Lebensdaten
1805 – 1876
Geburtsort
Prenzlau (Uckermark)
Sterbeort
Wiesbaden
Beruf/Funktion
Literar- und Kunsthistoriker ; Gymnasialprofessor ; Schriftsteller ; Publizist ; klassischer Philologe
Konfession
keine Angabe
Normdaten
GND: 11875257X | OGND | VIAF: 24695950
Namensvarianten
  • Stahr, Adolf Wilhelm Theodor
  • Stahr, Adolf
  • Stahr, Adolf Wilhelm Theodor
  • mehr

Objekt/Werk(nachweise)

Verknüpfungen

Von der Person ausgehende Verknüpfungen

Verknüpfungen zu anderen Personen wurden aus den Registerangaben von NDB und ADB übernommen und durch computerlinguistische Analyse und Identifikation gewonnen. Soweit möglich wird auf Artikel verwiesen, andernfalls auf das Digitalisat.

Orte

Symbole auf der Karte
Marker Geburtsort Geburtsort
Marker Wirkungsort Wirkungsort
Marker Sterbeort Sterbeort
Marker Begräbnisort Begräbnisort

Auf der Karte werden im Anfangszustand bereits alle zu der Person lokalisierten Orte eingetragen und bei Überlagerung je nach Zoomstufe zusammengefaßt. Der Schatten des Symbols ist etwas stärker und es kann durch Klick aufgefaltet werden. Jeder Ort bietet bei Klick oder Mouseover einen Infokasten. Über den Ortsnamen kann eine Suche im Datenbestand ausgelöst werden.

Zitierweise

Stahr, Adolf, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11875257X.html [18.04.2024].

CC0

  • Genealogie

    V Johann Adam (1768–1839, seit 1802 Feldprediger im preuß. Rgt. d. Hzg. v. Braunschweig-Oels in P., seit 1811 Pfarrer in Wallmow, S e. Huf- u. u. d. Friederike Möntke, Tuchscherer-T;
    M Caroline Beate (1775–1818), T d. Pfarrers N. N. Pudor aus Friedeberg (Neumark);
    2 B Wilhelm (* 1807), Karl (* 1812–63), Burschenschaftler, Philol., Gymn.lehrer in Stettin;
    1) Halle/Saale 1834 1854 Marie (1813–79), Angest. am Weimarer Hof, T d. August Kraetz, aus Leipzig, Schulinsp., u. d. Sophie Caroline Thierot, 2) Berlin 1855 Fanny Lewald (1811–89, Schriftst. (s. NDB 14; W);
    3 S aus 1) u. a. Alwin (1836–92), Maler (s. ThB), Adolf, im dipl. Dienst d. Hzgt. Sachsen-Weimar, 2 T aus 1) N. N., Angest. am Weimarer Hof; Schwägerin Elisabeth Lewald (1823–1909, Louis Gurlitt, 1812–97, Maler, s. NDB VII).

  • Biographie

    S. wuchs in Prenzlau, seit 1811 im nahegelegenen Wallmow auf, wo ihn der Vater bis zur Konfirmation unterrichtete. Während seiner Zeit als Gymnasiast in Prenzlau 1820–25 erkrankte er an einem Halsleiden, das ihn sein Leben lang beeinträchtigte. 1825 begann S., in Halle Theologie zu studieren, wandte sich aber bald der Klassischen Philologie zu. In seiner Studienzeit schloß er Freundschaft mit Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer, arbeitete an den „Halleschen (Dt.) Jahrbüchern“ mit und war bereits vor seiner Promotion zum Dr. phil. 1828 aufgrund einer Dissertation über Aristoteles als Lehrer am Pädagogikum tätig. Mit weiteren Arbeiten über Aristoteles (Aristotelia, 2 Bde., 1830/31; Aristoteles b. d. Römern, 1834, Nachdr. 1979) und einer Übertragung von dessen „Politeia“ erreichte S. erste Anerkennung in der Fachwelt.

    1836 ging S. als Prorektor für Sprachen an das Gymnasium in Oldenburg, schuf sich hier einen Namen als Literatur- und Theaterkritiker und gab 1840 „Johann Mercks ausgewählte Schriften zur schönen Literatur und Kunst“ heraus (Nachdr. 1965). Nachdem er in Oldenburg vergeblich versuchte hatte, das Theater im Sinne der Aufklärung zu einer Bildungsstätte des Volkes zu formen und sich auch gesundheitliche Probleme einstellten, gab S. 1845 seinen Lehrerberuf auf (pensioniert 1852); seine Ansätze am Theater konnten kurzzeitig von seinem Nachfolger Julius Mosen (1803–67) verwirklicht werden.

    Während einer Reise nach Italien 1845 lernte S. die Schriftstellerin Fanny Lewald kennen, mit der er seit 1847 in Berlin einen literarischen Salon unterhielt, in dem zahlreiche Künstler, Politiker und Staatsbeamte zu Gast waren. Fanny Lewald regte S. auch an, sich als Reiseschriftsteller und Publizist zu versuchen. S.s Reisebücher sind einer kunst- und kulturkritischen Sicht verhaftet und berücksichtigen kaum technische Entwicklungen, die S. als Bedrohung überkommener Lebensweisen erschienen. Sie enthalten exzellente Landschaftsbeschreibungen und reflektieren die soziale Lage und historische Entwicklungen. Ihr Ziel war es, Deutschlands politische Einheit zu fördern, wozu S. auch gesamteurop. Visionen entwickelte. S. setzte sich lange für eine aufgeklärte Monarchie ein. Seine Flugschrift „Bettina und ihr Königsbuch“ (1843) wurde aus politischen Gründen in Preußen verboten; nach Erscheinen von „Die preuß. Revolution“ (2 Bde., 1849), einer auf Quellen beruhenden Darstellung der Revolutionsereignisse, wurde S. zeitweilig des Landes verwiesen. Später wandte er sich Bismarck zu, weil ihm dessen „Revolution von oben“ erfolgversprechender erschien. S.s Bücher wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jh. viel gelesen. Besonders erfolgreich waren seine Lessing-Biographie (2 Bde., 1859, ⁹1887, engl. 1886) und „Goethes Frauengestalten“ (2 Bde., 1869, ⁸1891).

  • Auszeichnungen

    A Mitbegr. (1839) u. Präs. (1843 /44) d. Lit.-geselligen Ver., Oldenburg;
    Mitbegr. (1843) u. Mithg. (1843/44) d. Neuen Bll. f. Stadt u. Land, Oldenburg;
    Mitgl. d. Fortschrittspartei (seit 1861);
    – A.-S.-Preis (seit 1995).

  • Werke

    Kleine Schrr. z. Kritik d. Lit. u. Kunst, Oldenburg. Theaterschau, 2 Bde., 1845;
    Ein Jahr in Italien, 3 Bde., 1847–50, ³1874;
    Die Republikaner inNeapel, 3 Bde., 1849;
    Zwei Monate in Paris, 2 Bde., 1851;
    Torso, Betrachtungen z. Kunstgesch. d. Altertums, 1854, ²1878;
    Fünf Jahre danach, Reise n. Paris v. 1855, 1856;
    Aristoteles u. d. Wirkung d. Tragödie, 1859, Nachdr. 1979;
    Herbstmonate in Oberitalien, 1860;
    Bilder aus d. Alterthume, 4 Bde., 1863–67;
    Ein Winter in Rom, 2 Bde., 1869;
    Ein Stück Leben, 1869;
    Aus d. Jugendzeit, 2 Bde., 1870/77, ²1906, Nachdr. 1930 (Autobiogr.);
    Kl. Schrr. z. Litteratur u. Kunst, 4 Bde., 1871–75;
    Gesammelte Werke, 2 Bde., 1873;
    Sämtl. Werke, 18 Bde., 1873–79;
    – Aus
    A. S.s Nachlaß, Briefe, hg. v. L. Geiger, 1903;
    Aus d. Nachlaß v. Fanny Lewald u. A. S., hg. v. R. Göhler, in: Euphorion 31, 1930, S. 176–248;
    Unbekannte Briefe v. Fanny Lewald u. A. S. an Johann Jacoby, hg. v. H. E. Teitge, in: Stud. z. Buch- u. Bibl.wesen 4, 1986, S. 78–101;
    Nachlaß:
    Staatsbibl. Berlin, Preuß. Kulturbes.

  • Literatur

    ADB 35;
    A. Glaser, A. S., Ein biogr. Essay, in: Unsere Zeit 12,2, 1876, S. 801–09;
    G. Jansen, A. S.s letzte J. in Oldenburg (1846–1852), in: ders., Nordwestdt. Stud., 1904, S. 196–243;
    T. Bolte, A. S. u. seine Beziehungen z. Tonkunst, in: Neue Zs. f. Musik 80, 1913, S. 505–07;
    P. Hackmann, A. S. u. d. Oldenburger Theater, Ein Btr. z. Lit.- u. Theaterkritik in d. Epoche d. „Jungen Dtld.“, 1974 (P);
    A. Lindow, Der Schriftst. A. S., in: Heimatkal. Kr. Prenzlau 33, 1990, S. 68 f.;
    H.-E. Teitge, Heinrich Simons Briefe an Fanny Lewald u. A. S., in: Im Vorfeld d. Lit., hg. v. K.-H. Hahn, 1991, S. 212–20;
    Gabriele Schneider, Fanny Lewald, 1996 (P);
    dies., Unziemliche Verhältnisse, Fanny Lewald u. A. S., „das vierbeinige zweigeschlechtige Tintentier“, in: Fanny Lewald (1811–1889), Studien zu e. gr. europ.|Schriftstellerin u. Intellektuellen, hg. v. Ch. Ujma, 2011, S. 43–63;
    W. Otto, Leben u. Wirken d. Schriftst. A. S., 2005;
    Nassau. Biogr.;
    Weimar Lex.;
    J. Theil, Prenzlauer Stadtlex. u. Gesch. in Daten, 2005;
    Biogr. Hdb. Oldenburg (W, L, P);
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex. ³ (W, L);
    Reinalter II/1 (W, L).

  • Autor/in

    Wolfram Otto
  • Zitierweise

    Otto, Wolfram, "Stahr, Adolf" in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 35-37 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11875257X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Biographie

    Stahr: Adolf Wilhelm Theodor St., Schriftsteller, wurde geboren am 22. October 1805 zu Prenzlau in der Uckermark als Sohn eines preußischen Feldpredigers, der ihn bis zum 14. Jahre selbst unterrichtete. Er studirte zu Berlin und seit 1825 zu Halle a. S. erst Theologie, dann classische Philologie unter Reisig, ward 1826 Lehrer am Pädagogium in letzterer Stadt, zwei Jahre später Gymnasiallehrer in Oldenburg und 1836, durch seine Aristoteles-Arbeiten bekannt und berufen, ebendaselbst Oberlehrer und Conrector. Gesundheitsrücksichten veranlaßten ihn 1845 zu einer Reise nach Italien, die in mehrfacher Beziehung wichtig für seine Zukunft wurde, der Schweiz und Paris. In Rom lernte er die Schriftstellerin Fanny Lewald (s. Stahr, Fanny Lewald-) kennen, der er sehr bald nahe trat. Dieses Verhältniß führte nach einigen Jahren zum Bruche mit seiner Gattin, und 1854, nachdem St. 1852 infolge fortgesetzter Kränklichkeit definitiv pensionirt und aus seinem Drange nach einer anregenderen und abwechselungsreicheren Umgebung die endgültige Uebersiedlung nach Berlin hervorgegangen war, zur Vermählung mit Fanny Lewald. Diese blieb ihm seitdem andauernd eine echt geistes- und gemüthsverwandte Lebens- und Arbeitsgefährtin, zu der auch die Kinder erster Ehe mit Achtung und Zuneigung emporsahen. In glücklicher Muhe vollendete der nimmer Müde eine Reihe wissenschaftlicher, publicistischer und belletristischer Arbeiten, die seinen Namen weit verbreiteten und ihm zum großen Theile auch verdiente Anerkennung eintrugen. Wiederholte Reisen mit seiner Gattin, eigentlich gesundheitshalber unternommen, boten Ausbeute zu verschiedenartigen Studien und Anknüpfung auf dem und jenem Gebiete. Sein schwankendes Befinden nöthigte ihn öfters, den Wohnsitz zu ändern. Nachdem er vorübergehend in mehreren Kurorten geweilt hatte, wählte er Wiesbaden zum ständigen Aufenthaltsort und daselbst starb er auch am 3. October 1876.

    Die literarische Thätigkeit Stahr's ist eine außerordentlich vielseitige. Schon früh errang er in der Aristoteles-Forschung Lorbeeren, die noch heute als berechtigt anerkannt werden. Die Schriften „Aristotelea“ (1830—32), „Aristoteles bei den Römern" (1834) und die Ausgabe der „Politik“ (1836—38) gehören hierher; später schlossen sich ihnen an: „Aristoteles und die Wirkung der Tragödie“ (1859) und die Verdeutschung der Poetik, Politik, Rhetorik und Ethik|(1860—63). Dies sind die Hauptfrüchte seiner rein philologischen Gelehrsamkeit. Vielleicht mehr durch zufällige Anlässe ward Stahl's Interesse auch auf Fragen der Geschichte unserer neueren heimischen Litteratur gelenkt. Bereits die Anfänge der Vierziger Jahre sahen ihn auf diesem Felde thätig. Die Herausgabe von „Johann Heinrich Merck's ausgewählten Schriften zur schönen Litteratur und Kunst. Ein Denkmal“ (1840), „Zur Charakteristik Immermann's“ (1842), „Shakespeare in Deutschland“ (in R. Prutz' Litterarhistor. Taschenbuch I, 1843 [vgl. dazu Koberstein, Vermischte Aufsätze zur Literaturgeschichte, S. 165 s.]), „Bettina und ihr Königsbuch“ (von A. St., 1844), die Veröffentlichung und treffliche Einleitung der auf der Großherzoglichen Hofbibliothek zu Oldenburg liegenden Abschrift eines Manuscripts von Goethe's „Iphigenie“ (1839), die Graf Stolberg hingebracht hatte, legen ebenso Zeugniß dafür ab wie sein lebendiger Antheil am Aufschwunge der Oldenburger Hofbühne. Obwol er mit der Leitung der letzteren unmittelbar nichts zu thun hatte — die Intendanz führte Freiherr v. Gall, die litterarische und artistische Direction lag in den Händen seines Freundes Julius Mosen (s. A. D. B. XXII, 359), dessen Berufung St. selbst angeregt hatte. — so trug doch sein warmes Eintreten für gediegene Reform ungemein zur Hebung dieses hervorragenden dramatischen Instituts bei. Die 1845 als Band I u. II seiner „Kleinen Schriften zur Kritik der Litteratur und Kunst“ gesammelten Theaterberichte, mit dem Untertitel „Oldenburgische Theaterschau. Bevorwortet von Julius Mosen“, sind von hohem Werthe für die Geschichte und die Entwicklung des besprochenen vortrefflichen Unternehmens und bilden einen erheblichen Baustein in der deutschen Bühnenhistorie. Die freie Bearbeitung von Shakespeare's „Wintermärchen“, die Mosen und St. gemeinschaftlich für die Oldenburger Aufführungen einrichteten, stammt | von Emil Palleske|.+) Korrekturgeändert aus: S. 404. Z. 23 ff. v. o. [d. Red.]: Nach gütiger Mittheilung des Herrn Oberbibliothekar Dr. Mosen in Oldenburg stammt diese Bearbeitung des „Wintermärchen" dennoch wirklich von Palleske, wie dieser in einer „Thal, 30. Mai 1880“ datirten öffentlichen Erklärung in der Weserzeitung feststellte, damit nicht „eine so unbedeutende Arbeit, die das Original nicht productiv umgestaltet“ versehentlich länger Stahr und Mosen zugeschrieben werde. L. Fränkel. Die Kenntniß und Urtheilsfähigkeit Stahr's auf kunstgeschichtlichem und ästhetischem Gebiete belegte sodann das viel befehdete Werk „Torso: Kunst, Künstler und Kunstwerk der Alten“ (2 Bde., 1854—55; 2. Aufl. 1878), während Stahr's „Kleine Schriften zur Litteratur und Kunst“ (4 Bde., 1871—75) neben Aufsätzen dieser Art eine längere Anzahl gediegener Abhandlungen über Gestalten und Probleme des classischen und des modernen deutschen Schriftthums mittheilten, die stets durch die große Fülle der Gesichtspunkte ansprachen und so aufs neue seine Vielgewandtheit erwiesen. Namentlich wo St. hier eigene Erlebnisse verwerthet und Erinnerungen in die Darstellung verwebt, wie bei der Behandlung seiner Freunde Theodor Echtermeyer, Arnold Ruge, Heinrich Simon, fesseln seine gehaltreichen Essays. Denselben Stimmungen entwuchsen die Blätter „Aus der Jugendzeit" (2 Bde., 1870—77), die weit mehr als eine bloße Autobiographie darboten: sie sind ein Reflector aller der stark abweichenden Strahlen des gleichzeitigen politisch-socialen und des künstlerisch-litterarischen Lebens. St. war eine ausgesprochen publicistische Natur modernen Geprägs, deren Schwärmerei für Idealismus und Humanität durch eine vernünftige Einsicht in den praktischen Gang der Dinge wesentlich gedämpft war. Auch „Fichte. Ein Lebensbild" (1862) rechnet in diesen Gedankenkreis. Schon in seiner Studie über „Die preußische Revolution“ (2 Bde., 1850; 2. Aufl. 1852) gibt sich St. als einen Vorkämpfer modern liberaler Aufklärung ohne den damals beliebten radicalen Anstrich zu erkennen. Seine litterarische Hauptleistung, zugleich das bei weitem bekannteste aller seiner Erzeugnisse, „Lessing, sein Leben und seine Werke“ (2 Bde., 1859; 9. Aufl. 1887, von Fanny Lewald besorgt), fußt in derselben Tendenz, obzwar neuerdings Hieraufhin ein scharfer radicaler Kritiker, Franz Mehring, in einer Artikelreihe „Die Lessing-Legende. Eine Rettung“ ("Die Neue Zeit“ X, Bd. 1 [1892], besonders S. 632—640) das St. gebührende Lob arg|zu verkleinern und ihn selbst als einen seilen Trabanten des angeblich pseudoaufklärischen Aufklärungszeitalters Friedrich's des Großen zu brandmarken sucht. Wir urtheilen mit E. Schmidt's Kritik der Vorarbeiten am Ende seines „Lessing“ (1892). Daß St. nichts geleistet habe als das im voraufgehenden Jahrzehnt erschienene imposante Lessingdenkmal Danzel's und Guhrauer's „popularisirt und dem deutschen Publicum in die Hände gespielt,“ wie W. v. Maltzahn und R. Boxberger noch 1880 im Vorwort zur Neubearbeitung jener großen Biographie behaupteten, ist eine ungerechtfertigte Ausstreuung. Allerdings steht er natürlich auf jener beider Schultern, aber mit völlig selbständiger Eigenart und keineswegs blind nachbetend, und sein Buch hat für die Ausbreitung Lessing’scher Ideen im deutschen Volk verdienstlich gewirkt. Ehrende Anerkennung wird St. für dieses mit seiner ganzen Ueberzeugung geschriebene Buch stets geziemen. Auch die zwei Bände über „Goethe's Frauengestalten“ (1865—68; 8. Aufl. 1891) haben für ähnliches Verdienst vollen Anspruch auf Lob. Ihr Inhalt berührt sich mannigfach mit dem interessanten Tagebuche „Weimar und Jena“ (2 Bde., 1852; 3. Aufl. 1892), das der langen Reihe der Bücher angehört, in denen St. als ungemein anmuthiger und scharfäugiger Reiseschriftsteller auftrat. „Ein Jahr in Italien“ (3 Bde., 1847—50; 4. Aufl. 1874), „Herbstmonate in Italien“ (1860), „Herbstmonate in Oberitalien“ (1866; 3. Aufl. 1884), „Ein Winter in Rom“ (1869, mit Fanny Lewald), dazu die Pariser Skizzen „Zwei Monate in Paris" (1851) und „Nach fünf Jahren" (1857) vertreten diese besondere und gewiß bezeichnende Seite von Stahr's litterarischem Wesen. Weniger erfolgreich wurde Stahr's Eintreten für Persönlichkeiten der römischen Kaiserzeit, die Tacitus und sein Anhang als verwerflich hingestellt hatten. In seinen „Bildern aus dem Alterthum" (4 Bde., 1863—66) versteifte sich St. darauf, jene möglichst rein zu waschen und als unschuldige Opfer politisch-litterarischer Anschwärzesucht aus dem Rufe ihrer Böswilligkeit zu erlösen. Diese „Rettungen“ von „Tiberius“ (2. Aufl. 1873 u. 1885; vgl. Joachim, Tiberius von Adols Stahr, Schulprogramm 1865; G. Lejeune Dirichlet, Der Kaiser Tiberius und die Majestätsprocesse: Sonntagsbeilage Nr. 28 zur Vossischen Zeitung 1892; W. Ihne, Zur Ehrenrettung des Kaisers Tiberius. Aus dem Engl. mit Zusätzen von W. Schott, Straßb. 1892), „Kleopatra" (3. Aufl. 1879), „Römische Kaiserfrauen“ (2. Aufl. 1880), „Agrippina, die Mutter Nero's“ (2. Aufl. 1880) müssen im ganzen als verfehlt, Stahr's Beweisführung als nicht stichhaltig gelten. Die speciell belletristische Thätigkeit Stahr's, durch den historischen Roman „Die Republikaner in Neapel“ (3 Thle., 1849) und die lyrische Sammlung „Ein Stück Leben“ (1869) vertreten, zeigen, daß hier nicht die Wurzeln seiner Kraft lagen. Von anderweitigen Publicationen seien noch genannt: „Christian Ruben's: Columbus im Augenblicke der Entdeckung der neuen Welt. Bruchstück aus einem Reisejournal“ (1844); „Theodor von Kobbe. Ein Denkstein“ (1845); „Ueber Goethe's Faust. Zwei dramaturgische Abhandlungen“ (1845, mit J. Mosen); „Ueber die moderne Tragödie und Julius Mosen's, Don Johann von Oestreich“ (1845).

    Ein entschiedener und bewußter Charakter bleibt St. auf alle Fälle, mag man auch an einzelnen Seiten seines Schaffens mancherlei aussetzen wollen. Er darf den Ehrennamen eines Hauptvorkämpfers modern-deutscher Denkfreiheit verlangen (vgl. „Das Bremer Glaubensgericht des Jahres 1844. Weihnachtsbrief“, 1844) und hat zur litterarischen Allgemeinbildung der Gegenwart sehr viel beigetragen, was durch das erklärliche Schwinden seines Einflusses in unseren Tagen verdunkelt wird. Er erscheint zudem stets als klarer Denker und Urtheiler, sowie als eine seine Natur, als ein hoher, ernster und edler Geist, der das Wahre und Schöne begierig sucht, freudig begrüßt und mannhaft verficht.

    Die beste Lebensbeschreibung und Charakteristik Stahr's bietet der von sehr naher Freundeshand herrührende Aussatz Adolf Glaser's in „Unsere Zeit. Neue Folge. XII. 2. Hälfte“ (1876). Eine abschließende Würdigung des weitausgreifenden Mannes fehlt noch. Eine solche wird wesentlich erleichtert werden, sobald seine Briefe und anderen Papiere zugänglich gemacht werden, nachdem nun — Anfang 1892 — sein ältestes Kind, Alwin, in Neapel gestorben ist. Ad. Stahr's nachgelassene Papiere sind testamentarisch nicht seinem hier genannten ältesten Sohne, sondern dem Herrn Ad. St. in Köln vermacht. So lange Fanny Lewald-Stahr lebte, befanden sie sich in deren Besitz. (Nach Familienmittheilungen.) Eine Fülle von Briefen Stahr's und seiner Gattin besitzt das „Goethe- und Schiller-Archiv“ zu Weimar infolge einer Schenkung des regierenden Großherzogs von Sachsen-Weimar seit 1891/92 (s. VII. Jahresbericht der Goethe-Gesellschaft, S. 9); Herr Director Prof. Suphan konnte sie mir leider noch nicht nutzbar machen. Für mehrere Mittheilungen bin ich dem Großherzogl. Oberbibliothekar Herrn Dr. R. Mosen in Oldenburg, für bibliographische Glossen Herrn A. Schwartz, Inhaber der Schulze’schen Hofbuchhandlung ebenda, sehr verbunden. Für einige einzelne Punkte vergleiche man R. v. Dalwigk, Chronik des Alten Theaters zu Oldenburg 1833—81 (Oldenb. 1881) und Mielke, Der deutsche Roman des 19. Jahrh., S. 329.

  • Autor/in

    Ludwig Fränkel.
  • Zitierweise

    Fränkel, Ludwig, "Stahr, Adolf" in: Allgemeine Deutsche Biographie 35 (1893), S. 403-406 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11875257X.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA