Lebensdaten
1822 – 1893
Geburtsort
Herzogenbusch (Holland)
Sterbeort
Rom
Beruf/Funktion
Physiologe ; Arzt ; Naturwissenschaftler
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 118734547 | OGND | VIAF: 27109123
Namensvarianten
  • Moleschott, Jakob
  • Moleschott, Jacob
  • Moleschott, Jakob
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Objekt/Werk(nachweise)

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Zitierweise

Moleschott, Jacob, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118734547.html [19.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johannes Franciscus Gabriel (1793–1857), Dr. med., Arzt in H., S d. Jacobus Adrianus Franciscus (1763–1839), Apotheker u. Mitgl. d. Stadtrats in Leiden, u. d. Maria Anna Stas;
    M Elisabeth Antonia (* 1795), T d. Dr. Wilhelmus van der Monde (1756–1824) in Leiden;
    Mainz 1849 Sophie (* 1829), Vf. v. Kinderbüchern, T d. Georg Strecker (1800–64), Dr. iur., Weingroßhändler in Mainz, u. d. Caroline Bansa (1807–86); Schwager Adolph Strecker (1822–71), Chemiker (s. ADB 36; Pogg. VII a);
    5 K, u. a. Carl (* 1851), niederländ. Konsul in R.

  • Biographie

    Sein Studium absolvierte M. in Heidelberg in erster Linie bei dem Anatomen F. Tiedemann, dem Chemiker L. Gmelin und dem Anatomen, Physiologen und Pathologen J. Henle, unter dessen Anleitung er auch seine Dissertation schrieb. Noch vor seiner Promotion reichte er zu der 1844 von der Teylerschen Gesellschaft gestellten Preisaufgabe „Kritische Betrachtung von Liebig's Theorie der Pflanzenernährung mit besonderer Angabe der empirisch konstatirten Tatsachen“ eine Arbeit ein und erhielt den Preis. 1845 wurde er dann mit einer anatomisch-physiologischen Dissertation über die Lunge (De Malpighianis pulmonum vesiculis) promoviert. M. zeigte darin, daß die Bronchiolen nicht in Kanälchen, sondern in Bläschen enden. Zudem stellte er fest, daß die Lungenbläschen mit dem Alter an Größe zunehmen und beim sogenannten Emphysem atrophieren und nicht hypertrophieren.

    Nach der Promotion ließ sich M. in Utrecht als Arzt nieder, arbeitete aber wissenschaftlich weiter bei J. G. Mulder, dessen umfangreiches Werk „Proeve eener algemeene physiologische Scheikunde“ (1843-50) er unter dem Titel „Versuch einer allgemeinen physiologischen Chemie“ 1844-47 ins Deutsche übersetzte. 1846-48 gab er zusammen mit J. van Deen und F. C. Donders die „Holländ. Beiträge zu den anatomischen und physiologischen Wissenschaften“ heraus. 1847 kehrte er nach Heidelberg zurück, wo er sich im selben Jahr für Anatomie und Physiologie habilitierte. Hier erschienen in kurzer Folge die „Lehre der Nahrungsmittel für das Volk“ (1850), die „Physiologie der Nahrungsmittel“ (1850) und „Die Physiologie des Stoffwechsels in Pflanzen und Thieren“ (1851). Nachdem M. in seiner „Lehre der Nahrungsmittel“ die physiologische Bedingtheit des Denkens auf die Formel gebracht hatte, daß „ohne Phosphor kein Gedanke“ existieren könne, griff ihn Liebig in scharfer Form an, indem er solche Äußerungen als „oberflächliche Anschauungen ohne den geringsten wissenschaftlichen Grund“ zurückwies. Der wissenschaftliche Dissens betraf hierbei die Zusammensetzung der Hirnsubstanz.

    M. antwortete Liebig daraufhin 1852 mit dem Werk „Der Kreislauf des Lebens, Physiologische Antworten auf Liebig's chemische Briefe“, in dem er die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen und Resultate seiner Forschertätigkeit in knapper und pointierter Weise darstellte. Das Buch, in dem die Liebigsche Position durchgehend als Kontrastfolie dient, fand große Verbreitung; 1887 erschien es in 5. und gänzlich umgearbeiteter Auflage. Liebig, für dessen naturwissenschaftliche Leistung M. sein Leben lang die größte Achtung bezeugte, begeht jedoch – gemäß M.s Darstellung – die „Halbheit“, Naturwissenschaft und Theologie vermitteln zu wollen. M. hält Liebig deren Unvereinbarkeit entgegen: „Das Naturgesetz ist der strengste Ausdruck der Notwendigkeit, aber die Notwendigkeit widerstreitet der Schöpfung“. In den Naturwissenschaften können M. zufolge nur gesetzesartige Sätze, keine teleologisch-theologischen vorkommen. In seiner Erkenntnistheorie bezieht sich M. auf Ludwig Feuerbach, den er in Heidelberg 1848 kennenlernte und der 1850 seine „Lehre der Nahrungsmittel“ rezensierte. Erkenntnistheoretischen Primat haben die Sinne; Gedanken sind Kondensate unserer Sinnenerkenntnis. Darum vertritt M. auch den Standpunkt, daß Naturgesetze nur auf induktivem Weg erschlossen werden könnten. Auf Lavoisiers Satz von der Erhaltung der Masse aufbauend, setzt M. den Stoff als das Absolute an, zu dem es keinen ihm externen Erzeuger und Beweger gebe. Der Stoff, dem die Kraft (qua Bewegung) als Eigenschaft zukommt, bildet ein geschlossenes System. „Die Kraft ist kein stoßender Gott, kein von der stofflichen Grundlage getrenntes Wesen der Dinge. Sie ist des Stoffes unzertrennliche, ihm von Ewigkeit innewohnende Eigenschaft“. Neben der Kraft als bewegtem Stoff ist keine andere Kraft mehr denkbar; M.s Ablehnung einer eigenständigen „Lebenskraft“ findet darin ihre Begründung. Kraft und Stoff bilden das Universum, in dem sich der „Stoffwechsel“ und „Kreislauf des Lebens“ abspielt. Der Stoff-Wechsel im Entstehen und Vergehen der Dinge, den M. geradezu hymnisch rühmt, ist der ewige Kreislauf, der sogar dem Tod seinen Schrecken nimmt, da jedes Element in einer neuen Kombination präsent bleibt. Intellektuell gehört M. damit zur Gruppe um Ludwig Büchner und Karl Vogt, die einen atheistischen, naturwissenschaftlich orientierten Materialismus vertreten.

    M. betonte auch den technisch-praktischen Aspekt der Stoffwechsellehre und zitierte Liebig, der beklagt hatte, daß durch die Erdbestattung eine Menge als Dünger verwertbares Knochenmaterial nutzlos auf den Friedhöfen liege. M. zog daraus eine radikale Konsequenz: Er forderte die Leichenverbrennung und die Verwendung der erhaltenen Asche als Düngemittel und kritisierte die religiösen Grundsätze, die dieser Vorgehensweise entgegenstehen, als eine Sitte, die dem besseren naturwissenschaftlichen Wissen zu weichen habe. „Soll der Stoff in Gräbern und Särgen liegen, niemandem zum Vorteil und häufig der nächsten Umgebung zur Last?“ Wegen|solcher Überlegungen, die als „unsittlich und frivol“ bezeichnet wurden, erhielt M. vom engeren Senat der Univ. Heidelberg im fahr 1854 eine ernste Verwarnung, die er mit der sofortigen Niederlegung seines Amts beantwortete.

    Die experimentellen Arbeiten M.s sind in erster Linie in den von ihm herausgegebenen „Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere“, (insges. 14 Bde., 1857–92) dokumentiert. Es handelt sich dabei einerseits um physiologische Arbeiten, in denen M. die Stoffwechselaktivität in ihrer Abhängigkeit von Art und Bau der Tiere, von Temperatur und Stärke der Belichtung untersuchte; darüberhinaus beschrieb er den unterschiedlichen Stoffwechsel hungernder und winterschlafender Tiere. Andererseits trieb er histologische Studien, wobei er das richtig gewählte chemische Reagens als das beste Messer in der Hand des Mikroskopierers bezeichnete. Im Frühjahr 1856 erhielt M. auf Empfehlung R. Virchows eine Berufung nach Zürich auf den Lehrstuhl für Physiologie. Fünf Jahre später berief ihn der ital. Minister des Unterrichtswesens Francesco de Santis, den er als Professor für ital. Literatur am Polytechnikum in Zürich kennengelernt hatte, nach Turin, von wo er 1879 als Professor der Physiologie an die „Sapienza“ nach Rom übersiedelte, wo er bis zu seinem Tod blieb.

  • Werke

    Weitere W Für meine Freunde, Lebenserinnerungen, 1895 (P).

  • Literatur

    ADB 52;
    W. Moser, Der Physiologe J. M. (1822-1891)) u. seine Philos., Diss. Zürich 1967;
    D. Wittich, in: ders. (Hrsg.), Vogt, M., Büchner. Schrr. z. kleinbürgerl. Materialismus in Dtld. I, 1971;
    BLÄ;
    Pogg. II, III;
    NNBW IIl;
    Schweizer Lex. (P).

  • Autor/in

    Stefan Büttner
  • Zitierweise

    Büttner, Stefan, "Moleschott, Jacob" in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 723-725 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118734547.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Moleschott: Jacob M., geboren am 9. August 1822 zu Hertogenbosch in Nordbrabant, also Holländer von Geburt, ist doch in seiner weiteren, namentlich wissenschaftlichen Entwicklung ein Deutscher geworden und wol auch Zeit seines Lebens geblieben, wenn er auch in Italien als italienischer Beamter drei Jahrzehnte lang gelebt und gewirkt hat. Durch die Thätigkeit des Vaters auf die medicinische Wissenschaft hingewiesen, und wie er einleitend in seiner Dissertation erzählt, von ihm frühzeitig mit den Anfangsgründen von Chemie und Physik bekannt gemacht, widmete er sich derselben in Heidelberg, woselbst der Anatom F. Tiedemann, der Chemiker L. Gmelin und der Anatom, Physiolog und Patholog J. Henle seine hauptsächlichsten Lehrer waren. Denn daß ihn wesentlich die theoretische und nicht die praktische Medicin oder nur das Wissenschaftliche in ihr anzog, geht aus der Thatsache hervor, daß er noch|vor seiner Promotion als jugendlicher Forscher die im J. 1844 von der Teyler’schen Gesellschaft gestellte Preisaufgabe „Kritische Betrachtung von Liebig's Theorie der Pflanzenernährung mit besonderer Angabe der empirisch konstatirten Thatsachen“ löste und den Preis erhielt. In dieser ungemein umfangreichen (122 Seiten in Quart) Abhandlung kritisirt der jugendliche Forscher in Bewunderung die gewaltigen Leistungen Liebig's auf dem Gebiete der Pflanzenernährung und ihre Bedeutung für die Landwirthschaft.

    Kurze Zeit darauf, 1845, promovirte er mit der anatomisch-physiologischen Arbeit: „De Malpighianis pulmonum vesiculis“ und spricht auf das Bestimmteste sein wissenschaftliches Glaubensbekenntniß in den Worten aus: Nullam extra physicae studia medicum invenire salutem, immo artem non esse medicinam, nisi a physiologia proficisceretur. Nächst dem Vater dankt er diese Auffassung über die Medicin sowie eine gewisse Liebe zur Philosophie seinem früheren philosophischen Lehrer Moritz Fleischer an dem Gymnasium in Cleve und seinem Lehrer Henle, auf dessen Anregung hin und unter dessen Leitung die Dissertation entstand. Nach einer eingehenden historischen Einleitung bespricht M. in derselben den histologischen Bau der Lunge, die er in zweckmäßiger Weise mit Luft aufgebläht oder auch mit Quecksilber injicirt hat, stellt vor allen Dingen fest, daß die kleinen Bronchiolen in Bläschen und nicht in Canälchen enden, daß diese Bläschen sich durch eigene glatte Muskeln bewegen können, mit dem Alter an Größe zunehmen und bei dem sogenannten Emphysem atrophiren, aber nicht hypertrophiren.

    Hierauf ließ sich M. kurze Zeit in Utrecht als Arzt nieder, arbeitete aber wissenschaftlich weiter bei Mulder und gab von 1846—1848 mit J. van Deen und Donders die „Holländischen Beiträge zu den anatomischen und physiologischen Wissenschaften“ heraus. Aber schon 1847 kehrte er nach Heidelberg zurück und habilitirte sich hier für Physiologie und Anthropologie. Wie gewaltig sein wissenschaftlicher Eifer war, geht außer seinen später mitzutheilenden Arbeiten auch daraus hervor, daß er sich 1853 ein eigenes kleines physiologisches Laboratorium einrichtete.

    Hier erschienen in kurzer Zeitfolge auf einander 1. „Lehre der Nahrungsmittel für das Volk“, 1850, seinem Vater gewidmet, „weil M. von jeher das Recht hatte, die Sorgfalt zu verehren, die sein Vater der Diät von Kranken und Gesunden zuwendete“. Das Buch stellt in kurzen Zügen das Wesentliche des Stoffwechsels dar und ist in anregender Weise mit Vermeidung der verschiedenen chemischen fremdsprachlichen Kunstausdrücke für Jedermann verständlich geschrieben. 2. In ausführlicher wissenschaftlicher Darstellung wird in der „Physiologie der Nahrungsmittel“, einem Handbuch der Diätetik, Darmstadt 1850, dasselbe Thema behandelt. 3. „Die Physiologie des Stoffwechsels in Pflanzen und Thieren“, ein Handbuch für Naturforscher, Landwirthe und Aerzte, Erlangen 1851 gibt eine weitere Uebersicht über das genannte Thema.

    Man sieht, M. berührte sich jetzt vielfach mit den Arbeiten Liebig's. Und als er nun betreffs der Zusammensetzung des Froschfleisches und des Gehirns zu einer anderen Ansicht kam, als Liebig und an Liebig's Arbeiten Kritik übte, trat Liebig auf das Schärfste gegen ihn auf. M. antwortete Liebig mit dem bekannten Werke „Der Kreislauf des Lebens“, Physiologische Antworten auf Liebig's chemische Briefe, Heidelberg 1852. Dieses glänzend geschriebene Buch, in welchem die ganze Kraft des Verfassers und gelegentlich der ehrliche Zorn gegenüber Liebig zum Ausbruch kommt, welcher mit Hohn seinen minderwerthigen Gegner abzuthun gedachte, hat außerordentlich viel Verbreitung gefunden. Im J. 1887 erschien es in der fünften vermehrten|und gänzlich umgearbeiteten Auflage. Gleich der erste Brief in diesem Buche führt den Titel „Offenbarung und Naturgesetz". Folgende Sätze charakterisiren seinen Inhalt: „Nur der Forscher begnügt sich nicht mit der Offenbarung einer entfernten Ursache, von der er sich keine Vorstellung machen kann. Er sucht für jede Erscheinung die nächste Quelle, für jede Quelle einen Grund, weiter und weiter rückwärts, so lange die sinnliche Wahrnehmung reicht“... Forschung schließt also Offenbarung aus. Das ganze Buch steht auf einer, kurz gesagt, materialistischen Grundlage. Diese Anschauungen aber, welche M. natürlich auch in seinen Vorlesungen mit der ihm eigenthümlichen Wärme der Ueberzeugung vertrat, waren höheren Ortes nicht genehm. Namentlich die Auffassung über die Unzweckmäßigkeit der Bestattung menschlicher Leichen in Kirchhöfen erregten daselbst Anstoß. Die interessante Stelle lautet: „Wenn wir unsere Todten verbrennen könnten, dann würden wir die Luft bereichern mit Kohlensäure und Ammoniak, und die Asche, welche die Werkzeuge zu neuen Getreidepflanzen, zu Thieren und Menschen enthält, würde unsere Haiden in fruchtbare Fluren verwandeln. Es kann nicht fehlen, wenn wir es auch nicht erleben sollten, das Bedürfniß der Menschen, welches der oberste Rechtsgrund und die heiligste Quelle der Sitte ist, wird einmal unsere Kirchhöfe mit gleichen Augen betrachten, wie wir das Pfund, das ein ängstlicher Bauer vergräbt, statt vom sauer erworbenen Capitale Zinsen zu ernten. Nur die Unwissenheit ist Barbarei.“ Ob dieser Lehren, die als „unsittlich und frivol“ bezeichnet, dazu geeignet, die Jugend durch Wort und Schrift zu verderben, erhielt M. eine ernste Verwarnung von dem engeren Senat der Universität Heidelberg, die er mit der sofortigen Niederlegung seines Amtes beantwortete.

    Zwei Jahre später, 1856, wurde er an die Züricher Hochschule als Professor berufen, welchem Rufe er natürlich mit Freuden Folge leistete. In seiner Antrittsrede daselbst ("Licht und Leben“, Frankfurt 1856), die dem Vater gewidmet ist, heißt es: „Dir vor allen würde ich's vorjauchzen, wie Diel das freie Zürich mir wiedergab, nachdem ich durch den Zusammenstoß mit der von Pfaffenseelen aufgestachelten badischen Regierung und deren willfährigem Werkzeug, dem Heidelberger Senate, inmitten einer lernbegierigen Jugend, an dem reizenden Ort, dem ich so viele Wonne nie vergessen werde, auch viel und schmerzlich entbehren mußte.“

    Doch war seines Bleibens in der Schweiz nicht lange. Der ihm befreundete italienische Minister des Unterrichtswesens Fr. de Sanctis, den er in Zürich kennen gelernt hatte, berief M. 1861 nach Turin, von wo er 1879 als Professor der Physiologie an die Sapienza in Rom übersiedelte. Bis zu seinem den 20. Mai 1893 daselbst erfolgten Tode verblieb er in dieser Stellung, verehrt von seinen Schülern und hochgeachtet von Vielen, freilich nicht von Jedermann; denn daß seine materialistische Auffassung Manchem nicht zutreffend und ausreichend, Vielen geradezu ein Gräuel dünkte, ist ziemlich selbstverständlich. Doch dürfte zutreffend sein, was J. R. Mayer in einem Schreiben vom 13. December 1867 sagt, in welchem er M. für die von ihm betriebene Aufnahme in die Turiner Akademie dankt. Mayer schreibt darin: „Ihnen vor Allen gebührt das große und bleibende Verdienst, den Satz siegreich vertheidigt zu haben, daß wissenschaftliche Gegenstände und Forschungen nicht mit religiösen Dogmen oder gar kirchlichen Fragen vermischt werden dürfen“ (J. J. Weyrauch, Kleinere Schriften und Briefe von Robert Mayer, Stuttgart 1893).

    M. war in erster Linie Schriftsteller, und zwar ein glänzender deutscher Schriftsteller, der mit der ganzen Kraft und Wucht seiner Ueberzeugung die von ihm für recht erkannten Anschauungen gegen Jedermann, auch gegen Hohe|und Mächtige vertrat. Er war aber in zweiter Linie auch ein bedeutender Forscher. Die meisten seiner experimentellen Arbeiten finden sich niedergelegt in den von ihm herausgegebenen „Untersuchungen zur Naturlehre der Menschen und der Thiere“, Frankfurt a./M., deren erster Band im J. 1857 erschien. Seine Arbeiten sind in erster Linie physiologisch-chemischer Natur. So betreffen sie die Beeinflussung des Stoffwechsels je nach Art und Bau der Thiere, ferner je nach der Temperatur und der Stärke der Belichtung, mit welcher im allgemeinen der Stoffwechsel zunimmt, lehren interessante und wenig beachtete Unterschiede in dem Stoffwechsel hungernder und winterschlafender Thiere, indem, kurz gesagt, in den ersteren hochwerthiges, in den letzteren minderwerthiges Körpermaterial verbrennt. Weitere Untersuchungen stellte M. an über die Zusammensetzung des menschlichen Blutes und weist auf den Wechsel in der Menge der weißen Blutkörperchen hin, wie er sich infolge von Krankheiten, Nahrungsmitteln und Medicamenten einstellt, eine in letzter Zeit vielfach besprochene, sogenannte moderne Frage. Ausgehend von dem Grundsatze, „das beste Messer in der Hand des Mikroscopikers ist ein richtig gewähltes chemisches Reagens“, untersuchte M. das mikroscopische Verhalten verschiedener thierischer Gewebe, von Horngewebe, von glatten Muskeln u. s. w. gegenüber zweckmäßig ausprobirten chemischen Reagentien und bereicherte so die histologische und anthropologische Wissenschaft um mancherlei werthvolle Kenntnisse. Schließlich sei noch auf seine Arbeiten hingewiesen, welche die Physiologie der Nerven und diejenige des Kreislaufs, namentlich diejenige des Herzens betreffen, in denen die damals auf das Schärfste bestrittene, heutzutage aber anerkannte beschleunigende Wirkung des Vagus auf den Herzschlag bewiesen wird.

    M., den ich persönlich nicht gekannt, war von untersetzter Statur, hatte offenbar sehr lebhafte Augen und eine lebhafte Sprechweise. Er war überaus glücklich mit einer Mainzerin, Sophie Strecker, verheirathet und hatte mehrere Söhne und Töchter. 1876 wurde er Senator des Königreichs Italien und bei Gelegenheit seines 70. Geburtstages, 1892, den er in Rom feierte, von aller Welt auf das herzlichste gefeiert. Kurze Zeit darauf, am 20. Mai 1893, starb er in Rom.

    • Literatur

      Ueber Moleschott hat geschrieben H. Vierordt in der Münchener med. Wochenschrift 1893. — Eine prächtige Schilderung seines Lebens bis 1861 gibt er selbst in dem hochinteressanten Buche „Für meine Freunde“, Gießen 1894. In beiden Schriften findet sich sein Bild.

  • Autor/in

    P. Grützner.
  • Zitierweise

    Grützner, Paul von, "Moleschott, Jacob" in: Allgemeine Deutsche Biographie 52 (1906), S. 435-438 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118734547.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA