter und gelehrter Amanuensis“ (I. Jens) auf den meisten Reisen begleitet und dessen Denk- und Fühlweise in seinen eigenen Schriften adaptiert: Sie zeigt sich als elitäre Verachtung der Demokratie, der westlichen Zivilisation, des rationalen Denkens und als Propagierung irrationaler innerer Welten und übersteigerter Nationalismus bereits in der sprachlich noch vom Gelehrtenstil gehemmten Dissertation über „Jean Pauls Verhältnis zu Rousseau“ (1924), um 1928 in dem Werk „Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik. Klopstock, Herder, Goethe, Schiller, Jean Paul, Hölderlin“ auch im Sprach-Gestus zum Monument des Georgeanismus zu werden. Die elitäre Heilslehre des George-Kreises fand in diesem Buch, das K. mit einem Schlag bekannt machte, ihren vollkommenen literarhistorischen Ausdruck. Die herausragenden Dichter der deutschen Spätaufklärung und Klassik werden zu überzeitlich wirkenden „Führern“ aus der deutschen Misere des nationalen wie sozialen Elends, besonders der Niederlage von 1918, heroisiert, und ihr aus Leben und Werk undifferenziert herausgelesenes, vorgebliches „Wesen“ wird zu der gegenüber dem realen Geschichtsverlauf „eigentlichen“, gerade in Notsituationen zu entbindenden Wirkkraft zukünftiger deutschen Geschichte stilisiert. Als „deutsche Urbilder“, die wiederkehren, werden sie gegen das „Ärgste“, das „Unsicherwerden des volkhaften Lebenstriebs“ in der Weimarer Republik beschworen, für „ein innig ernstes Morgen, wo die Jugend die Geburt des neuen Vaterlandes fühlt in glühender Einung und im Klirren der vordem allzu tief vergrabenenen Waffen“. Besonders Hölderlin, der seit dem 1. Weltkrieg von George und seinem Kreis zum Seher, Führer und Heros eines allen übrigen Völkern überlegenen „Geheimen Deutschlands“ verfälscht wurde, mißbraucht er. Zwar brach K. 1930 mit George und seinem Kreis (aus dem Motiv der Behauptung der menschlich und wissenschaftlich selbstverantwortlichen Persönlichkeit), jedoch distanzierte er sich nie von diesem Euch, das nach 1933 zum „Arsenal“ der offiziellen germanistischen Variante deutschen faschistischen „Gedanken“-Guts gehörte und das er noch 1942 und 1943 wiederauflegen ließ. Schließlich war er doch schöngeistig angewidert von dem Regime, dessen Herrschaftsantritt er 1933 aus Abneigung gegen den „Marxismus“ und die „Schlosser- und Schuhflickerregierungen“ der Weimarer Republik begrüßt hatte und von dem er glaubte, es müsse nur „geistig aufgebessert“ werden, um „wirkliches Führertum“ zu sein. Die Lösung von George und der seherischen, auf die Herrschaft weniger „Geistiger“ gerichteten Heilslehre der Dichtung als „Tat“ gelang K. allmählich mit Hilfe wissenschaftlicher Objektivierung (Habilitation 1930 in Frankfurt, Habilitations-Schrift „Über die Stabreimkunst des deutschen Heldenliedes“, unveröffentlicht) und der Hinwendung zu Hofmannsthal und Goethe als dichterischen und menschlichen Vorbildern. Er wurde wahrhaft konservativ, indem er nicht mehr Rückprojektionen eigener|Gegenwarts- und Zukunftsillusionen als Visionen historischer Vor- oder Ur-Bilder ausgab, sondern in der Ausbildung eines sehr empfindlichen Instrumentariums psychologisch-anthropologischer und formanalytischer Einfühlung in Gestalten, Werke und Probleme der Vergangenheit eine Möglichkeit sah und pädagogisch anbot, gegenwärtiges Denken und Fühlen am Vergangenen zu bilden und als – verinnerlichte – Gegenkraft gegen moderne Zerfalls- und Verdinglichungstendenzen aufzunehmen. Damit näherte er sich, der trotz großer Lehrerfolge und glänzender Publikationen bis 1941 Privatdozent blieb und dann erst einen Ruf nach Marburg erhielt, wo er seine Kollegs vor über 600 Hörern oft doppelt halten mußte, der hermeneutischen Methode, wie sie zu dieser Zeit der ihm befreundete H.-G. Gadamer auszubilden begann. Bereits sein großes Jean-Paul-Buch (1933), das noch ein Motto aus Georges Lobrede auf den Dichter trägt, entwickelt den späteren, sachlicheren Konservativismus K.s. Zwar scheidet er nicht das Werk von der biographischen Wesensdeutung und ist weit davon entfernt, die geschichtlichen Ursachen für die Zerrissenheit des großen Humoristen zu sehen, geschweige denn, daß er etwas vom Geist der bürgerlichen Revolution in den Romanen Jean Pauls aufspürt, dem erst in jüngster Zeit entschlüsselnd nachgegangen worden ist, aber er entfaltet doch in nahezu mimetischer Einfühlung die Struktur, die Leben und Werk des Dichters prägte: den Riß, der als Widerspruch zwischen Geist und Leben, Gesellschaft und Natur, Individuum und Gesellschaft die Personen in sich und untereinander spaltet und den Humor, anstatt ihn zu kitten, erst kenntlich macht „als Schauder über den Riß … im neuzeitlichen Menschen …: dem Menschen, der den Weg des Geistes ins Leben, der die Gebärde [das ist durchgeistete Natur] verloren hat.“

    Wissenschaftlich sucht K. diesem Riß, den er in Revision seines heroisch-völkischen Hölderlin-Bildes auch in den Dichtungen (vor allem dem „Empedokles“) des späten Hölderlin in tragischer Version zu utopischer Heilung drängen sieht (Hölderlins Empedokles-Dichtungen, 1940), in der Untersuchung des antiken und modernen Tragödienbegriffs auf die Spur zu kommen, in der philologisch strengen und noch heute unübertroffenen Untersuchung über die Theorie der Tragödie (Lessing und Aristoteles, 1940, ³1960), um schließlich in der Rückwendung zu einem pan-tragisch existentiellen Weltverständnis, das sich wissenschaftlich am spanischen Barocktheater orientiert und in eigenen Dichtungen konkretisiert, gleichsam zu gespannter Ruhe zu kommen, in der jene tragische Zerrissenheit versöhnlich gedeutet und transzendiert wird – als Vergänglichkeit.

    K. vermochte vor allem mit seinem Jean-Paul-Buch und seinen späten Essays sowie mit wenigen, existentialistisch getönten, aus der Fülle seines Formwissens virtuos montierten Bildungsgedichten auf die erste Nachkriegsgeneration von westdeutschen Literaturwissenschaftlern und auf einige Lyriker zu wirken. Seine von der Wissenschaftsentwicklung (Neo-Positivismus auf der einen, Kritische Theorie und Neo-Marxismus auf der anderen Seite) wie der zunehmend gesellschaftsbezogenen Literaturentfaltung seit den 60er Jahren überholten Positionen schließen ihn weitgehend vom literaturwissenschaftlichen Betrieb wie von der literarischen Szene aus. Gleichwohl bleibt er für die wissenschaftsgeschichtliche Reflexion einer der wichtigsten konservativen Literaturwissenschaftler der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

  • Werke

    Weitere W u. a. Wiss. Arbb.: H. v. Hofmannsthal, Eine Rede, 1930;
    Jugend ohne Goethe, 1931;
    Geist u. Buchstabe d. Dichtung, 1931, ²1942, ⁵1962;
    Gedanken üb. Gedichte, 1943, ²1956;
    Btrr. z. e. dt. Calderon, 2 Bde., 1946 (II: Überss. u. Nachdichtungen);
    Dichter. Welterfahrung, Essays, hrsg. v. H.-G. Gadamer, 1952;
    Essays, Notizen, Poet. Fragmente, a. d. Nachlaß hrsg. v. I. Jens (mit e. Einführung v. ders.). -
    Dichterische Arbb.: Gespräche a. d. Zeit d. dt. Wiedergeburt, 1929;
    Michelangelo Dichtungen, 1931 (Überss.);
    Leichte Lieder, 1931;
    Das letzte Lied, 1933;
    Dichter. Tagebuch, 1935;
    Das kaiserl. Blut, Ein Drama im barocken Stil, 1938;
    Mein Anteil, Gedichte, 1938;
    Der Lampenschirm a. d. drei Taschentüchern, Eine Erz. v. gestern, 1941;
    Mit gleichsam chines. Pinsel, 1944 (Aufl. zerstört), ²1946 (Gedichte);
    Die Gefangenen, Trauerspiel in 5 Akten, 1948;
    Kasperlespiele f. große Leute, Mit Ill. v. R. Pudlich u. e. Nachwort v. A. Henkel, 1948;
    Hieronyma, 1954 (Novelle aus e. unvollendeten Roman);
    Rückkehr z. Anfang, 1954;
    Gedichte, Gespräche, Übertragungen, 1969. -
    Briefe u. Aufzeichnungen 1919-1944, a. d. Nachlaß hrsg. v. I. Jens, 1967 (W, P).|

  • Nachlass

    Nachlaß: Marbach, Dt. Lit.archiv.

  • Literatur

    W. Benjamin, Wider e. Meisterwerk, Zu M. K. „Der Dichter als Führer in d. dt. Klassik“, in: Die Literar. Welt 6, Nr. 33/34, 1930, wieder in: ders., Ges. Schrr. III, hrsg. v. H. Tiedeman-Bartels, 1972, S. 252-59;
    H.-G. Gadamer, Gedenkrede auf M. K. (5.8.1944), mit e. Nachwort abgedr. in: M. K., Dichter. Welterfahrung (s. W), S. 205-29;
    H. E. Holthusen, M. K. u. d. dt. Klassik, in: ders., Das Schöne u. Wahre, 1958, S. 38 ff.;
    L. Thormaehlen, Erinnerungen an St. George, 1962, S. 190-264;
    E. Landmann, Gespräche mit St. George, 1963, S. 118 ff.;
    I. Jens, Üb. M. K., in: M. K., Briefe u. Aufzeichnungen 1919-44 (s. W), S. 7-41;
    H. Heissenbüttel, Zur Lyrik M. K.s, Ein Versuch in Hermeneutik, in: M. K., Gedichte, Gespräche, Übertragungen (s. W), S. 7-44;
    H. Strebel, in: Marburger Gel. in d. 1. Hälfte d. 20. Jh., hrsg. v. I. Schnack, 1977 (W, L, P).

  • Autor/in

    Martin Glaubrecht
  • Zitierweise

    Glaubrecht, Martin, "Kommerell, Max" in: Neue Deutsche Biographie 12 (1980), S. 481-483 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11856501X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA