Lebensdaten
1837 – 1909
Geburtsort
Schwedt/Oder
Sterbeort
Berlin
Beruf/Funktion
Politiker
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 11855316X | OGND | VIAF: 13099140
Namensvarianten
  • Holstein, Friedrich von
  • Holstein, F. von
  • Holstein, Friedrich August Karl Ferdinand Julius von
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Zitierweise

Holstein, Friedrich von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd11855316X.html [29.03.2024].

CC0

  • Genealogie

    V August (1800–63), preuß. Premierleutnant u. Kammerherr, S d. Frdr. Stephan (1776–1820), meckl. Landrat, auf Ballin (verk. 1810), u. d. Dorothea Wilhelmine v. Fabrice;
    M Karoline (1791–1858), Erbin v. Trebenow (verk. 1848), T d. Karl George Ehrenreich v. Brünnow, auf Trebenow/Pommern, preuß. Major, u. d. Wilhelmine v. Eickstedt; ledig.

  • Biographie

    H. wurde von Privatlehrern unterrichtet, studierte in Berlin Jura und war anschließend 4 Jahre als Auskultator und Referendar am Stadtgericht tätig. Ende 1860 gelang es ihm, in den diplomatischen Dienst überzuwechseln; wahrscheinlich fand er dabei die Unterstützung Bismarcks, dem er als Attaché an die Petersburger Gesandtschaft überstellt wurde. Familiär-freundschaftliche Beziehungen mit den Bismarcks hatten auf seine diplomatische Laufbahn großen Einfluß: H. konnte sich zumeist den Ort seiner Tätigkeit aussuchen (Rio de Janeiro, London, Washington, Kopenhagen). Für die Jahre 1868-70 ließ er sich – unzufrieden mit der bedeutungslosen Stellung eines Legationssekretärs – vom Dienst beurlauben, um sich gemeinsam mit Max Eyth dem Aufbau eines Unternehmens zu widmen, das die Entwicklung eines speziellen Schleppschifffahrt-Systems auf westeuropäischen Flüssen, vor allem auf dem Rhein, betrieb. Dieses geschäftliche Intermezzo endete allem Anschein nach mit dem Verlust seines Privatvermögens. Zu Beginn des Krieges 1870 entsandte ihn Bismarck in geheimer Mission nach Oberitalien, um die Möglichkeit einer Aufstellung von Freischärlertruppen gegen Frankreich zu sondieren. Später folgte er eigenmächtig dem Kanzler ins Hauptquartier nach Versailles, wo er an der Redaktion des Vorvertrages mitwirkte und im April 1871 Geheimverhandlungen mit der Pariser Kommune führte. Zusammen mit dem späteren General Alfred Graf von Waldersee bereitete er in Paris die Errichtung der deutschen Botschaft vor, die Ende 1871 von Harry Graf Arnim übernommen wurde. H. geriet in eine sehr schwierige Lage, als der Botschafter – abweichend von Bismarcks Instruktionen – eine monarchisch-restaurative Frankreichpolitik betrieb. Entgegen früheren Auffassungen, die H. als Spitzel Bismarcks im Kampf gegen Arnim sahen, darf jetzt als erwiesen gelten, daß er sich gegenüber dem Botschafter in aller Offenheit als Parteigänger Bismarcks bekannt und darüber hinaus seine Versetzung angeboten hat. Dennoch wurde er während des Arnim-Prozesses und in der Folgezeit von der Arnimpartei diffamiert, was seiner gesellschaftlichen Position schadete, wenn auch nicht in dem oft behaupteten Umfange; in jedem Falle aber steigerten diese öffentlichen Angriffe seine Reizbarkeit und sein ohnehin stark ausgeprägtes Mißtrauen. 1876 holte Bismarck seinen Protégé ins Auswärtige Amt nach Berlin, wobei er auch dessen Wunsch („Zum heutigen Botschafter fehlen mir die elementaren Bedingungen“) Rechnung trug. Hier erweiterte H. rasch seine ohnehin umfangreichen Beziehungen zu einem „Informationsapparat“, mit dem er bis in die Mitte der 80er Jahre die Außen-, aber auch die Innenpolitik Bismarcks stützte. Besonderen Machtzuwachs erfuhr seine Position, als er in den Jahren 1879/82 im Auftrage des Reichskanzlers mit den Botschaftern Hohenlohe und Hatzfeldt wegen der Übernahme des Staatssekretariats verhandelte und beiden, wenn auch nur vorübergehend, die Annahme des Postens ermöglichte, was ihm einflußreiche Verbindungen für die Zukunft sicherte. Sein starker personalpolitischer Einfluß ging auf die Freundschaft mit den Kanzlersöhnen zurück, insbesondere mit Herbert von Bismarck, dessen Laufbahn bis zur Übernahme des Staatssekretariats er als eine Art Mentor beeinflußte.

    In der Mitte der 80er Jahre setzte H.s Bismarckkritik ein und damit seine Lösung zunächst von der Person, dann auch von der Politik des Kanzlers. Während der Orientkrise 1885/87 verfolgte er gemeinsam mit seinem Freunde Hatzfeldt, dem deutschen Botschafter in London, politische Tendenzen, die in der historischen Literatur als Geheimpolitik gedeutet worden sind. Teilweise im Einvernehmen mit dem kronprinzlichen Hofe (Battenberg-Affäre) bemühte er sich, durch gezielte Informationen die österreichische und englische Balkanpolitik zu einem aggressiven Vorgehen gegen Rußland zu veranlassen, erwartete den militärischen Konflikt Deutschlands mit Frankreich und Rußland und sprach sich – ähnlich wie der deutsche Generalstab – für den Präventivkrieg aus. Obgleich seine diplomatische Aktivität im Gegensatz zur Dreikaiserpolitik des Kanzlers stand, hat er selbst sie als die eigentliche Bismarck-Politik interpretiert, da ihm der|Kanzler und der Staatssekretär zu stark in russische Abhängigkeit geraten zu sein schienen. Entgegen früher verbreiteten Ansichten ist ein direkter Anteil H.s am Sturze Bismarcks nicht nachweisbar; allerdings hat er in einer illusionären Ausgleichspolitik beide Seiten zu unterstützen versucht: den Kanzler „zum Zurückstauen der Revolution“ und den jungen Kaiser als „Korrektiv für die zunehmende Apathie des Reichskanzlers“ und zugleich als Kompensation zu einem bismarckschen „Hausmeiertum“. Letztlich hat er aber durch seine Informationen an Waldersee, die zur Stärkung des Kaisers gedacht waren, die Position des Kanzlers untergraben. Nach der Entlassung Bismarcks blieb er der wichtigste Sachkundige im Auswärtigen Amt; seine hervorragende Aktenkenntnis sowie seine immense Korrespondenz sicherten ihm das höchstmögliche Informationsniveau. So wurde er in der Ära des „Neuen Kurses“ zur Schlüsselfigur der Außenpolitik. Er hat es mehrfach abgelehnt, die verantwortliche Position eines Unterstaatssekretärs anzunehmen, dirigierte vielmehr die Politik aus der Kulisse seiner subalternen Stellung als Vortragender Rat (seit 1880 Geheimrat, seit 1899 „Exzellenz“). Von den Bismarcks, mit denen er sich im April 1890 völlig überworfen hatte, wurde er nun scharf angegriffen. Die Nichterneuerung des von ihm schon 1887 kritisierten Rückversicherungsvertrages („Politische Bigamie“) geht in starkem Maße auf seine Initiative zurück, die allerdings von allen damals zu Rate gezogenen Diplomaten – auch von seinen Gegnern – akzeptiert wurde. Über die politischen Fähigkeiten Wilhelms II., seines „nervösen jungen Herrn“, war H. rasch desillusioniert, doch seine Bemühungen, die persönlichen Eingriffe durch indirekte Beeinflussung des Monarchen (Korrespondenz mit Philipp Eulenburg) zu mildern, blieben erfolglos. Seine Resignation führte mitunter zu einer Flucht aus der Verantwortung, wie es bei der Abfassung der Krügerdepesche besonders deutlich wurde.

    Der H.schen Politik einer Abwendung von Rußland entsprach die Annäherung an England, die im Helgolandvertrag einen vorläufigen Höhepunkt fand. Die kolonialen Differenzen Deutschlands mit dem Inselreich sah er kaum als wesentlichen Interessengegensatz, verstand koloniale Erwerbungen vielmehr als eine Funktion der Innenpolitik zur Versöhnung des Reichstags mit dem Monarchen (1897). Er war ein Gegner der Flottenpolitik und bekämpfte die Kolonialschwärmerei als „Jugendstil der Politik“. Doch in der entscheidenden Phase der deutsch-englischen Verhandlungen versagte seine Diplomatie: Generelle Unterschätzung der englischen Entente-Möglichkeiten mit Frankreich und Rußland, Fehlinformationen durch die Berichterstattung Eckardsteins sowie die völlige Machtlosigkeit gegenüber kaiserlichen Intentionen und Eingriffen sind die Hauptgründe dafür, daß der „Allianzfaden nach England“ abriß.

    Seit Bülows Kanzlerschaft zeigte sich noch deutlicher der Kompromißcharakter der H.-schen Außenpolitik. H. kritisierte mit Schärfe die elastische Bereitschaft Bülows, auf die Impromptus kaiserliche Politik einzugehen. Mit Rücktrittsdrohungen suchte er den Kanzler auf seinem Kurs zu halten. Die Unzulänglichkeit einer solchen Politik der indirekten Beeinflussung trat besonders grell während der ersten Marokkokrise zutage. H. forderte, den Druck auf Frankreich bis in die Nähe der kriegsreifen Situation gelangen zu lassen, um die 1904 abgeschlossene Entente cordiale einer Belastungsprobe auszusetzen, an der sie – wie er meinte – zerbrechen würde. Diese Politik scheiterte auf der Algeciras-Konferenz, als sich Bülow, der anfangs das Konzept gutgeheißen hatte, unter dem Eindruck der wachsenden Isolierung Deutschlands dem kaiserlichen Wunsche nach raschem Einlenken anschloß. H. wurde unter nicht ganz geklärten Umständen verabschiedet, blieb aber auch nach seiner Entlassung (16.4.1906) der intime Ratgeber des Kanzlers und übte maßgeblichen Einfluß auf die Außenpolitik während der Bosnienkrise aus. In seinen letzten Lebensjahren verstärkte er seine Presseverbindungen, um mit ihrer Hilfe das persönliche Regiment, die Flottenpolitik und den Einfluß der Eulenburg-Camarilla zu bekämpfen. Dabei fand er einen Bundesgenossen in Maximilian Harden, der noch im Juni 1906 in seiner Wochenschrift „Die Zukunft“ H. polemisch als „Graue Eminenz“ porträtiert hatte. Frühere Auffassungen, nach denen H. Hardens Informant für dessen Angriffe gegen den Fürsten Eulenburg (Eulenburg-Prozeß 1908) wurde, können keine Geltung mehr beanspruchen.

    Sein politisches Hauptziel, England mit dem Dreibund zu einer Allianz zu zwingen, hat H. trotz wechselnder politischer Konzeptionen (Kontinentalliga) nicht erreicht, im Gegenteil ist die Entfremdung zwischen beiden Staaten während seiner Ära besonders stark geworden. Seine Rußlandfeindschaft hat man mitunter aus persönlichen Antipathien erklärt, sie muß aber wohl eher darauf zurückzuführen sein, daß H., der eindeutige Bündnisverhältnisse bevorzugte, in Rußland von jeher einen zu unsicheren Partner gesehen hat. Eine gewisse Starrheit seiner Bündniskonzeption, die besonders bei einem Vergleich mit der Bismarcks ins Auge fällt, ersetzte H. durch Elastizität der diplomatischen Methode, die er routiniert beherrschte. Aggressive Züge seiner Politik, die für sein Zeitalter keineswegs untypisch sind, finden sich auch in seiner Persönlichkeit wieder. Ein unter seinen Standesgenossen sonst selten ausgeprägtes soziales Gewissen gehört zu den positiven Seiten seines Charakters. Aus Menschenscheu beschränkte er schon früh seinen gesellschaftlichen Umgang auf einen kleinen Freundeskreis. Unter den Diplomaten galt es als Auszeichnung, von ihm zu einem seiner ausgesuchten Menüs in das Restaurant Borchardt eingeladen zu werden. Doch auch seine kulinarischen Gewohnheiten gab er im Alter auf und zog sich aus dem Berliner „Geheimratsviertel“ zurück in die kleinbürgerliche Kreuzberger Großbeerenstraße.

    H.s Persönlichkeit und Politik sind unter dem Einfluß zahlloser Feindschaften von den Zeitgenossen überwiegend negativ dargestellt worden. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches 1918 wurde er oft als einer der Hauptschuldigen für die unglückliche Entwicklung der Vorkriegspolitik bezeichnet. Diese zumeist stark legendenhaften Darstellungen sind seit der Publikation der Briefe und des Nachlasses H.s korrigiert worden.

  • Werke

    Die Geh. Papiere F. v. H.s, I: Erinnerungen u. pol. Denkwürdigkeiten, II: Tagebuchbll., III u. IV: Briefe, hrsg. v. W. Frauendienst, 1956 ff. (engl. 1955 ff.).

  • Literatur

    K. Haenchen, F. v. H.s Herkunft u. Jugend, in: Meckl.-Strelitzer Gesch.bll. 7, 1931;
    H. Rogge, F. v. H., Lebensbekenntnis in Briefen an e. Frau, 1932 (P);
    ders., H. u. Hohenlohe, 1957 (P);
    ders., H. u. Harden, 1959;
    H. Krausnick, H.s Geheimpol. in d. Ära Bismarck 1886–90, 1942 (ausführl. Bibliogr.);
    N. Rich, F. v. H., Politics and Diplomacy in the Era of Bismarck and Wilhelm II, 2 Bde., 1965 (P);
    G. Richter, F. v. H., ein Mitarbeiter Bismarcks, 1966;
    ders., F. v. H., Politiker im Schatten d. Macht, in: Persönlichkeit u. Gesch. 49, 1969 (P);
    Ahnentafeln berühmter Deutscher II;
    BJ 14.

  • Autor/in

    Günter Richter
  • Zitierweise

    Richter, Günter, "Holstein, Friedrich von" in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 550-552 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11855316X.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA